Kapitel 45

Hawk

Die Reise zurück verging wie im Flug.
Wir kamen zügig voran, begegneten keinem Schiff, dass wir meutern konnten und auch als wir unsere Vorräte in einer kleinen Stadt in Europa auffrischten, gab es keine nennenswerten Vorfälle.

Ich war mit meiner Crew zufrieden, mit meinem Lieutenant ohnehin und auch das Schiff war in Ordnung.

Dennoch ... meine Laune war im Keller. Selbst, wenn der Fluch gebrochen war. Selbst, wenn ich jede Nacht schlief.

Schlaf.

Tiefer, fester erholsamer Frieden, der meine Energie auf ein Level zurückbrachte, von dem ich nicht mal mehr gewusst hatte, es erreichen zu können. Alles Danke Scarlett. Scarlett, die ich jetzt nicht mehr zum Einschlafen brauchte und ohne die ich nun nicht aufwachte, sobald sie das Bett verließ.

Meine Hexe und ich hatten uns jeglicher Lust hingegeben und Frust und Wut in Verlangen umgewandelt. Wir waren nur, wenn nötig aus der Kajüte gekommen und selbst dann ... Poseidon die Spannung zwischen uns war greifbar und permanent.

So wie auch jetzt, wo sie in dem Ruderboot vor mir saß und sich das Kleid richtete, weil ich auf halbem Weg die Ruder abgelegt hatte, um über sie herzufallen.

Dieses Mal tatsächlich zum letzten Mal.

Die ›Devil‹, so hatte ich mein neues Schiff getauft, lag ungesehen ein Stück weiter vor Anker und wartete darauf, dass ich entweder in ein paar Tagen zurückkam, oder aber die Kunde kam, dass ich gehängt werden sollte. In letzterem Fall würde Moha der neue Kapitän und ich trat meinen Titel als Piratenlord an sie ab. Ein Schreiben dazu, unterzeichnet mit Blut, lag schon in meiner Kajüte.

Mein Blick glitt über die schlanken Beine meiner Hexe und wanderte über ihren Körper, bis er an ihren Augen hängen blieb. Das Mondlicht schmeichelte ihrer Haut und ließ das sonst so feurige Haar mystisch wirken.

So schön. So wunderschön.

Auch sie musterte mich, doch keiner sagte auch nur ein Wort. Wir sahen uns nur stechend an, wohl wissend, dass unsere gemeinsamen Monate nun vorbei waren.

Sie würde Königin eines Landes werden, ich, König aller Meere.

Mein Kiefer malte und ich löste den Blick, als wir an Land gingen. Ich stieg aus dem Beiboot, band es an Steg fest, reichte Scarlett die Hand, zog die Kapuze meines üblichen Mantels tiefer in mein Gesicht und sah sie an.
»Ich rede, du schweigst«, erklärte ich bestimmt. Ich hatte mir vorgenommen, es so zu tun.
Sie durfte nichts sagen und nichts erwidern. Selbst der kleinste Laut aus ihrem Mund, würde meine Entscheidung, sie gehenzulassen, ins Wanken bringen und ich würde sie gegen ihren Willen den Rest ihrer Tage auf dem Schiff einsperren.

Sie war ›mein‹ geworden, und genau deswegen musste sie gehen.

»Du weißt, was du mir bedeutest und du weißt auch, warum ich es dir selbst jetzt nicht sage«, setzte ich an und hob die Hand, um sie auf ihre Wange zu legen. Mein Daumen strich über ihre Haut. »Hier endet unsere Zeit. Du wirst Königin Englands, ich König des Meeres. Es gibt keine Zukunft für eine Prinzessin und ihren Piraten.« Ich lehnte mich vor und küsste sie zärtlich, dann innig und letztlich wieder sanfter. Mein Herz schmerzte und meine Brust schnürte sich zusammen, sodass ich kaum Luft bekam, als ich mich löste. Das war der letzte Kuss.»Ich werde warten, bis du die Krone trägst«, sagte ich, wohl wissend, dass ich diese eine Nacht mit ihr nicht verbringen würde, von der ich träumte.

Sie, nur mit der Krone auf dem Kopf, wie sie mich ritt.

Es würde ein unerfüllter Traum bleiben. Vorerst.
Ich hob die Hand, nahm ihr das Amulett ab und steckte es ein. Sie wollte protestieren, doch ich brachte sie mit einer gehobenen Hand zum Schweigen.

