2.Kapitel

Lucys POV
Das war so typisch für mich. Kaum durch diese komische „Mach-Einen-Abdruck-Mit-Deinem-Blut"-Kontrolle durch und schon stand ich ohne meine Familie da.
Ich hatte sie alle verloren.
Super gemacht, Lucy!
Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, um über die Menge zu schauen, doch leider konnte ich noch immer niemanden aus meiner Familie sehen.
Seufzend stellte ich mich wieder normal hin und blieb bei meinen Altersgenossen. Mögen tat ich irgendwie keinen von ihnen.
In dem Moment gingen die Türen des Gebäudes vor uns auf. Der Bürgermeister kam zuerst heraus, bevor er sich wieder zur Tür umwandte. Eine stark geschminkte Frau in blauer viel zu aufgeputschter Kleidung trat strahlend heraus. Die war definitiv aus dem Kapitol. Nur Leute aus dem Kapitol sahen so albern und affig aus und fühlten sich dabei auch noch erhaben und hübsch. Was für Affen. Alle zusammen.
Unser Bürgermeister trat ans Mikrofon. „Bürger von Distrikt 11..."
Und schon schweifte ich gedanklich ab. Es würde eh wieder die gleiche Rede wie jedes Jahr sein. Es ging um die Geschichte Panems und die Entstehung der Hungerspiele.
Geht euch doch einfach alle vergraben!
Dann zählte er die bisherigen Sieger von Distrikt 11 auf. Viele waren es nicht. Nur 5.
Dann stellte er Jewel Adams vor und die Frau aus dem Kapitol trat hervor.
„Guten Morgen, Distrikt 11.", flötete sie gut gelaunt mit heller Stimme ins Mikro.
Kann ihr bitte einfach irgendwer einen Pfeil durch den Kopf rammen?
„Ich wünsche euch unterhaltsame Hungerspiele und für die zukünftigen Tribute, viel Glück. Wie jedes Jahr werde ich heute einen männlichen und einen weiblichen Tribut ziehen, der für Distrikt 11 antritt. Fangen wir bei den Mädchen an.", fuhr sie strahlend fort und stolzierte zu der ersten Glaskugel. Energisch steckte sie ihre Hand tief in den Blätterhaufen und zog einen Zettel heraus.
Ich betete für Savannah, dass sie nicht gezogen wurde.
Jewel trat zurück ans Mikro und entfaltete den Zettel. „Und der weibliche Tribut ist... Luciana Moore!"
Ich erstarrte augenblicklich. Gab es hier vielleicht noch jemanden, der so hieß?
Alle drehten sich zu mir um und bestätigten mir, dass ich gemeint war.
Zitternd lief ich auf dem Mittelgang nach vorne.
„Nein!", hörte ich Grace schreien.
Weiter weg sah ich Jordan, meinen großen Bruder. Sein Gesicht war verzogen, sein Blick verzweifelt, doch er konnte nichts machen.
Ich war der weibliche Tribut für Distrikt 11.

Olivias POV
David zerquetschte meine Hand fast, als wir auf den Tisch zu gingen, an dem man uns in den Finger stechen und uns den Finger voller Blut dann auf ein Blatt Papier drücken würde.
Ich war das mittlerweile "gewohnt", aber für David war es etwas vollkommen Neues.
Plötzlich kam von links seine beste Freundin angerannt. Ich hatte keine Ahnung mehr, wie sie hieß. Sie strahlte ihn an und nahm ihn an der Hand. „Komm, lass uns das zusammen machen!", schlug sie vor.
Ich sah wie David sich in ihrer Gegenwart fast augenblicklich entspannte. Er warf mir einen fragenden Blick zu und ich nickte aufmunternd.
Davids beste Freundin konnte ihn besser beruhigen als ich.
Vor mir machten sie ihren Blutabdruck, dann war ich dran.
Ein kleiner Stich, dann war es auch schon vorbei.
Unruhig reihte ich mich bei meinen gleichaltrigen Leuten ein und hielt Ausschau nach David.
Er stand neben seiner besten Freundin, die eifrig auf ihn einredete, und lächelte leicht.
Mein Blick schweifte weiter und erfasste Alec.
Mein großer Bruder erwiderte den Blick emotionslos. Dann lächelte er schwach und versuchte mir aufmunternd zu zu nicken, doch es wirkte erzwungen.
Dann ging es los.
Wie immer laberte zuerst der Bürgermeister irgendwelches uninteressantes Zeug über unsere Geschichte und stellte dann Mel Parkinson vor, unsere Betreuerin aus dem Kapitol.
„Herzlich willkommen zu den 27. Hungerspielen! Wie jedes Jahr wird zwei von euch die Ehre zuteil, dieses Distrikt in den Hungerspielen zu vertreten. Und ich werde sie jetzt ziehen! Zuerst die Mädchen!", erklärte Mel und lief zu der ersten gläsernen Urne.
Übertrieben lange mischte sie die Karten um, bis sie schließlich langsam einen Zettel hervorzog und zum Mikro zurück ging.
Strahlend faltete sie den Zettel auf und sah dann erwartungsvoll in die Menge. „Olivia Johnson!"
Meine Gesichtszüge entgleisten mir. Was?! Wie in Trance ging ich meinen Weg nach vorne und versuchte zu verstehen, was gerade passiert war.
Ich war der weibliche Tribut für Distrikt 10.

