Kapitel 39


Kapitel 39

Seit einer halben Stunde sitze ich mittlerweile auf den Stufen des Anwesens. In meiner Hand ein Glas Wasser aus dem ich nicht einen Schluck getrunken hatte. Polizisten laufen auf dem Anwesen hin und her, immer wieder kommt einer zu mir rüber, fragt mich irgendwas, doch ich ignoriere ihre Fragen und bleibe stumm.

Kein einziges Wort hatte ich bis jetzt gesprochen. Die Leute schieben es auf das Trauma, dass ich durchlebt haben müsse. Ich allerdings weiß, dass es daran liegt, dass ich von den anderen getrennt bin.

Eine Limousine fährt vor und heraus stürmt meine Mutter. Nun ja, wenn man sie als solche bezeichnen will. Ich mache mich darauf gefasst Teil ihres kleinen Dramas zu werden.

„Oh mein Gott, Keira. Wir sind ja so glücklich dich wieder zu haben. Wir waren ganz krank vor Sorge. Ich wüsste nicht was ich getan hätte, wenn dir was zugestoßen wäre." Wahrscheinlich wäre sie glücklich darüber gewesen ich endlich los zu sein.

Aber das konnte sie natürlich nicht sagen, immerhin passte es ja nicht zum Bild der überbesorgten Mutter. Mein Blick richtet sich auf den Boden. Das Ende von Pia's Kleid ist völlig ruiniert. Die Fäden lösen sich langsam und es ist dreckig geworden.

Ich höre die schweren Schritte meines Vaters auf mich zukommen. Mein Blick richtet sich auf ihn und in seinen Augen sehe ich Mitleid. Er weiß wie sehr ich es hasse, hier zu sein, wie gern ich wieder bei den Rebellen wäre.

Während ich hier gesessen habe, habe ich mir ausgemalt, dass ich wieder zu den Rebellen könnte, wenn ich zurück zu meinem Vater komme. Aber dann fiel mir ein, meine Mutter würde es nicht zulassen.

Es wäre ein Skandal, wenn ich wegrennen würde. Definitiv nicht gut für ihr Image. Deshalb stünde ich rund um die Uhr unter Bewachung. Immerhin wäre eine zweite Entführung unglaubwürdig. Also muss ich mir eine Alternative überlegen, wie ich hier rauskomme.

Mein Vater ist mittlerweile bei der Treppe angekommen. „Es ist schön dich wiederzusehen", sagt er und ich sehe ein leichtes Lächeln auf seinen Lippen. Ich finde es auch schön ihn wiederzusehen, nur wären mir andere Umstände lieber.

Zum ersten Mal nach der Flucht der anderen, zeige ich durch ein Nicken eine wirkliche Reaktion auf das, was jemand zu mir sagt. Mein Vater lächelt mir erneut zu und geht dann zu einem Polizisten rüber. Ich verstehe nicht alles was sie sagen, nur das mein Vater irgendwas von zuhause redet und der Polizist den Kopf schüttelt.

Meine Mutter hingegen redet mit irgendeinem Reporter, der auch schon versucht hat aus mir was zu holen, doch ich hatte ihn ebenso wie die Polizisten ignoriert. Meine Mutter jedoch erzählt ihm bis ins kleinste Detail wie besorgt sie doch gewesen sei, immerhin sei ihr einziges Kind, ihre Prinzessin doch verschwunden.

Um ihre Worte zu unterstreichen läuft sie auf mich zu und nimmt mich in ihre Arme. Natürlich ganz ausversehen, verschütte ich dabei mein Glas und kippe den Inhalt über ihre Kleidung. Ich würde am liebsten lachen, doch unterdrücke es und zeige weiterhin keinerlei Emotion.

In ihrem Blick sehe ich allerdings, dass sie mir am liebsten an die Gurgel will. Doch für die Außenwelt gibt sie sich besorgt. „Das arme Ding, noch völlig verwirrt und aufgewühlt", sagt sie und streicht über mein Haar.

Am liebsten würde ich ihre Hand wegschlagen, aber ich möchte ungern durch irgendeine Handlung noch mehr Aufmerksamkeit erregen. Das einzige was ich will ist, dass man mich in Ruhe lässt, damit ich verschwinden kann.

Ich denke daran, was die anderen grade wohl machen. Ich glaube, Louis dreht völlig durch, weil ich ihn einfach weggeschickt habe. Und er ist sauer auf Mino, weil er ihn ins Auto gezogen hat. Mino versucht sich sicher zu rechtfertigen, dass er nichts falsch gemacht habe, was er ja auch nicht hat. Er ist lediglich meinen Anweisungen gefolgt, alles andere wäre nicht gut ausgegangen.

