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Kaylee

Mir fallen beinahe die Augen aus dem Kopf, während Sean völlig gelassen durch die kleine Seitengasse schlendert. Mit einem unschuldigen Wimpernschlag linst er über die Schulter zu mir, als hätte er mir das gerade NICHT erzählt. „Kommst du, mein Hase?"

„Wie, um alles in der Welt, hast du es fertiggebracht, dass sie noch mit dir ins Bett springt, und warum wolltest du das überhaupt?" Ich stolpere schier auf ihn zu.

Sean ist und bleibt mir ein Rätsel manchmal. Den ersten Teil kann ich mir sogar zusammenreimen. Er ist absolut heiß und vielleicht drei Prozent der Single-Frauen in einem angemessenen Altersrahmen würden ihn von der Bettkante stoßen. Kein Wunder, dass Gina dazu nicht Nein sagen wollte und konnte.

Aber ER? Sean hat die Auswahl!

Er müsste nur mit dem Finger schnippen und zehn Mädels um ihn würden in Ohnmacht fallen, aber Gina?!

Manchmal ist mein bester Freund das größte Mysterium in meiner Welt.

Er zuckt daraufhin nur lässig mit den Schultern und grinst dezent. „Mir war danach." Eine Aussage, die absolut nur von Sean kommen kann. „Dir war danach?", wiederhole ich und er nickt. „Ja."

„Wie kann dir danach gewesen sein? Ich meine... du hast sie für mich zwanzig Minuten sitzen lassen. Abgesehen von der Tatsache, dass sie absolut Stroh im Kopf haben muss, weil sie das mit sich machen lässt, wie kannst du sowas mögen? Ich meine... wir beide hatten Sex, aber ich bin auch einfach unwiderstehlich, aber Gina?"

„Ich weiß..." Er reißt schockiert die Augen auf und muss sich das Grinsen anschließend verkneifen. „... hätte ich nie gemacht, eine Minute länger oder wenn du nicht angerufen hättest, und ich wäre echt gegangen. Man kann doch nicht einfach bei einem Date zehn Minuten mit seinem Bruder diskutieren?"

Entgeistert blinzle ich, dann bricht mein Lachen durch.

Sean hat es schon immer verstanden, die unmöglichsten Situationen mit einer Staubschicht aus Ironie zu überdecken. Vermutlich mag ich ihn deshalb.

„Können wir jetzt mal über deinen Abend reden? Du hast nie im Leben um halb elf geschlafen! Und du hast mir erst um eins zurückgeschrieben. Du hast keine Schlafstörungen!"

Diesmal zucke ich unschuldig mit den Schultern und stapfe voraus. Er hält mühelos mit mir Schritt und ich spüre seinen bohrenden Seitenblick. „Es war Freitag, da bin ich manchmal länger wach – ohne auf mein Handy zu starren."

„Bernie, verarsch jemand anders. Sag mir was gestern war, oder ich frag Reese selbst."

Mit lieblicher Miene klimpere ich ihn an. „Mach doch, er wird dir dasselbe sagen."

„Wird er?" Sean hält mich an den Schultern fest und schenkt mir seinen durchdringensten Blick, den er hat.

Ich kenne ihn zu gut.

Und er mich.

„Jetzt sag schon, ich weiß, dass du lügst."

Seufzend rolle ich mit den Augen. Das Grinsen zu unterdrücken fällt mir schwer, doch die dichter werdende Menschenmasse vor uns unterstützt mich. Noch ein paar Läden und wir sind endlich bei dieser himmlischen Eisdiele.

„Vielleicht war da doch was..."

„Ja, ich warte."

„Also..." Und dann berichte ich Sean in Windeseile vom gestrigen Abend beziehungsweise der Nacht.

Reese und ich lagen bis zwölf auf und unter der Decke, während Noah seelenruhig neben uns in der Hängematte geschlafen hat. Er ließ meine Hand nicht einmal los bis zum Ende... bis zu diesem einen Moment.

Wir füllten die Zeit mit Gesprächen, die ich mit Reese nicht für möglich gehalten hätte. Größtenteils bekam er eine sarkastische Antwort oder eine rhetorische Frage, doch das schürte nur sein Grinsen.

Auch Chrissy und Derek waren ein Thema, das wir mit blankem Spott behandelten. Die zwei waren ein Horror-Traumpaar.

Und irgendwann gähnte ich. Meine Augen suchten den Himmel ab, nach Sternschnuppen, bis ich eine fand. Ich weiß nicht genau, was mich ritt, aber ich drehte meinen Kopf ruckartig zu Reese und seine Augen... mein Herz stolperte mehrfach. „Es ist ziemlich spät...", murmelte ich.

Einer der wenigen Sätze, die wirklich ernst gemeint waren, an diesem Abend. „Ja..."

