20 Die Vorpremiere.
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❰ S O P H I A ❱
Tag X war sozusagen gekommen. Schon am morgen war ich unglaublich nervös und brachte kaum mein Frühstück herunter. Liam hatte ich die letzten Tage kaum gesehen. Nur zur Anprobe, als es darum ging seinen Anzug auf mein Kleid abzustimmen und dann abends einmal, als er auch schon wieder das Weite gesucht hatte. Er war wohl wirklich sauer und ich konnte es ihm nicht einmal verdenken.
Doch ich wollte mich auf gar keinem Fall in die Rolle des Opfers drängen lassen. Dafür war mir jedes Mittel recht, denn das Opfer war ich lange genug gewesen. Mein Anfall hatte mich selbst erschreckt, denn ich war irgendwie immer davon ausgegangen, dass ich mich im Griff hatte. Angesichts der Tatsache, dass ich ein gesamtes Jahr durchgehalten hatte und die Angst keine Überhand mehr gewann, hatte ich mich jedoch ganz passabel gehalten.
Jetzt stieg ich aus dem dunklen Jaguar und sah mich um. Basil begleitete mich, er hatte mir die Tür aufgehalten und holte nun einen schwarzen Kleidersack aus dem Kofferraum. Ich nahm ihn dankend ab und sprach: „Warten Sie bitte hier, ich werde hoffentlich nicht allzu lange brauchen."
Ich befand mich in einem heruntergekommenen Stadtteil von Brooklyn und fühlte mich gänzlich fehl am Platz. Nicht nur meiner übertreuen Erscheinung gab mir das Gefühl, sondern auch weil ich nicht ein Milchgesicht entdeckte. Auf der anderen Straßenseite musterte eine Gruppe Afroamerikanischer Männer mich verwirrt. Ich war mir nicht sicher, ob ich Basil nicht besser fragen sollte, ob der Jaguar kugelsichere Scheiben hatte und er nicht sicherer war, wenn er mit mir kam.
Ich schulterte den Kleidersack und sah auf die unzähligen Namenschilder. Niall wohnte irgendwo im 5ten Stock und ich stieß die Tür zum Treppenhaus auf. Es roch nach Urin und verbrannter Zeitung.
Du lieber Himmel, wo wohnte Niall hier denn?
Er stand im kompletten Gegensatz zu Liam und Harry und langsam fragte ich mich, wie er mit diesen beiden in Kontakt gekommen war, da ihre Leben unglaublich verschieden waren.
Im dritten Stock schob ich mich an einer Gruppe von sechs Mexikaner vorbei. Sie machten nicht gerade einen netten Eindruck und pfiffen mir hinterher. Das Klappmesser in der Hand des breitesten Mannes machte mich nervös und ich glaubte es noch auf und zu klappen zu hören, als ich den vierten Stock erreichte. Vielleicht hätte ich Pfefferspray mitnehmen sollen. Aber wer hätte auch ahnen können, dass Niall in einer Gegend zu wohnen schien, wo es normal war, wenn Tagsüber ein paar Schüsse fielen.
Als ich den fünften Stock endlich erreichte, da schnaufte ich laut und strich mir eine gelöste Haarsträhne aus dem Gesicht. Dann suchte ich die Türen ab, bis ich Apartment 189 fand und klingelte. Zu meinen Glück war Niall tatsächlich da, denn ich hörte es poltern und schließlich Schritte. Die Tür knarrte und er entfernte vorher ein Sicherheitsschloss. Wirklich nett, wie sicher die Nachbar zu sein schien.
Zerzaust und völlig verdattert starrte er mich an. „Sophia, was zum-"
„Hallo!", sprach ich fest und bemühte mich ihn möglichst breit anzustrahlen. Als wenn ich ihn damit irgendwie für meine Zwecke gewinnen könnte. Ich war nicht Eleanor, bei ihr reichte meistens schon der ultimative Kulleraugen-Blick und fast 80 Prozent aller Männer knickten ein. Ich hatte das nicht so drauf und sah oft aus, als hätte ich eine Wimper im Auge. Taylor verdrückte vor lauter Klimpern oft sogar Tränchen.
