Kapitel 36
Scarlett
Morgen.
Morgen war es endlich so weit. Ich würde aus eigener Entscheidung, mein Königreich, hinter den Mann stellen, den ich liebte.
War die Entscheidung richtig?
Wer weiß.
Würde mein Volk mir das verzeihen?
Vielleicht.
Würde ich diese Entscheidung irgendwann bereuen?
Auch möglich.
»Scarlett?« hörte ich meinen Namen und sah von meinem Teller auf. Mein Amulett fest in meiner Hand umschlossen, sah ich meinen Vater an, der mit mir an dem riesigen Esstisch saß.
»Ja, Vater?« fragte ich und versuchte normal zu klingen, mir nichts anmerken zu lassen.
Er wollte mich umbringen lassen. Er war so weit gegangen, nur um mich loszuwerden und um meinen Bruder ohne großen Widerstand auf den Thron zu setzen.
»Deine Tante....würde dich gerne sehen. Möchtest du dir, nachdem, was du erlebt hast, eine Auszeit nehmen?« fragte er gespielt besorgt.
Ich hob eine Braue. Er dachte wohl wirklich, ich sei dumm und naive.
»Nach allem, was mir passiert ist, soll ich wieder auf ein Schiff steigen und segeln?« fragte ich daher etwas scharf nach.
Früher hätte ich, trotz allem, meinen Vater immer respektiert und für einen unglaublichen König gehalten. Doch diese Zeiten waren vorbei. Er war ein Narr. Weder ein guter König, noch ein guter Vater. Ich hatte die Schrecken der Welt kennengelernt, die Slums unseres Landes. Und statt diese Menschen als Abschaum zu bezeichnen, sollten wir ihnen helfen.
»Meine unschuldige Tochter, du kannst nicht ewig Angst vor der See haben. Wenn du irgendwann Königin bist, wirst du öfter in andere Länder Segeln.«
Lüge.
Der Herrscher verließ nur bei besonderen Ereignissen das Land und reiste zu einem anderen Land.
Und......
Ich und unschuldig?
Ich?
Oh Vater, ich war schon lange nicht mehr unschuldig.
Aber gut, für meinen Plan passte das ja.
»Du hast natürlich recht, Vater. Ich muss wahrlich noch viel lernen.«
»Dafür bin ich doch dein Vater, um dir alles Nötige beizubringen.«
Ich lachte leise, legte das Besteck beiseite und erhob mich. »Natürlich.« die Diener schoben sofort den Stuhl nach hinten, damit ich mit dem Kleid aufstehen konnte. Ich hob es vorne etwas an und lief um den Tisch herum. Bei meinem Vater angekommen, beugte ich mich vor und küsste ihn auf die Wange. Es sah aus, als würde seine Naive Tochter ihn immer noch lieben, die Wahrheit jedoch sah anders aus. »Wenn ich zurückkehre, werde ich den Thron beanspruchen. Also wage es nicht, Wilhelm bis dahin auf den Thron setzen zu wollen.« Ich flüsterte diese Worte, nahm Abstand und lächelte süß. »Erinnert euch, wer mein Onkel ist.« fügte ich noch hinzu und siezte ihn. Damit zeigte ich noch einmal, dass ich nicht mehr die nutzlose, naive Tochter war, die er glaubte, vor sich stehen zu haben. Dank dem Verrat meiner Zofe und dank Talay, hatte ich mich verändert. Ich musste mich verändern, wenn ich die Welt verändern wollte.
»Was....redest du da, Scarlett?!« fragte der König von England außer sich vor Wut.
»Mein Name ist Scarlett Mary Tudor und ich allein bin die Thronerbin. Akzeptiere das endlich, Vater.« Ich spuckte ihm das Wort schon fast entgegen.
Seine Augen weiteten sich und er setzte zum Reden an, aber kein einziges Wort verließ seine Lippen. Er war zum ersten Mal sprachlos.
Ich richtete mein Kleid und verließ mit erhöhendem Haupt die Räumlichkeiten.
*************
Stumm stand Ich da und ließ mich von meinen Zofen entkleiden.
