Kapitel 6
Scarlett
Ich hatte geweint, das Bewusstsein mehrmals verloren und wieder geweint, als ich immer wieder wach wurde. Die Kiste war eng, dunkel und kalt. Ich zitterte am ganzen Körper und alles tat mir weh. Ich glaubte, ich hatte sogar einen blauen Fleck am Hals. Mir ging es schrecklich. Die ganze Nacht, wenn ich denn bei Bewusstsein war, hustete ich, schnupften hatte ich ebenfalls bekomme, sowie Kopfschmerzen und leichtes Fieber.
Dennoch stand ich nun in der.....Ich sah mich um.....konnte man diesen Ort überhaupt Küche nennen? Es sah zwar sauber hier aus, sowie auch in dem Zimmer des Kapitäns, aber irgendwie ekelte ich mich dennoch. Der Raum war groß, viel Platz gab es und mehrere Holztische nebeneinander, auf denen verschiedene Gemüsesorten, Fleischsorten und Gewürze standen. Es gab ein Lager, wo gekühlte Lebensmittel gelagert, ein Lager in dem Bier und Wein gelagert wurde und eine Feuerstelle.
Ich zischte, als ich mir schon zum dritten Mal in den Finger schnitt. Die anderen beiden Finger waren bereits mit einem Verband versehen. Nun blutete der dritte Finger. Ich war so unendlich erschöpft. Hatte weder Wasser noch essen bekommen und fühlte mich kränklich und müde. Ich lief die ganze Zeit ohne Schuhe herum und die Sachen, die ich trug, schützten mich nicht vor der nächtlichen Kälte. Wieder fing ich an zu schluchzen und versuchte weiter die Kartoffel zu schälen. Den bluteten Finger ignorierte ich, weil ich Angst vor dem Schiffskoch hatte. Er sah gruselig aus und bei den letzten beiden Schnitten, hatte er schon die Augen verdreht. Vielleicht sollte ich doch einfach von Bord springen und sterben. Was war ich denn noch wert? Vater wollte mich nicht bei sich haben. Und hier war ich auch nicht zu gebrauchen.
Dann sollte ich auch noch eine Hexe sein?
Es gab keine Hexen.
Zumindest wurde uns das so gelehrt.
Und wie könnte ich eine Hexe sein. Meine Mutter war keine Hexe und meine Oma auch nicht. Ich wischte mir mit dem Ärmel über meine feuchten Augen und schniefte.
Ich taumelte etwas, aber schaffte es endlich meine zweite Kartoffel fertig zu schälen.
»Entschuldigen sie...könnte...ich mir kurz ein neuen Verband holen?« fragte ich kleinlaut, als mein Finger alles vollblutete und nicht mehr aufhörte.
Der Schiffskoch oder wie er auch genannt wurde, Smutje, verdrehte erneut die Augen. Dann warf er eine Zwiebel nach dem mir. »Genug! Verschwinde! Raus aus meiner Kombüse!«, brüllte er und warf mir gleich eine weiter Zwiebel an den Kopf. »Lass dir vom Kapitän eine neue Aufgabe geben und sagt ihm, falls er die Mannschaft mit Essen versorgt haben will, soll er mir nicht so ein dümmliches Ding wie dich vor die Füße schmeißen!«
Ich sah ihn mit großen Augen an und rieb mir die Stelle, die die Zwiebel getroffen hatte. »Okay..« murmelte ich nur und verließ den Küchenartigen Raum. Auf dem Weg musste ich mich an den Wänden festhalten, um nicht umzufallen. Kurz bevor ich bei dem Schiffsarzt ankam, hielt ich jedoch inne. Ich wollte keinen zu Last fallen, also riss ich mir etwas von meiner Stoffhose ab und Verband meinen Mittelfinger selbst. Danach schlich ich weiter durchs Schiff, bis ich oben auf dem Deck ankam. Ich lief an manche Männer vorbei, doch beachtete ich sie nicht und blieb erst stehen, als ich am oberen Heck ankam. Ich sah aufs Meer hinaus. Von hier hatte mich meine Zofe runter geschubst. Langsam kletterte ich über die Brüstung und hielt mich fest. Ich atmete zittrig ein und schloss meine Augen, als ich losließ und bereit für die tiefe See war.
Ich will sterben.
