Kapitel 21

Hawk

»Du hattest kein Recht, sie gehenzulassen!«, brüllte ich gefährlich und alle Frauen im Hurenhaus zuckten zusammen. »Was hast du dir nur gedacht?!«

Marina sah mich unbeteiligt an. Keine Angst war zu erkennen und mein Zorn, der das Haus regelrecht zum Beben brachte, erreichte sie nicht.

»Welches Recht, hattest du, sie als Gefangene zu halten.«

»Jedes! Ich hab' sie aus dem Meer gezogen! Das Seerecht gibt mir demnach Handlungsrecht, was sie betrifft. Inklusive, sie als meine verdammte Gefangene zu nehmen!«

»Sie ist kein Gegenstand, Talay. Sie ist die Kronprinzessin Englands und die Lösung für deinen Fl-«

»Ruhe!«, zischte ich Marina an und zum ersten Mal, empfand ich auch Abneigung ihr gegenüber.

»Bin ich eigentlich die Einzige, die es immer noch komisch findet«, meinte Moha unpassend, »das dich plötzlich jeder Talay nennt? Ich meine, du bist ... Hawk.«

Ich ignorierte sie. »Wohin ist sie?«

Marina zuckte mit der Schulter. »Ich kann nicht in die Zukunft sehen, Junge.«

Ich knurrte böse, zog meinen Säbel und zerteilte einen Tisch und ein Satz Kissen in zwei.

»Sohn, was-«

»Halt bloß dein Maul, du dreckige Hure!«, schrie ich meine Mutter an und straffte sie mit so eisigem Blick, dass sie zurückwich. Meine Schwester verkroch sich sonst wo hin und ich sah nur noch, den kümmerliche Laib Brot, den sie wohl aus der Küche gestohlen haben musste.

Ich kannte dieses Gefühl und war damals für jede Ablenkung dankbar, die mir etwas zu Essen einbrachte.

»Aber, T-Talay, du-«

»Vorsicht, Mama Hawk. Noch ein Wort und du wirst nicht mehr hübsch genug sein, um Freier zu empfangen.«

Meine Mutter sah Moha an und schluckte.

Ich wandte mich wieder an Marina. »Poseidon soll dich holen, du altes Hutzelweib.«

Sie lächelte mild und humpelte auf mich zu. Als sie vor mir stand, ignorierte sie meinen glühenden Zorn und legte eine Hand auf meine Brust und eine auf meine Wange.

»Ach, Junge«, seufzte sie. »Du hast schon so viel gesehen und erlebt und doch bist du so unendlich blind.«

Ich schnaubte. »Ist das so?«

Sie tätschelte meine Wange und forderte mich auf, mich zu ihr zu neigen. Ich tat es und sie drückte ihre Lippe an meine Wange. »Du kannst deinem Schicksal nicht entkommen und deine Bestimmung nicht dir, Talay. Es wartet so viel mehr als Blut und die See auf dich.«

»Ich bin die See und ich bin Blut.« Meine Antwort war das Ende meines Besuches und ich wandte mich an Moha. »Gönn den Männern noch eine Runde mit den Frauen und dann geh mit ihnen zurück auf die ›Heaven‹. Ich suche dieses Biest und komme nach.«

»Aye, Kapitän.«

Als ich rauslief, fügte ich noch hinzu: »Frischt die Vorräte auf und nehmt Kleidung für meine Gefangene mit. Ich bin es leid, ihr die meinen zu geben. Sie braucht eigene Sachen.«

»Aye«, antwortete sie nur erneut und ich ließ sie in dem Haus zurück, indem ich nur elend erleiden musste.

Den Beutel Münzen, den ich bei meiner Mutter im Zimmer versteckt hatte, sodass die Kleine sie hoffentlich vor ihr fand, trauerte ich nicht nach.

Meine Mutter wollte noch etwas sagen, doch ich schlug dem Miststück die Tür vor der Nase zu und zog meine Kapuze über, ehe ich in die Schatten der Gassen untertauchte.

Ich seufzte laut. Mir war klar, wohin sie wollte, selbst wenn ich die Information von Marina eingefordert hatte. Es gab nur einen Ort in Cornwall, den sie aufsuchen konnte und der ihr einigermaßen Schutz bieten würde.

