3.Kapitel
Lucys POV
„Ich glaube, ich muss kotzen!", stöhnte eine Stimme neben mir.
Angewidert sah ich zu Gerad, dem männlichen Tribut von Distrikt 11.
Als er vor circa 20 Minuten ausgelost worden war, hatte er gezittert wie Espenlaub und das hatte sich immer noch nicht wirklich verbessert.
Sein Gesicht war kalkweiß, was seine hellbraunen Augen und das schwarze halblange Haar noch betonten.
Er war 18 Jahre alt und somit 2 Jahre älter als ich. Es war sein letztes Jahr gewesen und ausgerechnet jetzt wurde er doch noch gezogen.
Und er war der größte Angsthase, den ich je gesehen hatte. Im Moment waren wir immer noch Zuhause, im Rathaus von Distrikt 11, und er hatte schon so einen Harndrang, dass er alle 2 Minuten auf's Klo rannte.
Außerdem stöhnte er die ganze Zeit vor sich hin und würgte ab und zu.
„Wenn du kotzt, dann renn bitte auf's Klo.", murmelte ich entnervt.
Ich versuchte schon die ganze Zeit, nett und verständnisvoll zu sein, aber irgendwann war auch bei mir eine Grenze erreicht. Der Typ heulte rum wie ein 4-jähriger Milchbubi. Natürlich war es hart. Und natürlich war auch mir bewusst, dass die Chancen für meinen Tod sehr hoch standen. Aber gerade deswegen riss ich mich zusammen. Wenn schon sterben, dann wenigstens ehrenvoll. Er konnte ja meinetwegen später bei den Hungerspielen zu früh losrennen, dann würde er in die Luft gesprengt werden und sterben.
Aber bitte, bitte, bitte, Junge, heul und - vor allem - kotz mich nicht voll, okay? Ich teile das gleiche Schicksal wie du!
Plötzlich hörte ich die Stimme meiner kleinen Schwester Savannah. „Lucy? Lucy!"
Da kam sie um die Ecke geschossen und umarmte mich schluchzend. „Wieso du? Sag mir, dass das einer deiner blöden Streiche war! Sag mir, dass du nicht gezogen wurdest!", heulte sie.
„Das kann ich nicht, Sav.", flüsterte ich und drückte sie fest an mich.
Ich sah wie Gerad schon wieder auf's Klo stürzte.
Der Rest meiner Familie kam um die Ecke und schloss mich in ihre Arme.
Das war vielleicht das letzte Mal, in dem wir zusammen waren. Wahrscheinlich das letzte Mal.
Olivias POV
„Wow, ausgerechnet du bist meine Partnerin."
Ich stopfe ihm gleich das Maul.
„Noch schlimmer hätte es nicht kommen können."
Oder nein, ich töte ihn einfach. Draufgehen wird er in den Hungerspielen sowieso.
„Hast du überhaupt irgendwelche Talente?"
Ein langer qualvoller Tod für ihn.
„Also bist du nicht nur dumm, sondern du kannst auch nicht reden, oder was?"
Okay, jetzt reicht's! Scheiß auf Regeln, wenn der Typ noch ein Wort sagt, bring ich ihn um, mir vollkommen egal, ob das Kapitol dann wütend ist!
„Du wirst dort keinen Tag überleben."
Wütend fuhr ich zu dem arroganten Typen herum, der sich wohl für den besten und schlausten Tribut aller Zeiten hielt. „Und du wirst diesen Tag nicht überleben, wenn du nicht sofort die Fresse hältst, verstanden, Adrian?", fauchte ich und sprach seinen Namen übertrieben abfällig aus.
„Du kannst mich nicht umbringen, das ist gegen die Regeln! Man wird dich bestrafen!", nörgelte Adrian hochnäsig.
„Oh, davon hast du aber viel, wenn du tot bist.", erwiderte ich spöttisch.
Er presste die Lippen aufeinander und schwieg.
Endlich.
Aber die Ruhe blieb nur kurz, denn in dem Moment ging die Tür auf und meine gesamte Familie stand im Raum.
David hatte Tränen in den Augen, als er die Arme um meine Taille schlang und seinen Kopf in meinem Pulli vergrub. „Du kommst doch zurück, oder? Du... lässt uns doch nicht allein, oder, Olivia?", fragte er leise.
Alec wandte den Blick von uns ab, aber ich konnte die Tränen in seinen Augen sehen.
Mom hatte sich an Dad gekuschelt und schluckte schwer.
Sanft strich ich David über den Rücken. „Ich komme wieder. Versprochen."
Und ich meinte jedes Wort exakt so wie ich es gesagt hatte.
Caras POV
Schweigend saß ich neben James, meinem Partner, und versuchte immer noch, zu verdauen, was gerade passiert war. Ich musste in die Hungerspiele. Was für ein Mist.
Plötzlich räusperte James sich. „Kommt deine Familie noch?"
Seufzend sah ich auf. „Ich weiß es nicht. Meinem Dad... Ihm ist es wahrscheinlich egal, dass ich gezogen wurde."
James sah mich mitfühlend an. „Das tut mir leid. Und deine Mutter? Oder Geschwister?"