Zwischen unseren Gesichtern war gerade genug Platz für eine schmale Hand. Mehr trennte uns nicht und es schwand mit jeder Sekunde, bis ich seine Nasenspitze gegen meiner spürte. „Noah sollte nach Hause." Seine Augen funkelten mich an und etwas in mir wollte nichts mehr, als diesen Jungen in diesem Moment zu küssen und mich in seine Arme zu kuscheln.

Doch da war noch ein anderer Teil. Da war noch Mia und da war die Tatsache, dass ich immer noch keine rechte Meinung von Reese hatte.

Ich glaube, er konnte meinen Herzschlag donnern hören.

„Wir sollten fahren...", flüsterte er und ich nickte.

„WAS?!" Ein paar Menschen drehen sich erschrocken herum und starren Sean eine Weile entgeistert an. Seine Augen sind aufgerissen und würden mich am liebsten zweiteilen. „Sag bloß ihr...?"

„Nein!"

So etwas wie Enttäuschung schleicht sich über sein Gesicht und er rempelt mich ein wenig an. „Scheiße, Lee, wieso nicht?"

„Warum sollte ich?"

„Ihr hatte schon mal Sex?"

„Und?"

„Nichts und. Genau deswegen. Es war geil, hast du selbst gesagt und tu jetzt ja nicht so, als würdest du es nicht nochmal wollen."

Ich weiche seiner Aussage-Frage geschickt aus, indem ich den anderen Weg um die Menschentraube wähle. Es währt nicht lange, aber lange genug. „Ich bin nicht du, der zehn Minuten auf sein Date wartet, bis es fertig telefoniert hat."

„Autsch. Und wenn ich sage, dass es nur fünf waren?"

„Fünf zu viel. Ich fühle mich abgewertet."

„Du wirst für immer die Beste bleiben, das weißt du."

„Ich weiß ja nicht..."

„Doch!"

„Schleimer. Du willst nur eine Antwort."

Er lacht und mustert mich aus großen Welpenaugen. „Und? Ist das so schlimm? Ich will nur das Beste für dich. Und das bin ja offenbar nicht ich."

„Aber Reese? Garantiert nicht das Beste für mich. Ich glaube damit, würdest du mir eher die Hölle wünschen."

„Das klang gerade ganz anders."

Ertappt beiße ich mir auf die Lippe und nage etwas darauf herum. Er hat mich eiskalt erwischt. Ich hatte zwar versucht sämtliche Untertöne aus der Erzählung zu nehmen und wenn, dann nur mit einer ironischen Note, doch Sean kennt mich schlichtweg zu gut.

Gnadenlos pikst er mich in die Seite, bis wie unsere Lieblingseisdiele in der Innenstadt betreten.

„Ich bin keine Betrügerin."

„Was?" Im selben Moment scheint im jedoch ein Licht aufzugehen und er nickt behutsam. „Mia?"

Ich nicke.

Sean betrachtet schweigend die Eiskarte, obwohl wir beide wissen, dass er sein Schoko-Spezial nehmen wird und ich den Kiwi-Erdbeer-Mix. Wie jedes Mal.

„Aber dann versteh ich ihn ausnahmsweise nicht. Wenn ich ein Mädchen so toll finde, würde ich mit meiner Freundin, die ich sowieso nicht liebe – weil, sind wir ehrlich, er liebt sie einfach nicht -, Schluss machen. Warum macht er dann sowas?"

„Seit wann bin ich der Mann von uns beiden?"

„Seit wann bin ich ratlos, was Männer angeht?"

„Seit wann..." Weiter komme ich nicht, denn dieser haselnussbraune Schopf trifft mich eiskalt – welch Ironie, dass wir ausgerechnet in einer Eisdiele stehen. Was zur Hölle hat er hier zu suchen? Das ist meine Eisdiele!

Im Augenwinkel nehme ich Seans Kopfbewegung wahr und keine Sekunde später hat er dasselbe entdeckt. „Bleiben oder rennen?"

„Bleiben! Ich hab nichts gemacht." Selbstsicher recke ich mein Kinn ein wenig höher. Es ist nichts passiert, ich habe mir nichts vorzuwerfen. Reese und ich hatten gestern einen entspannten Abend, haben uns gut unterhalten und das wars... Ende!

Warum in aller Welt sollte ich wegrennen – warum fragt Sean so etwas? Ich mustere Sean eine Weile, linse heimlich nach links und werde prompt ertappt – von Sean! „Mein Engel, du kannst mir erzählen, dass die Sterne grün sind, wäre ich blind, aber nicht, dass ich mich in diesem Fall X irre."

„Ich weiß nicht, was du meinst." In Reese kehrt Bewegung und ich verstecke mich blitzschnell hinter Seans hünenhafter Gestalt. Manchmal hat seine Größe doch einen Vorteil...

Ein Augenrollen ist meine Antwort. Doch er wäre nicht mein bester Freund, wenn er nicht wüsste was zu tun ist. Ich weiß es ja nicht einmal selbst. Der ganze Rummel um Reese in meinem Leben macht mich kirre. Geschickt greift er nach meiner Hand und wirbelt mich über die weißen Fließen, sodass ich mit dem Rücken in Reeses Richtung stehe. „Fokus auf's Eis, Hase.", flüstert er mit seiner kehligsten Stimme.

