24 Fühle 52 Minuten.

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❰  L I A M  ❱





Der Bass dröhnte unter meinen Füßen und ich nippte an meinem ersten Gin Tonic und sah auf die unzähligen Tequila-Gläser, die geleert werden wollten. Andy übertrieb mal wieder und ich konnte mir denken, woran es lag. Das MARQUEE war für den Samstagabend enorm gut besucht. Die VIP Lounge war voll, genauso wie die Tanzfläche für das primitive Fußvolk.

Seit einer halben Stunde versuchten zwei It-Girl meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, dabei war es Andy, der ihnen eine Runde Champagner nach der Nächsten spendierte. Monica spielte ständig mit ihrem schwarzen, stark gelockten Haar und erinnerte mich an Danielle, wenn da nicht dieses komische Muttermal auf ihrer Wange wäre.

Anastasia, zu meiner rechten Seite, mit feuerroten Haaren und blasser Elfenbeinhaut war nicht minder diskreter, als Monica und langsam fingen diese zwei Weiber an mich zu nerven. 

Ich beugte mich vor und griff nach dem ersten Tequila-Glas, derweil strich mir Monica über den Nacken und Anastasia raunte mir ins Ohr: „Wie wäre es, wenn wir diesen Ort verlassen und wohin gehen, wo sich weniger Leute aufhalten?"

Mir gegenüber musterte mich Andy und auch wenn er lediglich die Lippen aufeinander presste, sah ich, dass er Übels angepisst war. Immer wieder fiel sein Blick auf den beachtlichen Vorbau von Monica, den sie ungehemmt zur Schau stellte.

Diese Weiber waren wirklich abgebrüht. Sie wussten von meiner offiziellen Verlobung, aber anstatt das ich meinen Reiz verlor, hatte ich das Gefühl sie würden mich noch stärker jagen. Verstand einer die Frauen.

Ich antwortete Anastasia nicht, sondern prostete Andy zu und kippte mir die starke, alkoholische Flüssigkeit in den Rachen. Irgendwie war ich unzufrieden, obwohl ich vor drei Tagen erst Gebäudeklettern war und der starke Wind dafür gesorgt hatte, dass der Nervenkitzel höher war als üblich. Auch die Spritztour Motocross-Rennen hatte mich nicht gerade gepusht. Ein paar gewagte Manöver hatten Harry äußerst wütend gemacht, aber letzten Endes sollte er sich nicht so anstellen.

Wo blieb der Kerl überhaupt?

Plötzlich spürte ich Anastasias Hand auf meinem Knie und vernahm, wie sie ein klares Ziel verfolgte. Statt ihr zu sagen, sie sollte es sein lassen, ließ ich sie gewähren und dann katapultierte sich meine Laune auf den Tiefpunkt, denn Shahids beschissene Musik dröhnte aus den Boxen.

„Scheiße Mann!", entwich es mir. „Wer hat diesen Gesichtselfmeter eigentlich ins Tonstudio gelassen?"

Andys Mundwinkel zuckten belustigt. „Ach komm, es lässt sich aushalten", rief er mir entgegen, denn die Lautstärke war hochgedreht worden. 

Bevor Anastasias Hand an meinen Oberschenkel nach oben kriechen konnte, stand ich auf und zog mein Handy aus der hinteren Jeanstasche. 

 Harry rief an. 

Kurz klopfte ich Andy auf die Schulter, dann steckte ich mir einen Finger ins Ohr und presste das Handy an das andere.

„Alter, wo bleibst du, es ist gleich halb eins!", brüllte ich gegen den akustischen Müll. Harrys Stimme klang, als würde sie von ganz weit weg kommen. Mir entging der gehetzte und besorgte Tonfall nicht.

»Liam, hörst du mich?«

„Ja!", rief ich so laut ich konnte. „Wo bist du, wieso kommst du nicht!"

»Ich kann nicht, du musst herkommen – ich«

„Was?", scheiße, wo trieb er sich herum? Im Hintergrund waren mehrere Stimmen zu hören, als würde ein Durcheinander herrschen.

»Ich bin im Kings County Hospital Center, der Empfang ist-«

Was zum Teufel machte er im Krankenhaus? Sofort ging mir die Pumpe und ich spürte Nervosität in mir aufsteigen. 

„Jetzt lass dir nicht alles einzeln aus der Nase ziehen", brüllte ich und wünschte, ich könnte in diese verdammten Boxen treten. Das Gejaule zerrte an meine Nerven.

