Kapitel 4



Scarlett

Schmerzen. Ich hatte starke Schmerzen und Angst. So große Angst.

Piraten.... Überall Piraten.

Nein....

»NEIN!«, schrie ich und setzte mich ruckartig auf. Schwer atmen und mit großen Augen sah ich mich um. Leider erlangte ich meine Erinnerungen viel zu schnell zurück. Nachdem dieser Mann mir den kleinen Finger abgehakt hatte, verlor ich vor Schock und Schmerzen das Bewusstsein. Meine Augen wanderten zu meinem Finger, der nun in einem Verband gewickelt war. Mein Finger. Das war doch krank! Wieso taten Piraten so etwas?!

Ich sah an mir herab, ich trug immer noch das Kleid. Beschämend legte ich meine Arme um meinen Busen und sah mich erschöpft um.

Ich lag in einer Zelle. Würde das mein Leben ab jetzt sein? In einer Zelle verrotten? Ich sah wieder auf den Finger. Eine Thronerbin mit fehlendem kleinem Finger? Mir wurde von klein auf beigebracht perfekt zu sein. Es hieß: Eine Prinzessin müsse perfekt aussehen und ihre Reinheit bewahren. Aber eines..... Ich schluchzte.... Hatte ich verloren. Ich war nicht mehr perfekt.

Weinend vergrub ich mein Kopf in meinen Armen und legte diese um meine Beine, die ich an meinen Körper zog. Meine Reinheit musste ich bewahren. Diese würde ich mir auf keinen Fall von einem dieser Hunde nehmen lassen.

Während ich leise weinte, tastete sich meine gesunde Hand meinen Hals entlang, doch als ich nicht das fand, was ich suchte. Sah ich erschrocken zwischen meine Brüste hinab. »Mein Amulett.«

»Der Kapitän hat es.«

Ich schreckte hoch und verdeckte sofort mein Busen. »Dann sag...« begann ich etwas herrisch, aber stoppte mich und wurde leiser. »...ihm bitte, er soll es mir zurückgeben. Es gehört mir.« Die Wunde schmerzte und irgendwie verstand mein Kopf noch nicht, dass mir dort ein Finger fehlte.

Das Piratenweib mit ihrer dunklen Haut und der Glatze, wie den goldenen Verzierungen um den Kopf und Gesicht, trat näher an die Gitter. »Solange du mit uns segelst, gehört nichts dir und alles dem Kapitän.« Mir entgegensehend, fragte sie: »Wie alt bist du?«

Ich legte meine Hände auf den jeweiligen Oberarm und erzitterte. Piraten waren genauso grausam, wie man von ihnen hörte. Sollte ich von Glück sprechen, dass es zumindest eine Frau auf diesem Schiff gab. Zumindest glaubte ich, dass sie eine Frau war. Auch, wenn sie einen glatt rasierten Kopf hatte. »Ich...bin 18 Sommer alt.«

Die Piratin hob eine Braue und grinste dann. »Nun, der Kapitän schuldet mir jetzt eine Handvoll Silber.« Ein leises Lachen entkam ihr, als sie sich an die Gitter lehnte. »Er dachte, du seist gerade erst 16 Sommer.«

Ich starrte sie an und als sie lachte, konnte ich nicht anders, als sie noch weiter anzusehen. Sie war wirklich hübsch mit ihrer farbigen Haut und ihren großen Augen. Dennoch war sie eine Piratin und damit kein guter Mensch. Endlich die Augen abgewandt, erwiderte ich: »Schön für euch.«

»Ist Eure Hoheit es nicht gewohnt, so zu residieren?«, witzelte sie und kramte dann in dem Beutel, den sie umhängen hatte herum. Die Frau warf mir eine Hose und eine Tunika hin. »Es ist sicher etwas zu groß, doch besser als der nasse Lumpen, den du da anhast.«

Ich ignorierte ihre Witze und sah auf die Sachen, dann blickte ich sie wieder an. Einen Moment wartete ich ab, aber als sie sich nicht rührte, fragte ich: »Könntest du dich bitte umdrehen?« was starrte sie so? Dachte sie etwa, ich würde mich vor ihr umziehen?