»Das ist alles, was ich von dir haben kann. Lass es mir und ich werde es dir am Ende meiner Tage zukommen lassen. Wenn du es wieder bekommst, weißt du, dass ich auf dem Grund des Meeres liege.« Ich sah sie an. Starrte in ihre Augen. »Such mich nicht. Nimm dir einen Mann und werde eine Königin, die für die einsteht, die weniger haben, als die meisten. Nichts anderes erwarte ich von dir.«

Und damit war alles gesagt und ich wandte mich ab, bevor meine Gefühle aus der Bahn gerieten.
Es tat weh, zu gehen. Doch es würde mehr wehtun, zu bleiben.

Die See rief mich.

Das Meer verlangte nach mir.

Also folgte ich dem Ruf Poseidons, selbst wenn ich mein Herz, von dem ich nicht wusste, dass ich es noch hatte, hier lassen würde.

Ich lief einige Schritte, als ich plötzlich bemerkte, dass Scarlett hinter mir, noch immer kurz vor den ersten Häuserreihen des Hafengebiets stand.
Als ich ein leises, »Es tut mir leid« wahrnahm, wandte mich um und mein Blick traf genau dann ihren, als mindestens dreißig englische Soldaten zwischen den Häusern aus den Gassen traten. Ihre Pistolen und Schwerte allesamt auch mich gerichtet.

Woher wussten sie, wann wir kommen?

Woher, dass wir es überhaupt taten?

Woher kam diese Information?

Es musste jemand aus meiner Crew sein. Nur diese Menschen wussten, wohin wir segelten.

Moha? Nein, sie war loyal mir gegenüber. Sie war die Einzige, der ich blind vertrauen konnte.
Einer der anderen Männer war sicherlich die Ratte, deren Kopf ich abschlagen wollte. Es MUSSTE einer der Neuen sein.

Doch dann ...

Im ersten Moment war ich wie erstarrt und sah einen der Männer nach dem anderen an, die Hand auf dem Griff meines Schwertes. Dann jedoch sah ich wieder zu Scarlett.

Verrat. SIE hatte mich verraten und nun würde der Galgen mich und das Meer trennen.
Ich kannte die Gefahr, sie herzubringen, doch dass meine Hexe es selbst sein würde, die mich an den Galgen führte ... Nun, damit hatte ich nicht gerechnet und ... bei ihrem stumpfsinnigen Gott, es tat weh.

IHR Verrat tat mehr weh als jede Klinge.

»Meine Kleine«, sagte ich dennoch ruhig, leise und nahm dabei die Hand von Schwertgriff. »Und letztlich hat die See auch dich in jeder Hinsicht in einen Piraten verwandelt, hm?« Ich legte den Kopf schief und leckte mir ihren Geschmack, der von der kleinen Bootsfahrt noch an mir haftete, ab. »Verrat an denen, die man liebt?« Ich lachte leise, dunkel und funkelte sie an, als mein Lächeln verschwand. »Aye, du bist eine von uns geworden.«

Scarletts Blick wirkte plötzlich kühl und sie mied es, mich anzusehen.

»Onkel«, begrüßte sie den großen gute gebauten Mann, der neben sie trat und der Offizier jeder Armee Englands war. Er kniete sich mit einem Bein hin und küsste den Handrücken meiner Hexe.

»Kronprinzessin«, hieß er sie respektvoll willkommen, doch als er wieder stand, umarmte er sie innig. »Ich bin froh, dass es dir gut geht, Scarlett.«

Sie sah ihn an und lächelte erschöpft. »Ich auch, Onkel. Hast du alles vorbereitet, um was ich dich gebeten habe?«, fragte sie und er nickte.

Vorbereitet? Steht der Galgen etwa schon? Ich lachte leise.

»Natürlich, er-«, setzte der Kommandant an und sah zu mir. Scarlett tat dasselbe, als ihr Onkle weiter sprach: »-ist das also?«

»Ja, er ist es.«

»Bist du sicher?«, fragte er und ließ mich nicht aus den Augen, während ich alles beobachtete.

»Mehr als sicher«, erwiderte Scarlett mit ruhiger Stimme und mein Blick schweifte zu ihr.

Verrat.