„Ich war gerade in der Nähe", log ich total dreist und dann hörte ich mehrere Türen knallen und laute Stimme. Okay, jetzt war ich mehr als nervös. „Darf ich reinkommen, oder hast du zumindest eine kugelsichere West für mich, die ich mir eben überwerfen kann?" Niall runzelte verwirrt die Stirn, aber ich wartete erst gar nicht ab und huschte in seinen Flur.
Sofort begriff ich, dass die Wohnung zwar äußerst klein und spärlich eingerichtet war, aber dafür sauber. Mehr als eine winzige Küche, Bad und Schlafzimmer schien es nicht zu geben.
„Weshalb bist du hier?", fragte er und ich riss meinen Blick von den unzähligen Unterlagen los, die sich auf dem kleinen Tisch in seiner Küche befanden. Ich hing den schwarzen Kleidersack an seine schmale Garderobe und sprach: „Ich habe gesehen, dass dein Name auf der Gästeliste für heute Abend durchgestrichen wurde. Da hat wohl jemand missverstanden, dass du abgesagt hast. Ich wollte mich deshalb noch schnell selbst versichern, dass du auch kommst und habe dir noch einmal eine Einladung mitgebracht, damit du auch reingelassen wirst."
Nun zog ich einen dunkelblauen Umschlag aus meiner Handtasche und hielt ihn Niall hin. Doch er nahm ihn nicht an. „Ich werde heute Abend nicht auf der Gala auftauchen, das hat schon seine Richtigkeit."
Langsam ließ ich den Umschlag sinken. „Wenn es um einen passenden Anzug geht, ich habe hier einen. Deine Maße habe ich geschätzt." Ohne abzuwarten zog ich den Sack auf und man sah den dunkelblauen Stoff, der Niall sicher hervorragend stehen würde.
Sein Gesicht verzog sich keinen Millimeter und langsam stellte sich mir die Frage, was wirklich das Problem war. Das Lächeln auf meinen Lippen dämmte sich langsam ein.
Ich räusperte mich. „Du willst also wirklich nicht kommen?"
„Nein", bekräftigte Niall. „Liam weiß das auch."
Das erklärte vielleicht auch Liams abgrundtief schlechte Laune. „Habt ihr euch gestritten?", fragte ich und im selben Moment hob ich die Hand. „Tut mir leid, dass ist natürlich eure Sache und geht mich nichts an."
Er sah auf den Anzug, dann sprach Niall ruhig: „So könnte man es sagen. Liam und ich haben Meinungsverschiedenheiten, die sich nicht klären lassen und so lange dies der Fall ist, dachte ich, dass Abstand das Beste für uns wäre."
Es klang bitter und ich umfasste die Einladung fester. „Das ist schade, aber ich glaube, dass sich Liam trotzdem freuen würde, wenn du kommst. Es wird ein wichtiger Abend und in der Regel möchte man dort seine besten Freunde dabei haben."
„Ich glaube nicht, dass ich Liam wirklich ein Freund bin", erklärte Niall mir ruhig und alleine an der Tatsache, dass er sich über so etwas Gedanken machte, zeigte mir, dass er es wirklich war. Ein bester Freund.
„Komm trotzdem und wenn es nur kurz ist. Denn ehrlich gesagt habe ich ein wenig die Nase voll von Liams schlechter Laune und ich wäre dir sehr dankbar, wenn du sie heute Abend zumindest für ein paar Minuten heben könntest", sagte ich und legte die blaue Einladung auf die abgenutzte Anrichte. „Überlege es dir. In sieben Stunden ist Einlass und sobald du genug hast, kannst du ja einfach gehen."
Ich bemerkte, dass Niall den Anzug musterte und der Zug um seinen Mundwinkel hart wurde. „Sophia, ich kann dir den Anzug nicht bezahlen, er ist sicher so teuer, wie mein Jahresgehalt hoch ist."
