Kapitel 17

Ich saß in meiner kleinen Wohnung auf dem Sofa und hatte die Füße auf den Tisch gelegt. Meine Wohnung war nicht besonders groß. Zwei Zimmer, wobei in das Schlafzimmer wirklich nur ein Bett und ein kleiner Kleiderschrank passten. Meine offene Küche wurde durch eine Barzeile von dem Wohnzimmer abgegrenzt. Dennoch hatte ich mich sofort in den kleinen Erker mit den großen Fenstern verliebt, durch den die Abendsonne immer hineinschien.

Trotzdem war auch mein Wohnzimmer nicht sehr groß. Ein kleines Sideboard auf dem mein Fernseher stand, ein Sofa und ein Tisch. Ich hatte noch zwei Regale voller Bücher an den Wänden stehen, aber ich war vor ein paar Jahren auf den E-Reader umgestiegen, weil ich einfach keinen Platz mehr hatte, all die Bücher irgendwo in meiner Wohnung unterzubringen. Ich hatte nicht viele Fotos in meiner Wohnung. Um genau zu sein, zwei. Auf meinem Nachttisch stand ein Familienfoto von meinen Eltern, meiner Schwester und mir, als wir in den Sommerferien einen Standurlaub gemacht hatten. Damals gingen wir noch auf die Highschool Das andere Foto stand auf dem Fensterbrett in meinem Wohnzimmer. Darauf waren November und ich zu sehen. Das Foto wurde im Januar vor 15 Jahren aufgenommen. Kurz nach dem Tod meiner Großeltern. November lächelte, ich aber, die sich die Haare abgeschnitten und gefärbt hatte, um der Normalität zu entfliehen, blickte leer in die Kamera.

Mein Bad war vielleicht fünf Quadratmeter groß, aber die Abstufung zwischen grauen und weißen Fliesen, verlieh ihm einen gewissen Charme. Meine Küche war auch nicht viel größer. Sie hatte auch schon bessere Tage gesehen, aber dafür war die Ausstattung auf dem besten Stand. Das war mir immer wichtig gewesen.

Ich hatte eben das letzte Kapitel meines Fantasy Romans angefangen, als mein Handy einen Piep von sich gab. Ich nahm es vom Tisch und musste feststellen, dass es nur noch 10 % Akku hatte. Stöhnend stand ich auf und ging in mein Schlafzimmer, um mein Ladekabel zu holen.

Als ich nach einer halben Stunde mein Ladekabel noch immer nicht gefunden hatte, ließ ich mich frustriert auf mein Bett sinken. Ich hatte meine ganze Wohnung auf den Kopf gestellt, es aber nicht gefunden. Ich legte mich auf den Rücken und starrte die Decke an. Und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen.

Ich sah das Kabel regelrecht vor mir, wie es in einer Verteilersteckdose an meinem Schreibtisch im Blacktower steckte. Gestern hatte ich es nicht mit nach Hause genommen! Ich fuhr mit den Händen über mein Gesicht und stöhnte frustriert auf.

„Sowas schaffst auch nur du April Young. An Thanksgiving ins Büro fahren und dein gottverdammtes Ladekabel holen." Natürlich hätte ich auch bis Montag warten können, aber ich hatte mein Handy immer aufgeladen bei mir, auch in meiner Wohnung, weil ich stets vorbereitet sein wollte. Die Vorstellung vier Tage ohne funktionierendes Telefon gefiel mir überhaupt nicht.

Ich schwang meine Beine in die Luft und kam mit einem Ruck hoch. Nachdem ich mir meine Handtasche geschnappt hatte, schloss ich hinter mir die Wohnungstür ab und ging nach draußen.

Ich trug heute eine dunkle Jeans, Sneakers und unter meinem dünnen, schwarzen Mantel ein graues Longshirt. Meine Haare hatte ich über meine linke Schulter geflochten.

Noch immer frustriert, weil ich bei diesem Nieselwetter aus dem Haus musste, bleib ich am Straßenrand stehen und hoffte, dass ein Taxi vorbeifahren würde. Ich hatte heute wirklich keine Lust mit der U-Bahn durch San Francisco fahren zu müssen. Und irgendwer hatte Erbarmen mit mir, denn keine Sekunde zu früh kam ein Taxi die Straße entlanggefahren. Ich hob die Hand und der Taxifahrer fuhr zu mir an den Rand.

Seufzend stieg ich hinten in das Taxi. „Wo darf es denn hingehen Miss?", fragte mich der Taxifahrer. Ich nannte ihm die Adresse vom Blacktower und er fuhr los. Heute war einiges auf den Straßen los, weswegen ich mit der U-Bahn auch nicht viel länger gebraucht hätte, aber das Taxi brachte viel mehr Bequemlichkeiten mit sich. Als wir ankamen, gab ich dem Fahrer sein Geld und verabschiedete mich von ihm. Ich ging in das Hochhaus in Richtung der Fahrstühle.

