Kapitel 13

Die nächsten Wochen vergingen schnell und ohne weitere Zwischenfälle. Ich hatte somit die Möglichkeit, vollkommen bei Blacktronic anzukommen. Adam und ich sprachen sehr wenig miteinander. Es war fast, als wüssten wir nicht, wie mir miteinander umgehen sollten und Angst hätten eine Grenze zu überqueren. Adam benahm sich distanziert wie in meiner ersten Woche, aber er war immer zuvorkommend und höflich. Vor allem bei Außenterminen, bei denen ich ihn begleitete. Er richtete meinen Stuhl, half mir aus meiner Jacke, stand vom Tisch auf, wenn ich aufstand und so weiter und so fort.

Als Nick zwei Wochen nach dem Zusammentreffen mit William morgens auf mich zu gerannt kam, hatte ich ein kleines Déjà-vu. Dieses Mal bekam er allerdings seinen Kakao, was ihn sichtlich freute. Ich weiß nicht, was ihm erzählt wurde, warum ich vor zwei Wochen nicht mehr in die Küche zurückgekommen war, aber ich fragte auch nicht nach, um die Geschichte nicht zu ruinieren. Dennoch sah ich Nick an, dass er irgendwas vermutet hatte, aber da er mich gesund und munter und vor allem mit verheilten, kaum sichtbaren Verletzungen gesehen hatte, war er beruhigt.

Ich hatte sogar das Gefühl, dass von Adam eine große Last abgefallen war, als er mich eines Morgens ohne das störende Pflaster gesehen hatte. Seine Augen waren Tag für Tag immer wieder zu dem Pflaster an meinem Hals gewandert. An dem Tag, als ich das erste Mal ohne Pflaster zur Arbeit kam, war er nähergekommen und hatte die Wunde genau begutachtet. Als er gesehen hatte, dass alles gut verheilt war, strich er einmal kurz mit der Fingerspitze drüber und ging wortlos in sein Büro. Mich ließ er verstört und mit Gänsehaut am ganzen Körper zurück. Mein Herz raste immer wieder, wenn ich an diesen Moment zurückdachte. Das war unsere erste Berührung seit dem Vorfall gewesen. Ihn schien das alles nicht weiter zu beeinflussen, also tippte ich darauf, dass er doch nichts weiter in seine Handlungen und Worte reingepackt hatte. Zumindest nicht das, was mir hin und wieder durch den Kopf gegangen war. Da ich nicht weiter darauf eingehen wollte, schob ich die Gedanken, wann immer sie kamen, so schnell es ging beiseite, und kümmerte mich um meine Arbeit, von der es mehr als genug gab.

Anrufe hier, Telefonate da, Geschäftsessen, Meetings, noch mehr Meetings, Termine vereinbaren, Emails, Briefe. All das bestimmte mein neues Leben. Damit war ich aber voll und ganz zufrieden. Ich lebte mehr oder weniger für meine Arbeit. Der Einzige, der noch mehr arbeitete als ich, war Adam. Sowohl ein IT-, als auch ein neues Unternehmensprojekt standen vor der Tür und sollten noch vor bzw. kurz nach Thanksgiving, das nächste Woche Donnerstag war, abgeschlossen werden. Adam hatte für den Freitag nach Thanksgiving im ganzen Unternehmen Betriebsferien angekündigt, damit alle Mitarbeiter ein verlängertes Wochenende mit Familie und Freunden verbringen konnten. Wahrscheinlich gab es viele, die den Black Friday voll und ganz ausnutzen wollten – mit all seinen Sonderangeboten.

Ich dachte immer wieder, dass Adam einen Teil der Arbeit abgeben müsste. Ich habe auch schon Patrick auf ihn einreden hören, dass Adam nicht immer so weitermachen könne, dass er sich mal zurücknehmen müsse, aber Adam hatte den Einwand weggewischt und gesagt das würde sich beruhigen, wenn beide Projekte unter Dach und Fach waren. Doch manchmal kam nun einmal das Leben dazwischen.

Patrick und mir war aufgefallen, dass Adam sich öfters über die Stirn oder die Augen rieb. Ich hatte ihn auch vor zwei Tagen eine Tablette nehmen sehen, wusste aber nicht wofür oder wogegen sie gewesen war. Da dieser Zustand schon über eine Woche andauerte, machte ich mir mittlerweile ziemliche Sorgen.

