23 Beginn der Hype.

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❰  S O P H I A  ❱





Direkt nach der Verlobung überrollte mich der Stress. Ich schob doppelte Schichten, um wirklich alle achtzehn Entwürfe fertig zu bekommen. Louis war eine große Hilfe, aber er bestand immer darauf pünktlich Feierabend zu machen. Das schränkte ein, doch ich wagte es nicht mich drüber zu beschweren, da er mich von Anfang an darauf aufmerksam gemacht hatte.

Teilweise kam es mir auch gelegen möglichst wenig Zeit zu Hause zu verbringen und so die unauffällige Möglichkeit zu haben, Liam nicht über den Weg laufen zu müssen. Es machte mich sichtlich nervös zu wissen, dass er eine Audio besaß, die niemand je hören sollte. 

Ich war wütend und angeekelt von diesem Verhalten und vor allem ärgerte ich mich über mich selbst. Es war schwer sich ständig daran zu erinnern, dass Liam eigentlich ein absolutes Arsch war, wenn er öffentlich durchaus manierlich sein konnte.

Zweimal waren wir seit dem wieder draußen gewesen, immer mit Paparazzo auf den Fersen. Der erste Abend endete am Broadway und wir sahen uns Les Miserables an. Noch bevor der erste Akt zu Ende war, war Liam neben mir eingeschlafen. Da wir Balkonplätze hatten, sah ich das als meine Chance und entwickelte Fähigkeiten, mit denen mich Danny Ocean in seine Crew aufnehmen würde, um das nächste Casino auszurauben.

Wie eine Katze hatte ich mich über ihn gebeugt und sein iPhone aus sein Jackett gezogen. Das Dumme war der achtstellige Code seines aufgerüsteten iPhones, der mich schließlich aufhielt. Da ich nicht viel über Liam wusste probierte ich genau drei Zahlenkombinationen aus. Sein Geburtsdatum und die Zahlen eins bis acht vorwärts und rückwärts.

Zur ersten Pause erschreckte er mich schließlich zu Tode, indem er wie aus dem Nichts sprach: „Hat dir mal jemand gesagt, dass man nicht an fremde Handys geht?" Der selbstzufriedene Gesichtsausdruck hatte mich unglaublich wütend gemacht.

Der einzige Vorteil war, dass ich zwar nicht die Audio hatte löschen können, dafür aber nun wusste, dass Liam die Oper und das Theater hasste. Ich würde Mr Dominico darum bitten, uns möglichst viele Abende einzuräumen, an denen wir zum Broadway fahren konnten. Irgendetwas musste ich tun und wenn ich Liam damit auf die Nerven fiel, dann gut so.

Den zweiten Abend waren wir erneut beim Bürgermeister geladen und dieses Mal hielt sich meine Aufregung in Grenzen. Allgemein empfand ich diese Besuche als lästig. Nicht, weil ich Chirlane nicht mochte, sondern weil ich ständig im Hinterkopf hatte, was ich noch alles erledigen musste. Stattdessen hatte ich oberflächlichen Smalltalk mit gelangweilten und überreichen Snobisten führen müssen. Es war ermüdend.

Zweimal hatte ich Geoff in seinem Büro aufgesucht und ihm die Idee unterbreitet, dass Henry & Payne nur noch zwei Kollektionen im Jahr herausbrachten. Denn ganz ehrlich, ich hatte keine Ahnung, wie Geoff es fertig brachte ganze vier Stück Jahr für Jahr zu schaffen und zwar für jede Jahreszeit.

Eleanors Präsentation, wieso zwei Kollektionen im Jahr Marketing technisch cleverer war, hatte mich umgehauen und nun lag es an Geoff den Vorstand ebenfalls davon zu überzeugen. Wenn das stand, dann musste ich mich dringend nach anderen Models umsehen. Diese Klappergestelle konnte ich nicht über den Catwalk schicken. Nicht, wenn ich mich an die 60er halten wollte. Damals hatten die Mädchen noch essen dürfen.