Heute war es so weit. Diese Nacht würde ich mit Talay und Moha verschwinden, meine Aufgabe erfüllen, zurückkehren und...... Königin werden.
Ich war bereit.
Auch, wenn in mir Angst loderte.
Mit Talay an meiner Seite, würde ich es schaffen.
»Prinzessin, wir sind fertig, benötigt ihr noch etwas?« fragte die Zofe, die mich von Bord geschmissen hatte. Wie sie so vor mir stand, so tat, als wäre nie etwas passiert.
Augen fielen auf ihr Gesicht. Sie dagegen sah auf den Boden und hielt in einer gebeugten Position inne.
»Sag, Anna, wie war es mich von Bord zu werfen? Hat es dir Erleichterung verschafft, den Befehl meines Vaters zu gehorchen?« fragte ich ruhig, aber mit einem scharfen Unterton.
Sie zuckte zusammen und ihre Augen waren aufgerissen, doch weiterhin auf den Boden gerichtet.
»Ich....ich weiß nicht....was ihr meint...ich..«
»Ahh...natürlich.« unterbrach ich sie.
Natürlich wüsste sie nicht mehr, was ich meinte. Die anderen Zofen linsten zu ihr, weshalb ich monoton mit der Hand wedelte. »Geht.« alle verließen mein Gemach und ich lief zum Fenster. Mein Kompass geöffnet, sah ich auf und in die Richtung, die die Nadel zeigte. »Talay.«
Ich atmete tief ein und schloss das Amulett, bevor ich mich anwandte und schlafen ging.
Als ich das nächste Mal die Augen öffnete, war es mitten in der Nacht. Der Mond stand weit oben am Himmel und das war mein Zeichen. Ich stieg vom Bett, zog meinen Morgenmantel drüber und zog die Tasche unter meinem Bett hervor. Dort waren Sachen für Talay drinnen.
Ich schulterte die Tasche und verlies durch einen geheimgang mein Gemach. Ein paar Gänge und Treppen später, landete ich außerhalb des Schlosses. Es dauerte nicht lange. Mit paar prüfenden blicke, ob irgendwelche Wachen vorbeiliefen, eilte ich los. Erst einmal begab ich mich in den Turm, die Wachen hatte ich so einteilen lassen, dass für 20 Minuten keiner von ihnen da war. Natürlich wussten sie nichts davon, aber genau deswegen hatte ich auch diese zwei Wochen gebraucht. Erst einmal Talay retten und dann zu Moha. Das war mein Plan. Ich eilte die Treppen hinauf und fand zum Glück den Schlüssel dort, wo er immer hing.
Wer hätte gedacht, dass ich jemals so etwas tun würde, für einen Mann und einer anderen Frau. Und dann auch noch für Piraten. Mir war wahrlich nicht mehr zu helfen.
Ich schüttelte über mich selbst den Kopf, als ich seiner Zelle näherkam.
Leise schloss ich die Tür auf und sah auf Talay hinab. Sofort bekreuzigte ich mich. Heilige Maria, was hatten sie nur mit ihm gemacht! Fassungslos musterte ich alle seine neuen Wunden und seinen erschöpften Körper. Oh Herr, steh ihm bei.
Leise legte ich die Tasche auf den Boden, öffnete erst eine der Ketten und dann die andere von seinem Handgelenk, bevor Talay nach vorne fallen konnte, weil er so schlimm zugerichtet wurde. Versuchte ich ihn aufzufangen. Doch er war zu schwer, weshalb ich nach hinten fiel und er auf mir drauf. »Talay? Bist du wach? Du.....Du erdrückst mich....Talay.« flüsterte ich verzweifelt und versuchte ihn von mir runter zu rollen.
