11


Hawk

Ich war eingenickt. Nur für eine Sekunde. Einen verdammten Herzschlag lang. Das Gefühl war so überwältigend gewesen, dass ich einen Moment gebraucht hatte, es zu verarbeiten.

Schlaf.

Das war ein fremdes Wort für mich und trotzdem habe ich es getan. Eine endlose Sekunde lang.

Ich sah in den Sternenhimmel und betrachtete die Milchstraße, die sich einmal quer über das Firmament schlängelte.

Schlaf.

Ich schloss die Augen, doch der genussvolle Moment wiederholte sich nicht.

»Cornwall?«, fragte jemand und ich sah zu Moha. »Ich dachte, wir haben Kurs auf Afrika gesetzt?«

»Planänderung.«

Sie schnaubte. »Du änderst nur ungern Pläne.«

Nun schnaubte ich. »Dann ist das eben so ein ›ungern‹.«

Das war es wirklich, denn Afrika-Beutezüge würden mich verdammt reich machen.

»Nach Hause also.« Ich nickte stumm und Moha frage weiter: »Wieso der Stress?«

Ich sah sie an, antwortete aber nicht. Moha war viel zu schlau, um nicht schon längst ihre Schlüsse gezogen zu haben. Also stellte sie sich vor mich an die Reling des Vorderdecks, verschränkt die Arme und überkreuzte die Beine. »Du fragst dich, ob Scarlett die Lösung für dein Problem sein kann? Ob sie die Hexe aus der verschwundenen Blutlinie ist, die eigentlich unmöglich zu finden sein sollte? Diejenige eine, die dir den langersehnten Schlaf bringen wird?«

Ich betrachtete sie kurz. »Wenn du es weißt, wieso fragst du dann?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Bestätigung.«

Ich stellte mich neben sie, in genau derselben Haltung. »Ich glaube nicht daran, aber ich wäre ein Narr, wenn ich das nicht dennoch prüfen würde.«

Sie nickte nur und dann herrschte kurze Zeit Stille.

»Sie ist mit den Kräften am Ende, Hawk.«

»Wer?«

Moha sah mich böse an. »Hör auf mit dem Spiel. Du weißt, wen ich meine.«

Ich lachte. »Du wirst weich und sentimental in ihrer Nähe.«

»Leck mich, Hawk.«

Ich lachte. »Das habe ich schon mehr als ein Mal getan.«

Ein schnauben, halb lachend halb verärgert, entkam ihr. »Sie macht das mental nicht so lange mit, wie ich. Durch meine Vergangenheit war ich abgehärtet und ihr konntet mich nicht brechen. Sie hingegen ...«

»Ist mit einem goldenen Löffel im Mund aufgewachsen. Denkst du ich weiß das nicht?«

»Warum machst du das dann?«

»Weil es mir egal ist, wie es ihr geht.«

Sie hob eine Braue. »Selbst wenn sie die Lösung für den Fluch sein sollte?«

Ich sah auf mein verlassenes Schiff. »Ich werde sie schon nicht sterben lassen.«

»Nein? Sie hat sicher fünf Kilo abgenommen, seit du sie an Bord geholt hast. Lass sie noch drei, bis vier Tage weiter so abnehmen, und sie verhungert.«

Die Augen verdrehend, wandte ich mich dem Meer zu. »Der Smutje gibt ihr ihre Ration. Was weiß denn ich, warum sie so abgemagert ist. Solange sie stehen kann, arbeiten kann und-«.

»Die Beine breitmacht, ist alles okay?«, unterbrach sie mich und beendet meinen Satz. Ich nickte nur, was sie zum Fluchen brachte. »Bei allen Vodoopriestern, Hawk. Sie war Jungfrau und du hast sie genommen.«

»Und?«

Sie lief kopfschüttelnd weg, als sie sagte: »Irgendwann kommt eine Frau, die dir gehörig den Kopf verdreht und deine lästige Meinung über uns Weiber ändert.«

Ich lachte leise. »Ich hoffe nicht.«

Als Moha wortlos verschwand, sah ich mich auf dem Deck um und sagte etwas lauter: »Hast du alles gehört, was dich interessiert?«

Scarlett trat unter der Treppe hervor und sah mich ertappt an. »Ich ... konnte nicht schlafen«, erklärte sie und zupfte an den neuen Sachen. Langsam ging sie ein Stück auf mich zu, hielt aber einen gewissen Sicherheitsabstand. »Ich bin also die Lösung deines Fluchs? Hast du mir deshalb mein Amulett weggenommen?«, fragte sie und verschränkte die Finger hinter dem Rücken.