Bitte.
Oh Mutter Maria, lass mich sterben.
Dachte ich und freute mich, ja, ich freute mich, aber jemand packte mich am Arm und zerrte mich zurück ans Deck. »Bei Poseidon, bist du lebensmüde?«
Ich landete hart auf den Holzboden und hustete wieder. Dann öffnete ich meine Augen und sah Moha an. Sofort weinte ich los. »Bitte.....lass mich sterben....Bitte.« Ich stützte mich mit wackligen Armen ab und zog mich an der Brüstung wieder hoch. Es war so anstrengend. Ich kann nicht mehr.
»Du willst sterben? Und da denkst du, ins Meer zu springen, sei ein gnädiger Tod?« Sie lachte auf. »Dummes Ding!« Sie warf mir eine Klinge hin und sah auf mich hinab, als der Dolch schlitternd vor mir liegen blieb. »Los, wenn es dein Wunsch ist, ramm ihn dir ins Herz. Das beendet deine Qualen schnell und einigermaßen schmerzfrei. Denn was dich auf dem Grund des Ozeans erwarten würde, ist nichts als Qual und Schmerz.« Moha funkelte mich an, bevor sie sich zu mir beugte. »Oder aber, du reist dich zusammen und hältst durch. Bist es nicht du, die über ein ganzes Land regieren soll? Wie kann es sein, dass nicht einmal 24 Stunden auf einem Schiff dich brechen? Wo ist dein Rückgrat? Wo der Kampfgeist?«
Ich starrte das Messer an. Doch bevor ich es nehmen konnte, sah ich Moha wieder an. Aber weil ich kränklich, ausgehungert und dehydriert war, fing ich an zu lachen. »Ich und über ein ganzes Land regieren?« Ich schüttelte den Kopf. »Das wird nicht geschehen......Es ist alles sinnlos.« wurde ich leiser und das Lachen verschwand. Ich nahm langsam das Messer und drehte es so, dass die Spitze auf meinen Brustkorb drückte. »Für was-« ich hustete. »-brauch ich ein Rückgrat oder Kampfgeist? Wird sich dann was ändern? Werde ich dann freigelassen? Nein...sieh mich an..« Ich sah selbst an mir hinab. Ich sah nicht mal mehr aus wie eine Prinzessin. Ich war schmutzig, hatte nur noch 9 Finger und überall Wunden und blaue Flecke. Ich fühlte mich innerlich tot und das nicht nur wegen diesen Piraten, sondern auch wegen dem Verrat meiner Zofe. Lidija hatte mich seit ich 8 war aufgezogen. Sie war 10 Jahre lang, wie eine Mutter für mich. Sie hatte mich über Bord geschmissen, damit ich starb und meinem Bruder nicht mehr im Weg stehen konnte. Langsam drückte ich das Messer in meine Haut. Ich tue ihnen nur zu gern den Gefallen.
Plötzlich trat dieser abscheuliche Mann hinter mich, kniete sich hin und packte mein Handgelenk mit der Klinge. »Will mir jemand erklären, was hier los ist?«
Moha zuckte mit der Schulter. »Die Prinzessin ist wohl im Fieberwahn und dachte, es sei eine gute Idee, über Bord zu gehen.«
»Ah«, brummte er. »Ist das so? Und das Messer?«
Sie zuckte wieder mit der Schulter. »Hätte uns den Müßiggang erspart, ihren toten Arsch aus dem Meer zu angeln.«
Ich versuchte das Messer aus seinem Griff zu reißen. »Lasst mich doch einfach in Ruhe.« motzte ich nun. Ich verstand wirklich nicht, weshalb diese Piraten überhaupt wollten, dass ich am Leben blieb. Ich war nutzlos und....
Auf einmal verstand ich es doch. Ich drehte meinen Kopf und sah diesen Hawk an. »Mein Vater wird euch keine Münze bezahlen...erwartet nichts.« Er dachte wohl, er bekäme Gold für mein Leben. Ich war so fertig mit allem, dass ich aufgehört hatte, mir diesen Wunsch einzureden. Sie würden rein gar nichts für mich bekommen.