Es war doch zum heulen.

Ich hatte nicht nur diese verdammten Spielchen mit Liam am Hals, sondern noch gefühlte tausend andere Dinge. Deshalb verbrachte ich die erste Nacht im Büro und wurde erst wach, als mir am Morgen irgendjemand an den Haaren zog.

Sichtlich verwirrt blinzelte ich und sah in das erfreute Gesicht eines Kleinkindes mit wuscheligen braunen Haaren und unglaublich großen blauen Kulleraugen.

„Hallo!", pustete mir der kleine süße Junge ins Gesicht und strahlte mich an, wie die Sonne. Stöhnend hielt ich mir den Kopf und bemerkte, dass ich im Büro auf der langen Couch lag und mein Rücken schmerzte.

„Wo kommst du denn her?", murmelte ich und schätze den Jungen auf zwei Jahre. Zu meinen Füßen lagen Malbücher und Buntstifte.

„Keine Sorge, ich habe ihn nicht in einem Kessel zusammen gerührt", teilte mir eine trockene Stimme mit und ich bemerkte Louis am Schreibtisch. Er brütete über unsere 18 Entwürfe und ging noch einmal die Details durch.

„Das ist deiner?", ich fühlte mich, als hätte mir jemand verkündet den Osterhasen gäbe es wirklich. Louis rollte mit den Augen und ohne mich anzusehen stellte er vor: „Sophia, das ist Freddie, Freddie, hör auf an ihren Haaren zu ziehen und male weiter."

Der Junge ließ sich auf seinen Hintern plumpsten und widmete sich wieder den Malbüchern. Ich stand schwankend auf, dann raunte ich Louis zu: „Du bist Vater?"

„Ja", gab er nüchtern zu und hob Entwurf #8 hoch: „Meinst du, wir sollten vielleicht noch einmal darüber nachdenken den Stoff des Mantels zu ändern? So richtig zufrieden bin ich noch nicht."

„Louis!", ermahnte ich ihn und stürzte fast zum Schreibtisch. Richtig wach war etwas anderes. „Wieso hast du mir nicht gesagt, dass du... also.. das du..."

„-Ein Dad bist?", beendete er meinen Satz und zuckte mit den Schultern. „Was spielt das für eine Rolle? Ich kann pünktlich Feierabend machen, Arbeit mit nach Hause nehmen und Freddie schränkt meine Arbeit nicht ein."

Ich blickte auf den süßen Jungen, der sich artig mit sich selbst beschäftigte: „Und wieso hast du ihn heute mitgebracht? Ist der Informationstag für berufliche Eltern?"

„Im Kindergarten geht die Grippe herum und meine Schwestern weigern sich ein Seminar ausfallen zu lassen", teilte Louis mir mit. „Und meiner senilen Nachbarin konnte ich Freddie nicht überlassen. Am Ende entzieht man mir noch das Sorgerecht und nennt mich einen verantwortungslosen Idioten. Außerdem stört er hier nicht groß."

Da hatte Louis recht, denn Freddie babbelte zufrieden vor sich hin und schien nicht auf uns zu achten. Louis nun jedoch auf mich umso mehr: „Hast du hier übernachtet?"

„Ja", gab ich zu und ging in das angrenzende Bad, wo ich dank Eleanor ein Überlebenstäschchen hatte. Zahnbürste, Haarklammern, Deo – wieder einmal wurde mir bewusst, dass Eleanor mehr Ahnung von Krisenmanagement hatte, als sie zugeben würde. Das zerknitterte Kostüm tauschte ich gegen eine Notfallsbluse aus, genauso den dunklen Rock.

„Hast du eigentlich dein Hochzeitskleid schon?", fragte Louis, als ich mir die Haare frisch frisierte und mein Spiegelbild nicht mehr ganz so erschlagen aussah.