Ich legte den Kopf schief. »Nein. Das war schlichtweg alles wertvolle, dass du bei dir hattest. Und da du deutlich klar machst, was es dir bedeutet, behalte ich es.« Ich leckte mir die Lippen. »Und ob du die Lösung bist, oder einfach nur reine Zeitverschwendung, werde ich bald rausfinden.« Ein Lachen entkam mir. »Kannst nicht schlafen, wie niedlich, kleine Hexe. Mit gerade diesem lächerlichen Gejammer bist du ausgerechnet bei mir an der falschen Adresse.«

Sie kniff die Augen leicht zusammen. »Ich jammere nicht«, nuschelte die Prinzessin und trat mit genau demselben Abstand an die Reling und sah in den Himmel. »Du bist wirklich ein guter Lügner. Selbst Moha lügst du an. Aber schon okay, ich fange an, mich mit meinem Schicksal auseinander zusetzen. Wenigstens darf ich noch so eine Aussicht genießen, bevor es mit mir zu Ende geht.«

Ich hob eine Braue. »Ich lüge Moha an?«

Sie nickte nur und sah mich direkt an.

Ich strich mir die vom Waschen noch nassen Haare nach hinten. »Gut, ich hab angebissen. Wieso lüge ich Moha an? Und warum sollte es mit dir zu Ende gehen?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Tue nicht so«, meinte sie nur und sah runter ins Wasser, dabei legte ich meine Hand unbewusst auf meinen Bauch.

Ich kniff die Augen leicht zusammen. »Strapaziere meine Nerven noch eine Sekunde weiter, Kleine, und ich werf dich so oft ins Meer und zieh dich wieder raus, das du dir den Tod mehr als alles andere wünschen wirst.«

Sie ging mir so was von auf die Nerven!

Die Erbin sah mich an, wankte etwas nach vorne und zurück. »Ist mir egal«, erwiderte sie leise und blinzelte, während sie sich den Kopf hielt.

Ich kniff die Augen weiter zusammen. »Sprich!«

Was war mit ihr? Sie wirkte schwächlicher als sonst? Übergab sie sich möglicherweise wegen des Seegangs?

Den Kopf halb zu mir gedreht, blickte sie mich mit halb geöffneten Liedern an und wankte wieder. »Ich ... habe ... wirklich gearbeitet«, setzte Scarlett schwächlich an und blinzelte wieder. »Du ... Lügner, du hast gesagt, dass ich Essen bekomme, wenn-« Sie brach ab, fiel nach vorne auf die Knie und dann zur Seite auf den Holzboden, als sie das Bewusstsein verlor.

Was zum...?

Ich sah sie an. Ohnmächtig? Warum zum Teufel verlor sie das Bewusstsein? Schnaubend lief ich den einen Schritt auf sie zu und hob die verwöhnte Prinzessin hoch. Ein kleiner Schock erfasse mich, als ich bemerkte, wie leicht sie war. Sie wog ja kaum mehr als ein Sack Reis. Ein kleiner Sack.

»Moha«, brüllte ich und wenige Sekunden später, waren sie und noch sieben weitere aufgescheuchte Männer an Deck.

»Was zum-«, setzte sie an und wollte mir Scarlett abnehmen. Ich drehte mich weg und befahl ihr, den Smutje herzuschaffen. Sie sah mich irritiert an, warf einen letzten Blick aufs Scarlett und lief dann unter Deck.

Ich selbst Schritt mit der kleinen Hexe im Arm über das Deck und legte sie auf zwei Fässern ab, die am Rand der Reling standen.

Keine Minute verging, da stand der Smutje und mein erster Lieutenant schon wieder vor mir.

Erster sah mich verwirrt und verschlafen an. Als er Scarlett sah und sein Mundwinkel zuckte, begriff ich es. Ich wandte mich an die Kleine, nahm einen Eimer mit kaltem Wasser und schütte diesen über sie, sodass sie halb aufwachte. Dann wandte ich mich an meinen Smutje. »Wie kann es sein, dass sie halb verhungert ist, wenn ich dir doch ausdrücklich befohlen habe, ihre Rationen Essen zu geben?«

»Ich ... Kapitän, ich ...«

Knurrend unterbrach ich ihn, wandte mich an Scarlett, die noch immer nicht aufgewacht war, und gab ihr eine gepfefferte Ohrfeige.

»Aua!«, murmelte sie und hielt sich die Wange, während sie die Augen öffnete, diese aber wieder halb zu fielen. »Ich hasse dich«, nuschelte sie fix und fertig, öffnete die Augen wieder und sah mich erschöpft an.