»Auf Niall wurde geschossen, ich habe keine Ahnung was los ist! Kannst du-«

In diesem Moment erstarrte mein Körper und jemand presste mir sämtliche Luft aus der Lunge. „W-Was? Harry, ich – was ist mit Niall?"

»Das weiß ich nicht, hier sagt mir keiner etwas, es ging alles so schnell, die Schüsse und – Verdammt, Liam, wir wollten nur was essen und dann sprang uns dieser Typ in den Weg und- «, er unterbrach sich selbst. Seine Stimme war getränkt in Panik. Dann setzte er hastig hinzu: »Ich muss auflegen! Da kommt der Arzt, er-« 

Direkt darauf war die Leitung tot.

In meinem Kopf drehte sich alles.

Auf Niall wurde geschossen. Auf Niall wurde geschossen. Auf Niall wurde geschossen.

Immer wieder hallte Harrys hysterische Stimme in meinem Kopf wieder. Der Job war schuld daran. Dieser Bobby Donnell und seine Klienten von gesellschaftlichen Abschaum!

Ohne Andy und den dämlichen Hühnern Bescheid zu geben, verließ ich fast schon flüchtend den VIP Bereich und rauschte nach draußen.

Was, wenn Niall lebensgefährlich getroffen war? 

Was, wenn er starb? 

Was, wenn man ihn nicht retten konnte?

Was, wenn die Ärzte überfordert waren? 

Was, wenn die Hilfe zu spät kam?

Ich raste an die frische Luft, doch noch immer rauschte es in meinen Ohren und es dauerte mir viel zu lange, bis Basil endlich den Wagen vorfuhr. Ich ignorierte die Papparazzi, die sich auf mich stürzten und verfluchte kurz darauf den lahmen Verkehr in New York.

Unzählige Szenarien geisterten mir durch den Kopf.

Meine Wut über seine Sturheit war wie weggeblasen, stattdessen dachte ich nur noch daran, dass eine einzige Kugel Niall von Innen zerfetzt haben könnte, dass ich nie wieder seine tadelnde Stimme hören würde, mich nie wieder darauf verlassen konnte, dass er einfach da war. 

Es war, als würden mir unzählige Abende, die ich noch mit ihm hätte verbringen können, einfach durch die Finger gleiten. 

Die Tatsache, dass wir nie wieder zusammen zocken würden, dabei über den größten Mist diskutierten und uns gegenseitig provozierten, oder nie wieder dummes Dosenbier tranken und er sich bei mir beschwerte, wie tragisch es war, dass ich mein Hirn nicht nutzte, ließ Panik in mir aufwallen.

Panik, die sich grausam durch meine Adern fraß.

Wenn Niall etwas passiert war, wenn der Schuss ihn- ich konnte den Gedanken fast nicht zu Ende fassen, denn mir wurde übel dabei.

Am Kings County Hospital Center sprang ich geradezu aus dem Wagen. Die knappen vierzig Minuten Fahrt bis hier hin hatten mich unglaublich aggressiv und nervös gemacht. 

Mit Niall musste alles in Ordnung sein! Es musste ihm geholfen worden sein, wenn nicht würde ich diesem verdammten Krankenhaus die größte Klage des Jahrhunderts auf den Hals hetzten. Ich würde gleich definitiv jemanden eine Reinschlagen! Ich würde platzen und die Nerven verlieren.

Atmen fiel mir unglaublich schwer. Ich wünschte, ich könnte drauf verzichten. Ein starkes Schwindelgefühl erfasste mich.

„Wohin wollen Sie?", wiederholte sich die dämliche Pute am Empfang hinter der Glasscheibe zum zweiten Mal. 

Wollte sie mich verkackeiern! 

Ich wandte mich ab und wählte Harrys Nummer, dabei schlug mir das Herz erneut bis zum Hals.

„Wo bist du?", rief ich viel zu laut, als ich merkte, dass er abgehoben hatte. Harry antwortete nicht sofort, weshalb ich ihn durch das Handy anbrüllte: „Spuck's aus Mann!"

»Zweites Untergeschoss, Raum 210«, kam es zittrig von Harry und dann legte ich auf. Fahrig sah ich mich um und drückte kurz darauf unruhig den Knopf für den Fahrstuhl, doch er kam und kam einfach nicht, als stieß ich die Tür zum Treppenhaus und nahm immer zwei Stufen auf einmal. 

Meine Schritte hallten an den Wänden entlang, beinahe wäre ich mit einer Schwester zusammen gestoßen.