Er neigte ebenfalls den Kopf. »Und ich werde kein Gold verlangen, kleine Hexe. Dennoch wirst du mir auf verschiedenen Wegen nutzen, bevor ich zulassen kann, dass du dein Leben beendest. Außerdem«, setzte er an und drückte diesmal selbst die Klinge etwas in meine Haut, »wirst du es so nicht schaffen, den Dolch in deine Brust zu stecken. Du bist viel zu schwächlich, um die Rippen und das Sternum zu durchstoßen.« Dieser Widerling hebelte mir den Dolch aus der Hand, riss mich auf die Beine und presste meinen Rücken an seine Brust. Seine Hand fixierte meinen Bauch, während die andere mit dem Dolch meine Seite entlang glitt und über den Stoff der dreckigen Tunika zog. Er zählte, mit den Lippen an meinem Ohr, leise die zwölf Rippen ab und hielt dann zwischen der Vierten und Fünften an. Die Spitze des Messers bohrte sich langsam in meine Seite und durchdrang das Leinen und dann Haut und Fleisch. Nur einen Zentimeter. »Hier. Das Messer leicht nach oben geneigt, kannst selbst du dich umbringen.« flüsterte er.
Ich wankte noch etwas und hatte aufgehört zu atmen. Meine Augen folgten seiner Hand und ich sah auf die Stelle, auf der ich das Messer spürte. Er roch nach Kohle und Kokosfett und irgendwie....war dieser Duft angenehm. Die meisten hier rochen nach Schweiß und ich glaubte auch Ausscheidungen. Langsam hob ich den Kopf wieder an und sah Hawk direkt an. Meine Atmung ging flach. »Also....darf ich mich selbst umbringen, wenn....ich dir nicht mehr von Nutzen bin?« fragte ich ebenso leise und sah ihn mit halb geöffneten Augen an. Ich fühlte mich so elend schwach.
Dieser Teufel knurrte auf einmal und stieß mich von sich, sodass ich in Mohas Armen landete. »Wenn du mir nicht mehr von Nutzen bist, werde ich dein nobles Leben selbst beenden«, meinte er und steckte den Dolch, der Moha gehörte, ein. »Aber bis dahin, wirst du leben. Es gibt ein ganzes Schiff zu putzen und zudem will ich, dass du mir heute Abend zur Verfügung stehst.«
»Sie hat Fieber, Hawk. Kann kaum stehen.«
Er sah Moha an. »Du hast dir einen Narren an der Hexenprinzessin gefressen, huh?«
Sie verzog den Mund. »Nein, aber sie ist noch ein halbes Kind.«
»Sie ist nur 2 Sommer jünger als du«, verbesserte er und sagte dann: »Und du warst 2 Sommer jünger als sie, als du hier an Bord kamst. Dennoch habe ich nie gesehen, wie du wie ein Feigling versucht hast, deine Qualen zu beenden.« Der Piratenkapitän lief an uns beiden vorbei und sagte: »Sieh zu, dass sie zurechtgemacht ist. Bring sie zum Essen zu mir. Wenn ich mit ihr fertig bin, lasse ich dich rufen und du kannst weiter ihrer Wehwehchen versorgen.«
Ich hielt mich an Moha fest und sah Hawk an. »Der Koch will mich nicht mehr bei sich haben.« informierte ich ihn mit meinem Blick, der sagte: Töte mich einfach jetzt und zögere es nicht unnötig hinaus.
Dann schluckte ich schwer und verspannte mich. >Heute Abend zu Verfügung stehen?< meinte er etwa..... nein....
Das konnte er nicht ernst meinen. »Ich werde nicht kommen.« sagte ich, bevor ich mich stoppen konnte. Dieser Mann machte mir hier von allen am meisten Angst. Er war genauso brutal, wie Moha bereits angedeutet hatte. Ich wollte weder für ihn zu Verfügung stehen, noch mit ihm alleine sein. Ich klammerte mich regelrecht an Moha und zitterte leicht. Ich musste mehrfach blinzeln, um eine klare Sicht zu bekommen. Dennoch versuchte ich einen starken Blick zu haben. Ich wollte sterben. Aber es wurde mir verwehrt, also würde ich wohl warten müssen, bis mein Körper aufgab, oder kämpfen und beim nächsten anlegen des Schiffes, verschwinden.