Ihr Onkel, Kommandant Swan, hatte ein Haus am Rand des namenlosen Drecksviertels. Der Mann mittleren Alters dachte, er hätte dadurch bessere Möglichkeiten, die Piraten zu fassen, die wie wir, an der Küste ankerten und Proviant und Vorräte aufzufüllen.

Weniger schlaue Freibeuter bekam er so zu fassen. Um einen meines Kalibers in Ketten zu legen, musste er sich jedoch mehr einfallen lassen, als sein Haus am Rand der Gosse zu haben. Ich war nie dumm genug, die ›Heaven‹ so nahe an einen Hafen zu segeln, dass man uns bemerkte. Nein, ich ankerte stets einige Meilen weit weg.

Ich bog stellenweise ab und versank zwischendurch in Gedanken.

Sie war es also.

Scarlett Tudor war die Frau mit dem Hexenblut, die mich zu der Hexe führen würde, die endlich den Fluch brach.

Poseidon. Ich wusste, nein ahnte es zwar schon eine Weile, doch dass es jetzt bestätigt war ... Eine Gänsehaut überkam mich. Und eine weitere, als ich wieder diese Lust spürte, die uns beide, danke Marinas Magie regelrecht, mitgerissen hatte. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Der Rosenduft, die Kräuter, sie auf meinem Schoß. Es hatte nicht mehr viel gefehlt und ich hätte und beiden die Kleider von Leib gerissen und sie genommen, ohne auch nur an die Hexe im Raum zu denken.

Aber ... War diese Lust wirklich nur die Magie?

Wenn ich sie nahm, nicht über den Tisch gebeugt wie eine Hure, sondern wie eine Frau, die meine Berührungen verdient hatte, fühlte ich mich ... gut.

Es machte Spaß, auch sie sich gut fühlen zu lassen. Ihr Verlangen und die Begierde erregten mich selbst aufs Höchste.

»Scheiße«, raunte ich und drückte mich in einen Schatten, als ein paar Stadtwachen vorbeiliefen.

Dann huschte ich weiter und je näher ich dem Rand des Viertels kam, das einst meine Heimat war, desto schöner und besser erhalten waren die Häuser. Desto feiner gekleidet die Menschen, die nun, da die Nacht langsam vorüberging, zu ihrer Arbeit aufbrachen.

Ich lief und lief und hing meinen Gedanken nach, als ich Scarlett letztlich fand. Sie lief die Straße entlang und wirkte etwas verloren. Ich beschloss, sie, trotz meiner Wut, zu beobachten.

Einen Moment zumindest.

Bis ich eine gute Gelegenheit fand, sie zu schnappen und ihr als Strafe einen verdammten Dolch in das Bein zu rammen. Vielleicht nahm ich ihr auch den anderen kleinen Finger. Das würde ich wohl spontan entscheiden.

Ich folgte ihr in gebührendem Abstand und als ich in den Seitengassen nicht weiter kam, weil die Hexe etwas unschlüssig umher huschte, musste sogar einmal auf ein Dach klettern, um ungesehen zu bleiben. Fluchend erklomm ich eine schartige Hauswand und zog mich auf das Dach. Ich lief geduckt ein paar Schritte und sah für eine lange Sekunde in den heller werdenden Himmel. Wieder am Boden, war ich ihr so nahe, dass sie mich mit etwas Intuition wohl hätte spüren können.

Als sie um eine weitere Ecke bog und endlich das Tor zu dem Anwesen ihres Onkel erblickte, rannte Scarlett, kopflos, wie sie nun mal war, los.

Ein Lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus und ich schüttelte genervt den Kopf. So naive, wie sie war, wollte sie einfach an die Wachen vorbei laufen, aber diese stellten sich sofort vor sie und versperrte ihr den Weg.

Ich rückte näher, um mit anzuhören, was gesagt wurde.

»Wohin des Weges, kleines Mädchen?«, fragte einer und sah sie herablassend an.

Scarlett blinzelte mehr als verwirrt. »Wie bitte? Erkennt ihr mich nicht? Ich bin's, Scarlett Tudor, Kronprinzessin von England.«

Beide sahen sich mit hochgezogenen Augenbrauen an, bevor sie anfingen, lauthals zu lachen und wieder zu ihr sahen.

»Ja genau, und ich bin Jesus Christus. Verpiss dich Kleine, oder wir prügeln dir Vernunft ein«, zischte der andere.