Der Piratenfürst stöhnte leise, schaffte es aber, sich mit zitternden Armen und zusammengebissenen Zähnen hochzustemmen. »Meine kleine Hexe-« Leise ächzend, hockte er sich hin und hob den Kopf, um mich anzusehen. »Sind schon zwei Wochen vergangen? Bei Poseidon, das war ja ein Kinder-«, er stöhnte schmerzlich, »-spiel.«
Ich sah ihn an, in sein halb geschwollenes Gesicht. Meine Augen wanderten zu seiner gesunden Wange, die einen tiefen Schnitt hatte. »Talay....es tut mir leid, dass du das alles ertragen musstest.« sagte ich und fühlte mich schrecklich. Das war alles meine Schuld, nur weil ich ihn noch zwei weitere Wochen hierlassen musste. Ich zeigte auf die Tasche. »Ich...Ich habe dir Sachen und Stiefel mitgebracht. Du...Du musst dich anziehen und dann müssen wir Moha rausholen.« erklärte ich unsicher und total besorgt.
»Aye«, schnaufte er und stemmte sich auf alle viere, bevor er sich aufrichtete. Er ließ sich von mir die Sachen geben und zog sie an. Dabei stöhnte er immer wieder und warf mir hier und da einen Blick zu. Er sah mich an, als hätte er etwas gezweifelt, dass ich wirklich kommen würde, um ihn zu retten.
Als er die schlichten Sachen anhatte, tränkte Blut bereits den Stoff.
Dennoch lachte er auf. »Ich hätte nie gedacht, dass deine Soldaten so gut für Folter ausgebildet werden. Respekt, Kleine. Das solltest du beibehalten, wenn du Königin bist. Jemand weniger Willensstarkes, hätte gesungen wie ein Spatz.«
Nachdem das gesagt hatte und fertig mit anziehen war, sah Talay mich an und ging einen wackeligen Schritt auf mich zu. Seine Hand fand meinen Nacken und dann mein Haar. Brüsk bog er meinen Kopf zurück und beugte sich zu meinen Lippen hinab. Harsch, jedoch mit einem lüsternen Grinsen, raunte er: »Du hast mich lange warten lassen und wenn wir Zeit haben, werde ich dich dafür zur Rechenschaft ziehen.«
Ich sah ihm entgegen und blinzelte die Tränen weg. Die starke Fassade, die ich die letzten Wochen aufgebaut und aufrechterhalten musste, bröckelte langsam und legte die wahre Scarlett frei. Die Scarlett, die ich nur noch ihm zeigen wollte. »Talay...« hauchte ich nur und meine Augen wanderten von seinem Gesicht über seinen Körper. »Ich....ich bin schrecklich, ich habe nicht daran gedacht, Verbände und Alkohol für deine Wunden mitzunehmen. Du...Du schaffst das, oder? Ich...Ich brauch dich doch an meiner Seite und dann...dann kannst du mich jeden Tag zu Rechenschaft ziehen....und ich kann dir vorhalten, dass du mich angesehen hast, als hättest du gezweifelt, dass ich überhaupt komme.«
Mein Gegenüber lachte leise an meinen Lippen. »Aye, daran hättest du denken können, doch jetzt kannst du es nicht ändern und wir kümmern uns später darum. Eins nach dem anderen. Viel wichtiger ist Moha zu holen und dann-«, er sah mich an. »Waffen zu organisieren. Ein Dolch, ein Messer, meinetwegen eine verdammte Gabel, nur irgendwas.«
Ich nickte, verringerte den Abstand zwischen uns und küsste ihn sanft, weil ich Angst hatte, ihm wehzutun. »Kannst du....laufen? Es ist ein Stück bis zu den Zellen, der normalen Gefangenen.« fragte ich vorsichtig nach.
Talay spiegelte meine Geste und nickte. »Aye und jetzt los, Hexe. Bring uns hier raus.«
Ich sah ihn nochmal prüfend an. Würde er das wirklich aushalten, bis wir in Sicherheit waren? Er sah gerade so unendlich erschöpft aus.
Stimmt, er konnte ja nicht schlafen, wenn ich nicht in der Nähe war. Ich würde mich später, wenn wir alles geschafft hatten, um ihn kümmern.