„Oh nein!", entwich es mir. Da war ja noch was. Als ich aus dem Bad trat, drehte sich Louis auf dem Schreibtischstuhl zu mir herum und musterte mich: „Kann es sein, dass dir gerade alles über den Kopf wächst?"

„Unsinn, Taylor hält meinen Terminplaner gut in Schach", wehrte ich mich, aber Tatsache war, ich hatte noch immer kein Hochzeitskleid. Jedes Mal, wenn ich durch die ganzen Kataloge und Skizzen blättern sollte, die sich auf meiner Nachtkonsole stapelten, dann war ich unglaublich demotiviert. 

Ich konnte nicht einfach losziehen und in einem 0815 Geschäft ein weißes Kleid kaufen, so viel hatte mir Gwyneth schon verklickert. Sie hatte sich angeboten mit mir ein, zwei Labels zu besuchen, aber ich fühlte mich nicht wohl dabei mit ihr das Kleid auszusuchen. Schon als ich für die Gala geschaut hatte, hatte es sich angefühlt, als würde ich eine Bombe entschärfen wollen.

Louis musterte mich, dann neigte er nachdenklich den Kopf: „Das ist ein wichtiger Tag, ma puce, weißt du überhaupt schon, was du tragen möchtest?"

Nachdenklich lehnte ich mich gegen den Schreibtisch und musterte noch einmal die Entwürfe, die Louis und ich schon fertig hatten. Ich war überzeugt von ihnen, zumal sie Modernität und ein bisschen Vintage miteinander vermischten.

„Erinnerst du dich an deine Entwürfe bei Chanel, die man ablehnte?", sprach ich schließlich und Louis rieb sich das Kinn: „Du musst genauer werden, denn Chanel hat alle meine Entwürfe abgelehnt." Der Sarkasmus war nicht zu überhören.

„Da war dieses Kleid, es hatte etwas von dem Hochzeitkleid von Kate Middleton, also oben herum, nach unten war es ganz schlicht und einfach", beschrieb ich die Skizze, die ich bei Louis gesehen hatte. Er nickte verstehend: „Das aussah, wie jenes welches Sarah Burton unter Alexander McQueen gemacht hat?" Wir kannten Sarah Burton beide und kamen nicht mit ihr zurecht.

Eigenheiten waren bei Designer nichts Ungewöhnliches, aber Burton war zu extrem und dazu noch sehr engstirnig. Zusammenarbeiten waren definitiv nichts für sie.

„Du magst Spitze, hm?", stellte Louis überflüssiger Weise fest und ich gab freimütig zu: „Ja, jedenfalls ich mochte den Entwurf sehr, er war so klassisch und gleichzeitig irgendwie-"

„Alt?"

„Nein, verspielt. Chanel hätte sich schämen sollen, dass sie deine Entwürfe nicht beachtet haben", das war zumindest meine Meinung. „Aber allgemein hat Chanel sich nie um die Entwürfe von uns kleinen Lichter gekümmert."

„Und trotzdem haben sie Geoff Payne eine Stange Geld aus den Rippen gezogen, als er dich freikaufte", sprach Louis belustigt. „Sag mir, weiß dein Kerl, dass du deinem Schwiegervater eine Menge Moos schuldest?"

„So teuer wie du war ich nicht", hielt ich sofort dagegen und wunderte mich einmal mehr, woher Louis so viel wusste. Er grinste breit, dann erhob er sich aus dem bequemen Stuhl und drückte mich ins Polster: „Mal angenommen, ich finde wie durch ein Wunder dieses Kleid, dass dir gefallen hat. Lohnt sich die Suche, oder sollte ich es besser lassen und meine Nächte mit schlafen verbringen?"

„Louis, bis zur Hochzeit sind es noch knapp fünf Wochen und du hast genug zu tun", wehrte ich ab, aber alleine die Vorstellung, dass er diese Knochenarbeit auf sich nehmen würde, rührte mich. 