Zuerst wollte ich sagen, dass er ihn so oder so behalten sollte, da Henry & Payne diese Kosten mit links übernehmen würden. Aber bevor ich das laut aussprechen konnte, wurde mir eines klar.
Schon alleine an der Art, wie Niall wohnte, ließ sich erkennen, dass er sein eigenes Ding machte. Eigentlich war ich davon ausgegangen, dass Harry und Liam ihn doch unterstützen würden, wenn er das Geld nicht hatte, oder ihn bei sich wohnen ließen – in eine der zahlreichen Immobilien, die sie besaßen. Entweder sie hatten beide nie daran gedacht, oder Niall wollte es nicht.
Ich vermutete Zweites.
Es hatte sicher nichts damit zu tun, dass Harry und Liam nicht einfach mitzahlen würden, sondern ich konnte mir viel eher vorstellen, dass Niall eine gewisse Art von Stolz besaß, die man nur noch selten fand. Er war kein Schmarotzer, der sich von Freunden aushalten ließ. Und genau dieser Stolz sorgte dafür, dass ich ihn prompt noch mehr mochte.
„Bring den Anzug einfach zu mir zurück und dann sind wir quitt", sprach ich deshalb. „Sieh es als Leihgabe. Schuhe habe ich leider keine passenden dabei, hast du schwarze?"
„Ja, aber-"
„Na großartig!", unterbrach ich ihn unhöflich und schob mich zu Tür: „Das ist alles, was ich wissen wollte. Bis heute Abend, Niall."
„Ich habe noch nicht-"
„-zugesagt, ja ich weiß", an der Tür blieb ich stehen. „Ich wäre dir trotzdem unheimlich dankbar und Liam sicher ebenfalls. Auch, wenn er sich wohl eher ein Einhorn auf die linke Pobacke tätowieren lassen würde."
Ganz leicht zuckten Nialls Mundwinkel, aber der leichte Anflug eines Lächelns verschwand genauso schnell auch wieder wie er gekommen war. Was auch immer zwischen Liam und Niall vorgefallen war, es musste schlimm sein. Ich war zumindest hier gewesen und hatte es versucht. Seit dem kleinen Anfall im Aufzug wollte ich mich revanchieren für die Art, wie ich danach mit Liam umgesprungen war. Es war nicht richtig gewesen, ich hätte offen und ehrlich mit ihm darüber sprechen müssen. Aber ich konnte das nicht. Er würde mich dann behandeln wie ein rohes Ei und ich ihn sicher komplett überfordern. Ich wollte nicht, dass Vergangenes bestimmte wie ich mein Leben zu leben hatte.
„Meinst du, ich schaffe es sicher bis zum Auto?", fragte ich, bevor ich die Tür öffnete und Niall erwiderte: „Sieh keinem in die Augen, dann provozierst du niemanden."
Wie nett.
Ich verschwand wieder hinaus in den Flur und als Niall die Tür hinter mir schloss, war das Geräusch viel zu laut. Leider musste ich wieder an den Mexikanern vorbei. S5ie hörten sofort auf sich auf Spanisch zu unterhalten und ich beherzigte Nialls Rat.
Auf der Straße sprang Basil sofort aus den Auto und hielt mir wieder die Tür auf. „Wohin nun, Miss Smith?"
„Zurück nach Hause." Ich musste dort sein, bevor Eleanor und Taylor eintrafen. Die beiden wollten mir dabei helfen mich fertig zu machen und mir die Nervosität nehmen. Leider war ich wirklich arg spät dran und als ich das Foyer des Hochhauses betrat, in dem sich das Penthouse befand, da erklärte mir Mr Jones am Empfang direkt, dass zwei Damen ihm das Leben sichtlich schwer gemacht hätten.
Taylor und Eleanor saßen mit jeder Menge Gepäck im Wartebereich und musterten mich leicht angesäuert. „Ich bin zehn Minuten zu spät!", rief ich sofort. „Es tut mir leid, lasst mich euch helfen."