„April." ertönte Adams Stimme eines späten Nachmittags aus der Gegensprechanlage an meinem Schreibtisch. „Ja?"

„Könnte ich noch einen Tee haben?", fragte Adam. Seine Stimme klang kratzig und ich hatte ihn den Tag über schon immer wieder seinen Hals reiben sehen. Dieser Mann wollte es wohl darauf anlegen, ging es mir durch den Kopf. Ich ließ mich jedoch nichts anmerken.

„Natürlich, kommt sofort."

Ich stand auf, ging in die Küche und machte ihm einen Kamillentee. Zusätzlich füllte ich ein Glas mit kaltem Wasser. Beides brachte ich in Adams Büro, der wieder halsreibend an seinem Schreibtisch saß und Unterlagen durchlas. Hin und wieder hatte er ein paar Stellen markiert. Ich stellte beide Getränke auf den Schreibtisch.

Als ich die gebrauchte Tasse mitnehmen wollte, stoppte ich in der Bewegung und schaute Adam genauer an. Dieser merkte es und hob seinen Kopf.

„Was ist los?", fragte er. Das war die Frage, dachte ich stirnrunzelnd. Ich stellte die Tasse wieder ab und legte die untere Innenseite meines Unterarms an seine blasse Stirn, die von einem dünnen Schweißfilm bedeckt war, und die meines anderen Arms an meine.

„Verdammt du glühst ja."

„Was? Rede keinen Blödsinn. Vielleicht ist dir kalt." Adam umfasste mein Handgelenk und nahm meinen Arm von seiner Stirn. „Du musst dich ausruhen. Sofort!" Ich schaute ihn drohend von oben herab an. „Und die Leitung übernimmt dann wer?", fragte Adam leicht gereizt.

„Du gibst zu, dass es dir schlecht geht. Ein Anfang." Ich überspielte seinen direkten Einwand und griff nach Adams Telefon. Er zog es mir aber sofort wieder aus der Hand. „Was machst du?"

„Dafür sorgen, dass du dich ausruhen kannst. Du klappst uns sonst noch ab und das bringt uns noch weniger."

„April, jetzt mach mal halblang. Es ist alles in Ordnung. Du bist nicht meine Mutter oder Schwester. Patrick geht mir auch schon auf den Nerv damit." Ich schüttelte nur den Kopf. „Ja ich bin weder das eine noch das andere, aber ich bin Gott verdammt nochmal deine Assistentin und es ist auch Teil meiner Aufgabe dafür zu sorgen, dass es dir gut geht, also verkrieche dich nach nebenan in dein Bett und schlafe." Ich zeigte auf die Tür, die ins Bad und dahinter ins Schlafzimmer führte. Ich selber war noch nicht drinnen gewesen.

„Wer ist jetzt hier der Boss?", fragte er genervt. Ich stöhnte nur und schnappte mir mein Handy aus meiner Hosentasche. „April, lass Patrick da raus", sagte Adam warnend.

Mein Blick fiel auf die Unterlagen vor ihm. Das IT-Projekt. Ich wählte und legte mein Handy ans Ohr. Adam stand auf und ich ging ein paar Schritte zurück, um genug Abstand zwischen mich und meinen Boss zu bringen.

„Hey April, was gibt's?", fragte Timothy am anderen Ende der Leitung. „Hey Tim. Mister Black hat einen kurzfristigen Termin reinbekommen, den er nicht verschieben kann, aber er müsste da noch was für das neue Projekt lesen und prüfen. Du kennst doch den Inhalt. Kannst du das übernehmen?"

Adam wollte den Mund aufmachen, um zu widersprechen und machte einen weiteren Schritt auf mich zu. Er taumelte plötzlich und hielt sich am Schreibtisch fest. Ich ging schnell zu ihm und stützte ihn.

„Ja klar mach ich", sagte Timothy leichthin.

„Danke. Ich bringe dir die Unterlagen gleich vorbei", antwortete ich, während ich meinen sturen Boss stützte. Er hatte die Augen geschlossen. Seine Beine schienen ihn nicht tragen zu wollen.

„Wenn ich dem Boss helfen kann", sagte Timothy am anderen Ende der Leitung.

„Das kenn ich irgendwie schon", lachte ich. „Bis gleich." Damit legte ich auf.

„Du." Ich zeigte auf Adam. „Ins. Bett. Sofort."