Er beugte sich über den Schreibtisch: „Ich will eine Woche Urlaub im August und zwei Nachwuchskräfte aussuchen. Deine Maße nehme ich morgen um neun Uhr und lass dir nicht einfallen eine extra Diät für deine Hochzeit zu machen."

„Du bist wahnsinnig, weißt du, wie viel Arbeit in so einem Hochzeitskleid steckt?", rief ich, doch er tat das mit einer Handbewegung ab: „Was soll's, am Ende darf ich sagen, dass dein Hochzeitskleid von mir ist und zusätzlich zu den angeforderten Extras lassen sich diese paar Nächte ohne Schlaf rechtfertigen."

„Ich habe noch nicht gesagt, dass-"

„Du wirst zustimmen, ich kenne dich doch, ma puce. Einmal Blut geleckt, krallst du dich an ein Kleid fest. Das Rote hat dir schließlich auch gefallen", meinte er lächelnd. Ich verkniff es mir, ihn darauf hinzuweisen, dass ich an jenem Abend der Gala keine andere Wahl gehabt hatte.

„Ich hole Freddie in zwei Stunden wieder ab", verkündete Louis selbstbewusst. „Dann habe ich die Auswahl der Stoffe durch und eines der Schneiderräume für mich. Du kannst dir ja in der Zwischenzeit Frühstück bestellen und ein paar Mandelas ausmalen."

„Na hör mal!", rief ich ihm nach und ehe ich mich versah, drückte Louis Freddie einen Kuss auf den Kopf, sprach: „Ich bin in zwei Stunden wieder da, bleib artig, mein Großer" und ließ mich mit seinem Sohn zurück.

Etwas missgestimmt, dass er über meinen Kopf bestimmte, sah ich nach, was ich für die Arbeit erledigen konnte, nur um festzustellen, dass Geoff schon mit dem Vorstand diskutierte, Eleanor ihn unterstütze und Louis für die Kollektion die nächsten Schritte einleitete. 

Während ich also ein paar Bewerbungsmappen neben Freddie, auf dem Boden sitzend, durchsah, fragte ich mich, wie Louis an einen so aufgeweckten und lieben Jungen kommen konnte. Er war nicht anstrengend, eher im Gegenteil. 

Nachdem ich den Bewerbungsstapel halbiert hatte, bat Freddie mich darum, ihm etwas vorzulesen. Ich lag also am Vormittag auf der Couch mit einem Zweijährigen und erzählte Kindergeschichten. So hatte ich mir das eigentlich nicht vorgestellt. Es war ungewohnt entspannend. Zum ersten Mal seit langen dachte ich nicht ständig an die Kollektion und das sie kein Misserfolg werden durfte.

Trotzdem war ich ein wenig erleichtert, dass Louis Freddie wahrhaftig nach zwei Stunden wieder abholte und erklärte, er habe sämtliche Stoffe zusammen und zwei Helfer aufgetrieben, die ihm nicht unqualifiziert vorkamen. Ich bezweifelte, dass Geoff überhaupt unqualifizierte Schneider beschäftigte, hielt allerdings den Mund.

„Dann kann ich ja jetzt helfen und-"

Louis, der gerade Freddies Sachen eingepackt hatte und seinen Sohn hochhob schüttelte den Kopf: „Nein, du hast draußen Besuch, da ist jemand, der mit dir zum Lunch will."

Oh bitte nicht Liam, auf seine Gesellschaft konnte ich gerade echt verzichten. Gott sei dank war es nur Grace, die mich im Vorzimmer erwartete. Wieder trug sie ihre niedliche Schuluniform und strahlte mich an. Louis drückte sich mit Freddie und einer gepackten Tasche an uns vorbei und dann sprach ich: „Hey Grace, schön dich zu sehen."

„Meine letzten beiden Stunden sind ausgefallen und da dachte ich, ich frage ob du bock auf Lunch hast", sie sah aus, als könnte sie kein Wässerchen trüben, doch ich fragte mich innerlich, ob sie nicht heimlich die letzten beiden Stunden einfach blau gemacht hatte. Laut Geoff war Grace eine gute Schülerin, aber auch artige Streber hatten dunkle Flecken auf der Weste.

