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Reese
Zur Hölle! „Wie kann man nur so eine Bilderbuchzicke sein?"
„Wie kann man nur so ein Bilderbucharsch sein, huh? Verrat's mir!"
Ihre Stimme treibt mich schier in den Wahnsinn. Wie gerne würde ich sie jetzt einfach vor die Tür-
Der Donner unterbricht mich eiskalt und lässt Kaylee zusammenschrecken. Für diesen winzigen Moment funkeln ihre Augen nicht mehr mordlustig. In dieser Sekunde wirkt Kaylee wie ein kleines Mädchen, das einfach nur schreckliche Angst vor Gewittern hat. Sie scheint nicht mehr so unnahbar, so gnadenlos und eisig.
Bis sie es selbst bemerkt und ihre Augen wieder den wilden Glanz finden. Vielleicht hat sie kurz vergessen, dass sie mich hasst und gerade noch viel mehr.
„Was?"
Dieses Mädchen macht mich absolut verrückt, aber nicht auf die gute Art. Ich mustere sie noch eine ganze Weile. Die blonden Haare sind klitschnass, kringeln und kleben sich um ihr Gesicht. Ihre Lippen zittern.
Das passt ihr nicht, das weiß ich. Doch sie rührt sich nicht einen Millimeter – abgesehen von ihrem Bibbern. „Du kannst auch ein Foto machen, das hält länger." Dieses zynische Lächeln und Zähneknirschen danach... urgh!
„Mein Handy ist oben, sorry.", entgegne ich bitter und rolle mit den Augen. Biest!
Mein richtiges Handy, wollte ich sagen, aber unterlasse es. Kaylee braucht diese Info nicht.
„Zu Schade..."
„Danke kennst du nicht, oder?"
„Was?"
Ich rolle entnervt mit den Augen... langsam reicht's.
Ohne einen Ton wende ich mich von ihr ab und stapfe die ersten Stufen nach oben. Sie wird schon von selbst mitkommen.
Falsch gedacht... sie verharrt noch immer in derselben Position wie eben – macht keine Anstalten sich zu bewegen. Ich fahre mir übers Gesicht und streiche mir die Haare aus der Stirn. „Warum habe ich dich eigentlich zurückgeholt?"
Eigentlich war diese Frage nur für mich selbst gedacht...
„Tja, Ertrinken wäre der schönere Tod gewesen."
Unfassbar... „Im Regen oder an deinen Tränen?", feuere ich zurück und kneife mich innerlich dafür. Das war einer zu weit...
Da ist wieder dieser Nebel in ihren Augen – Schmerz.
„Sollte ich das nicht lieber zurückgeben?"
Und gerade dann, wenn ich denke, sie wäre ein Mensch mit Gefühlen... dann bringt Kaylee genau so etwas.
Wir erdolchen uns gegenseitig über die Stufen, bis es mir zu bunt wird. Wenn es sein muss, trage ich sie eben diese verfluchte Treppe hoch. Ein Schritt in ihre Richtung und sie hebt abwehrend die Hände. „Wehe! Ich komm ja schon."
Endlich!
Kommentarlos marschiere ich in mein Zimmer. Ich höre ihre Schritte hinter mir. Kein bisschen Zögern. Was hatte ich auch erwartet? Kaylee ist niemand der zögert. Ich glaube, ich habe sie in all den Jahren nicht einmal zögerlich erlebt. Ob sie das überhaupt kennt? Zögern? Oder ist das ein Fremdwort für sie?
Gut möglich.
Diesem eiskalten Wesen traue ich alles zu.
Ein Wesen, das weint...
Verdammt, nein!
Schweigend betritt sie mein Zimmer. Ich mustere sie aus einer sicheren Entfernung und frage mich, woher all das in ihr wohl kommen mag. Wann hat sie damit angefangen? Ich kenne sie seit dem Kindergarten, von den vielen Familienfeiern, als ihr Bruder und Chrissy noch...
Dann kommt mir Kenna in den Sinn und Derek und ihre Mutter...
Es ist nur eine flüchtige Erinnerung, aber sie genügt mir.
Ich hatte mir nie wirklich Gedanken über Kaylee gemacht – warum sie so verbittert und bissig ist.
***
Kaylee
Aus unerfindlichen Gründen hatte ich etwas anderes erwartet. Dieses Zimmer ist viel zu... lebendig. Es sprüht vor Leidenschaft und Energie. Es ist aufgeräumt, aber nicht steril.
