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Kaylee
Sean lehnt wie jeden Morgen an der grauen Steinmauer, die den Eingangsbereich der Schule säumt. Mir hat es noch nie gefallen. Man tritt durch das Tor, danach folgen etwa 30 Meter Asphalt, links und rechts ein paar große Grasflächen mit Bäumen und dann... dann kommt dieses grässliche graue Pflaster mit den Mauern. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass es Überbleibsel aus dem Unabhängigkeitskrieg sind.
Grauenvoll!
Der Junge entdeckt mich und grinst breit. Vermutlich kann er auch meine Gedanken lesen. Es ist jeden Morgen dasselbe mit mir und diesem Abschnitt des Schulhofs. Außer es regnet, dann bin ich ein wenig abgelenkt.
„Na, du kleiner Teufel. Wo ist dein Feuer heute?"
Er schlingt seine Arme um mich und ich lasse mich für ein paar Sekunden in seinem Lenor-getränkten Pullover fallen. Himmel, ich liebe diesen Duft gemischt mit seinem Geruch. Das ist wie schweben, nur viel besser. Es ist wohlfühlen.
„Mein Feuer wurde gestern bombastisch entfacht, als Mom meinte, sie müsse mich noch maßregeln."
„Uhhh..." Er verzieht das Gesicht zu einer Grimasse. „Sag bloß... da kam noch was, nachdem du mir geschrieben hast?"
„Nein, nein. Aber ja... Mom spricht keinen Ton mehr mit mir."
„War absehbar..."
Ich mustere ihn eine Weile, dann das Tattoo an seinem Hals. An dieser Stelle ragt die Spitze des Olivenzweigs heraus, den er sich vor drei Monaten hat stechen lassen. Ein harmloses Tattoo, eigentlich. Aber genau wegen seiner Tattoos und der Tatsache, dass Sean schon einmal die Klasse wiederholen musste und jetzt 18 ist, hasst Mom ihn. „Er ist kein guter Einfluss. Zum Schluss lässt du dich auch noch tätowieren."
„Ja..."
„Willst du mir jetzt endlich erzählen, wo du warst? Oder schweigst du das auf ewig tot?"
„Totschweigen klingt super. Findest du nicht?"
„Ich weiß nicht, ich bin nicht überzeugt."
„Du wirst es später noch sehen..." Ich stocke, sobald Reese in mein Blickfeld tritt. Eigentlich sehe ich ihn jeden Morgen, während Sean wartet und seine Crew auf ihn. Sie stehen meist auf der gegenüberliegenden Mauerseite. Sean folgt meinem Blick blitzschnell, nur um mich dann mit einer hochgezogenen Augenbraue zu tadeln. „NEIN!?"
„Sean...", zische ich und funkle ihn tödlich an.
„Sag nicht..."
„Vielleicht."
„Nein?!"
„Ja."
„Nein!?" Er vergräbt das Gesicht in seinen großen Händen. Ich bin mir nicht sicher, ob er gerade verzweifelt oder traurig ist. Plötzlich bricht er in schallendes Gelächter aus.
Seans Lachen ist auffallend. Es ist nicht dieses tiefe Glucksen oder harmonische Brumm-Lachen. Nein, Seans Lachen ist zwar schön, aber es ist ein tiefer Schrei nach Aufmerksamkeitserregung. So hat er gelacht, seit ich ihn kenne. Und die Menschen schauen, weil es ein traumhaftes Lachen ist – ein ansteckendes Lachen, das man genießen möchte und von dem man wissen möchte, woher es kommt.
Von meinem besten Freund.
Das Gute ist, es ist mir nicht im Geringsten peinlich. Das Schlechte ist, die ganze Aufmerksamkeit liegt auf uns. So sehr, dass mein Blick, den von Reese Reed streift und ich ihn eine Weile leer anstarre. Solange, bis Sean mir seine Hand auf die Schulter legt, die andere auf sein Knie und zwischen den Lachern hustet. „Gott, du bist göttlich!"
„Teuflisch."
„Teufelchen."
Er wischt sich ein paar Lachtränen aus den Augenwinkeln und seufzt das Lachen regelrecht aus. Bis er mich nur noch angrinst. „Alter... ich kann nicht mehr. Du machst mich kaputt. Richtig kaputt..." Die Haare fallen ihm in die Stirn. „Du hast wirklich mit dem...?" Er redet nicht weiter, seine Augen sagen alles und das Grinsen auf seinen frechen Lippen.
Ich grinse ebenfalls. Ob ich will oder nicht, Sean macht einfach gute Laune. „Scheint so."
„War's gut?"
„Schlecht war's nicht."
„Aber hätte besser sein können?"
„Vielleicht."
„Also ja."
„Also ja.", wiederhole ich und wir glucksen vor uns hin. Ich spüre Reeses Blick noch immer auf mir. Im Augenwinkel kann ich das ziemlich gut beobachten, ohne ihn direkt ansehen zu müssen. „Er schaut mich an, Shawty."