„Das passt ausgezeichnet, Sophia hat eh Mittagspause", quatschte Taylor von ihrem Schreibtisch dazwischen: „Ein Update für deinen Terminplaner gibt es eh erst heute Mittag."

Es war irritierend sich von anderen Leuten immer wieder was sagen zu lassen. Obwohl Grace darum bat, dass wir Auswärts außen, war es mir lieber, wir besuchten nur die Cafeteria im zweiten Stock. Ich wollte mich nicht unbedingt mit einem siebzehnjährigen Mädchen durch eine Mauer von Fotografen kämpfen. Vor allem nicht jetzt, wo ich nicht unbedingt wach aussah.

Zu meinem Glück ließ sich Grace spielend überreden und dann fanden wir uns bei mittelmäßigen Sandwichs und Kaffee, beziehungsweise ich Tee, in der Cafeteria wieder. Schnell merkte ich, dass Grace überwiegend über die Gala reden wollte, mir ganz viele Fotos zeigte und ihre Absichten eigentlich ganz andere waren.

„Du, sag mal", begann sie betont gleichgültig. „Meinst du, Niall kommt auch zu eurer Hochzeit?"

Ich bezweifelte es aktuell, denn es sah aus, als hätten Liam und Niall irgendwelche Differenzen. Zeit gewinnend nippte ich an meiner Tasse und sprach: „Das weiß ich nicht. Ich habe noch nicht mit Liam darüber geredet, welchen von seinen Freunden er einlädt."

„Hm... Harry bestimmt auf jeden Fall, aber es wäre schön Niall zu sehen. Liam bringt ihn viel zu wenig mit. Dabei ist er doch wirklich okay." Ein leichter Rotschimmer legte sich auf Graces Wangen. Zu gerne hätte ich sie aufgezogen, doch ich verkniff es mir. Stattdessen fragte ich: „Möchtest du jemanden zur Hochzeit mitbringen, einen Begleiter?"

Sie schien darüber nachzudenken: „Hm, nein, die Jungen in meiner Schule sind Idioten. Wenn, dann will ich jemand Älteren."

„Ich schätze, Niall ist etwas zu alt", rutschte es mir heraus und dann wurde Grace noch röter. Sie biss verlegen in ihr Sandwich, kaute langsam und ich ließ ihr Zeit. Sie räusperte sich: „Nur acht Jahre. Leeann ist fast fünfzehn Jahre jünger als Dad."

Mit dem typischen Altersargument kam ich hier nicht weit. „Findest du das klug? Ich meine Niall ist Liams bester Freund und ich kann mir nicht vorstellen, dass dein Bruder es toll fände, wenn nun ja... du weißt schon."

„Es ist ja auch bislang gar nichts passiert", empörte sich Grace niedergeschlagen. „Wir haben nur auf der Gala getanzt und als es romantisch wurde, da hat Harry mit seiner doofen Blondine gestört und ist überhaupt nicht mehr abgehauen."

Kluger Harry.

Er hat den verkohlten Braten sicher noch gerochen, bevor Niall überhaupt etwas ahnen konnte, was im Köpfchen einer Siebzehnjährigen so vor sich ging. Wenn Grace nur halb so viel Dreistigkeit wie Liam besaß, dann sah ich dunkle Wolken für Niall aufziehen.

„Wie hast du meinen Bruder eigentlich in deine Fänge bekommen?", wollte Grace plötzlich wissen und ich verschluckte mich fast an meinem Kamillentee. Verdattert sah ich sie an und sie führte aus: „Du darfst mir gerne Tricks verraten, wie du es angestellt hast, ich meine, mein verblödeter Bruder ist – oder viel eher war – Jungesselle Nummer sieben, auf der Liste, der Top... was sagt man, Erben, die sich ins gemachte Nest setzten?"