Helen ist wahrscheinlich sauer auf alle beide und macht einen riesen Aufstand, plant vielleicht sogar schon meine Rettungsaktion, was natürlich lächerlich wäre. Ich brauche nicht gerettet werden, bis jetzt habe ich nichts gemacht oder gesagt, dass mich als Rebellin outet.

Bob ist sicherlich zufrieden, immerhin hat er sein Dokument. Vielleicht ein wenig enttäuscht, denn ich glaube er mochte mich, aber ich schätze ihn so ein, dass er Opfer bringt um Erfolg zu haben. Mal abgesehen davon bin ich ja nicht in Gefahr oder so.

Ein junger Polizist kommt auf mich zu. „Miss Dawson, sie müssen mit uns aufs Präsidium kommen. Wir würden ihnen gerne ein paar Fragen bezüglich der Rebellen und ihrer Entführung stellen."

Mit leeren Blicken schaue ich ihn an. Sieht er nicht, dass ich kein Wort sagen werde? Aber ich denke mir bleibt nichts übrig, also stehe ich auf. „Ich weiß, dass das alles schrecklich sein muss für sie, aber keine Sorge wir werden uns darum kümmern." Wenn er meint. Ich brauche niemanden der sich darum kümmert, denn es war nicht schrecklich, im Gegenteil, ich habe mich zum ersten Mal lebendig gefühlt.

Der Polizist nimmt meinen Arm und führt mich in Richtung eines Streifenwagens. Mittlerweile sind immer mehr Reporter gekommen und umringen uns. Der Polizist versucht sie zu verscheuchen, aber warum sollten sie auf ihn hören? Er sieht nicht gerade autoritär aus.

„Es tut mir Leid, dass so viele Reporter hier sind", entschuldigt er sich. Jetzt tut er mir Leid, denn er scheint völlig mit der Situation überfordert. Das würde ich ihm gerne sagen, doch ich habe nicht vor mein eisernes Schweigen zu brechen.

Die Reporter überhäufen mich mit Fragen. „Wurden Sie gefoltert?", „Wo verstecken sich die Rebellen?", „Wieso waren sie beim Ball?". Ich ignorierte sie alle, warum sollte ich antworten? Die Antworten würden ihnen sowieso nicht gefallen.

„Es tut mir wirklich Leid, aber wir werden diese Mistkerle kriegen. Allen voran dieses Arschloch, dass ihnen die Waffe an den Kopf gehalten hat und dann, werden sie wenn sie Glück haben lebenslänglich im Gefängnis sitzen, wenn das nicht sogar das Ende für sie bedeutet. Ich denke es wäre jedem Polizisten hier eine Freude ihren Entführern eine Kugel durch den Kopf zu jagen."

Nun reißt mein Geduldsfaden. Wut kocht in mir auf. Niemand, wirklich niemand wird Louis, Mino, Helen oder sonst jemandem da ein Haar krümmen. Mein Gesichtsausdruck verändert sich von Emotionslosigkeit zu Wut. Im Bewusstsein, dass ich mir damit eine Menge Ärger einheimse, reiße ich den Ärmel der Jacke hoch, die mir gegeben wurde und entblöße mein bis dahin verborgen gebliebenes Tattoo.

Aus Provokation richte ich es direkt auf die Reporter und schon sehe ich überall Blitzlichter um mich herum. Der junge Polizist neben mir ist nun noch mehr überfordert, doch sein Kollege kommt schon zur Hilfe. Als dieser mein Tattoo sieht, reißt er meinen Arm runter und hält mich fest. Mit Gewalt drückt er mich zum Wagen und schiebt mich auf die Rückbank.

Die Tür schließt sich und ich höre, dass er abschließt. Ich sehe meinen Vater, der mit einem der Polizisten diskutiert, Reporter, die das Auto umzingeln, meine Mutter, die sich vollkommen entsetzt und unwissend zeigt und mittendrin den Polizisten, der nicht weiß was er jetzt machen soll.

Wahrscheinlich ist das heute einer seiner ersten Tage und ich habe ihm den ruiniert. Nun ja, eigentlich ist es mir egal, da ich ihn nicht kenne, aber ich fühle mich trotzdem schlecht, da er nicht schuld an meiner Situation ist.