Viel zu schwungvoll riss ich die Tür zum zweiten Untergeschoss auf und spürte, dass mir regelrecht der Schweiß über das Gesicht lief. 

Vor Angst.

206... 207... 208...

Mein Blick glitt nur noch über die Nummern an den Türen, ich hörte meinen eigenen hektischen Atem und und mit jeder weiteren Sekunde wurde die Angst um Niall größer und größer.

209... 210... 211...

Ich blieb stehen, keuchend und mit geballten Händen, nur um das Zittern zu unterdrücken. Zögernd ging ich einen Schritt zurück und sah auf die 210 an der Tür. Wollte ich wissen, was mich erwartete? Wollte ich es wirklich wissen?

Mit eiskalter Hand drückte ich die Klinke herunter und öffnete die Tür. Einen Atemzug später gefror mir das Blut in den Adern. 

Die Temperatur schien um gefühlte zehn Grad zu fallen. Das ultraviolette Licht ließ den Raum brutal steril wirken, wahrscheinlich war er das auch. Die Wände waren gefliest und ich brauchte genau fünf erzwungen ruhige Atemzüge um zu begreifen, wo ich hier war.

In der Leichenhalle.

An den Seiten standen mehrere silbrige Wagen. Gefaltete Tücher lagen auf eben jene Wägen. Rechts von mir erstreckte sich eine Wand mit kleinen Türen, so wie Kühlschränke und ich wusste sofort, dass man darin frische tote Körper aufbewahrte.

Eine unsichtbare Hand legte sich um meine Kehle und drückte zu. Mit dem Ärmel wischte ich mir über das Gesicht und versuchte zu schlucken. Stattdessen hustete ich nur. 

Zehn Meter von mir entfernt saß Harry auf eine Bare. Eine Tür des Kühlers stand offen. Sein Blick war ruhig, als er den meinen traf. In seinem bunten, dunkelgrünen Hemd wirkte Harry in dieser eisigen Umgebung völlig fehl am Platz. Er hatte die Hände auf den Knien abgestützt und musterte mich. 

„Hi Liam."

„W-Wo ist Niall!", entwich es mir gepresst. Doch statt mir zu antworten, sah Harry an mir auf und ab. Ich trat ihm entgegen, mein Puls raste immer noch. „Harry, wo verdammt noch mal ist Niall!"

Der Dunkelhaarige sah auf die Uhr: „Bravo, 52 Minuten hast du bis hier hin gebraucht. Erzähl mir, wie hat sich das angefühlt?"

In diesem Moment riss bei mir ein Faden, ich ergriff Harry am Hemdkragen und brüllte ihn an: „Sag mir sofort wo Niall ist!"

Die Sicherung knallte bei mir buchstäblich durch. Harry blieb erschreckend ruhig, er umfasste meine Handgelenke und die Wärme seiner Hände ließ mich tief durchatmen. Es dauerte unendlich lange, bis die Ruhe meines Freundes auf mich über ging. Nur langsam schaffte ich es, dass meine Finger sich entkrampften und ich Harry wieder los ließ.

Angestrengt zwang ich mich immer weiter zu atmen und die Panik zu unterdrücken. Harrys Stimme sorgte dafür, dass der feste Griff um meine Kehle sich langsam löste. Stück für Stück.

„Liam, Niall liegt zu Hause in seinem Bett, oder ackert Akten durch, die er mal wieder nicht auf der Arbeit geschafft hat."

Ich musste mich auf der Liege abstützen. 

Mein Puls beruhigte sich und ich schloss die Augen. Grenzenlose Erleichterung erfasste mich. Mehrmals musste ich mir vorsagen, dass Niall nichts passiert war. Ihm ging es gut, keine Kugel hatte ihn zerfetzt, niemand hatte mir die Chance genommen ihm noch einmal gegenüber zu treten.

„Also, wie haben sich die 52 Minuten angefühlt?", wagte Harry es erneut zu fragen und ich fauchte: „Ich poliere dir gleich die Fresse, du Arschgesicht!" 

Meine Beine gaben nach und ich sank auf die Knie. Nie hätte ich geglaubt, dass es mich so aus der Spur werfen würde. Harry hatte mir buchstäblich den Boden unter den Füßen weggezogen. Nur langsam fühlte es sich wieder so an, als würde die Panik wahrhaftig aus meinem Körper verschwinden und mit ihr diese unerträgliche Angst.

Harry setzte sich neben mich auf den kalten Boden. Eine Weile sagte niemand von uns etwas, dann sprach er: „Tut mir leid, aber anders begreifst du es nicht."