„Ich kann keine Tricks", gab ich freimütig zu.

Grace sah mich misstrauisch an: „Dein Ernst?"

„Ja", bekräftigte ich. „Dieses schwer zu kriegen spielen und diese ganzen albernen Flirts, darin bin ich nicht sonderlich geschickt."

Sie ließ ihr Sandwich sinken und verzog das Gesicht: „Wenn du mir damit sagen willst, dass ich so sein soll, wie ich bin und dass du so meinen Bruder das Hirn zurecht gerückt hast, dann glaube ich dir kein Wort!"

Ich konnte ihr ja kaum erzählen, dass ich Liam auf Grund eines Vertrages getroffen hatte und wir versuchten uns zu arrangieren. Mehr oder weniger. „Wieso fragt du deinen Bruder nicht, wie Jungen dir ins Netz gehen?"

„Bloß nicht!", schnaubte Grace prompt. „Er würde mich auslachen und mir irgendeinen Scheiß erzählen und irgendwelche Witze reißen, dass ich erst Tipps von ihm kriege, wenn ich kein flaches Bügelbrett mehr bin."

Das klang definitiv nach Liam und das nicht nur, weil Grace seine Stimmlage täuschend kopierte. Nach einer Stunde zischte sie ab, scheinbar war ich ihr zu langweilig, da es mir gelang das Gespräch immer schön fern von Niall zu treiben. 

Während ich Grace nachsah, wie sie verschwand, um durch trendige Klamottenläden zu ziehen und ungesunde Softdrinks in sich reinzukippen, wünschte ich mir, ich wäre auch noch einmal siebzehn.

Anders als Grace, war ich nicht so locker durch die Welt spaziert, sondern verbrachte Stunden damit mich durch Modezeitschriften zu wühlen und davon zu träumen, all die Kleider eines Tages selbst zu tragen. Doch für ein Model war ich zu klein, zu dick und zu unauffällig. 

Der Traum war schnell ausgeträumt, aber der Wunsch nach all diesen edlen Kleider blieb. Ich malte mir aus, wie ich sie gestalten würde, was ich anders machen würde und irgendwann machte ich die ersten Schritte in diese Richtung.

Trotzdem war es nicht ganz so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Seit Wochen hatte ich nicht mehr selbst an der Nähmaschine gesessen, einfach weil mir die Zeit fehlte und unzählige andere Dinge vorab geregelt werden mussten. Mein Handy meldete sich und ich sah, dass Taylor meinen Kalender aktualisiert hatte. Scheinbar in Absprache mit Mr Dominico.

Schmunzelnd ging ich an Taylors leeren Schreibtisch vorbei und beschloss, dass ich die Schneiderei heute noch aufsuchte, um endlich einmal wieder selbst an der Nähmaschine sitzen zu können.

„Hätte ich gewusst, dass du nicht drauf stehst jemanden zu bestrafen, dann wäre ich es anders angegangen."

Liams Stimme erschreckte mich halb zu Tode. Er drehte sich lässig in meinem Schreibtischstuhl und ließ sein iPhone sinken. Sein Haar war zerzaust und er wirkte genauso unausgeschlafen, wie ich. Die Füße hatte er auf meinem Schreibtisch abgestellt und musterte mich, dann sprach er: „König der Löwen, das Phantom der Oper, die Schöne und das Biest, Sweeney Todd und West Side Story. Man, das habe ich nicht kommen gesehen. Sieht so aus, als würden wir am Broadway einziehen."

„Ich dachte, wir tun etwas für deine Bildung", sprach ich leichthin und schob seine Füße vom Schreibtisch. „Was willst du hier?"

„Direkt zur Sache", stellte Liam fest. „Müssen wir uns das wirklich antun? Ich schlafe besser in meinem eigenen Bett."

„Das sieht man", ich musterte die Schatten unter seinen Augen. „Feierst du deinen Junggesellenabschied vor, oder woher kommt deine Saufnase?"