Mich anfunkelnd, grinste sie wieder und packte beidhändig die Gitter der Zelle. »Lass mich dir einen Tipp geben, Scarlett«, sprach sie mich frech mit meinem Namen und ohne Titel an. »Leg dein Schamgefühl ab. Es ist fehl am Platz. Und wenn du schon dabei bist, denn leg dir eine dicke Haut zu. Denn was dich erwarten wird. Wahrscheinlich schon heute, ist ...« Ihr Blick verdunkelt sich. »Werde einfach etwas robuster.«

Fragend und mit einer Spur Angst, sah ich sie an. »Was redest du da? Wieso lasst ihr mich nicht einfach gehen? Ich bin doch gar nicht von nutzen. Ich kann weder putzen noch kochen....ich ....wurde nur zum Regieren erzogen, mehr nicht.« das war eine Lüge, denn nicht einmal diese Stunden hatte mir mein Vater vollständig gewährt. Ich hatte zwar auch einzelne Unterrichtsstunden über Themen: Herrschaft, Volk und Regierung. Aber nicht einmal ansatzweise so detailliert und intensiv, wie mein Bruder Wilhelm. Es war so unfair. Nur weil ich eine Frau war. Ich war hier, weil ich eine Frau war.

Sie richtete sich etwas auf. »Das wird nicht ganz das sein, dessen Nutzen du erfüllen wirst.«

Ich rutschte zu den Sachen und umfasste den Stoff. Meine Güte, was war das für ein dünner Leinen? So etwas hatte ich noch nie getragen. »Ich...ich verstehe dich nicht.« sagte ich und fragte mich, wie ich ohne Corsage mein Busen halten sollte. Das war einer Lady nicht würdig.

Die Piratin ging in die Hocke und legte den Kopf schief. »Denk nach, Scarlett. Du bist ein hübsches, junges Mädchen, auf einem Schiff voller Piraten, die - außer mir - keine Frau sehen. Wochenlang. Was, glaubst du, werden sie mit dir machen? Früher oder später.«

Ich starrte sie an, hielt mir weiterhin meine Brüste bedeckt und starrte.

Was?

Mein Herz schlug mit einem Mal schneller und ich begriff, was sie mir sagen wollte.

»Nein.« stieß ich hektisch aus und schüttelte den Kopf.

Ich würde mich von keinen dieser ungewaschenen Verbrecher anfassen lassen.

»Das werde ich nicht zu lassen. Sollen sie doch dich nehmen.« wurde ich laut und fing an zu zittern.

Sie lachte einmal tonlos auf. »Das haben sie. Ein Jahr lang, bevor ich gelernt habe, mich durchzusetzen und meinen Wert zu beweisen.«

Ich zuckte zurück und meine Augen weiteten sich. »Sie haben.....dich vergewaltigt?« fragte ich kleinlaut.

Bei der Mutter Maria. Ich bekreuzigte mich.

Wie Grausam.

Nickend neigte die dunkelhäutige Frau den Kopf. »Und ich bin froh, dass es nur das war.«

»Aber sag mir, wie kommt es, dass die Thronerbin Englands auf einem Brett im Meer treibt und Meilenweit kein Schiff nach ihr sucht?«

»Das...ist grausam.« schaffte ich nur zu erwidern. Wieso blieb sie bitte auf diesem Schiff, wenn sie so etwas erlebt hatte? Ich verstand das einfach nicht.

Ich sah auf die Sachen, die sie mir gegeben hatte und drehte mich weg. Ich zog das Oberteil über meinen Kopf und bedeckte damit endlich meine Brüste. Dann schlüpfte ich aus dem restlichen Kleid und zog mir schnell diese abscheuliche Hose an.

Ich ließ mir mit Absicht Zeit, bevor ich auf ihre Frage antwortete. Aber die Wahrheit würde ich ihr ganz bestimmt nicht sagen. »Ich bin ins Wasser gefallen und niemand hat es bemerkt.« log ich also und zupfte an den Sachen herum. Sie waren eindeutig zu groß und ich hatte noch nie in meinem Leben eine Hose getragen.

