Kapitel 1


Als ich das Sekretariat betrat wurde ich sofort von einem schwarzhaarigen Mädchen empfangen. „Hey, du musst Avery Hall sein. Ich bin Quinn, die Schülersprecherin", stellte sie sich mir vor, „Ich habe hier Stundenplan, Spindnummer und den ganzen anderen Kram für dich." Überfordert nahm ich den Papierstapel entgegen und checkte erstmal meinen Stundenplan. Sport war das erste Fach, das ich heute hatte. Hörte sich doch ganz gut an. Nachdem mich Quinn mit einem freundlichen Lächeln zur Sporthalle gebracht und der Aussage „Frag mich, wenn du was brauchst!" alleine gelassen hatte, stand ich ziemlich verloren auf dem Schulhof. Immerhin war die erste Person, die ich kennen gelernt hatte, nett gewesen. Mal schauen was noch kommen würde.

Meine Mitschüler mussten wohl schon in den Kabinen sein. Mit einem Durchatmen straffte ich die Schultern und betrat den Gang der Sporthalle. Sofort kam mir der Geruch von altem Schweiß entgegen. Ich folgte den lauten Mädchenstimmen, die verstummten, als ich in die Kabine eintrat. Die sechs Mädchen schauten mich neugierig an. „Wer bist du denn?!" Provozierend verschränkte eine Brünette die Arme vor der Brust und sah mir überheblich entgegen. Was war denn mit der los? Gelassen stellte ich meine Tasche auf der Bank ab und packte meine Sportsachen aus. „Avery Hall", antwortete ich, während ich mich zu ihr umdrehte, „und wer bist du?" „Ich bin Chloe." Abschätzend musterte sie mich von oben bis unten. „Und du bist eindeutig in der falschen Kabine gelandet." Belustigt zog ich die Augenbrauen hoch. „Soweit ich erkennen kann, seid ihr Mädchen. Oder hab ich irgendwas verpasst?" Ihr Hals färbte sich vor Wut fleckig. Um mein Lachen zu unterdrücken, zog ich mir schnell Sportshirt und Leggings über. „Das hier ist unsere Kabine. Das weiß jeder dieser verdammten Schule. Wenn wir Sport haben, dann traut sich hier niemand rein. Verstanden?" Zischend baute sie sich hinter mir auf. Es war wirklich lächerlich. Ich dachte ich wäre hier auf einer High-School und nicht im Kindergarten. Ruhig drehte ich mich zu ihr um und blickte ich ihr einen Moment in die Augen. Als ich ihr keine Antwort gab, blitzte Verunsicherung in ihren Augen auf. Doch als sich auf meinen Lippen ein riesiges Grinsen ausbreitete, mit dem ich sie ganz offensichtlich verspottete, verwandelte die Unsicherheit sich in Wut. Die ungläubigen Augen der anderen Mädchen, die das Gespräch still beobachtet hatten, verfolgten mich, während ich mit eben diesem Grinsen die Kabine verließ.

*

Da ich mir nicht ganz sicher war, welcher Kurs meiner war, lehnte ich mich erst einmal an der Tribüne an und ließ meinen Blick über den Sportplatz gleiten. Neben dem riesigen Footballfeld war ebenfalls ein Fußballfeld, das mein Herz sofort höher schlagen ließ. Meine alte Schule hatte kein Fußball Team. Ich hatte immer alleine dribbeln und schießen trainiert. Naja, das lag wahrscheinlich nicht nur daran, dass es kein Team gab. Sehnsüchtig beobachtete ich die kleinen Freundschaftsgrüppchen, die sich auf dem Rasen verteilt hatten und die Sonne genossen.

Plötzlich betrat eine junge Frau den Sportplatz und blies einmal in ihre Trillerpfeife. Der schrille Ton ließ mich laut Seufzen. Motivierte Lehrer im Schulsport waren nie ein gutes Zeichen. „Der Junior Kurs bitte zu mir", schrie die Lehrerin laut über den Platz. Einzelne Schüler setzten sich, wie auch ich, langsam in Bewegung um sich bei ihr zu versammeln. Von einigen bekam ich neugierige Blicke zugeworfen, ließ mich aber nicht weiter irritieren. „So meine Lieben. Ich bin Frau Klein." Meine Mundwinkel zuckten verdächtig, doch das Lachen konnte ich mir gerade so noch verkneifen. Der Name passte, wie die Faust aufs Auge, denn sie war wirklich klein. Sehr klein. Das blondhaarige Mädchen, das mir gegenüber stand, hatte es gesehen und grinste mich an. Was sollte ich tun? Ich lächelte schüchtern zurück und guckte schnell wieder zu Frau Klein. Damn, bin ich schlecht im Kontakte knüpfen.