Ihre Kleider waren bereits im Penthouse. Nur ein paar Kleinigkeiten fehlten, außerdem hatten Taylor und Eleanor enorm viel zu Essen mitgebracht. Donuts, Chinesisch und Sekt, der uns in Vorstimmung bringen sollte. Beide wussten schließlich, dass die Verlobung heute Abend offiziell gemacht werden sollte. Nur das sie ein Fake war, dass blieb weiterhin ein gut gehütetes Geheimnis.
Das Penthouse war leer und ich vermutete das Liam sich bei Harry fertig machen würde. Wir hatten uns da nicht groß abgesprochen. Jetzt bereute ich das etwas.
Im Wohnzimmer ließ Eleanor den Korken knallen. Mochte sein, dass wir Champagner trinken könnten, aber irgendwie blieb man, egal wie alt man wurde, immer noch ein Stück man selbst. Ich war mir sicher, dass Taylor auch mit siebzig noch süßen Sherry trinken würde, während Eleanor auf ewig Baileys auf Eis bevorzugen würde.
„So Mädchen", sprach meine brünette Freundin. „Ab unter die Dusche und dann mache ich dir die Nägel." Ich ließ mich bereitwillig von ihr herumkommandieren und um drei erschien die gebuchte Stilistin, die sich um unsere Haare und unser Make-up kümmern sollte. Meine Haare wurden auf Lockenwickler gedreht und befestigt, dann begann sie bei Taylor und ich konnte es ehrlich gesagt kaum erwarten sie in ihrem himmelblauen Kleid zu sehen. Sie würde etwas Verspieltes von Sherri Hill tragen. Eleanor hatte ein schwarzes Kleid von Chanel, dass sowohl elegant, als auch reizvoll mit seinem großen V-Ausschnitt war.
Ich sollte dagegen eines von Cristina Săvulescu tagen. Ein schlichtes roséfarbendes Kleid mit stark bestickten silbrigen Brustteil. Es war hübsch, passte gut und sah elegant aus. Der Verlobungsring harmonierte dazu, meine bequemen Schuhe ebenfalls und alles in einem würde es ganz passabel aussehen.
Gwyneth und Leeann hatten stundenlang mit mir verbracht um ein akzeptables Kleid auszusuchen. Es war anstrengend und nervenaufreibend gewesen, allen voran, weil ich glaubte alleine viel schneller fündig zu werden. Im Prinzip hatte mir ihre Anwesenheit jedoch verdeutlicht, dass sie sicher sein wollten, dass ich Henry & Payne präsentierte, wie es sich gehörte. Außerdem waren wir den Schluck durchgegangen. Die wuchtige Halskette würde eine Leihgabe von Gwyneth sein, genauso wie die passenden Ohrringe von Leeann.
Gut gelaunt alberte ich mit meinen Freundinnen herum, überredete Taylor dazu einen knalligen Lippenstift zu wagen und riet Eleanor die Haare offen zu tragen. Sie waren nach einem neuen Friseurbesuch nur noch schulternlang und es wirkte sicher schmeichelhafter, als wenn sie hochgesteckt waren. Zumal diese Longbobs mit Wellen nun ein absolutes Muss waren.
Eleanor ließ sich gerade von der Stilistin im Wohnzimmer schminken, als ich in meinem Bademantel schnell ins Schlafzimmer wollte, um unsere Einladungen zu holen. Sollten meine Freundinnen und ich getrennt das Hotel betreten wollen, indem die Gala stattfand, so würden sie zumindest ohne mich sicher hinein kommen.
„Ich mache uns eine Flasche Rotwein auf!", rief Taylor noch und ich antwortete laut: „Nimm den aus der Küche, der ist fruchtiger und nicht ganz so teuer." Nicht das wir hier noch ein halbes Vermögen weg tranken.
Gerade, als ich die Treppen wieder runter tapste, hörte ich etwas rumpeln und einen erschrockenen Schrei. Sofort beschleunigte sich mein Herzschlag und ich ahnte Furchtbares. Geschockt sah ich, dass Taylor mit der Rotweinflasche im Wohnzimmer gestolpert war.