Adam wollte immer noch widersprechen, aber ich griff schon nach seiner Hand und zog ihn zur Tür. Er folgte mir schweren Schrittes. Ich machte die schwarze Holztür auf und trat in ein riesiges cremefarben gefliestes Badezimmer. Ohne weiter auf den großen Spiegel, die offene Dusche und den Rest zu achten, ging ich weiter und machte die Tür am anderen Ende des Bades auf. Wir kamen in ein Zimmer, in dessen Mitte an der gegenüberliegenden Wand ein dunkles Kingsize Bett stand. Zu meiner Rechten befand sich die Glasfront und links gab es noch eine Tür, die wohl zum Kleiderschrank führte. Er könnte sich hier wirklich häuslich niederlassen, dachte ich.

Ich zog Adam zum Bett und blieb stehen. „Leg dich hin." Er setzte sich seufzend auf das Bett.

„April du machst ein Drama um gar nichts."

„Ja, ja. Feuer mich später dafür, wenn es dir nicht passt. Wir machen uns Sorgen um dich", sagte ich genervt. Helfen lassen wollte er sich wohl wirklich gar nicht. Aber das tat ich nun einmal. Ich machte mir Sorgen um Adam, ob ich wollte oder nicht.

Ohne weiter drüber nachzudenken, zog ich an Adams Jackett, dass er dann träge auszog. Die Krawatte folgte. Er zog langsam seine beiden Schuhe aus und legte sich hin. Na bitte, geht doch, dachte ich zufrieden, als ich Adam zudeckte.

„Ich bringe dir noch den Tee und das Wasser", sagte ich und verließ den Raum. Vielleicht sollte ich ihn einsperren, damit er nicht abhauen konnte, oder ihn ans Bett fesseln. Ich blieb ruckartig stehen. Okay, nein das war die falsche Denkweise. Kopfschüttelnd ging ich schnell weiter. Ich holte beide Getränke und brachte sie ins Schlafzimmer. Ich blieb in dem Türrahmen zum Schlafzimmer stehen und schaute auf den schlafenden Adam. Binnen Sekunden war er eingeschlafen. Ich lächelte. Leise ging ich zum Bett und stellte Tee und Wasser neben ihm auf dem Nachttisch ab. Ich setzte mich auf die Bettkante und betrachtete ihn eine Weile. Eigentlich wollte ich ihm ja noch eine Tirade halten, dass er nicht so mit seinem Körper umgehen sollte, aber das hatte sich dann wohl erledigt. Und es war auch gut so.

Wenn Adam schlief, wirkten seine Gesichtszüge sehr weich. Er sah viel jünger aus, wenn er so ruhig dalag und nicht über irgendwas bezüglich seines Unternehmens grübeln musste. Er atmete tief und gleichmäßig. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen und strich eine Strähne aus seinem Gesicht. Wie immer stand sein seidiges, rabenschwarzes Haar in alle Richtungen ab, aber es passte zu Adam. Der sonst so kontrollierte Mann, mit den zerzausten Haaren. Ich fragte mich, wie er es schaffte, dass sein Haar so weich wurde. Jede Frau würde ihn darum beneiden. Gene, dachte ich mir und rümpfte augenblicklich die Nase.

Ich stand wieder auf und nahm beim Rausgehen sein Handy vom Nachttisch, das er da hingelegt haben musste. Ich wollte nicht, dass ihn jemand störte. Leise schloss ich die Tür zum Schlafzimmer und dann auch die zwischen Bad und Büro.

Ich atmete laut aus und ging zu Adams Schreibtisch, um die Unterlagen zusammenzusuchen. Nachdem ich sie Timothy übergeben hatte, welcher die Arbeit gern übernahm, ging ich wieder nach oben. Adams Bürotelefon klingelte. Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und leitete den Anruf zu mir um.

„Blacktronic Coop. April Young am Apparat, was kann ich für Sie tun?", fragte ich gut gelaunt, während ich seltsamerweise Adams schlafendes Gesicht vor Augen hatte.

„Ähm Entschuldigung, ich dachte, ich hätte Mister Blacks Direktdurchwahl gewählt", sagte eine Frauenstimme am anderen Ende der Leitung.

„Das haben Sie Miss-" Ich brach ab.

„Mrs. Effi Black.", sagte die Frau. Adams Mutter? Ich glaube, Doreen hatte ihren Namen einmal erwähnt. „Natürlich Mrs. Black. Mister Black ist gerade... ähm na ja er fühlt sich nicht wohl." Sie war seine Mutter. Ihr konnte ich das mit Sicherheit sagen. „Oh nein, was hat er denn? Geht es ihm gut? Wo ist er?", fragte sie hysterisch.

