Kapitel 31

Kapitel 31 – Getrennte Wege

Immer darauf bedacht Narie bloß nicht zu grob anzufassen hilft Finnick ihr von der Speiche des Füllhorns und wirft immer wieder besorgte Blicke in ihre Richtung. Sein Herz ist beinahe stehen geblieben, als er gesehen hat, dass sie vom Füllhorn geschleudert wurde und einen kurzen Moment hatte er geglaubt, dass er sie für immer verloren hat, als das Füllhorn aufgehört hatte sich zu drehen und er sie aus dem Wasser kommen sah. Finnick war wahrscheinlich selten in seinem Leben so erleichtert und gleichzeitig traurig.

Er weiß schon lange, dass er hoffnungslos in Narie verschossen ist. Doch noch einmal so deutlich vor Augen geführt zu bekommen, dass sie niemals eine Chance haben werden... dass die Spielmacher alles dafür tun werden, dass mindestens einer der beiden stirbt, hat seinem Herzen erneut einen fiesen Stich zugefügt.

Er ist sich sicher, dass Narie und er eine Chance hätten, wenn sie unter anderen Umständen zueinander gefunden hätten. Hätte er sie in Distrikt 4 kennengelernt, dann hätte er alles dafür getan, dass sie mit ihm ausgeht. Doch nun hocken sie wieder hier zusammen in dieser verdammten Arena und werden sterben.

Finnick hatte gesehen, wie Narie auf ihn reagiert und ist sich fast schon sicher, dass es zwischen den beiden klappen könnte. Er ist sich nur nicht sicher, ob sich Narie darauf einlassen wollen würde. Er weiß, wie unabhängig und stark sie ist. Und er erkennt, dass sie diese Spiele so völlig anders ist, als in ihren ersten. Nachdem sie aus den ersten Spielen zurück war, hatte er gesehen, wie zerbrochen sie war. Wie geschockt von dem, was sie getan hatte. Und doch hatte er gesehen, dass sie sich langsam wieder aufgebaut hatte. Blight und Johanna hatten wahrscheinlich einen großen Teil dazu beigetragen und Finnick würde sich selbst wahrscheinlich nie eingestehen, dass er ebenfalls dazu beigetragen hatte, dass es Narie wieder besser geht, obwohl er nie anwesend war.

Doch Narie hatte schon der Gedanke gereicht, dass Finnick dort draußen ist und sie eines Tages wieder besuchen kommt – und sie dann nicht mehr aussehen kann, wie ein wandelndes Wrack. Sie musste wieder stark werden. Für ihre Familie. Für Rosie. Für Blight und Johanna. Und für Finnick.

Vorsichtig hilft Finnick Narie dabei sich auf den nassen Sand des Strandes zu setzen und obwohl Narie ihn gerne genervt anschauen würde, weil er sie in Watte packt, lächelt sie ihm dankbar zu. Finnick wiederum entfernt sich nur ein Stück von ihr und will ihr einen Moment Freiraum geben, als plötzlich ein seltsamer Schrei in seine Ohren dringt. Er ist nicht der einzige, der es gehört hatte, denn er sieht, wie Narie sofort aufspringt und losrennt. Erst jetzt erkennt Finnick die Stimme als Blights. Sofort setzt er sich ebenfalls in Bewegung und folgt Narie. Was auch immer sie dort vorfinden wird, wird ihr nicht gefallen.

Finnick und Narie bahnen sich wie wahnsinnig einen Weg durch das Dickicht, nur darauf bedacht die Rufe zu finden, die dort zu hören sind. Hektisch sieht Narie sich um und als sie den Eindruck hat direkt unter Blight zu stehen, sieht sie nach oben. Doch sie kann ihn nicht entdecken. Stattdessen sieht sie etwas anderes und versteht plötzlich. Die Schreie kommen nicht von Blight, sondern von einem Schnattertölpel.

Sofort zieht sie einen Pfeil aus dem Köcher und schießt den Schnattertölpel mit einem gezielten Schuss vom Himmel. Einige Sekunden ist es ruhig, dann taucht Finnick an ihrer Seite auf. Passend dazu ertönt erneut Geschrei, dieses Mal allerdings das von Annie. Sofort sieht Finnick hektisch in die Richtung aus der es kommt. Narie hält ihn fest, bevor er losstürmen kann, wie sie es eben getan hatte.

»Das ist nicht Annie! Das ist nicht echt!«, herrscht sie ihm ein, doch Finnick hat für ihre Worte kein Gehör.

»Und wieso klingt er so, wie er es tut? Schnattertölpel ahmen nach!«, erwidert er und Narie spürt, dass sie augenblicklich zu zittern beginnt. Er hat recht. Wie zur Hölle haben die Schnattertölpel diese Töne gelernt?!

»Wir müssen hier weg!«, keucht sie, denn zusätzlich zu Annies Stimme hört sie nun auch wieder Blight. Und Johanna.