„Kann ich Ihnen helfen, Miss?", fragte ein Mann im schwarzen Anzug. Ich schaute auf und erkannte ihn als einen der Männer wieder, die in dem Nebenraum gesessen hatten, während Adam mit William geredet hatte. Ich wollte gerade antworten, als er mir zuvorkam.

„Miss Young, welch Überraschung, was führt Sie hier her?"

„Ich habe etwas vergessen", sagte ich etwas erstaunt darüber, dass er meinen Namen noch wusste.

Der Mann nickte. „Na dann holen Sie es sich schnell", antwortete er und lächelte mir zu. Ich bedankte mich und stieg in den Aufzug. Oben angekommen, lief ich zu meinem Schreibtisch und zog mein Ladekabel aus der Verteilersteckdose unter meinem Schreibtisch.

„Wirklich April. Ein verdammtes Ladekabel", murmelte ich, über mich selbst frustriert. Ich steckte das Kabel in die schwarze Handtasche und wollte mich wieder auf den Weg nach unten machen, als das Telefon in Adams Büro klingelte. Verwirrt runzelte ich die Stirn. Wer rief denn bitte an Thanksgiving in einem Unternehmen an? Gut, Adam war der CEO, aber konnte jemand erwarten ihn heute hier anzutreffen? Ich dachte, allen wichtigen Geschäftspartnern eine E-Mail gesendet zu haben, dass er heute und morgen nicht im Büro sein würde. Das Klingeln endete und ich drehte mich zum Gehen um. Doch dann begann es erneut.

„Wirklich?", stöhnte ich, die angelehnte Tür zu Adams Büro böse anfunkelnd. Mit einem weiteren theatralischen Stöhnen – ich wusste nicht mehr, wie viele es heute schon gewesen waren – ging ich in Adams Büro und kurz bevor ich abnehmen konnte, hörte das Klingeln wieder auf. Noch ein Stöhnen. Aber das Klingeln ging gleich darauf wieder los. Ich setzte mich auf Adams Stuhl und nahm ab.

„Blacktronic Coop. April Young am Apparat, was kann ich für Sie tun?"

„Ich habe wirklich jemanden erreicht", sagte eine erleichterte Männerstimme am anderen Ende. „Wie kann ich Ihnen helfen, Sir?", fragte ich nach und lehnte mich in Adams Sessel zurück. „Ist Mister Black zu sprechen?"

„Nein tut mir leid, der ist heute, wie alle anderen nicht im Hause. Was gibt es denn so Dringendes? Ich bin Mister Blacks persönliche Assistentin."

„Oh okay, dann kann ich auch mit Ihnen reden. Verzeihen Sie, dass ich mich noch nicht vorgestellt habe. Mein Name ist Bob Carter. Ich bin der Geschäftsführer von Carters", erklärte er. Carters war eine bekannte Kette von Juwelieren an der Westküste. „Das Unternehmen, welches...?" Ich brachte den Satz nicht zu Ende.

„Richtig. Mister Black wollte am Montag die Verträge unterschreiben, um mein Unternehmen zu kaufen. Ich habe eben erfahren, dass der Vorstand ein weiteres Angebot bekommen wird. Ich weiß nicht, ob Olsen Motors Ihnen etwas sagt? Sie wollen in vier Stunden ihr Angebot offiziell machen." Ich zuckte zusammen. Zufall oder eiskalte Berechnung?

„Sie wollen Blacktronic überbieten?", fragte ich dennoch ruhig.

„Richtig. Darum wollte ich anrufen und fragen, ob es möglich wäre, die Verträge zu faxen, dass Mister Black sie auch heute noch unterschreiben kann. Mein Unternehmen liegt mir sehr am Herzen, aber ich kann es selber nicht weiterführen. Der Vorstand wird es nicht akzeptieren, wenn ich ein Angebot annehme, welches nicht das Höchste ist, aber ich weiß, dass Blacktronic sich gut um mein Werk kümmern würde. Bei Olsen Motors wäre ich mir da nicht so sicher."

Allein bei dem Namen lief es mir kalt den Rücken runter. Olsen Motors hatte in der Automobilbranche viel Geld verdient und war einst eines der führenden Unternehmen auf diesem Markt gewesen. Dennoch hatten sie in letzter Zeit sehr geschwächelt. Und neuerdings schienen sie sich auch für andere Bereiche zu interessieren.

„Sie wollen nicht, dass Mister Black sein Angebot erhöht?", hakte ich nach. Wenn doch, dann war das ein ziemlich plumper Versuch, noch mehr Geld zu machen. „Nein, Miss Young. Die Summe, die Mister Black und ich ausgehandelt haben, soll sich nicht verändern."

„Faxen Sie mir die unterzeichneten Verträge. Ich werde mit meinem Boss reden." Ich zog mein Ladekabel aus meiner Handtasche, steckte es in eine im Schreibtisch eingearbeitete Steckdose und fing an mein Handy zu laden.

„Ich sitze in drei Stunden in einem Flieger. Das heißt, wenn Mister Black noch eine Videokonferenz möchte, muss diese in den nächsten drei Stunden stattfinden." Während er mir das erzählte, suchte ich die Unterlagen aus Adams Schreibtisch heraus. „Mister Black wird sich bei Ihnen melden. Wie er reagieren wird, kann ich Ihnen aber nicht sagen", erklärte ich.