„Das ist keine Saufnase, sondern ein ekelhafter Schnupfen", wehrte er ab und ich sprach: „Ich wüsste hier noch mehr Ekelhaftes."

Nun neigte Liam mit einem Schmunzeln den Kopf und betrachtete mich: „Immer noch nervös wegen der reizenden Audio?"

„Nein", antwortete ich nüchtern. „Du wirst sie eh nicht weiter schicken oder veröffentlichen, immerhin kannst du keine Skandale gebrauchen. Aber es stört mich, dass so etwas Primitives existiert. Hast du so etwas wirklich nötig?"

„Lass das Mal meine Sorge sein", sprach er leichthin. „Aber wenn diese Scheiß Musikals deine Art sind, dich an mir zu rächen, dann bin ich enttäuscht."

Sollte er doch. Meine richtige Rache würde schon kommen. Ich hatte da Geduld. „Was willst du überhaupt hier? Sind dir deine Hobbies zu langweilig geworden?"

„Im Gegenteil, ich gehe später Gebäudeklettern, wenn es nicht regnet."

„Tu mir den Gefallen und brich dir das Genick."

Sichtlich belustigt wurde das Grinsen auf Liams Lippen noch breiter: „Heute bist du aber launig. Soll ich dir dabei helfen deine Laune ein bisschen anzuheben?" Dreist ließ er den Blick über meinen Körper wandern und ich versuchte die unausgesprochene Provokation zu ignorieren: „Liam, noch mal, was willst du hier?"

Langsam griff er neben sich, dann nickte er auf den Schreibtisch. „Setzte dich, wir haben was zu entscheiden." Dann schlug er einen Ordner auf seinen Knien auf und legte die überkreuzten Beine wieder auf die Kante meines Schreibtischs. 

Widerwillig kam ich dem nach und setzte mich auf die dunkle Platte, dann begann Liam: „Also, wo heucheln wir am 31zigsten Dezember ein 'ja ich will'? Das Plaza, Astoria und Roosevelt Hotel würden sich darum reißen die Feier auszurichten. Wir könnten allerdings auch auf Henry Castle heiraten. Der Standesbeamte würde auch dort hinkommen."

Ich dachte nach und verschränkte die Arme vor der Brust. „Welchen Ort würdest du wählen?"

„Top of the Rock", schoss es aus Liam heraus. „Oder auf einem Boot, das dem Hudson River herunter fährt." Er zuckte mit den Schultern. „Man könnte auf dem Boot auch gleich essen, alle wären da und man würde sich den Stress sparen vor irgendwelchen Fotografen wegrennen zu müssen, wenn einer von denen uns vor einem Hotel sehen würde."

Da sprach das sachliche Auge, aber die Idee mit dem Boot gefiel mir. „Ich will das Boot und kein dämliches Hotel. Auf dem Top of the Rock könnte es regnen und mit einem Schirm in der Hand will ich nicht heiraten."

„Gebongt", sprach Liam und griff nach einem Kugelschreiber, dann schrieb er es auf. „Gäste habe ich bislang deinen Vater, deine Schwester mit ihren Mann, die zwei Kröten dazu und die üblichen zwei Verdächtigen Eleanor und Taylor."

„Und Louis", setzte ich hinzu. Ich hätte ihn wirklich gerne dabei, aber ob er kommen würde, hing wohl von meinem Glück ab.

„Was ist mit deiner Mutter?", fragte er und ich antwortete ohne mit der Wimper zu zucken: „Sie lebt nicht mehr, also fällt sie weg."

Liam reagierte darauf nicht einmal und fuhr fort: „Das Essen müssen wir noch aussuchen, immerhin müssen sie es vorab geliefert haben, oder ein Koch auf dem Boot sein."

„Zuerst einmal brauchen wir ein Boot", erinnerte ich ihn, aber Liam schien das nicht als Problem zu sehen: „Kriegen wir. Mein Onkel hat eins das er uns leihen wird, immerhin ist er ebenfalls eingeladen. Hübsche Nussschale, wird dir gefallen und es ist groß genug für alle."