„Was begreife ich nicht?", fluchte ich und Wut kochte in mir hoch. Er zog einen Flachmann hervor und reichte ihn mir, doch ich konnte ihn nicht annehmen. „ Hast du sie noch alle? Über so einen Scheiß machte man keine verdammten Witze!"

Darauf ging Harry nicht ein.

„Diese 52 Minuten hat Niall im letzten Jahr vier Mal mitgemacht", erklärte mir Harry plötzlich ruhig. Er streckte die langen Beine aus. „Mitten in der Nacht klingelt das Telefon, man erklärt ihm, dass dir etwas passiert ist und du im Krankenhaus bist. Der Weg von seinem Zuhause bis ins Krankenhaus ist jedes Mal das Schlimmste."

Ein seltsamer Geschmack breitete sich in meinem Mund aus. Ich konnte Harry nicht ansehen. Hitze wallte in mir auf. Mir wurde übel und ich ließ mich nach hinten auf meinen Hintern fallen. 

„Von Niall bis ins Kings County Hospital Center dauert es 71 Minuten. Ich weiß das so genau, weil ich ihn zweimal angerufen habe und zehn Minuten vor ihm eingetroffen bin. 71 Minuten, lass dir das auf der Zunge zergehen, Liam.  4260 Sekunden in denen du an nichts anderes denken kannst, als an das Schlimmste."

Harry sah mich an, in seiner Stimme war kein Vorwurf zu hören, sondern absolute Nüchternheit: „Als du dein Auto im Schaufenster von Dior geparkt hast, haben Niall und ich zuerst die Unfallstelle gesehen und sind dann fälschlicher Weise hier runter geschickt worden." Er lächelte angespannt und sein Gesicht wirkte Müde und erschöpft. „Wir haben geglaubt, dass du hier liegst. Es war ein beschissenes Gefühl. Aber weißt du, was noch schlimmer war?"

Wir blickten einander an. Ich wollte es nicht wissen.

Harry nahm darauf jedoch keine Rücksicht: „Das es dir egal war, wie wir uns fühlten."

Ich wollte sagen, dass es nicht wahr war, aber ich konnte nicht. Denn das Grausame war, dass Harry recht hatte. Überfordert rieb ich mir über das Gesicht.

„Wir sind deine Freunde, Liam, wirklich. Aber dein Drang dich in Schwierigkeiten zu bringen macht es nicht leicht es auch weiterhin zu sein", er nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Flachmann. „Die Stunts beim Motocross-Rennen und deine Unvernunft beim Gebäudeklettern haben es einmal mehr gezeigt. Du hörst auf niemanden und bist dir selbst scheißegal. Sonst würdest du auf dich aufpassen und aufhören einen Adrenalinkick zu suchen, der dich das Leben kosten kann."

Ich dachte an das Motocross-Rennen bei dessen Sturz ich Glück gehabt hatte, genauso an den starken Wind, der am Tag des Gebäudekletterns mein Adrenalin stark nach oben getrieben hatte. Dann hörte ich Sophias Stimme.

 „Tu mir den Gefallen und brich dir das Genick."

Der Satz bekam eine ganz andere Bedeutung.  

„Niall wollte es nicht darauf ankommen lassen, irgendwann noch einmal hier runter zu müssen, nur um festzustellen, dass du wirklich hier liegst", sprach Harry weiter. Seine Stimme jagte eine Gänsehaut über meinen Körper. „Und ganz ehrlich, ich kann das verstehen und ich hoffe, du nun auch."

Die Vorstellung, dass ich diese 52 Minuten noch einmal erleben müsste, sorgte dafür das mein Puls sofort wieder hoch ging. Mir war, als würden Nialls Worte durch den Raum hallen. Er irrte, ich war durchaus dafür verantwortlich, wie meine Freunde sich fühlten.

„Ich bin immer als Freund für dich da", setzte Harry hinzu. „Aber wenn du nicht zur Vernunft kommst, dann werde ich solche Aktionen weiterhin machen. Und ich verspreche dir, du wirst jede einzelne Aktion so ernst nehmen, wie diese hier. Dafür bin ich erfinderisch genug."

Erneut reichte er mir den Flachmann und dieses Mal nahm ich ihn an. Harry musterte mich: „Fang an für dich selbst Verantwortung zu übernehmen."

„Und das von einem Kerl, der sich die Birne mit Joints zudröhnt", höhnte ich trocken. Doch Harry antwortete prompt: „Trotzdem mache ich mit zugedröhnter Birne nicht so viel Scheiß wie du."