Flecken waren auf meinem zartrosa Kleid zu sehen, dass ich schon für die Ankleide bereit gelegt hatte, damit meine Freundinnen mir helfen konnten. Die blutrote Flüssigkeit sickerte unaufhaltsam in den Teppich, während Taylor sich hektisch aufrappelte.
„Ist dir etwas passiert, hast du dir weh getan?", rief ich, doch Taylor starrte nur auf mein Kleid: „Oh mein Gott, Sophia, es tut mir leid, das wollte ich nicht, ich-"
Unterhalb des Saumes sah man das Malheur. Brutal und nicht zu übersehen. Ich sollte in Panik ausbrechen, aber stattdessen blieb ich einfach nur unheimlich ruhig. So als wollte mir noch gar nicht in den Kopf, dass mein Kleid ruiniert war.
Ich konnte sehen, dass Taylor drauf und dran war ihr Make-up zu zerstören, da sie sich krampfhaft zwang nicht zu heulen. Das war eigentlich meine Aufgabe, doch ich konnte nicht heulen. Stattdessen hob ich die Flasche auf und sprach trocken: „Schade um den guten Wein."
In diesem Moment brach Eleanor in lautes Gelächter aus und bekam sich überhaupt nicht mehr ein. Sie erhob sich von ihrem Platz und die mollige Stilistin mit den stacheligen braunen Haaren besah sich das Kleid genauer: „Man müsste es in die Reinigung geben, aber das dauert und selbst dann kann es sein, dass es nicht sauber rausgeht."
„Ich weiß", entwich es mir, denn ich kannte den Stoff. Er war sehr empfindlich und ein Meter dieser Stofsortef unglaublich teuer. Schweigend ließ ich mich auf die Couch nieder und Eleanor reichte Taylor ein Kosmetiktuch, damit sie sich die Tränen weg tupfte, bevor sie zu laufen begannen.
„Du ziehst mein Kleid an!", beschloss Taylor energisch, doch ich wehrte ab: „Sei nicht albern. Ich weiß, dass es gut gemein ist, aber du bist viel größer als ich, es wäre mir an erster Stelle schon zu lang."
Eleanor hielt sich noch immer den Bauch: „Ich wusste, dass irgendwie so etwas in dieser Richtung passieren würde. Nun ja, ein Plan B gibt es nicht, oder?"
Ich nahm mir gerade ein sauberes Glas und kippte den Rest Rotwein, der sich noch in der Flasche befand, rein und dachte nach. Dann leerte ich das Glas in einem Zug und sprach: „Louis. Ich muss Louis anrufen."
Als wäre er die Lösung für alles.
„Was hat der Idiot damit zu tun?", wollte Eleanor wissen und reichte mir mein Handy. Natürlich war Louis ebenfalls zur Gala geladen, denn sowohl Geoff, als auch Joseph waren schon ganz wild darauf. Zumindest wirkte es so, als ich beide am Vortag auf dem Flur im Hauptgebäude getroffen hatte. Sie ließen sich zweimal versichern, dass er vorbei kam.
Nun wählte ich Louis' Nummer und nach dem dritten Klingeln hob er ab. Bevor ich auch nur irgendeinen Ton sagen konnte, sprach er: „Nein Sophia, ich werde mir keine Begleitung suchen, ich komme nachher alleine!"
Wir hatten erst gestern Abend noch darüber diskutiert, dass er sich doch bitte jemanden suchte, der ihn begleiten würde. Es machte mehr her, wenn man über den roten Teppich ging.
„Mich kennt da eh kein Schwein", setzte er gelangweilt hinzu und ich hörte im Hintergrund ein Kind plärren.
„Darum geht es nicht", beschwichtigte ich, doch bevor ich weiter reden konnte, würgte Louis mich ab: „Moment, Sophia, Lottie, kannst du mal eben-" Das Babygeschrei wurde leise, schließlich verstummte es und ich hörte, wie eine Tür auf und zu ging. Dann hallte Louis' Stimme, so als würde er sich im Bad befinden: „Was ist los?"