Wann hat er mich nur so gut kennengelernt?

Ich weiß, was ich nehme – und was Sean nehmen wird. Trotzdem geiere ich über blaue, grüne und rote Eissorten, als würde ich sie zum ersten Mal sehen. Noah würde vermutlich genauso staunen.

„Floyd!"

Das ist so eine Sache, die für mich noch immer ein Fragezeichen darstellt: mit dem Nachnamen ansprechen. Sean hat es mir zig Male erklärt: „Das macht man halt so." Aber das ist keine Antwort.

Artig drehen wir uns um. Sean setzt sein bestes Pokerface auf und grinst die Skater-Jungs an. Ich entscheide mich für einen neutralen Augenaufschlag, der beinahe schon ins gelangweilt übergeht.

Kevin, Miles, Andrew, ein paar, die mir vom Sehen bekannt vorkommen, und selbstverständlich Reese.

Es folgt der übliche Handschlag und das lächelnde Nicken in meine Richtung, während sie sich begrüßen. „Was macht ihr hier? Wieso seid ihr nicht am Skater?"

Andrew ist der Einzige, der mich wirklich umarmt und mit einem zwinkernden „Hey" begrüßt.

Eine Szene für Götter, wie wir uns mitten in der kleinen Eisdiele gegenüberstehen, als würden wir in ein paar Sekunden anfangen zu schlägern – zwei gegen sieben.

Ich spüre Reeses brennenden Blick. Schwer zu sagen, ob er gerade an gestern Nacht denkt, oder seine Gedanken Achterbahn fahren, wie viel ich Sean womöglich erzählt habe. Vielleicht auch eine Mischung aus beidem. Ich wäre nicht ich, würde ich nachgeben oder mich von diesem kleinen Gefühlschaos niederringen lassen.

Ruhig erwidere ich seinen Blick und bin mir sicher, dass keiner der Umstehenden auch nur im Geringsten erahnen kann, was wir hier gerade ausmachen. Ich habe oft genug in diese kaffeebraunen Augen blicken dürfen. Der rebellische Blick ist eine Maske, darunter brennt ein ganzer Wald nieder. Irgendwas ist passiert.

„Wir sind auf dem Weg dahin..." Miles Stimme reißt mich aus dem Konzept und ich schiele automatisch zu den Händen der Jungs reihum.

Jeder hält sein Brett in der einen, das Eis in der anderen.

„Kommt ihr auch?" Andrews Worte richten sich mehr an mich als Sean. Ich erwidere sein Lächeln und schüttle den Kopf. „Wir gehen jetzt erstmal shoppen."

„Shoppen?" Der Chor sorgt für Aufregung. Die wenigen Köpfe drehen sich in unsere Richtung.

In dieser kleinen Eck-Eisdiele ist es kein Wunder, dass eine so große Gruppe für Aufmerksamkeit sorgt. Allein die Sieben Jungs vorher hatten das schon geschafft. Aber jetzt, mit uns, ist das nochmal eine andere Atmosphäre.

„Wann haben wir verpasst, dass ihr zusammen seid?"

Finster mustere ich den Rothaarigen, doch Sean lacht nur herzlich und schlingt seinen Arm um mich. „Alter, Nate, ohne Witz... ich liebe den Zwerg hier, aber meine Schwester würde ich nicht daten."

„Schwester?"

Sean rollt mit den Augen, hat aber dieses süffisante Grinsen auf den Lippen, dass mich ebenfalls zum Grinsen bringt. „Schwester wie in Sister from another Mister. Oder würde einer von euch ihn hier freiwillig daten?", springe ich ein und klopfe auf sein Sixpack.

Da wäre Reese, dessen Ausdruck sich um zehn Nuancen verdunkelt hatte und dann Andrew, der mich belustigt angrinst.

Nate hingegen benötigt ein paar Minuten, bis meine Worte bei ihm Anklang finden und er mich nickend angrinst.

„Ey! Ich geh mit dir shoppen."

„Oh bitte, als würde es hier um mich gehen." Sean und ich liefern uns unser legendäres Blickduell, dass wir seither ausführen.

„Müssen die anderen nicht wissen, Lee."

Allgemeines Gelächter erschallt und meine Augen wandern zu der einen Person, die nicht wirklich lacht – Reese.

„Dann kommt halt nach. Wir sind ne Weile dort."

„Ich schreib dir, wenn wir fertig sind?", wende ich mich an Andrew.

Andrew nickt mit einem Zwinkern.

„Shoppen..." Ich beobachte den Abgang der Jungs, die schockierten Blicke in Seans Richtung.

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Spannung.... 

Könnte es sein, dass Kaylee Sean angelogen hat, bzgl. der Ereignisse der letzten Nacht? Was sagt ihr? 

XX ane <3 

Frage: Musik zu den Kapiteln? Ja/Nein? Let me know.

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