„Das macht nichts. Ich werde warten. Ich habe es auf seinem Handy versucht, aber er nimmt nicht ab. Na ja es ist Thanksgiving."

„Mister Carter, lassen Sie das meine Sorge sein. Ich kümmere mich um alles."

„Vielen Dank Miss Young. Auf Wiederhören."

Wir legten auf. Ich legte das Telefon gar nicht erst aus der Hand, sondern betätigte den nächsten Anruf. Es stimmte, Adam nahm nicht ab. Dann tippte ich eine andere Nummer ein.

„Hallo?", fragte Timothy verwundert.

„Du hast die Nummer gesehen und dich gefragt, was der Boss wohl an einem Feiertag von dir will?", scherzte ich.

„April. Was machst du denn im Büro?"

„Ich habe etwas vergessen und als ich es holte, bekam ich einen Anruf. Tim ich brauche nochmal deine Fähigkeiten."

„Wen darf ich stalken?", fragte er im Scherz. „Mister Black." Timothy sog zischen die Luft ein. „Ähm..."

„Ich brauche die Adresse seiner Eltern. Ich erreiche ihn nicht auf seinem Handy und es geht um einen Unternehmenskauf. Es ist sehr wichtig und ich habe nur noch drei Stunden."

„Okay ganz ruhig. Das bekommen wir hin. Pack deine Sachen da zusammen und suche dir ein Taxi. Soweit ich weiß, wohnen Sie im Süden der Stadt. Fahr erst mal in diese Richtung und ich schicke dir dann die Daten. Gib mir 20 Minuten."

„Na deine Fähigkeiten als Stalker müssen wir aber noch ausbauen", sagte ich lachend. „Lieber nicht", antwortete er genauso lachend. „Danke Tim, ruf mich auf meinem Handy an."

„Sicher bis gleich."

Ich legte auf und schnappte mir die Unterlagen für den Kauf und nahm auch mein Ladekabel inklusive Handy mit. Dann ging ich zu dem Faxgerät, dass bei mir am Schreibtisch stand und sah, dass Mister Carter die Verträge unterschrieben zu uns gefaxt hatte.

Nachdem ich alles in meiner Tasche verstaut hatte, machte ich mich auf den Weg nach unten. Im Empfangsbereich stand noch immer der Mann von der Security. Ich winkte ihm kurz zum Abschied zu und lief nach draußen. Dort hielt ich ein Taxi an.

„Wo darf ich sie denn nun hinbringen?", fragte der Taxifahrer. Ich schaute genauer hin und bemerkte, dass es sich um den gleichen Fahrer von vorhin handelte. Ich musste lachen. „Erst mal Richtung Süden bitte, ich bekomme die Adresse noch zugeschickt."

„Alles klar", sagte er lächelnd und steuerte das Fahrzeug in die besagte Richtung. Nach zehn Minuten klingelte mein Telefon.

„Tim bitte sag mir, dass du die Adresse hast."

„Klar. Ich habe Mister Blacks Handy geortet." Ich riss die Augen auf.

„Du hast sein Handy geortet? Okay, deine Stalker Qualitäten sind doch besser als gedacht. Also wo darf ich hinfahren?" Tim nannte mir die Adresse, die ich an den Fahrer weitergab. Nickend bog er nach links ab. „Danke, du hast mir jetzt ein drittes Mal geholfen."

„Ach was, alles für dich und den Boss und davon nur das Beste", sagte er und ich konnte ein Schmunzeln hören.

„Also dann danke nochmal und tut mir leid für die Störung. Fröhliches Thanksgiving."

„Kein Problem. Dir auch, bis die Tage."

„Sie haben ein Handy geortet, dass sich in dem Haus der Black befindet?", fragte der Fahrer erheitert.

„Ich nicht, mein Kollege. Irgendwie muss ich meinen Boss ja finden. Warten Sie, woher wissen Sie, wer dort wohnt?"

„Man kennt die Wohnorte der Leute, die in höheren Kreisen verkehren. Sie arbeiten für Mister Black? Ich meine persönlich?", fragte er überrascht.

„Ich bin seine Assistentin."

„Na herzlichen Glückwunsch. Meine Nichte hatte sich dort beworben, aber sie sagte, dass er ziemlich mürrisch sei." Ich brach in schallendes Gelächter aus.

„Auf jeden Fall, wenn man ihm den falschen Tee bringt. Das kann ich bestätigen."

Die restliche Fahrt plauderten wir noch über seine Familie und meine Arbeit. Als wir vor einem zweistöckigen Haus im viktorianischen Stil stehen blieben, schaute ich erstaunt aus dem Fenster. „Hier wohnen Mister und Mrs. Black?", fragte ich. „Ja, Miss."

„Vielen Dank." Ich gab ihm zum zweiten Mal heute sein Geld inklusive Trinkgeld und stieg aus.

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