Ich verzog das Gesicht. Schwächliches Ding. »Wann hast du das letzte Mal gegessen?«

»Hier-«, begann Scarlett und stemmte sich langsam auf, sodass ich auf einen der Fässer saß, »-noch ... gar nichts.« Sie sah mich verletzt und so unendlich müde an. »Ich ... schwöre ... Ich habe gearbeitet.«

»Ich weiß, das du gearbeitet hast. Ich hab dir auf deine verdammten Finger gesehen. Jedes Mal.« Gar nicht. Sie hatte noch gar nichts gegessen? »Erkläre dich«, sagte ich zum Smutje, sah aber die Hexe an. Eisig. Wütend. Ein bisschen besorgt. Immerhin war sie leider eventuell meine Rettung.

»Ich dachte, es ist in Eurem Interesse, wenn wir Nahrung sparen und nicht das Mauls einer dreckigen Hexenprinzessin stopfen.«

Moha knurrte leise. »Dann hast du dich beabsichtigt gegen die Anweisungen des Kapitäns gestellt?«

Ich sah Scarlett an. »Er hat dir nicht einen Happen gegeben? Nicht den kleinsten Krümel?«

Sie schüttelte den Kopf und schon wieder sammelten sich Tränen in ihren Augen. »Nein ... nie.« Schluchzend und wischte sie die Tränen weg. »Auch kein Wasser ... ich musst das Wasser trinken, dass ich ... dass ich zum Waschen nutzt, um überhaupt etwas trinken zu können.«

Ich erstarrte.

»Ich mag brutal und grausam sein und sehr sadistisch sein, aber ich bin kein Lügner. Und du, Harlard, hast mich mit deinem eigensinnigen Handeln zu einem gemacht.« Ich wandte mich ihm zu. »Ich sagte meiner Gefangenen, dass sie für geleistet Arbeit, Nahrung bekommt. Und das tat sie nicht. Wegen dir.«

»Kapitän, ich-«

»Du wirst für diesen Verrat ›Kielholen‹«, unterbrach ich ihn und die Mannschaft zog harsch Luft ein, während ich grinste.

»Kapitän! Ich ... Bitte!«

Diese Strafe kam einer Hinrichtung gleich, das war mir sehr bewusst und genau deshalb auch gesprochen.

Beim Kielholen wurden dem Verurteilten, also hier meinem Koch, an Armen und Beinen Seile gebunden, an denen man ihn unter dem Schiffsbauch durchzog. Bei der leichteren Form der Bestrafung zog man quer von der Seite auf die andere, bei der schweren dagegen längs am Kiel entlang, sodass die harten Schalen, der am Schiffsrumpf angewachsenen Seepocken, seine Haut zerschnitten. Gewöhnlich starb man während des Kielholens schon durch Ertrinken, Haiangriffe oder einige Tage später an seinen Verletzungen. Egal wie, man starb.

Und weil ich nichts weiter sagte, wusste Moha, was zu tun war.

Alles ging schnell und weiter meiner Männer kamen und bejubelten das Spektakel. Der Smutje flehte, weinte und landetet dann, nachdem die Taue angebracht waren, im nachtschwarzen Meer.

Meine Männer zogen am Seil, doch ich starrte nur Scarlett an. Sah sie an und betrachtete beobachtet sie.

»Ich bin vieles, aber selten ein Lügner.«

Sie rutschte von dem Fass und stützte sich, während ich zur Reling wankte und ins Wasser sah. Dann drehte sie sich herum und sah Hawk an.

»Ich ... darf also essen? Und ... und du hast nicht gelogen?«, fragte sie mit geröteten Augen.

Ich biss die Zähne zusammen, trat auf sie zu und packte sie an der Kehle. »Iss und nenn mich nie wieder einen Lügner.«

»Aber der Koch ist im Meer. Und du hast das Essen vorhin aus dem Fenster geschmissen. Wenn ich sonst um die Zeit nach Essen gesucht hatte, war nie was da und ich kann nicht kochen.«

Sie streckte den Kopf etwas zu mich hoch und legte ihn leicht schief.

Ich knurrte. »Moha! Geh mit ihr. Gib ihr Brot und Käse! Jetzt!«

Sie kam und zog Scarlett etwas von mir weg. »Aye, Kapitän.« Als sie weglief, sagte sie direkt neben mir noch: »Ich habe es dir ja gesagt.«

Ich packte sie am Arm, so wie sie die Kleine am Arm hielt und fauchte: »Spar dir das, erster Lieutenant. Sonst bist du die Nächste, die kielholt.« Sie biss die Zähne zusammen, nickte aber.