Caras POV
Abwesend stand ich da und starrte auf den Boden. Meine beste Freundin Viola redete ohne Punkt und Komma auf mich ein, wie ein Roboter, als würde sie keine Luft brauchen.
Doch ich hörte ihr nicht wirklich zu. Meine Gedanken waren überall. Bei meinem Dad, bei Emilia, bei der bevorstehenden Losung.
Emilia allein zu lassen, wäre ein Desaster.
Es durfte nicht so kommen. Es würde nicht so kommen. Aber warum hatte ich so ein schlechtes Gefühl bei der Sache?
Plötzlich stupste Viola mich an. „Cara, bist du noch da?", flüsterte sie fast tonlos.
Mir war gar nicht aufgefallen, dass der Bürgermeister bereits seine Rede hielt. Gerade stellte er Yanina Irgendwas vor. Ihren Nachnamen konnte ich mir nicht mal merken geschweige denn aussprechen.
Yanina ging zum ersten Glasbehälter und fischte einen Zettel raus. Das würde der weibliche Tribut sein.
Sie ging zum Mikro und lachte in die Menge.
Keiner mochte sie, also sollte sie gefälligst dieses "Wir-sind-alle-Freunde"-Getue sein lassen! Sie schickte heute schließlich zwei von uns in den Tod.
„Cara McKartney!"
Nein. Nein. Das konnte nicht sein.
Doch der mitleidige Blick von Viola machte mir klar, dass es wahr war: Ich war der weibliche Tribut für Distrikt 6.

Madisons POV
Nach der Blutkontrolle drehte ich mich nochmal zu meinen Eltern. Meine Mutter strahlte breit und nahm mich in die Arme. „Wir sind so stolz auf dich, Maddy.", flüsterte sie.
Mein Vater drückte sie weg und nahm mich ebenfalls in die Arme. „Du wirst das schaffen, Madison. Das weiß ich. Meine starke Tochter. Pass einfach auf, dass du überlebst."
„Keine Sorge, Dad.", beruhigte ich ihn und winkte nochmal kurz, bevor ich mich abwandte und zu meinen Altersgenossen ging.
Vorfreudig vor mich hin grinsend ließ ich die Rede des Bürgermeisters über mich ergehen und ignorierte das Geläster der Personen um mich herum.
Ich war nicht gerade beliebt, was mir bei den meisten Idioten hier nur von Vorteil war. Ich war halt eine Special Edition, mit der nur wenige klar kamen.
Schließlich trat endlich die Betreuerin unseres Distrikts vor. Tanya Willows.
„Einen wunderschönen guten Morgen, meine Lieben. Heute ist es endlich wieder soweit. Die alljährlichen Hungerspiele beginnen erneut und gehen in 27. Runde. Und dafür brauchen wir natürlich wie immer einen männlichen und einen weiblichen Tribut. Ladys first.", fing sie an.
Doch bevor sie zu dem großen Glasbehälter gehen konnte, streckte ich meine Hand in die Höhe. „Ich melde mich freiwillig!", rief ich laut.
Erstaunt sah Tanya in die Menge und sie lächelte sanft, als ihr Blick auf mich fiel. „Na, dann, junge Dame. Komm nach vorne.", forderte sie mich auf.
Energisch und mit stolz angehobenem Kinn lief ich nach vorne auf die Bühne.
„Wie heißt du?", fragte Tanya freundlich und stellte mich neben sich vor's Mikro.
„Madison Tombson.", antwortete ich.
„Also, Distrikt 4, das ist euer freiwilliger weiblicher Tribut: Madison Tombson.", verkündete Tanya.
Applaus brach aus. Vermutlich waren alle Mädchen erleichtert, dass sie damit aus dem Schneider waren.
Ich sah zu meinen Eltern und sah das Glück und den Stolz in ihren Augen, als sie mir zaghaft zu winkten.
Endlich hatte ich es geschafft.
Ich war der weibliche Tribut für Distrikt 4.