Ich wandte mich ab und führte ihn leise aus dem Turm. Wir mussten mehrere dunkle Gassen entlanglaufen. Paar Mal anhalten und warten bis die Wachen wieder wegliefen, um dann weiter zu laufen. Es dauerte etwas länger als nötig, weil Talay etwas langsam war und wir im Verborgenen bleiben mussten. Es waren viele Wachen unterwegs und ich wusste wirklich nicht, wie ich das hier erklären sollte. Ich trug ja nicht einmal richtige Kleidung, sondern nur mein Nachthemd und ein Morgenmantel, selbst meine Haare waren offen und man würde Frage haben, wenn man uns erwischen sollte. Sehr viele Fragen.
Deshalb war ich mehr als glücklich, als wir endlich vor Mohas Zelle standen. Doch, was ich da sah, ließ mich aufkeuchen.
Talay schritt an die Zelle und starrte Moha fassungslos an. Bewusstlos lag sie nur in Lumpen gekleidet auf dem dreckigen Boden. Sie war voller Dreck und Wunden und ... zwischen ihren Beinen klebte frisches, wie angetrocknetes Blut.
Knurrend warf er einen Blick auf mich. »Hast du nicht mehr nach ihr gesehen, seit wird uns vor zwei Wochen gesprochen haben?!«
»N...Nein. Die Wachen haben mich nicht zu ihr gelassen.« antwortete ich leise, sah mich um und lief kurz weg, um den Schlüssel zu holen. Als ich zurückkehrte, öffnete ich schnell die Zelle und ließ Talay eintreten.
»Du bist die verdammte Thronerbin! Du hättest das hinbekommen müssen!«, zischte er leise. Der Piratenfürst bedachte mich mit einem bitterbösen Blick, als er vorbeilief und sich zu Moha kniete. Er rüttelte sie leicht, doch sie wachte nicht auf. Fluchend, hob er sie hoch. Ihr Kopf kippte nach hinten zur Seite und er musste einen kleinen Hüpfer machen, damit ihr Kopf an seine Brust rollte.
Sie war voller Wunden, so wie er.
»Raus hier.«
Ich sah ihn an und seine Art schmerzte. Thronerbin bedeutete nicht Königin. Ich hatte Macht, aber nicht so viel Macht wie mein Vater. Stumm nickte ich daher nur und sah Moha an. Es tat mir unendlich leid, dass ihr das widerfahren war. Ich hoffte, ich konnte es wieder gut machen. Ich hoffte, sie würde mir verzeihen.
Mit schlechtem Gewissen, führte ich sie hinaus. Wir liefen wieder durch die dunklen Gassen meines Landes. Niemand sagte etwas und das war wohl auch gut so. Unser Weg führte uns hinaus aus der Stadt, einen kleinen Pfad zu einem mittelgroßen Haus, direkt an einer kleinen Erhöhung. Auf einer Seite erstreckten sich meterweit Felder und auf der anderen Seite gab es einen kleinen Weg runter zum Meer.
Ich hatte diesen Platz auserwählt, weil dieses Haus in der Nähe des Hafens war und meiner verstorbenen Mutter gehörte. Daher wusste ich, dass hier niemand nach uns suchen würde. Ich öffnete die Hintertür mit einem Schlüssel, den meine Mutter mir vermacht hatte, bevor sie starb und ließ beide eintreten.
»D...das ist das Haus meiner verstorbenen Mutter. Hier sind wir erst einmal sicher.« erklärte ich Talay.
Ich schloss die Tür ab und sah mich selbst um. Wie lange war es her, dass ich hier war? Erinnerungen an meiner Mutter sprudelten regelrecht hervor, jedoch erdrückte ich diese Erinnerungen an sie und ging an Talay vorbei, der immer noch die bewusstlose Moha trug. Ich führte ihn zu einem Sofa und sagte: »Du kannst sie hier drauflegen. Ich werde eine Decke und ....alles mögliche für eure Wunden Versorgung holen.« erklärte ich zurückhaltend und eilte in den zweiten Stock. Im Schlafzimmer meiner Mutter, hielt ich inne und versuchte meine Atmung zu kontrollieren. Mein ganzer Körper zitterte und ich fühlte mich schrecklich. Immer wieder mit den Tränen am kämpfen, sammelte ich alles ein.
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