Ihre Augen wurden groß. »Was? Aber ich bin es! Ich schwöre es, ich bin Scarlett. Seht ihr das denn nicht?! Schaut doch mein rotes-« sie stoppte, als sie ihre Haare in der Hand hielt.

Bevor sie reagieren konnte, zog der rechte Wachmann sein Schwert und der Linke stieß sie brutal nach hinten. Meine Hexe stolperte und fiel in den Schlamm.

Ich sah mit zusammengebissenen Zähnen zu, blieb jedoch in meinem schattigen, vor den Augen aller, ungesehenen Versteck.

Was für Wachen waren das, die die Nichte ihres Herren nicht erkannten? Selbst mit dem gefärbten Haar und den Schrammen war deutlich zu sehen, wer sie war. Niemand, der bettelarm geboren war, hatte solche feinen und wunderschönen Gesichtszüge.

Sie blieb einen Moment so sitzen und starrte auf den Boden.

»Wieso ... erkennt ihr mich nicht?«, fragte sie mit zitternder Stimme, die ein Flackern in meiner Brust hervorrief. »Wieso seht ihr mich nicht richtig an.« Ihr lautes Schniefen erklang und sie erhob sich wieder. »Lasst mich zu meinem Onkel! Er wird mich erkennen.«

Aber statt ihr zuzuhören, richtete die eine Wache sein Schwert auf sie. Die Spitze an ihrem Hals musste die Prinzessin den Kopf etwas heben.

»Hör zu du Abschaum, die Kronprinzessin ist in Frankreich. Daher kann es unmöglich sein, dass du Prinzessin Tudor bist. Ich sage dir noch einmal, verpiss dich, oder wir schlagen dich grün und blau.«

Scarlett schreckte zurück. »Aber...«, setzte sie an und Tränen sammelten sich in ihren Augen. »Nein! Ich gebe nicht auf«, schrie sie plötzlich, setzte plötzlich zur Seite hin an und versuchte, um die Wachen herumzurennen. Sie erreichte mit einem Fuß das Tor, doch bevor sie weiterkam, zog sie eine der Wachen am Kragen zurück und dann traf sie so schnell die Rückhand, dass die Kleine gar nicht begreifen konnte, was passiert war.

Wieder landete sie auf dem Boden, schlitterte über dem Schlamm und hielt sich die Wange, als sie sich mit zittrigen Gliedern aufsetzte. Das halbe Gesicht war rot und die Schwellung war sogar von hier deutlich zu erkennen.

Ich knurrte leise.

»Verpiss dich endlich! Drecksbalg!«, brüllte die etwas größere Wache und dann gingen sie beide hinein und schlossen das Gittertor.

Stumm rollten Scarlett Tränen über die Wangen und sie zischte leise. Langsam erhob sie sich, sah noch mal zum Tor, bevor sie dann halb taumelnd in irgendeine Gasse lief.

Die Wachen wussten nicht, dass sie mit dieser wirklich dummen Tat ihren tot heraufbeschworen hatten.

Das Tor war zwar hoch und am Ende der Gitter, prangten handgroße Spitzen, doch das kümmerte mich nicht. Ich passte den richtigen Moment ab, nahm meinen Dolch zwischen die Zähne, rannte los, sprang ab und bekam, als keiner hinsah und niemand mehr in den Gassen lief, die Stäbe recht weit oben zu fassen. Es polterte, und als einer der Wachleute sich herumdrehte, wirbelte ich einhändig, an dem Gitter baumelnd, herum und erreichte eine Schattenstelle, die mich vor seinem Blick schützte. Ich zählte bis zwanzig und wie zu erwarten sah er schon nicht mehr hin, als ich mich wieder richtig fixierte und über den Zaum kletterte. Ich schnitt mir an einer Spitze in die Handfläche, doch ich ignorierte den Schmerz, fluchte nur leise und ließ das fliesende Blut auf den Boden tropfen.

Ich schlich weiter und nahm den Dolch aus meinem Mund. Keine Sekunde später flog das Ding durch sie Luft und bohrte sich in die Schläfe der Wache und bevor der andere Mann registrieren konnte, wie ihm geschah, war ich da und mein Säbel trat in seine Brust ein und aus seinem Rücken heraus.

Er riss die Augen auf, hustete mir Blut uns Gesicht und als ich den Kopf schief legte und meine Klinge nach oben zog, sodass seine Eingeweide sich auf dem Boden und meinen Schuhen verteilten, war er bereits tot.