Ich weiß nicht, ob ich mit einem kalten, grauen Betonklotz gerechnet habe. Allerdings hätte ich niemals ein Bücherregal aus Skateboards erwartet. Oder waldgrüne Wände. Oder Notenblätter, oder...
Reese's Bewegung reißt mich aus meiner Trance. Mit einem geschickten Griff zieht er sich das Shirt über den Kopf und... wow.
Das ist nicht das erste Mal, dass ich seinen Körper sehe – seinen nackten Körper. Halbnackt! Wir hatten oft genug zusammen Sport oder nach den Basketballspielen.
Doch das letzte Mal ist gut vier Monate her und jetzt... er war schon immer schlank und fit, aber mit diesen Muskeln hatte ich nicht...
„Vielleicht solltest du jetzt ein Foto machen."
Und zack! Reese weiß einfach, wie man einen Moment absolut zerstören kann. Konnte er schon immer. Darin ist er ganz große Klasse.
Kein Wunder, dass er und Derek so gut ausgekommen sind. Die beiden waren gefühlt ein Herz und eine Seele auf diesen dämlichen Familienfeiern.
Sie hatten ja eine super Basis – Hass auf mich.
Ich helfe immer gerne.
„Nein, danke!"
Reese Grinsen wirft mich ein wenig aus der Bahn, doch ich verziehe keine Miene. Wenn er das jetzt kapiert, dann explodiert sein Ego noch. Vielleicht sollte ich mir einfach ein Taxi rufen?
"Ich zieh mich mal um, willst du auch was?"
"Nett, aber nein, danke! Wille ist ja so ein schweres Wort für dich." Ich hasse es mich zu wiederholen, nur leider scheint mein Kopf nicht ganz mitzumachen. Dieser Anblick irritiert mich mehr als mir lieb ist.
"Sei nicht albern."
"Sonst was? Fährst du mich wieder mit deinem Skateboard an?"
Reese Mundwinkel zucken bedrohlich, dann rollt er mit den Augen und lässt den Kopf einen Moment hängen. „Wie kann man eigentlich mit dir befreundet sein?"
„Lustig, diese Frage stell ich mich bei dir auch immer." Ich klimpere ihn mit meinem zuckersüßesten Lächeln an.
Das scheint das Fass nun endgültig zum Überlaufen zu bringen. Reese lacht höhnisch auf, ehe er mir ein paar Kleidungsstücke gegen die Brust drückt und aus der Tür geht. „Badezimmer ist hier."
Mit hochgerecktem Kinn folge ich ihm und beobachte jeden Zentimeter seiner nackten Haut. Die Muskeln sind auf Anschlag. Ich bezweifle stark, dass ich ihn derartig in Rage versetze, dass er meinetwegen so unter Strom steht.
Sobald ich vor ihm stehe, im Türrahmen, fixieren mich seine Augen eigenartig. Schlagartig fühle ich mich nackt – völlig schutzlos. Fast so, als könnte er jeden Gedanken von mir lesen.
Was natürlich kompletter Nonsense ist!
Ich bin kein Buch.
Keine Kenna!
Ich bin Kaylee. Horrortochter und Hassschwester Nummer eins auf dieser Welt.
„Warum hast du geweint?"
„Warum hast DU geweint?"
Unsere Stimmen sind nicht viel mehr als ein Flüstern.
Reese schließt die Augen, schüttelt kaum merklich den Kopf und stapft in Richtung seines Zimmers davon. Er will... „Reese?"
Müde dreht er sich zu mir, hebt gerade so eine Augenbraue.
Wieso musste ich auch dieses verfluchte Kleid tragen...? Ach ja, wegen Kenna. Jeans durfte ich ja nicht tragen – „wenn Kenna schon so ein tolles Kleid trägt...".
„Ich brauche deine Hilfe.", presse ich hervor und wünschte ich hätte längere Arme, um diesen dummen Reißverschluss selbst aufmachen zu können.
Die zweite Augenbraue schnellt nach oben. „Ach was?"
Sein triumphaler Gesichtsausdruck erinnert mich an den von Kenna. Prompt tobt mein Blut erneut. „Passt schon, vergiss es. Ich schaff das schon." Eigentlich wollte ich ihn gar nicht angehen, aber irgendwie...
Vielleicht kann ich das Kleid ja nach vorne drehen, wenn ich aus den Ärmeln schlüpfe...