„Es ist alles in Ordnung, Mrs. Black.", versicherte ich ihr. „Mister Black hat sich hingelegt, um sich auszuruhen."

„Was reden Sie denn da? Das würde er niemals tun."

„Da haben Sie recht, aber da hat er die Rechnung ohne mich gemacht. Ich habe ihn in sein Bett verfrachtet." Bevor ich mich für meine Wortwahl entschuldigen konnte, fing Mrs. Black lauthals an zu lachen.

„Das hat er sich gefallen lassen?"

„Nein, aber ich kann überzeugend sein, wenn ich will. Da muss auch mal ein Adam Black einstecken und sich beugen", sagte ich schmunzelnd. Sie schien mir das nicht übel zu nehmen.

„Sie sind seine neue Assistentin, richtig?", fragte die Frau mit freudiger Stimme.

„Ja Ma'am", antworte ich.

„Da hat Patrick wohl wirklich jemand Gutes gefunden. Wissen Sie, Adam redet nicht gern über die Arbeit. Schon gar nicht über Mitarbeiter. Patrick aber redet hin und wieder von Ihnen und meinte, dass sie ein Schatz wären und man Sie nicht wieder gehen lassen wolle."

„Das freut mich zu hören. Ich hatte auch nicht vor so schnell zu gehen", antwortete ich schmunzelnd. So viel zum Thema ich müsse mir Sorgen machen, dass man mich feuern würde.

„Ich wollte mich nur erkundigen, ob es ihm gut geht, aber ich sehe, er ist in den besten Händen. Er war die letzte Zeit so in Arbeit vertieft und ich habe mir Sorgen um ihn gemacht, weil Patrick und meine Tochter erwähnten, dass er sich womöglich überarbeiten würde. Kümmern Sie sich gut um meinen Jungen, ja? Auf Wiederhören." Sie legte auf, ohne dass ich etwas hätte erwidern können.

Die nächsten drei Stunden arbeitete ich ganz normal weiter. Ich schrieb einige E-Mails, lud Geschäftspartner für das IT-Projekt zu einem letzten Meeting ein und kontrollierte die E-Mails, die bei Adam eingingen. Keine davon erforderte sofortiges Handeln. Hin und wieder schaute ich nach Adam, aber er schlief wie ein Baby. Ich richtete nur ein oder zweimal seine Decke.

Um 16 Uhr kam Patrick hoch und ging mir kurz zuwinkend in Adams Büro. Hätte ich nicht gerade eine Kundin, die unbedingt mit Adam sprechen wollte, am Telefon gehabt, hätte ich ihn aufgehalten.

„Miss, wie ich Ihnen schon sagte, er ist nicht im Haus. Aber ich werde mit ihm darüber reden, wenn er zurückkommt", versicherte ich ihr. „Darum bitte ich. Auf Wiederhören." Ich legte auf.

„Er ist wirklich nicht da", stellte Patrick fest. Er stand in der Tür zu Adams Büro. „Naja doch, körperlich schon, nur zwei Türen weiter", sagte ich, während ich eine Notiz beendete.

„Was hast du getan?", fragte er spielerisch besorgt.

„Die Frage ist wohl eher, was hat er alles getan und was nicht, dass er beinahe zusammengebrochen wäre und jetzt seit über drei Stunden schläft, als hätte er die letzten zehn Jahre keinen Schlaf bekommen." Ich kniff die Augen zusammen. „Er hat sich ganz klar überarbeitet."

„Adam schläft?", fragte Patrick erstaunt.

„Ja. Ich habe ihn in sein Bett verfrachtet", sagte ich achselzuckend. „Ist das wirklich so ein großes Ding? Seine Mutter hat mich durchs Telefon genauso angeschaut, wie du gerade."

„Adam hat noch nie-" Er brach ab. „Effi?", fragte er stattdessen.

„Ja sie hatte angerufen und sich erkundigt, wie es ihm geht." Patrick schüttelte nur den Kopf und ging wieder Richtung Aufzüge. „Alles klar April, ich überlasse ihn deiner Obhut." Er winkte kurz und verschwand hinter der Ecke. Blinzelnd sah ich ihm hinterher. Manchmal musste man die Menschen sicher nicht verstehen, oder?

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