„Ernsthaft? Was ist mit Mia? Ich dachte die beiden wären zusammen?"
„Jein. Also..."
„Oh Gott..."
„Nein, nein, nein."
„Was dann?"
„Warte doch mal." Sean lacht wieder und bringt mich damit aus der Fassung. „Also?"
Mühsam versuche ich sinnvolle Sätze zu bilden, die den gestrigen und vorgestrigen Tag kompakt zusammenfassen könnten. Doch es will mir nicht recht gelingen. „Also..."
Die Glocke rettet mich und da Sean, trotz seiner gesamten „Ihr könnt mich alle mal."-Attitüde, es hasst zu spät zu kommen, grinse ich ihn nur unschuldig an. Er schultert seinen Rucksack erneut, obwohl er perfekt sitzt. Das macht er gerne. Eine von Seans Macken, die ich absolut bezaubernd finde.
Es bringt mich nur noch mehr zum Grinsen und Sean weiß auch warum.
Er kneift mich einmal kurz in die Wange dafür, zieht mich zu sich und lässt den Arm über meiner Schulter hängen. „Oh Shawty."
Eigentlich ist das sein Spitzname.
Und eigentlich ist Sean auch alles andere als klein. Eigentlich ist er ein Riese mit seinen 1,90 und macht mir das jedes Mal wieder bewusst. Gegen ihn bin ich ein Zwerg.
„Hmm?"
Wir schlendern an Reese und den Jungs vorbei. Ich kann seinen Blick – trotz Mia neben ihm – so deutlich auf mir spüren, dass ich das Verlangen habe, ihn zu fragen, was denn los ist?
Klebt Toilettenpapier an meinem Hintern? Oder habe ich noch Marmelade im Gesicht? Hat Sean mir ein „Tritt mich" Schild auf den Rücken geklebt oder auf die Stirn?
Ich weiß es nicht, aber ich fühle mich absolut nicht wohl damit.
Geflissentlich ignoriere das um mich herum und konzentriere mich aufs Seans Gesumme. Ich glaube das ist etwas von „Youmeatsix".
Er ist in jüngster Zeit besessen von dieser Band und trällert ununterbrochen Lieder von ihnen.
Zu seiner Verteidigung, es ist eine verdammt gute Band.
„Verrat mir nur eins, bevor wir in diesen gottlosen Matheunterricht gehen: Waren sie und er zusammen, während du... ihr... und wie wars wirklich?"
„Das sind zwei Dinge.", korrigiere ich ihn mit einem engelsgleichen Lächeln. Er rollt mit den Augen „Tomato Tomate. Also?"
„Nein und höllisch gut, leider."
Sean quietscht übertrieben, als wäre er der schwule beste Freund, der sich über jedes noch so winzig kleine Erlebnis in deinem Leben freut. Dabei ist er alles, aber nicht schwul – mein kleiner Frauenheld. „Uff. So gut, dass ich neidisch würde?"
„Vermutlich."
Das ist so ein Ding... wir haben eventuell ein paar Mal miteinander geschlafen und es war... grandios. Nur... hatte er dann eine Freundin und ich Connor und dann... danach war das alles, als wäre nie etwas passiert.
Vielleicht sollte das niemals jemand erfahren, außer uns.
***
Reese
„Kaylee Bernstein?"
„Die ist heiß, Alter!"
„Und Mia?"
Meine Jungs überfallen mich mit ihren Aussagen, kaum, dass ich das Geheimnis gelüftet habe. Kevs Grinsen hat etwas anerkennendes, während Miles Augen seinen Schock darüber ausdrücken.
Ich fahre mir einmal durch die Haare. „Naja... also ich bin... ihr wisst selbst wie ich an dem Tag drauf war und außerdem hab ich Mia nicht betrogen. Wir hatten Schluss gemacht und fertig."
Miles verzieht den Mund ein wenig, schweigt allerdings.
Kevin will gerade seinen Senf dazugeben, als Travis mit Dec und Alisa auf uns zusteuert. Es muss ja nicht die ganze Schule wissen. Selbst wenn wir alle Freunde sind... die Leute aus der Schule sind immer noch die Leute aus der Schule.
Mia habe ich seit heute Morgen nicht mehr gesehen. Ich weiß immer noch nicht ganz, was ich von uns halten soll. Etwas sagt mir, dass es falsch ist. Mein Lächeln bei ihr ist nicht richtig.
„Sind du und Mia doch wieder zusammen?"
Die erste Frage von Dec erwischt mich eiskalt. Doch es war zu erwarten. Ich habe am Freitagabend mit Mia Schluss gemacht. Am Samstag habe ich mich überzeugen lassen, nochmal mit ihr zu reden und ihr alles zu erklären – was absolut dämlich war, weil ich kein großartiger Kommunikator bin. Und Sonntag... Sonntag hat sie mich aus dem Schlaf gerissen und irgendwie dazu gebracht, dass wir es nochmal versuchen.
Dumm!
Schlicht und ergreifend dumm.