„Mein Kleid ist ruiniert", ließ ich die Bombe platzen und zuerst einmal schallte mir nur Stille entgegen. Mein Herz schlug bis zum Hals und ganz langsam erschlich sich mir, was für eine Katastrophe das eigentlich war. Denn ich hatte kein einziges Kleid, dass halbwegs akzeptabel für so eine wichtige Gala war.
Tief atmete ich durch, dann hörte ich Louis sagen: „Gott sei dank."
„W-Wie bitte?", entwich es mir und er sprach: „Ich fand das Kleid von Cristina Săvulescu furchtbar, das passte überhaupt nicht zu dir. Mag sein, dass Henry & Payne eine gute Firmenpolitik zu Cristina Săvulescu pflegen, aber das Kleid ist nicht gerade ihre beste Arbeit."
„Toll!", schnaubte ich nun. Nicht nur, dass er mir das auch ruhig eher hätte sagen können, sondern auch, weil mir das jetzt absolut nichts brachte. „Weißt du was, ich sollte den schwarzen Jumpsuit anziehen. Coco Chanel hat auch mit den Regeln gebrochen und sieh was aus ihr geworden ist."
Nun konnte ich förmlich spüren, dass Louis lächelte, doch seine Stimme blieb so trocken wie eh und je: „Du könntest. Vor allem, weil du genug echte Klunker haben dürftest, die deinen Jumpsuit ordentlich aufpeppen."
Das war genau das, was ich nicht hören wollte.
„Aber ich glaube, dass du mit deiner zukünftigen Familie ein paar Schwierigkeiten kriegen wirst", setzte Louis schließlich nach. „Revolutionieren solltest du vielleicht ein anderes Mal."
Was er nicht sagte.
„Louis, das hilft mir jetzt alles nicht", sprach ich gezwungen ruhig und er antwortete: „Ich weiß, aber was erwartest du nun von mir?"
Ja, was erwartete ich?
Hart schluckte ich und murmelte: „Gib mir ein Wunder, bitte. Du hast es bei Chanel schon einmal vollbracht. Das wird mein erster Auftritt auf einem öffentlichen gesellschaftlichen Ereignis und heute wird offiziell bekannt gegeben, dass...", ich ließ den Satz unvollendet, denn Louis wusste ganz genau, was heute anstand.
Die wichtigsten Geschäftspartner der Welt waren geladen, Konkurrenz, Werbepartner und die Presse.
Ich wollte, dass es perfekt wurde, doch gerade ging dieser Vorsatz unter lauten Getöse den Bach runter. In meinem Vertrag stand, dass ich die Anforderungen von Henry & Payne erfüllen musste und damit waren nicht nur meine Entwürfe gemeint, sondern auch, dass ich das gesellschaftliche Ansehen würdigte und Gwyneth und Leeann in nichts nachstand.
„Sophia?", seine Stimme drang nicht so richtig zu mir durch und ich schluckte hart: „Ja?"
„Ich will's hören", brummte Louis gelassen. „Laut und deutlich."
„Du bist der Größte, du bist ein Gott?", entwich es mir überfordert und dann hörte ich ihn lachen, laut und ausgiebig: „Das meinte ich nicht, aber das reicht auch."
Kurz schwieg er, dann sprach er geschäftlich: „Okay, folgendes, als deine Zickenfreundin mir die Führung durch das Hauptgeschäft gab, da ist mir ein Kleid aufgefallen. Es müsste deine Größe haben und würde dem Anlass entsprechend passend. Schick mir einen Fahrer und ich suche es raus und bringe es dir."
Mein Magen entknotete sich leicht. Hoffnung flimmerte in mir auf.
„Es ist nicht von Cristina Săvulescu, sondern von Ziad Nakad", warnte Louis mich vor und sofort erinnerte ich mich daran, wie Nakads Stil war. Sehr figurbetont und auffällig. Ich wollte Louis widersprechen, da ich es klassisch an sich lieber mochte, aber ich schwieg.
„Da Nakad einen Nebenvertrag mit Henry & Payne hat, wird es in Ordnung sein, wenn du es trägst", redete er weiter. „Also mach dir darüber mal keinen Kopf."