Es war ungewohnt.

Ein Grinsen legte sich auf ihre Lippen. »Ich bin an Bord dieses Schiffes, seit ich 16 Sommer bin, Prinzessin Scarlett Tudor. Du kannst jemanden, der vier Sommer auf See lebt, nicht anlügen, was das Verhalten der Seefahrer angeht. Du warst, deiner miesen Verfassung nach zu urteilen, mindestens drei Tage im Wasser. Sie hätten dich in dieser Zeit vermisst. Immerhin ist dein Arsch königlich.« Sie zog einen Schlüssel und schloss auf. »Aber wie du willst. Sag es mir eben nicht.« Als die Tür auf war, zuckte die Frau mit der Schulter. »Der Kapitän wird es mir sagen, wenn er es aus dir herausbekommen hat. Auf die eine oder andere Weise.« Sie sah mich bedeutungsschwer an. »Und jetzt komm. Du solltest dich zumindest etwas waschen. Haw- ... Der Kapitän mag es nicht, wenn man ... riecht wie ein Eimer verwesender Fische.«

Ich sah sie an, nickte dann und erhob mich. Natürlich erzählte ich ihr auch weiterhin nicht die Wahrheit. Wieso sollte ich? Würden sie wissen, dass ich mit Absicht ins Meer geschubst wurde, dann würden sie mich wohl auch nicht mehr für so wertvoll halten und mich sofort töten. Aber ich durfte noch nicht sterben. Ich wollte zurück und für meinen Thron kämpfen, der mir rechtmäßig gehörte. Zumindest redete ich mir das ein, obwohl ich noch nicht glaubte, dass ich stark genug war. Und da Außenstehende noch nichts darüber wussten, hatte mein Vater dies wohl mit Absicht getan, damit keine aufruhe im Königreich stattfand.

»Wieso interessiert es euren Kapitän überhaupt wie ich rieche?« fragte ich und folgte ihr unsicher.

Moha, ich glaube so hieß sie, hob eine Braue und lief mit mir zu einem Eimer Wasser. Sie deutete darauf. »Er ist da etwas eigen, was Reinlichkeit betrifft. Du hattest noch nicht die Gelegenheit ihn näher zu betrachten, doch ... das wirst du wohl noch und dann, lass dir das gesagt sein, wirst du froh über diese Eigenart sein. Denn im Vergleich zu den meisten Ratten hier auf dem Schiff, ist der Kapitän zwar der brutalste von allen, aber auch der sauberste.«

Ich starrte verwirrt den Eimer an. Dann sah ich wieder sie an. »Moha heißt du, nicht wahr?« fragte ich, da ich den Namen noch in Erinnerung hatte und zupfte wieder an diesen unbequemen Sachen. »Was soll ich mit dem Eimer? Wie soll ich mich damit waschen? Ich habe das noch nie selbst getan. Und du willst mir ernsthaft glaubhaft machen, dass ein Pirat reinlich ist? Ein Pirat?« sie wollte mich reinlegen, ganz deutlich.

Diese Moha sah auf mich herab und schnaubte dann. »Muss ein schönes Leben gewesen sein, wenn man sich nicht mal selbst waschen muss.« Sie verzog verärgert die Lippen. »Nimm den Lappen da und mach ihn nass. Dann reib dich verdammt noch mal sauber. Wenn du denkst, jemand erledigte hier auf diesem Schiff, unter Hawks Aufsicht, auch nur IRGENDWAS für dich, wirst du zügig begreifen, dass das hier, wohl deine persönliche Hölle ist.«

Ich blinzelte mehrfach, drehte mich wieder zum Eimer und nahm, wie sie es gesagt hatte, den Lappen. »Hawk heißt also euer Kapitän?« fragte ich und begann Unbeholfen den Lappen ins Wasser zu tunken. Dann tupfte ich mein Gesicht ab und versuchte es irgendwie sauber zu machen, doch als ich keine Seife fand, fragte ich: »Wie soll ich denn bitte sauer werden, wenn ihr keine Seife besitzt?«

Ich hatte keine Ahnung was ich hier eigentlich tat. Doch eines wusste ich genau, dass man Seife benötigte, um gut zu riechen. Das hatte ich immer bei meinen Dienern gesehen, wenn sie wieder mein Bad einließen. Ich wollte nachhause zu meinen Zofen, die mich schon seit ich denken kann, gewaschen und eingekleidet hatten.