Rubys POV
„Guck mal, da ist ja der Schwächling."
„Was für eine Schande. Ihre Eltern müssen echt enttäuscht sein."
„Wie kann ihr Bruder nur so toll sein und sie so ein Idiot?"
„Ich hab gehört, sie will sich freiwillig melden."
„Wir werden untergehen."
Schluckend versuchte ich das Gerede zu ignorieren. Das gestaltete sich zwar als schwierig und unglaubwürdig, weil sie ihre Stimme kein bisschen gesenkt hatten, aber es war mir egal.
Ich würde ihnen zeigen, dass ich stark war. Dass ich auch ein Gewinner war, wie mein Bruder.
Onyx stand ein wenig von mir entfernt und unterhielt sich mit einem seiner Kumpel, meine Eltern konnte ich nirgends sehen.
„Sag mal, will sich deine Schwester wirklich freiwillig melden?", fragte Onyx' Kumpel plötzlich.
Onyx zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Ich hoffe, sie macht es und verreckt."
Ich atmete scharf ein und kämpfte mit den Tränen. Gab es hier denn wirklich keine einzige Person, die mich mochte? Oder zumindest akzeptierte?
Mit gesenktem Kopf wartete ich darauf, dass es losging.
Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit, bis endlich der Bürgermeister kam und seine Rede begann. Damit unterbrach er unwissentlich das gesamte Geläster über mich und dafür war ich ihm dankbar.
Schließlich stellte er Soraya O'Brian vor, die Betreuerin von Distrikt 2 aus dem Kapitol.
Milde lächelte sie uns an. „Herzlich willkommen, Bürger des Siegerdistriktes. Ich freue mich wie jedes Jahr, den Beginn der Hungerspiele zu verkünden. Ihr seid das erfolgreichste Distrikt, hoffen wir also, dieses Jahr erneut einen Sieger zu haben!", meinte sie mit warmer Stimme. Normalerweise hatten die Frauen aus dem Kapitol helle nervige Stimmen, ihre jedoch war angenehm und tiefer als die der Anderen. Normal. „Kommen wir zum weiblichen Tribut."
Ich atmeten tief durch.
Sollte ich das wirklich tun? ... Ja. Ich musste es tun. Ich. War. Nicht. Schwach! Und das musste ich ihnen beweisen!
„Ich melde mich freiwillig!", rief ich mit fester Stimme laut.
Onyx schüttelte schadenfroh den Kopf, alle Anderen sahen mich entsetzt oder angewidert an.
Ich, das schwarze Schaf des Distrikts, hatte mich freiwillig gemeldet und das passte ihnen allen nicht.
„Schön, komm doch bitte nach vorne, Liebes.", entgegnete Soraya mit einem offenen Strahlen im Gesicht.
Möglichst eindrucksvoll und stolz ging ich den Gang nach vorne entlang.
Ich kam an meinen Eltern vorbei und hoffte Entrüstung, Unglaube und vielleicht sogar Trauer zu sehen. Oder Stolz, Freude. Irgendwas.
Doch da war nichts.
Emotionslos. Eine unglaubliche Gefühlskälte.
Als wäre ich nicht ihre Tochter.
Ich schluckte schwer, ging aber weiter.
„Wer bist du, Liebes?", fragte Soraya freundlich.
„Ich bin Ruby Walker.", entgegnete ich.
Soraya lächelte und nahm meine Hand. „Ich freue mich sehr, dich kennenzulernen. Distrikt 2, euer ist euer weiblicher Tribut: Ruby Walker!", verkündete sie.
Keiner klatschte, es kam keine Reaktion.
Als würde ich nicht zu ihnen gehören.
Doch ändern konnten sie es nicht: Ich war der weibliche Tribut für Distrikt 2.

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