„Woher weißt du das noch so genau?", fragte ich verdattert, denn ich musste die meisten Dinge säuberlich nachlesen.
„Deine Zickenfreundin hat mich mit langweiligen Fakten zugeknallt, als sie mir die Führung gab", sprach Louis nur. „Gib sie mir mal."
Verwirrt reichte ich Eleanor das Handy und sie nahm es irritiert an. Dann sah ich, wie sich ihr Gesicht verzog. Zuerst war sie genervt, schließlich konzentriert. „Ja, kann ich machen. In Ordnung, sollte hier sein. Okay."
Ich wollte das Handy zurücknehmen, aber sie gab es einer überraschten Taylor. Was genau Louis ihr sagte, konnte ich nicht nachvollziehen, aber es reichte scheinbar, dass Taylors Gesicht sich aufhellte. Eleanor verließ dagegen das Wohnzimmer und ich rief mit dem Haustelefon Basil an. Ich nannte ihn Louis' Adresse und als ich mich wieder umwandte, da gab Taylor das Handy der fremden Stilistin.
Mir war, als hätte jemand mein Zuhause vollkommen im Griff und ich war ein laienhafter Zuschauer. Taylor verschwand ebenfalls und dann, als die Stilistin auflegte und mir mein Handy zurück gab, da sprach sie: „Miss Smith, setzten Sie sich bitte."
„Ich... wie ist der Plan?", wollte ich wissen, doch sie lächelte aufmunternd: „Ich werde mit Ihren Haaren beginnen, aber die Frisur ändern. Ihr Freund bestand darauf, dass ich sie Ihnen zu einen Chignon stecken soll."
Ratlos setzte ich mich und überließ ihr das Zepter. Sie löste die Lockenwickler aus meinen Haaren, obwohl ich die Zeit noch nicht abgesessen hatte. Dann bürstete sie die Wellen heraus und begann damit mir einen Chignon zu stecken. Vorne wirkte er weich und am Hinterkopf fest und glatt. Nichts mit Wellen und kunstvollen Locken.
Nach zwanzig Minuten kehrte Taylor zurück und verkündete: „Du musst den Body für das Kleid wechseln. Der geht nicht."
Na schön.
Ließ ich mich drauf ein. Im Bad runzelte ich die Stirn und langsam verfestigte sich eine Befürchtung. Ich schlüpfte wenig später zurück in den Bademantel und sah, dass Eleanor neue Schuhe und anderen Schmuck herausgelegt hatte. Etwas längere Ohrringe, die perfekt auf meinen angeblichen Verlobungsring abgestimmt waren. Mehr nicht. Keine Kette, kein Armband, nichts.
„Ellie, die Schuhe sind neu, ich kann darin auf die Dauer nicht laufen", erklärte ich, doch sie winkte ab: „Ich habe alles dabei, um dir so gut es geht durch die Nacht zu helfen. Blasenpflaster, Salbe und Druckstellenpflaster. Du musst nur nach mir Pfeifen." Ein Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. „Deine aktuelle Clutches kannst du behalten, sie wird zum Schmuck passen."
Immerhin mussten wir die nicht noch umpacken. Trotzdem wurde ich langsam nervös und auch das neue Glas Sekt, dass Taylor mir reichte, änderte daran nichts. Ich half meinen Freundinnen in ihre Kleider und hoffte, dass mein Vertrauen in Louis nicht fehl am Platz war.
Die Stilistin schminkte mich und ich bemerkte, dass Eleanors Augenbrauen in die Höhe schossen. Leicht tastete ich an meinen Hals entlang und bemerkte, was sie gesehen hatte, bevor die Stilistin es überschminkte. Nämlich die letzten Spuren eines Knutschflecken, den Liam mir aufgedrückt hatte.
Erst als die Stilistin den Raum fürs Örtliche aufsuchte, da sprach Eleanor: „Bist du dir immer noch sicher, dass du dass heute Abend wirklich durchziehen willst?"
Taylor und ich sahen sie an und sie setzte hinzu: „Die Verlobung öffentlich machen, meine ich. Geht das nicht zu schnell?"