Ich höre wie vorne jemand einsteigt, doch wende meinen Blick nicht vom Fenster. Der Wagen setzt sich in Bewegung und ich sehe wie mein Vater ihm verzweifelt hinterherschaut. Es tut mir wirklich leid für ihn. Immerhin bringe ich ihm mehr Probleme als er eh schon hat.

Verdammt, warum musste ich die Kontrolle verlieren? Alles wäre viel einfacher ohne meine Aktion gerade. Seufzend lehne ich mich zurück und sehe die Häuser an mir vorbeiziehen während der Fahrt ins Präsidium.

Als wir dort sind, geleitet mich der Polizist nach drinnen ohne nur einmal meinen Arm loszulassen. Ich werde in einen Raum gebracht mit einem Tisch und zwei Stühlen. Ansonsten sind dort nur die grauen Betonwände und eine Kamera in der einen Ecke.

Ich könnte mich auf einen der Stühle setzen, aber mein Kleid nimmt zu viel Platz ein. Deshalb setze ich mich einfach auf den Boden und lehne mich an der Wand an.

Nach einer Weile kommt jemand rein und legt mir eine schwarze Hose und einen grauen Pulli hin. Ich schäle mich irgendwie aus dem Kleid und ziehe mir die Sachen über. Sie sind viel bequemer als das Kleid und ich glaube es sind sogar meine. Mein Vater muss sie gebracht haben.

Ich setze mich wieder auf den Boden und starre in die Kamera, wartend darauf, was als nächstes geschieht.

Ein Mann in Anzug kommt herein, setzt sich auf einen der Stühle und deutet dann auf den gegenüberliegenden. Da ich wissen will, wie es weitergehen soll, setze ich mich hin und sehe den Mann an.

„Hallo Keira, ich bin der Anwalt deines Vaters und werde dir helfen. Am besten ist, wenn du erstmal gar nichts sagt", stellt sich der Mann vor. Ich blicke ihn lediglich weiter an ohne eine Reaktion zu zeigen.

„Wie es scheint, bist du gut da drin", sagt er und ich sehe ihm an, dass er sich unbehaglich fühlt. „Nun ja, die Sache mit deinem Tattoo war eine ziemlich dumme Idee, aber ich glaube, das alles ist nur ein Missverständnis. Ich zweifle daran, dass du wirklich eine von den Rebellen bist. Das ist nämlich die Anklage, die gegen dich erhoben wurde."

Wieder sage ich nichts, sondern sehe ihn einfach nur an. Glaubt er wirklich ich sage ihm jetzt, dass man mir das Tattoo aufgezwungen hat? Wir wissen beide, dass das nicht wahr ist.

„Okay, sag einfach weiter gar nichts und ich regel den Rest", sagt er und ergreift die Flucht. Ich denke Menschen brauchen als Bestätigung ihrer selbst eine Antwort. Sie kommen mit der Stille und dem Schweigen nicht klar, sie fühlen sich unwohl. Aber mir solls egal sein.

Schweigend sitze ich da und warte, bis jemand neues kommt. Meine Mutter ist die nächste. "Was hast du dir dabei gedacht, Keira. Weißt du eigentlich was für ein Licht das auf uns, auf mich wirft? Du ruinierst uns, unseren Ruf", faucht sie mich an. Nein, ich habe nicht darüber nachgedacht, aber ehrlich gesagt ist es mir auch egal.

Ich würdige sie nicht eines Blickes, sondern starre auf die Musterungen des Holztisches. „Hör mit deinem kindischen Schweigen auf, du dickköpfiges Gör." Noch immer sage ich rein gar nichts.

Ich weiß, dass sie mich am liebsten umbringen würde. Doch sie verlässt einfach den Raum und knallt die Tür zu. Schon wieder jemand, der mit meinem Schweigen nicht umgehen kann.

Als nächstes betritt ein Polizist den Raum. „Du kannst dir denken warum wir dich hier festhalten oder? Das Tattoo auf deinem Arm ist das Symbol der Rebellen, Keira", sagt er und setzt sich mir gegenüber.

„Ich möchte dir nicht unterstellen, dass du ihnen angehörst. Schließlich bist du ein schlaues Mädchen." Doch genau das tue ich, und ich tue es, weil ich ein schlaues Mädchen bin um es mit seinen Worten zu sagen.

„Allerdings sieht die Beweislage das anders. Das einzige was ich jetzt von dir brauche, ist eine plausible Erklärung, warum das Tattoo da gegen deinen Willen hingekommen ist." Es ist bemerkenswert, wie selbst Polizisten sich durch Macht beeinflussen lassen.