Ich verschwand grinsend so schnell, wie ich gekommen war.

***

Ich packte Scarlett und zog sie in eine Gasse. Die Hand auf ihren Mund gepresst, drückte ich sie an die dreckige Wand und starrte sie in Grund und Boden.

»Wenn du wegrennst, renne ich dir hinterher. Wenn du ins Meer springst, springe ich dir nach. Wenn du kämpfst, ringe ich dich nieder. Egal wie, es endet damit, dass ich dich zu mir zurückhole.«

Sie starrte mit weit aufgerissenen Augen zu mir hoch, bis sich dann Tränen sich in ihren Augen sammelten und sie einfach stumm weinte.

Ich drückte meine Hand fester auf ihren Mund, ehe ich fluchend von ihr abließ und sie in eine Umarmung zog. Eine Hand auf ihrem Rücken, eine auf ihrem Kopf, sagte ich kein Wort und hielt sie einfach nur fest.

Warum?

Weshalb tat ich das schon wieder?

Schicksal. Das Wort hallte in meinem Kopf wieder. Sie war die Lösung für einen Fehler, den ich, dumm und jung wie ich war, gemacht hatte.

Also ja, sie war mein Schicksal. Aber dennoch nur ein Mittel. Nur warum klebte dann das Blut der Wachen an meinen Händen und lief mir über die Wange?

Sie erwiderte die Umarmung und krallte sich regelrecht an mir fest. Sie weinte an meiner Brust und drückte das Gesicht in meinem Mantel. Das ganze Schauspiel ging eine ganze Weile, bis sie sich langsam beruhigt hatte.

Schniefend hob sie den Kopf und sah zu mir hoch. Die Kleine sah mir besorgt in die Augen, hob die Hand und wischte mir etwas von dem Blut weg. Sie öffnete die Lippen, aber schloss sie wieder. Dann drückte sie mich weg, streckte mir ihre Hand entgegen und sagte leise: »Los ... bestrafe mich.«

Ich sah ihre Hand an, nahm sie, machte einen Schritt und brachte ihren Körper wieder an die Wand, zog meinen Dolch und drückte ihre Gliedmaße an die Fassade. Die Klinge berührt ihren kleinen Finger und die Spitze bohrte sich einen Millimeter in ihre Haut.

Ich starrte sie an.

Drück zu. Kurz und schmerzlos.

Sie würde nicht wieder weglaufen. Würde es nicht wieder wagen. Sie würde mich aber auch noch mehr hassen und fürchten, als sie es ohnehin tat.

Und ... das wollte ich nicht.

»Ich denke«, setzte ich also an und nahm die Waffe weg, »dass du dich heute schon selbst genug bestraft hast.«

Sie sah zwischen meinen Augen hin und her, senkte dann aber den Blick. »Ich werde mich nicht für das hier entschuldigen. Lass ... lass uns einfach zurück auf dein Schiff. Ich möchte hier weg, bitte.«

Ich ließ ihre Hand los und nahm ihr Kinn, um es anzuheben. »Ich will keine Entschuldigung hierfür, Kleines. Ich selbst hätte mir schon die Kehle aufgeschlitzt und wäre davongerannt«, sagte ich und kam ihrer Wange näher. »Du hast nur getan, was alle tun würden, die in meiner Nähe sind. Denkst du, Moha hat nie einen Fluchtversuch begangen? Ich kann nicht zählen, wie oft sie davongerannt oder von Bord gesprungen ist. Der Unterschied ist nur, dass sie nie geweint hat, weil sie versagte. Sie hat mir nie die Hand hingestreckt und um eine Strafe gebettelt. Sie ist aufgestanden, hat ertragen, was ich ihr angetan habe und dann geplant es wieder zu tun.« Ich leckte ihr langsam eine Träne von der Wange und küsste dann ihren Augenwinkel. »Renn nie wieder vor mir weg, kleine Hexe. Nie wieder. Denn wenn ich dich ein zweites Mal erwische, verlierst du die ganze Hand.«

Es war eine leere Drohung, aber das konnte sie nicht wissen. Ich küsste mir einen Pfad über ihr Gesicht und legte meine Lippen dann sanft auf ihre.

»Niemals wieder«, flüsterte ich und zog sie endgültig in einen Kuss.

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