„Was ist eigentlich dein wirkliches Problem?", antwortete Taylor und verriet mir: „Seit Tagen höre ich nur Zweifel von dir. Wenn Sophia mit Liam glücklich ist und sie ihn wirklich liebt, wozu soll sie dann warten? Immerhin hat er den Kniefall gemacht, nicht sie."
Niemand hatte ihn gemacht, wir hatten uns beide dazu verpflichtet, aber das brauchte niemand wissen.
„Es geht mir mehr darum, dass ich das Gefühl habe, Liam ist David sehr ähnlich", platzte Eleanor schließlich heraus. „Nur, dass Liam den guten Jungen nicht vorspielt."
David war ein Vorzeigemann, kultiviert, freundlich, gutaussehend, reich, höflich, manierlich.
Er war perfekt. Nach außen.
Da sich Liam meinen Freundinnen ebenfalls sehr annehmbar präsentiert hatte, konnte ich Eleanors Zweifel nachvollziehen. Allen voran, weil Liam einen anderen Ruf in der Presse pflegte.
Ich schluckte leicht: „Jeder könnte sich als ein Mann wie David entpuppen, Ellie. Man weiß es nie so genau. Ich meine, ich war über ein Jahr mit David zusammen, ehe ich gemerkt habe, wie er wirklich ist." Dabei ließ ich vorne weg, dass Eleanor von Anfang an aus einem unbestimmten Grund nicht warm mich David geworden war.
Es hatte keinerlei Anzeichen dafür gegeben, dass ihre Vermutung Früchte tragen würde und als ich das erste Mal begriff, wie zerfressen er vor Eifersucht und Machtansprüche war und wie stark sich die Kontrollsucht durch seinen Körper gefressen hatte, da war es bereits zu spät gewesen. Vielleicht hatte ich die Anzeichen auch ignoriert, ich konnte es nicht mehr so genau sagen.
Die Klingel ertönte und ich ging zur Freisprechanlage, sodass Mr Jones Louis an der Rezeption vorbei ließ. Wenig später rauschte er ins Penthouse.
Louis sah wirklich klasse aus, das Haar wie üblich nachlässig zerstrubbelt, aber der Anzug war so dunkelblau, dass er schon fast in grau über ging. Dazu ein gleichfarbiges Hemd. Die doppelreihige Knopfreihe gaben dem Stil etwas Interessantes und lediglich das weiße Taschentuch, dass in der geschlossenen Anzugsjacke steckte, wirkte wie ein Farbtupfer.
„Der Held der Stunde ist anwesend", sprach er gelangweilt und trat an mir vorbei. Er trug einen grauen Kleidersack über der linken Schulter und musterte mich. Scheinbar war es bislang ganz zufrieden, denn er sagte nichts zu meinen Haaren und dem Make-up.
„Hallo Taylor, Miss Shore, wir hatten telefoniert", er ignorierte Eleanor mit Absicht und ich sah, wie sie die Lippen aufeinander presste. Statt mich um diesen blöden Streit zu kümmern sprach ich: „Wie schlimm sieht Plan B aus? Louis, wirklich, ich hoffe das Kleid passt zu Liams Anzug, denn man hat alles drauf abgestimmt."
Er schnaubte: „Ja, ich habe das Ding gesehen. Irgendeine Assistentin wollte, dass ich die Hosenbeine kürze." Man hatte ihn wohl für einen kleinen Schneider gehalten und zugegeben, so lässig gekleidet Louis immer durch die Chef-Etage spazierte war das nicht verwunderlich.
Nun öffnete er den Kleidersack und unfreiwillig kreuzte ich die Finger. Ich hielt den Atem an und betete zu Gott, dass ich gerettet war und Louis das Wunder vollbrachte. Nur er konnte es jetzt noch heraufbeschwören. Mein 750.000 Dollar-Deal.
Stoff raschelte. Louis drehte sich um und hielt das Kleid hoch. Niemand sagte etwas und ich starrte regungslos auf das Kleid.
Es war rot.
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