Er deutet an, dass egal was ich sage, solange es irgendwie plausibel ist, als Entschuldigung gilt. Er gibt mir sozusagen einen Freifahrtsschein raus hier. Aber ich werde mein Tattoo nicht leugnen. Stattdessen hülle ich mich weiter in eisiges Schweigen, bis er letztendlich mit einem Seufzer geht.

Wer kommt wohl als nächstes? Der Anwalt um mir zu sagen wie dumm ich mich verhalte? Oder mein Vater? Ich glaube mein Vater wird es sein, und tatsächlich, er kommt als nächstes.

Er nimmt meine Hände in seine und schaut mich an. Ich erwidere seinen Blick und ringe mir sogar ein kleines Lächeln ab. „Du weißt, eine einfach Erklärung und du wärst draußen und alles würde gut werden, oder?" Ich sage nichts und er seufzt. „Und ich weiß, dass du dir falsch vorkommen würdest, weil du dein Herz am rechten Fleck hast und mindestens genauso dickköpfig bist wie ich. Aber du sollst wissen, dass egal was du machst oder sagst, solange du zufrieden damit bist, bin ich stolz auf dich und unterstütze dich."

Ich bin kurz davor mein Schweigen zu brechen, doch dann nicke ich lediglich. „Ich werde sehen, was ich machen kann um dich hier rauszuholen oder deinen Aufenthalt zumindest so angenehm wie möglich zu machen. Hab dich lieb, Prinzessin", sagt er und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. Dann verlässt er den Raum.

Ich rechne damit, dass sie kommen werden und mich irgendwo unterbringen, da ich nicht mit weiteren Gästen rechne, doch da täusche ich mich. Herein kommt Daniel.

Ich bin immer noch sauer auf ihn, aber erinnere mich daran meine Fassung nicht wieder zu verlieren. „Du könntest hier in wenigen Minuten wieder draußen sein, das weißt du oder?" Ja, aber ich bin kein elendiger Lügner, so wie du.

„Aber dein Stolz ist zu groß dafür." Nicht ganz meine Wortwahl, aber trifft es auch irgendwie. „Sie haben mich geschickt, weil sie denken, ich kann deine Situation nachvollziehen, aber das kann ich nicht. Ich bin freiwillig geflohen, du nicht."

Da hat er Recht, ich wäre nie im Leben geflohen. Ich wollte nur die anderen retten. „Deshalb möchte ich die Chance nutzen, mich nochmal zu entschuldigen. Ich wollte dich nicht verletzen, meine Gefühle für dich waren echt. Aber ich kann deine Wut verstehen."

Warum sollte ich dir glauben? will ich ihm entgegenschreien, doch ich bleibe stumm, schaue ihn nicht einmal an. „Du wirst nicht mit mir reden oder? Das ist okay, aber ich möchte, dass du glücklich bist, also bitte tu dir selbst den gefallen und erzähl denen was die hören wollen."

Nie im Leben. Lieber sterbe ich, als meine Freunde zu verraten. Meine Hände ballen sich unter dem Tisch zu Fäusten. Warum kann er nicht einfach verschwinden und mich in Ruhe lassen?

Als könne er meine Gedanken lesen, steht er auf und verlässt den Raum. Bin ich jetzt fertig für heute? Ich weiß zwar nicht wie spät es ist, aber so langsam werde ich müde. Ich will nach jemandem rufen oder an die Tür klopfen, doch das wird nicht geschehen. Ich bleibe standhaft, das wird das einfachste sein.

Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der ich fast im Sitzen eingeschlafen bin, kommt endlich jemand und führt mich aus dem Raum. Mein Blick fällt auf das grüne Kleid. Hoffentlich machen sich die anderen nicht zu viele Sorgen. Mir geht es ja gut, zumindest bis jetzt.

Der Polizist bringt mich ein einen kleinen Raum mit einem Bett, einer Toilette, einem Waschbecken und einem Tisch mit Stuhl. Die Einrichtung wirkt sehr einfach und die Wände wirken schäbig.

An einigen Ecken bröckelt die Farbe bereits, doch mir ist das egal. Ich bin kein verwöhntes Gör mehr, ich komme damit klar. Es ist besser als das, was ich damals bei den Rebellen hatte. Auf dem Tisch steht ein Tablett mit etwas zu essen und etwas zu trinken.

Ich rühre nichts davon an, sondern lege mich direkt auf die harte Matratze. Langsam drifte ich in einen unruhigen Schlaf.



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