»Wie du wünscht«, meine er etwas angespannt und wandte sich an seine Soldaten. »Männer! Nehmt den Piraten fest. Auf ihn wartet noch eine Verhandlung.«

Eine Verhandlung? Ich lachte auf. »Verschwendet Eure Steuergelder nicht für dummes Geschwätz, wir wissen«, ich ließ mir die Schellen ohne Gegenwehr anlegen und sah dabei Scarlett in die Augen, »wie die Geschichte ausgehen wird.«

Mann zerrte mich an ihr vorbei, doch mein Augenmerk blieb auf sie gerichtet. Ich wandte sogar den Kopf, als ich an ihr vorbei war.

»Du denkst, etwas zu wissen, was nicht passieren wird«, sagte sie mit durchdringend Blick, bevor ich aus der Hörweite war. Sie wandte sich an ihren Onkel.

»Aye, Kleines. Rede dir das nur ein, damit du gut schlafen kannst.«

Ehe sie noch etwas sagen konnte, brachte man mich in eine vergitterte Kutsche und schleppte mich wieder in diesen vermaledeiten Turm, der aus vollgeschissenen Gefängniszellen bestand.

Ich lachte, als man die Tür der Zelle abschloss, in der ich drei Wochen gefoltert wurde. Die Fäkalien meines Vorgängers waren noch nicht weggeräumt und ich roch das Blut, das sich mit dem Gestank vermischte. Ich verzog die Nase, war jedoch froh, dass man mir wenigstens meine Kleidung ließ.
Jetzt stand ich hier und sah auf dem winzigen Loch, das sie ein Fenster nannten.

Der Galgen also. Aye, das war das übliche Ende eines Piraten. Wenn nicht in der Schlacht, dann so.

Stunden stand ich hier und sah der Sonne dabei zu, wie sie über den Himmel wanderte. Als die Glocke zum Mittag schlug, wartete ich auf meine Foltermeister, doch sie kamen nicht.

Stirnrunzelnd stand ich weiterhin still und wartete und wartete und wartete. Erst als der Himmel sich langsam orange färbte, legte ich mich auf die versiffte Decke auf dem Boden.

Ich schlief, wachte auf, stand da, schlief, wacht auf und stand da. Erst einige Tage später, hörte ich schwere Schritte. Andere als die der einfachen Soldaten, die mir Brot und Wasser brachten.

»Kommandant, welch edler Besuch. Womit hat ein Pirat wie ich die eher verdient?«, begrüßte ich den Mann, den ich an seinem Gang und dem Klang seiner Stiefel erkannt hatte. »Werdet ihr diesmal selbst die Peitsche schwingen? Dafür, dass ich Eure geliebte Prinzessin geschändet habe?«

»Ihr meint wohl die Königin«, setzte er an und blieb vor den Gitterstäben stehen. Mit der Hand auf dem Schwert sah er auf mich hinab. »Die Prinzessin wurde vor ein paar Tagen gekrönt und zur rechtmäßigen Königin von England ernannt. Ihr Vater wurde ins Exil verbannt, für seine Sünden, die er an seiner Tochter begannen hat.«

Ich ließ mir nicht anmerken, was ich dachte.
Sie war nun Königin. Gut.
Ihr Vater im Exil? Nicht gut.
Ich hatte gehofft, dass mir die Möglichkeit blieb, ihm irgendwie bei der Verhandlung oder der Hinrichtung ein Messer in den Kopf zu schmettern.

Mein Kiefer mahlte, denn ein Teil von mir hatte gehofft, aus den Schatten heraus beobachten zu können, wie man meiner Hexe die Krone aufsetzte. Nun, vielleicht war sie gnädig und trug sie, wenn man mir den Strick um den Hals festzog.

Ich sagte nichts, wandte mich dem Kommandanten aber zu und lehnte mich mit verschreckten Armen an die Wand.
»Was wollt Ihr?«

Er grinste schief. »Ich bin hier, um euch zu eurer Verhandlung zu bringen, Talay«, sagte er und erdreistete sich, meinen echten Namen zu nutzen. »Die Königin wartet bereits auf euch«, fügte er hinzu, trat einen Schritt zurück und nickte den Soldaten im Hintergrund zu. Diese salutierten vor ihrem Vorgesetzten und öffneten die Zelle.