»Aye. Komm, Prinzessin. Oder willst du hierbleiben und zusehen?«

Jetzt war Moha von allen guten Geistern verlassen. »Ich hatte auch dir einen Befehl erteilt.«

»Und ich denke, da es dem Fettsack seine Schuld ist, dass sie in einem solch bedenklichen Zustand ist, hat sie das Recht, den Rest zu sehen, wenn sie es will.«

»Sie hat nur die Rechte, die ich ihr zugestehe.«

»Dann tu es.«

Wir starrten einander an und ich bereute, die schwarzhäutige Amazone damals nicht einfach umgebracht zu haben. Doch ...

Ich sah zu der kleinen Hexe, die sich kaum auf den Beinen halten konnte und wankte, wie ein Ast im Wind.

Sie sah von mir zu Moha und wieder zurück. Dann überlegte sie und nickte. »Ich will es sehen und ich will essen, bitte.« Sie wankte und hielt sich an Moha fest. »Entschuldige, ich glaube, ich bin nicht so stark wie du, Moha.«

Moha sah sie mitleidig an. »Das sind die wenigsten.« Sie sah mich an und schob mir Scarlett regelrecht in die Arme. »Halt sie, ich geh ihr Essen holen.«

Ich brummte, hielt das zierliche Persönchen aber automatisch fest. »Beeil dich.«

Ohne die kleine Hexe anzusehen, beobachtete ich meine Männer, die weiter in einem nur zu bekannten Einklang an den Tauen zogen.

»Eins! Zwei! Eins! Zwei! Zieht die Ratte um den Bauch! Eins! Zwei! Eins! Zwei!«

Ich biss die Zähne zusammen, lächelte jedoch, als der Smutje, – nun ziemlich tot – über der Reling, direkt neben uns auf das Deck platschte. Ich sah ihn an und zog, warum auch immer, Scarlett näher.

Ihm fehlte der halbe rechte Arm. In sein Bein war ein Loch gebissen und seine Augen waren weit aufgerissen. Seine Kleidung war durch die Seepocken zerrissen und die Haut darunter zerfetzt und schartig aufgeschnitten.

Blut suppte aus unzählbar vielen Wunden und ich genoss den Anblick in vollen Zügen. Nicht wegen der Hexe direkt, sondern weil er nicht auf mich gehört hatte.

»Kannst du dir jetzt vorstellen, wie gnädig ich zu dir war? Bei jeder deiner Verweigerungen.« Mein Blick traf ihren. »Ich habe so etwas den Leuten schon für weniger angetan. Schlimmeres sogar.«

Sie hatte sich automatisch in meine Tunika gekrallt und starrte den Koch an.

»Und-«, begann sie und sah zu ihm hoch, »-wieso hast du das nicht mit mir gemacht? Wieso hast du mich nicht einfach sterben lassen? Damit du mich weiter nehmen kannst? Mich als Druckmittel nehmen kannst? Jetzt wo du weißt, dass mein Vater mich nicht lebend brauch, wieso bringst du mich nicht um?«

Ich verdrehte genervt die Augen. »Weil du, bedauerlicherweise und zu meinem größten Leid, noch immer die Lösung für den Fluch sein könntest. An den du, lass mich raten, nichts glauben kannst, weil es ja auch keine Hexen gibt.« Ich sah auf sie hinab, auf die Finger, die sich in meine Tunika krallten. »Und weil ich dich nehmen will und auch, weil ich mit dir dennoch eine Menge Schiffe kapern kann.«

»Ich verstehe«, meinte sie leise und sah wieder zu der Leiche. »Ich hab solch einen Hunger. Es war so anstrengend vor dir so zu tun, als hätte ich keinen.« Scarlett lehnte sie dichter an ran, drückte das Gesicht erschöpft gegen meine Brust und atmete ein.

Mein gesamter Körper erstarrte und ich stieß sie von mir. Stolpernd fiel sie zu Boden und ich starrte sie an.

»Vorsicht, kleine Hexe. Ich bin nicht weniger gefährlich als die Haie unter der Wasseroberfläche.«

Als ich Moha mit dem Essen kommen sah. Rief ich ungeachtet der Blicke Scarletts meinen Männern zu. »Bindet den verräterischen Fisch an den Vordermast! Ich will seinen Körper dort hängen sehen, bis die Maden aus seinen Augenhöhlen kriechen.« Ich sah die Kleine an. »Damit auch jeder versteht, was passiert, wenn man meinen Anweisungen nicht Folge leistet und sich stur stellt!«

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