»Nein«, verbesserte mich Moha und sah den unbeholfenen Versuchen zu. »Für dich heißt der Kapitän einfach nur Kapitän. Nenn ihn bloß nicht so, und auch nicht bei seinem richtigen Namen. Ich bin normalerweise recht sparsam mit Ratschlägen, Thronerbin. Und warum ich gerade bei dir den Mund nicht halte, und dich in dein verdammtes Verderben rennen lasse, ist mir fragwürdig«, erklärte sie und verzog wieder die Lippen. »Aber ich, als jemand, der mal in deiner Haut gesteckt hat, rate dir, sei vorsichtig. Kapitän Hawk mag jung sein, jünger als alle anderen Piratenlords, aber genau das macht ihn so gefährlich. Wer in so kurzer Zeit, einen solchen Ruf erlangt hat, hat das nicht mit seiner besonders einfühlsamen Art gemacht. Verstehst du? Und auch die andere Sache ist nicht nur schuld an dieser Reputation, sondern viel Blut, tot, Gold und viele versenkte Kutter.« Sie lief einen Schritt beiseite und zog aus einer kleinen Kiste ein Stück Seife.

»Hier.« Moha warf mir das Ding zu. »Und jetzt mach weiter. Er wartet.«

Ich hörte ihr zu, fing die Seife etwas ungeschickt und schnupperte kurz an ihr, dann verzog ich das Gesicht. »Die riecht ja nach gar nichts.« bemerkte ich etwas beleidigt an. Aber als ich Mohas Blick sah, schloss ich meinen Mund und kniete mich vor den Eimer. Unter ihrer Aufsicht begann ich mich zu waschen, zumindest versuchte ich es. Immer wieder fiel mir die glitschige Seife aus den Händen und fiel zu Boden oder in den Eimer voll Wasser. Es war anstrengend und nervig. Meine langen roten Haare wusch ich nicht, ich konzentrierte mich auf meinen Körper. Da mir bewusst war, wie anstrengend das sein konnte und wie lange diese Haare brauchen würden, bis sie trocken waren. Ich ließ sie also einfach wie sie waren, offen über meine Schulter fallen und wusch meinen Körper weiter.

Die Wunde tat weh und ich war allein hiervon schon erschöpft.

Und auch, als ich Moha fragte, wieso dieser widerliche Mann auf mich warten sollte, antwortete sie mir nicht mehr. Ich verstand es einfach nicht. Was wollte er denn von mir? Mir drohen? Mich erpressen? Vielleicht sollte ich ja einen Brief an meinen Vater schicken, damit er genug Gold und Silber mitbringt, um mich abzukaufen? Ich seufzte innerlich. Nein, mein Vater würde wohl nichts Derartiges tun.

Während mein Verband von dem Schiffsarzt

noch gewechselt wurde, schloss ich meine Augen. Das Gesicht meiner Zofe und dessen Kapitän tauchten vor meinem inneren Auge auf. Wie sie mir nachgesehen hatten. So ganz ohne Reue, stattdessen schienen sie erleichtert zu sein.

Sie hatten mich einfach über Bord geworfen. Als wäre ich ein niemand.

Ob ich mit diesem Verrat jemals umgehen könnte?

Traurig öffnete ich wieder die Augen und folgte Moha zu Kajüte des Kapitäns.

Ich hatte Angst.

Nervös spielte ich an einer einzelnen Strähne herum. Das tat ich schon immer, wenn ich nervös oder nachdachte.

Bei der heiligen Mutter Maria, wieso war ich nicht einfach gestorben?

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