Mit ein paar langen Schritten steht er vor mir und versperrt mir mit einem Arm den Weg ins Bad. „Was ist?"
Ich funkle ihn böse an. „Ich schaff das schon." Er schenkt mir einen Blick der Marke 'Glaubst du ja wohl selbst nicht'.
Rasch drehe ich mich von ihm weg und will ins Bad fliehen, doch ich spüre seine Hand um mein Handgelenk. Bitter folge ich ihr bis zu seinem Gesicht. Er lässt abrupt von mir ab und legt den Kopf ein wenig schief – nicht ohne vorher mit den Augen zu rollen.
Ich knabbere unruhig auf meiner Lippe.
Ich will nicht nachgeben.
Warum sollte ich Reese diese Genugtuung geben? Warum sollte ich ihm erlauben auch nur meine Kleidung zu berühren?
Die Wut in mir droht wieder Überhand zu gewinnen... eigentlich war sie auch nie weg. Ich presse die Lippen zusammen und drehe mich gerade genug weg, sodass ich mit dem Rücken zu ihm stehe. Die Muskeln in meinem Körper verspannen sich, sobald ich den seichten Druck an meinem Nacken spüre – dabei greift er einfach nur nach diesem dämlichen Reißverschluss.
Täusche ich mich, oder wird es hier deutlich heißer. Ich kann mein Blut kochen spüren.
Gott... was passiert hier gerade...
Ich kann hier nicht untätig herumstehen, bis er die Haare beiseite gefummelt hat. Kurzerhand fische ich die Strähnen zusammen und lege sie über die linke Schulter. Dabei streife ich seine Hand und halte prompt die Luft an.
Mein Herz schlägt wild und ich... ich... das ist keine Wut.
Verflucht!
Es ist der Gedanke, dass Reese Reed halbnackt hinter mir steht und nasses, anliegendes Kleid öffnet.
Es ist das Bild von seinem durchtrainierten Bauch und der Brust... den Armen, das sich in meinen Kopf gebrannt hat und einfach nicht weggehen will. Ganz egal wie stark ich es trete, es bleibt starr in der Mitte meines Verstandes.
Die Hitze wird schlimmer. Ich kann seine Wärme hinter mir spüren.
Zu gerne würde ich jetzt einfach wegrennen, er hat den Zipper weit genug heruntergezogen – den Rest schaffe ich selbst auch.
Doch meine Beine bewegen sich nicht einen einzigen Millimeter.
Das Rattern in meiner Brust wird lauter, die Adern scheinen stärker zu pulsieren.
Vielleicht...
Vielleicht will ich mich auch einfach nur gerade an ihn lehnen?
Vielleicht will ich mich auf diesen Gedanken fixieren – für eine Weile vergessen, dass da eine Familie auf mich wartet, die mich vermutlich gerade bis aufs Blut hasst.
Ja... vielleicht...-
Reese Fingerspitzen streifen über meine nackte Haut.
Gänsehaut breitet überzieht mich. Ich spüre den Nebel in meinem Gehirn, der immer dichter wird.
Er lässt sie eine Weile an dieser Stelle ruhen, zieht den Reißverschluss weiter, bis ganz unten. Mein Körper zittert noch immer, doch nicht mehr nur von Kälte. Es fühlt sich an, als würde die Kälte gegen eine Hitzewelle ankämpfen, die von Reeses Fingern ausgeht. Wie paralysiert stehe ich mit dem Rücken zu ihm und weiß nicht, wo oben und unten ist.
Ich weiß haargenau, dass er den Saum meines Spitzenslips sehen kann.
Der Hahn tropft, die Fliesen unter meinen nackten Füßen sind warm und Reese Atem verdampft wie auf einem glühenden Stein an meinem Nacken.
„Dein Tag war genauso beschissen, oder?" Seine Stimme ist kratzig, aufgeraut vom... ja von was eigentlich?
Diese Fingerspitzen...
Ich linse über meine Schulter zu ihm. Sein Gesicht ist so nahe vor meinem, ich hatte nicht bemerkt, wie dicht er eigentlich bei mir stand.
Vorsichtig nicke ich und kann für eine winzige Sekunde den gebrochenen Schatten in seinen Augen sehen, ehe sich blankes Verlangen darüber legt.
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Kennt ihr auch Bilderbuchzicken/idioten?
XO Ane
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