»Legt ihm Handschellen an«, befahl der Kommandant und auch das wurde gemacht.

Während ich also neben ihm von zwei Soldaten an jeder Seite zu Verhandlung geführt wurde, begann er zu reden.

»Ich frag mich wirklich, wie gerade ihr es so weit geschafft habt. Scarlett hat mir erzählt, was sie für euch fühlt. Ich kann es persönlich nicht nachvollziehen. Immerhin hätte sie jeden Mann aus England und jeden Prinzen aus einem anderen Land haben können. Also wieso gerade ihr?«

»Ich rieche gut und bin recht ordentlich«, sagte ich sarkastisch, weil mir selbst ja noch unbegreiflich war, warum sie etwas für mich fühlte. »Ich denke, auf einem Schiff voller stinkender Piraten, hat sie das wohl am meisten beeindruckt.« Und weil ich es nicht sein lassen konnte, fügte ich hinzu: »Und natürlich meines Schwanzes wegen, den ich ihr meisterhaft auf so viele Weisen eingeführt habe. Erst gegen und dann, mit ihrem Einverständnis.«

»Wüsste ich nicht, was vor sich ging, würde ich euch hier und jetzt eben jenen Schwanz abschlagen für diese Worte. Aber leider Gottes, benötigt ihr diesen noch«, knurrte er und hielt vor einer riesigen Tür mit zwei Flügeln inne.

Ich lachte. »Soll ich nackt gehängt werden? Hat meine Männlichkeit deiner Königin so den Kopf verdreht?«

Was war hier los? Eine Verhandlung?
Für was?
Der Kommandant, der mich höchstpersönlich abholte? Sie brauchte meinen verdammten Schwanz noch?
WAS stimmte hier nicht?
Warum das ganze Theater?
Für ihre neue Art von Politik?
Auf das auch die schwersten Verbrecher zumindest dem Anschein nach gerechte Chancen haben, sich zu verteidigen?

Ich schnaubte. Schöner Schein, doch nichts weiter als Fassade.

»Öffnet die Tür«, befahl er den Männern, ohne mein Kommentar zu würdigen.

Die großen Türen öffneten sich und wir betraten den riesigen Saal. Mehrere Männer, die wohl noble Lords sein mussten, saßen im Halbkreis und in der Mitte des Halbkreises saß Scarlett.

Meine kleine Hexe, die nun Königin war.

Hinter ihr hing eine riesige Jesus Statur an der Wand. Ich verbiss mir ein auflachen.
Wieso mussten diese gottesfürchtigen Narren den armen Kauz immer abbilden, wenn er starb? Ich schüttelte den Kopf und sah dann zu meiner Kleinen.

Scarlett sah atemberaubend aus. Ihre feuerroten Haare waren hochgesteckt und die Krone auf dem Kopf glänzte im Licht der durch die Fenster einfallenden Sonne. Ihr Kleid war Dunkelrot und einzelne Goldpartikel waren darin eingearbeitet. Eine ebenfalls goldene mit Diamanten besetzte Kette, lag um diesen schlanken Hals und ich fragte mich, wie viel Besser meine Hand darum wohl aussah?

Der Kommandant führte mich einen kleinen Gang entlang an Sitzbänken vorbei, auf denen normalerweise die Bürger der Verhandlung beiwohnen konnten. Dieses Mal waren die Bänke leer.

Als wir direkt vor Scarlett stehen blieben, nickte sie ihrem Onkel zu, bevor sie an ihn vorbei sah und mich direkt musterte.

Ihre Miene war unleserlich und die Soldaten hinter mir zwangen mich mit einem Tritt in die Kniekehle in eine Verbeugung.

»Ich hoffe, du weißt das zu schätzen«, flüsterte der Kommandant mir noch zu, bevor er wegtrat und die Verhandlung eröffnet wurde.

Ich wüsste was zu schätzen?

Den bevorstehenden Tod?

Ich lachte trocken auf und sah dem Mann nach.
»Wir haben uns heute hier versammelt-«, begann dann einer der fetten Lords. »-um über das Leben von Talay, auch als Hawk, oder der schlaflose Falke bekannt, einer der Piratenlords der sieben Weltmeere, zu entscheiden.«

Ich lachte und mein Blick glitt zurück zu Scarlett. »Hallo, meine kleine Hexe.«

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