Ich schmeckte Wodka und fühlte mich um Jahrzehnte gealtert.

„Fang an dir Hobbies zu suchen, die dir einen Adrenalin-Kick verschaffen, ohne, dass du dabei draufgehen könntest."

Nun schnaubte ich: „Irgendwelche Vorschläge?"

„Geh in Hallen klettern", schlug Harry vor und ich sah ihn an, als hätte er verkündet, er wäre eine Frau im falschen Körper.

„Sonst noch langweilige Ideen?", fragte ich. Der Schock des Abends sackte langsam, doch trotzdem blieb ein ekelhafter und bitterer Beigeschmack. Ich hörte Harry nur noch mit halben Ohr zu. Vernahm etwas von Skaterhallen, gesichertes Bungeejumping, Online-Autorennen und all diesen langweiligen Quatsch. Ich wusste jetzt schon, dass all dieser Bullshit mir nicht das geben würde, was ich brauchte. 

Der Kick blieb todsicher weg.

Meine Gedanken kreisten nur um eines: Ich musste mich bei Niall entschuldigen, auch wenn ich nicht glaubte, dass es irgendetwas ändern würde. Aber vielleicht war es auch etwas anderes, warum ich nach einer Ausrede suchte, um bei Niall anzutraben, ohne, dass ich dabei wirkte, wie ein Loser. 

Ich wollte, dass es wieder so wurde wie vorher. Das er einfach da war, weiter mein Leben kreuzte und mir die richtige Richtung zeigte.

Denn das hatte Niall durch seine moralischen Predigten getan. Ich hatte mich orientieren können und jetzt musste ich das alleine tun.

„Und schon hörst du nicht mehr zu", stellte Harry fest. Ich vergrub den Kopf in den Händen: „Tut mir leid." Das meinte ich ernst und es fühlte sich komisch an. Bislang hatte ich mich selten aufrichtig entschuldigt, sondern meistens nur, weil man es von mir erwartete.

Harrys grünen Augen musterten mich und es erschreckte mich, dass er mich scheinbar so viel besser kannte, als ich glaubte. „Liam, Niall geht es gut, wirklich. Aber es ist gut zu sehen, dass du nicht so abgebrüht bist, wie du dich gibst."

Nun verzog ich das Gesicht. „Das hindert mich nicht daran, dir eine reinzuschlagen, das weißt du, ja?"

Ätzend erhob Harry sich und reichte mir die Hand: „Ja, natürlich. Davon träume ich Nachts, denn dann kann ich mich einreihen bei den Leuten, die deine Faust schon ablecken konnte."

Das Grinsen auf meinen Lippen war wackelig und ich ließ mich von ihm hochziehen. Dann sprach ich, ohne auf das Thema zu achten: „Tu das nie wieder."

„Doch, auf jeden Fall. Denk einfach daran, wie dir der Arsch auf Grundeis ging, wenn du das nächste Mal mit dem Gedanken spielst einen gefährlichen Kick erleben zu wollen", erinnerte er mich. „Ich verspreche dir Liam, ich meine das ernst. Fang an auf dich aufzupassen. Sonst landest du wirklich hier."

Ich ließ meinen Blick durch den kalten Raum gleiten. Er machte mir keine Angst. Was mir wirklich Angst machte, war der Gedanke, dass einer meiner Freunde hier enden könnte. 

Eine grausame Vorstellung. 

Als ich mich zu Harry umdrehte, lehnte er gegen den Türrahmen und hielt sein Handy in den Händen. „Lass uns was trinken gehen. Deine Gesichtsfarbe ist ungesund."

„Keine Ahnung woran das liegen könnte", antwortete ich sarkastisch.

Wir verließen die Leichenhalle und mit jedem weiteren Schritt hätte ich mich besser fühlen müssen. Doch das tat ich nicht. Dieses nagende, ekelhafte Gefühl von Angst blieb an mir kleben.

Harrys Schritte hallten neben meinen, wir traten nach draußen an die kühle Abendluft und in diesem Moment wurde mir etwas bewusst. 

Etwas, was Niall und Harry schon die ganze Zeit wussten. 

Die Erkenntnis war bitter, unschön und erschreckend. Aber sie war ehrlich und schonungslos. Harrys brutales Experiment hatte mir etwas vor Augen geführt.

Ich war der Leichenhalle näher, als dem Leben. 

Mein Kick wurde zu einem unausweichlichen Problem.

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