Mein Herz schnürte sich zusammen. „Meine Mutter ist tot. Sie ist bei der Geburt meiner einzigen jüngeren Schwester Emilia gestorben.", antwortete ich gepresst.
„Oh.", war James' Reaktion.
Schweigen war die Folge. Er war sich offensichtlich nicht sicher, ob er zu weit gegangen war und ob er noch etwas sagen sollte.
Zum Glück musste er das auch nicht. Es klopfte zaghaft an der Tür und diese wurde langsam aufgedrückt.
Emilia kam unsicher ins Zimmer. „Cara?"
Erleichtert atmete sie auf, als sie mich sah und war sofort an meiner Seite. „Du wirst das gewinnen, okay? Ich bin noch nicht bereit, dich zu verlieren, Cara. Ich hab dich lieb.", sprudelte es aus ihr heraus.
Fest nahm ich sie in den Arm. „Ich dich auch, Emi. Ich versuche, zurückzukommen, okay?"
„Versuch es nicht, tu es.", erwiderte Emilia energisch.
Wusste sie überhaupt, was sie da gerade von mir verlangte?
Madisons POV
Dean.
So hieß der draufgängerische Idiot, der zu meiner Linken saß und mich seit geschätzten 20 Minuten kritisch musterte.
Schließlich sagte er auch was. „Also stark siehst du nicht gerade aus."
Ich antwortete nicht, sondern starrte einfach mit zusammengebissenen Zähnen vor mich hin.
„Und du bist nicht gerade groß. Wie groß bist du? 1,30m?", fuhr er fort.
Knurrend drehte ich ihm meinen Kopf zu und funkelte ihn an. „Ich bin 1,53m, Dean! Und schnell und wendig! Pass auf, dass du in der nächsten Sekunde kein Messer im Kopf hast!", fauchte ich.
Dean sah aus, als hätte er ein Gespenst gesehen. Ach, das kleine Mädchen durfte nicht drohen, oder was? Der hatte ja auch null Rückgrat.
Vorhin, als meine Eltern kurz vorbei geschaut hatten um mir Glück zu wünschen, hatte er auch nicht auf den Witz meines Vaters reagiert, dass die Kobolde die Weltherrschaft an sich reißen würden.
Was er damit gemeint hatte? Naja, Dean hatte wie ich rote Haare und Sommersprossen und zu seinem Leidwesen hatte er außerdem noch ziemlich spitz zulaufende Ohren.
Und ausgerechnet heute hatte Dean auch noch nur grüne Sachen an.
Er sah wirklich aus wie ein Kobold.
Aber etwas war mir klar.
Dean war ganz sicher keine leichte Beute, auch wenn er so tat, als hätte er keine Konter auf Lager und als wäre er schüchtern.
An dem kalten berechnenden Blick in seinen Augen, wenn er dachte er sei unbeobachtet, wusste ich, dass er gefährlicher war, als er zeigte.
Und an den geschmeidigen lautlosen Bewegungen konnte man es auch sehen.
Dean war trainiert worden. Ein typischer Karriero.
Und ich war auf dem besten Weg, ihn mir zum Feind zu machen.
Rubys POV
„Krys, Kumpel, kannst du mir einen Gefallen tun und Ruby abschießen?", fragte Onyx gerade meinen Distrikt-Partner.
Dabei senkte er nicht mal die Stimme. Er wollte, dass ich ihn hörte.
Als er vor 10 Minuten hier reingekommen war, dachte ich, er wolle vielleicht mit mir reden. Sich entschuldigen. Mir sagen, dass ich stark war. Weil ich das gerade echt brauchte. Aber nein. Wie naiv bin ich bitte gewesen?
Er ist hier reingekommen und hat angefangen lautstark mit Krys über mich zu lästern.
Und jetzt wollte Onyx Kris auch noch anstiften mich umzubringen.
„Glaub mir, Onyx, das muss ich nicht machen. Sie wird so oder so in der ersten Minuten sterben.", antwortete Krys abfällig. „Was für ein Schwächling."
Die Tür knallte auf und Soraya stand in der Tür. „Krys, hör auf der Stelle auf damit, Ruby fertig zu machen! Und du, junger Mann, gehst jetzt, denn Krys und Ruby müssen los!", zischte Soraya aufgebracht.
Onyx gehorchte sofort.
Soraya funkelte Krys warnend an. „Lass Ruby gefälligst in Ruhe! Und wenn du genug Eier in der Hose hast, sagst du ihr das nächste Mal direkt, was dich an ihr stört! Ihr seid die Tribute von Distrikt 2, reißt euch zusammen!"
Wow, sowas hatte ich nicht von einer Dame aus dem Kapitol erwartet.
Soraya massierte sich die Schläfen und seufzte tief. „Krys, geh schon mal runter. Ein Wachmann wird dich zum Zug bringen.", wies sie ihn an.
Als er weg war, nahm sie meine Hand und drückte sie sanft. „Keine Sorge, Krys ist nicht so stark wie er tut. Du bist um einiges besser, vertrau mir.", meinte sie freundlich und zog mich hinaus.
„Wo gehen wir hin?", fragte ich neugierig.
Soraya lächelte. „Wir fahren jetzt ins Kapitol. Und im Zug wirst du deinen Mentor kennenlernen."
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