Es war klar, dass die gesamte Schule und die Runde hier davon Wind bekommen. Wahrscheinlich hat Mia ihren Status auf Instagram und co. zweimal geändert. Und wahrscheinlich haben alle hier kein Leben, dass sie Mias Status checken müssen.
Da bin ich mir sogar ziemlich sicher.
„Ja... wir versuchen es nochmal.", brumme ich und nehme einen Bissen von meinem Sandwich.
Ich spüre die neugierigen Blicke auf mir.
„Das ist doch gut, oder?" Alisa setzt sich neben mich und legt mir eine Hand auf die Schulter.
Monoton nicke ich und schlucke. „Ja, kann schon sein. Ich weiß nicht... recht."
„Was weißt du nicht?" Travis schiebt sich die erste Gabel in den Mund.
Ich glaube es gibt keinen Menschen, der schneller und mehr Essen kann wie Travis und trotzdem kein Gramm zunimmt. Er hat diese Sportlerstatur – Fußballer –, die er wie eingemeiselt trägt.
„Ich glaube er meint, er weiß nicht, ob es sinnvoll ist." Alisa nimmt die Hand weg und fast bin ich ihr ein bisschen dankbar, dass sie mir die Antwort abgenommen hat.
„Warum nicht?"
„Na, logisch. Weil es beim ersten Mal nen Grund gibt für die Trennung und der nicht in zwei Tagen weggeht."
Ich bin überrascht von Declans raschen Denken, nicke stumm.
„Stimmt. Und jetzt?"
„Schauen wir mal."
Sie starren mich wieder alle an.
„Was eine Aussage, Reese."
Ich zucke mit den Schultern, damit ist das Thema vermutlich gegessen. Hoffe ich.
Meine Hoffnung schwindet jedoch, sobald die Tür der Mensa aufschwingt und Mia hereintritt... mit Kaylee – und meinem Hoodie in der Hand. Oh, lieber... Sie lachen beide und dieses Mädchen sieht einmal nicht aus wie eine Bilderbuchzicke. Sie sieht aus wie ein losgelöstes, junges Mädchen, das Spaß hat und...
Mich würde es immer noch interessieren, was mit Kaylee am Samstag los war. Warum war sie so... kaputt? Sie hat versucht es sich nicht anmerken zu lassen, aber mir war klar, dass sie an diesem Abend zerbrechlicher war als eine hauchdünne Glasvase für eine einzelne Rose.
„Warum hat Kaylee deinen Hoodie?" Travis und Alisa grinsen über diese synchrone Aussage und ich wünschte mir, dass die zwei nicht so verflucht aufmerksam wären.
Aufmerksam genug für diese Tatsache, aber nicht dafür, dass sie aufeinander stehen, schon klar...
„Sie hat auf Noah aufgepasst."
„Kaylee?"
„Ja."
„Seit wann hast du so viel mit Kaylee zu tun? Also das mit Chrissy und Derek ist doch schon ewig vorbei?" Alisa beobachtet die beiden genau.
Sean hat sich ebenfalls eingeklinkt und den Arm um Kaylees Schultern gelegt. Es scheint ihr zu gefallen – zumindest stört es sie nicht.
Wieder zucke ich mit den Schultern. „Keine Ahnung, meine Eltern haben sie denke ich angerufen. War nicht zuhause."
„Blendende Laune heute, Reese. Blendend!", grinst Declan und widmet sich wieder seinen Pommes.
„Aber warum hat sie dann deinen Hoodie?"
„Weil ihr kalt war?"
„Achso..."
Kaylee reicht ihn Mia und nickt zu mir. Unsere Blicke treffen sich eine Sekunde lang. Dann wendet sie sich wieder Mia zu.
Seit wann haben DIE BEIDEN wieder so viel Kontakt?
Kaylee wird ihr wohl nichts erzählen, oder?
Obwohl... eigentlich wäre es mir egal. Andererseits, ich weiß nicht.
Ich bin unentschlossen, was ich davon halten soll.
„Wie war euer Wochenende sonst so?"
Dankbar über diesen Themenwechsel nicke ich Miles zu. Das Gespräch explodiert förmlich, während Travis von seinen großartigen Erlebnissen erzählt. Er war Skifahren, hat Amber kennengelernt, die zufällig nur eine halbe Stunde von hier entfernt wohnt in Rochelle, und kapiert nicht, wie Alisa ihren Riegel zögerlich wieder zurücklegt.
Die beiden sind so dämlich. Entschuldigung, aber das ist unerträglich.
Plötzlich spüre ich zwei Hände auf meinen Schultern. „Na du..." Keinen Wimpernschlag später liegen ihre Lippen auf meinen.
Gut möglich, dass ich nun Lippenstift auf meinen habe... wie mich das nervt.
„Hey." Sie quetscht sich zwischen Alisa und mich. „Hier, den hat Kaylee mir gegeben." Mia strahlt in die Runde. „Ist mein Freund nicht ein wahrer Gentleman?!"
Mir ist schlecht.
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Was sagt ihr zu Reeses Verhalten?
XX Ane
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