Unser Thema war leider Volleyball. Ich hasste es. Nachdem wir das Netz aufgebaut hatten und wir in Mannschaften aufgeteilt worden waren, sollten wir ein paar Testspiele machen. Die Teams wechselten sich also ab und gerade saß ich gelangweilt auf dem Rasen rum. Alleine, wohl bemerkt. Als es mir zu langweilig wurde, dem laufenden Volleyballmatch zuzugucken, wendete ich meinem Blick dem anderen Kurs zu, der ebenfalls den Sportplatz nutzte. Gerade bildeten sie die Teams um anschließend Fußball zu spielen. Zwei wirklich gut aussehende Jungs standen vorne und wählten nacheinander ihre Mitschüler. Schlussendlich war nur noch ein Mädchen übrig. Keiner der Beiden schien sie in ihrem Team haben zu wollen. Ein unangenehmes Gefühl machte sich in mir breit. Ich hatte Mitleid mit ihr. Den Schmerz in ihrem Gesicht konnte ich ablesen, als wäre es mein eigener. Früher war ich das gewesen. Die Person, die bei Partnerarbeiten oder Wahlen im Unterricht übrig blieb. In Gedanken versunken starrte ich in die Ferne, bis ich Schritte neben mir hörte. Ein hübsches Mädchen stand mir in der Sonne und lächelte mir breit entgegen. Hinter ihr stand die Blondine, die mich vorhin an geschmunzelt hatte.

„Hey, du siehst ein wenig verloren aus. Deswegen wollten wir dir ein wenig Gesellschaft leisten." Wie selbstverständlich setzte sie sich neben mich. Das blonde Mädchen folgte ihrem Beispiel zögerlich. „Ich bin Emily und das hier neben mir ist Maddison. Aber nenne sie lieber Maddy. Sonst wird sie richtig wütend, glaub mir das willst du nicht erleben. Aber zurück zum Thema. Wir, naja eigentlich ich, haben beschlossen, dich in die Baltimore High einzuweisen." Überrascht sah ich Maddy an und fragte, bevor ich darüber nachdenken konnte, ob es sich unhöflich anhören könnte: „Redet sie immer so viel?" Maddy legte ihren Kopf in den Nacken und lachte lauthals los. „Du bist nicht die Erste, die das fragt", antwortete sie. Gespielt beleidigt boxte Emily ihr in die Schulter. Wie gut die beiden befreundet waren, sah man ihnen auf den ersten Blick an und für einen Moment verspürte ich starken Neid. Würde ich so etwas jemals haben?

Während die beiden ein wenig miteinander rumalberten, ließ ich meinen Blick zurück zum Fußballspiel gleiten. Das Spiel war nicht sonderlich interessant, vom Schulsport im Unterricht konnte man auch nicht allzu viel erwarten. Eigentlich waren es nur vier bis fünf Spieler zwischen denen sich das Match abspielte. Einer stach allerdings am meisten aus der Masse hervor. Der Ball verließ fast nie seinen Fuß, die wenigen Tricks, die er anwendete, waren perfekt, und vor seinem Schuss hatte der Torwart offensichtlich Angst. „Ihr habt doch bestimmt ein Fußballteam oder?", fragte ich Emily und Maddy, die überrascht aufblickten. „Ja haben wir, aber da spielen nur Jungs drin", antwortete Emily. Ernsthaft? Ich zog ein wenig verärgert die Augenbrauen nach oben. „So viel zu Geschlechtergleichheit und so." schnaubte ich und verdrehte die Augen. Ich sah meinen Fußballtraum schon zerplatzen, als Emily entgegnete: „Es ist nicht so, dass es nicht erlaubt ist. Es traut sich halt kein Mädchen, denke ich." Ich nickte und wollte etwas erwidern, wurde jedoch von dem Pfiff der Trillerpfeife unserer Lehrerin, der den Wechsel anzeigte, unterbrochen.


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