»Amüsant«, setze er an, »das du denkst, das wäre eine Einladung, die man ausschlagen könnte.«
Moha sah Hawk nach und hielt mich fest. »Komm, lass mich deine Wunden ansehen«, sagte sie und führte mich an eine Ecke des Achterdecks. Sie half mir, sich hinzusetzen und stand dann auf. »Ich bin gleich wieder da. Tu mir den Gefallen und spring nicht ins Wasser. Ich habe keine Lust, dir hinterher zu hechten.«
Ich nickte kaum merklich und sah wieder hinaus aufs Meer. Die Sonne wanderte langsam zum Horizont und würde bald untergehen. Die Scheibe war so riesig und wir Menschen so unendlich bedeutungslos und klein. Nachdenklich tastete ich meinen Hals entlang, doch als ich mal wieder nicht mein Amulett zu fassen bekam, seufzte ich. Ich ballte meine Hand zu einer Faust, verzog dann das Gesicht, weil es weh tat. Ich sah auf, als Moha mit Verbänden, Nadel und Faden sowie Ingwer, Kamille und einem Eimer mit heißem Wasser und einem Lappen wieder kam. Anscheinend war das Zeug für mein Fieber, dass ich letzte Nacht in der Kiste bekommen hatte. Müde beobachtete ich sie. Als mir schon wieder die Tränen kamen, schloss ich kurz die Augen. Ich war wirklich froh, dass sie da war. »Entschuldige, ich falle dir sicherlich zu Last.« murmelte ich und sah sie wieder an.
»Nicht mehr als alle anderen auf diesem Schiff auch«, murmelte sie und sah mich an. »Zieh dich aus.«
»N...Nein.« stotterte ich und sah an ihr vorbei, wo einige Piraten ihrer Arbeit nachgingen, dennoch bemerkte ich, wie ihre Blicke immer wieder zu uns huschten. »Ich möchte mich .....hier nicht ausziehen.« sagte ich leise und zurückhaltend.
Moha sah mich an, brach mir ein Stück Ingwer ab und hielt es mir hin, bevor sie den Faden in die Nadel einfädelte. »Ich sagte dir bereits, Scham ist hier so fehl am Platz wie goldene Kleider. Ich muss deine Schramme nähen. Hawk hat dich angestochen wie ein Stück Fleisch. Außerdem will ich deinen Stumpf ansehen. Ich befürchte, es hat sich entzündet.«
Ich nahm den Ingwer und sah sie verwirrt an. »Soll ich das Essen?« fragte ich und sah mich dann wieder um. <Scham war fehl am Platz?<
Ich presste meine Lippen zusammen und zog die Tunika über meinen Kopf aus. Doch sofort hielt ich meinen Arm über meine Busen. Beschämend ignorierte ich die Blicke der Männer. Ich mochte deren Blicke einfach nicht und wollte nicht, dass sie mich so sahen. »Bitte beeil dich.« flüsterte ich.
Moha schnaubte, dann sah sie mich wieder an. »Ja, essen, Prinzessin. Arme hoch, ich muss das nähen, derweil lass mich mal einen Blick auf deinen Finger - oder Nichtfinger - werfen.«
Ich stopfte mir die Ingwer in den Mund und verzog das Gesicht. Derweil schüttelte ich den Kopf und sagte stur und mit vollem Mund: »Auf keinen Fall. Ich werde meine Arme nicht heben.«
Sie stach mit der Nadel in meinen Oberarm. »Wenn du keinen Wundbrand willst, oder eine Entzündung die in dein Blut wandert, lass mich nachsehen.«
»Aua.« maulte ich und sah sie entsetzt an. Dann ging mein Blick wieder zu den Männern. Ich wandte mich ab, hob langsam die Arme und ließ sie machen. Es war so peinlich. Einfach alles. Die gaffenden Piraten, die mich mit blicken fast auffraßen und der Ingwer, der im Hals brannte. Während Moha meine Wunden ansah, nähte und mir beim Waschen half, spürte ich, dass das Fieber leicht zurückging. Und trotzdem wollte ich nicht zu Hawk. Da würde ich glaube lieber wieder in die Kiste eingesperrt werden, als mit ihm allein zu sein. Um mich abzulenken sah ich dem Sonnenuntergang zu. Die leichte salzige Brise wehte mir durch Haar und ich fragte mich, ob mich wohl irgendjemand aus dem Palast vermisste.
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