Das Boot war sicher eine Yacht, so wie Liam davon sprach. „Heiraten wir Abends, damit wir nach dem Essen abhauen können? Dann sparen wir uns Kaffee und Kuchen und irgendwelche peinlichen Spiele."

„Abhauen wohin?", fragte ich verwirrt und ich nahm den Blick von dem dunkelgrünen Ordner: „Flitterwochen, Sweets. Das macht man in den Staaten so. Was dachtest du denn?"

Ich runzelte die Stirn: „Wir können nicht verreisen, ich muss arbeiten und-"

„Bis zum zehnten Januar hast du frei. Wir fliegen eh nicht, ist ja auch Silvester und ich habe da echt kein Lust acht Stunden oder so im Flugzeug abzuhängen."

Klang zumindest danach, dass wir in den Staaten bleiben würden. Ich seufzte: „Okay, sonst noch etwas?"

„Ja, such ein Bild raus, dass als offizielle Verlobungsfoto an die Presse geht", damit reichte Liam mir eine dünne Mappe und ich erkannte sofort, dass Ed auf der Gala sein Unwesen getrieben hatte. 

Verblüfft musste ich feststellen, dass der rothaarige Mann uns gestalkt hatte: „Das ist ja gruselig!" Es entfuhr mir fast schon geschockt, denn ich sah auf Bilder, die täuschende romantische Momente zeigte, die überhaupt nicht existiert hatten.

Sie zeigten uns, wie wir vor den Fotografen standen, Liam mir aus dem Auto half und schließlich das riesige Foyer, wo wir uns umsahen, einander ansahen. Würde ich es nicht besser wissen, würde ich uns für ein verliebtes Paar halten.

Hängen blieb ich an zwei Fotos, die am Ende kamen. Eines zeigte mir, wie Liam und ich auf der Treppe standen, kurz nachdem Geoff offiziell die Verlobung verkündet hatte. Das andere war entstanden, als wir uns auf dem Balkon in der Kälte getroffen hatten. Ich rückte auf dem Foto Liams Fliege zurecht, es sah schrecklich intim aus.

Schrecklich echt.

Irgendwie schnürte mir das die Kehle zu. 

„Das Letzte", sprach ich möglichst gleichgültig und reichte ihm die Bilder zurück. Liam sah nicht einmal drauf, sondern packte die Mappe wieder ein. 

„Gut, haben wir unsere Hausaufgaben gemacht. Fertig", damit schlug er den Ordner zu und sah mich an. „Nun denn, Sweets. Muss ich Angst haben, dass ich ein Messer im Rücken habe, wenn ich mich zu Hause umdrehe?"

„Lösche diese Audio-Dateil", wiederholte ich mich. Er würde mich so oder so nie wieder anfassen. Dafür würde ich sorgen. 

Statt mir zu antworten, schwieg Liam und mir war, als könnte er in meinen Kopf sehen und meine Gedanken hören. Seine Miene war verschlossen und das Grinsen auf seinen Lippen wirkte so unecht und berechnend, dass ich ganz langsam begriff, wie er tickte.

Ich durfte mich nicht darauf verlassen, dass Liam Grenzen kannte. Das Gegenteil war der Fall und demnach musste ich mit all dem rechnen, was ich selbst niemals tun würde.

Es war erschreckend.

Irgendwie würde ich seine Art Spiel durchhalten müssen. Vielleicht gelang es mir sogar die Regeln so zu nutzen, dass ich mich bald um andere, wichtigere Dinge kümmern konnte.

„Komm drüber weg, Sweets", vernahm ich Liams Stimme. „Ich lösche die Audio nicht und wir haben weiter keine Langeweile."

Der Wunsch, er möge beim Gebäudeklettern abstürzen, wurde immer größer.


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By the way, danke an Jenny für das wunderbare neue Cover!

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