Gemeinsam setzen Finnick und Narie sich wieder in Bewegung. Geistesabwesend greifen beide nach der Hand des jeweils anderen und reden sich selbst ein, dass sie dies machen, um sich gegenseitig aus der Gefahr zu ziehen. Die Wahrheit ist jedoch, dass beide die Nähe des anderen dafür verwenden, sich ein klein wenig sicherer zu fühlen und sich nicht so stark auf die Stimmen der Schnattertölpel zu konzentrieren.

Es vergehen zwei Minuten, in denen Finnick und Narie panisch versuchen aus dem Wald zu fliehen, da sieht Narie endlich Marvel und Haymitch in der Ferne. Erleichtert will sie aufatmen, als beide ihr signalisieren zu stoppen. Ihre Beine reagieren nicht schnell genug und Narie und Finnick laufen beide gegen eine unsichtbare Barriere, die sie daran hindert zu den anderen zu gelangen. Panisch klopft Narie gegen das Hindernis, doch es bringt ihr nichts. Die Schreie um sie herum werden immer lauter und Narie lässt Finnicks Hand los. Sie realisiert, dass sie für die jetzige Stunde in diesem Sektor gefangen sind und presst sich die Hände auf die Ohren. Ihre Beine geben unter ihr nach und sie lässt sich kraftlos zu Boden sinken. Doch trotzdem schafft sie es nicht die Schreie auszublenden. Narie sieht zu Finnick, dem es nicht weniger schlecht geht als ihr. Auch er hat die Hände auf die Ohren gepresst und sein ganzes Gesicht zeigt die Schmerzen, die er gerade seelisch empfinden muss. Obwohl Narie selbst kurz davor steht durchzudrehen, krabbelt sie das kleine Stück Abstand zwischen den beiden entlang und setzt sich direkt neben Finnick, sodass sich ihre Schultern berühren. Vielleicht gibt den beiden dies wenigstens Kraft.

Die Schreie werden immer lauter, immer schwerer auszublenden und Finnick und Narie realisieren, dass dies eine sehr lange Stunde werden wird.

+++++

Es kommt Narie vor wie eine Ewigkeit, als die Schreie um die herum endlich aufhören. Sofort öffnet sie die Augen und blickt sofort in Finnicks meergrüne. Sie erkennt den Schmerz, den er empfindet und weiß, dass dies hier etwas ist, dass beiden eine Weile zu schaffen machen wird. Traurig sieht sie ihn an und versucht ihm mit diesem Blick etwas Kraft zu schenken, doch sie weiß wie wenig überzeugend ihr Blick wirkt.

»Es ist vorbei. Kommt, lasst uns an den Strand zurück gehen.« Marvels sanfte Stimme reißt Narie aus ihren Gedanken und Narie wendet den Blick von Finnick ab. Es dauert einen Moment, dann endlich versteht sie, was Marvel von ihr wollte und sie erhebt sich. Finnick tut es ihr gleich und steht ebenfalls auf.

Die drei geben keinen einzigen Ton von sich, als sie zurück zum Strand gehen und Narie lässt sich sofort auf den Sand fallen, als sie dort angekommen sind. Finnick läuft noch ein Stück weiter und lässt sich dann ebenfalls kraftlos zu Boden fallen, allerdings in das flache Wasser. Narie sieht ihm einen Augenblick nach und erkennt an seiner Körperhaltung welche Sorgen er sich um Annie macht. Doch sie kann es verstehen. Ihre Sorge um Blight ist nicht weniger groß. Gerade jetzt, wo die Mentoren sich sowieso im Kapitol aufhalten, müsste es ein leichtes für die Spielmacher sein, die entsprechenden Töne aus den Mentoren herauszubekommen...

»Sie würden sich nicht an den Mentoren vergreifen. Nicht in so einer Zeit.«, ertönt es leise neben Narie und sie sieht erschrocken auf. Marvel lässt sich neben sie in den Sand fallen und blicke gemeinsam mit ihr in die Ferne.

»Woher wusstest du-?«, fragt Narie, doch unterbricht sich selbst. Welchen Unterschied macht es jetzt noch, woher Marvel ihren Gedankengang nachvollziehen konnte?

»Das wäre meine erste Sorge an deiner Stelle...«, antwortet er nur und Narie lächelt schwach. Sie hatte vergessen, dass Marvel sie mittlerweile auch gut genug kennt.

»Narie... ich... ich möchte gehen.«, sagt er dann allerdings plötzlich und Narie erstarrt.

»Was?!«, fragt sie ihn geschockt und wendet sofort den Blick von Finnick ab, um ihn anzusehen.

»Ich habe beschlossen mich von der Gruppe zu entfernen. Ich möchte nicht, dass am Ende nur noch wir übrig sind.«

»Das...«

»Du musst nichts sagen, wirklich. Ich möchte nur, dass du weißt, weshalb ich gehe. Ich möchte nicht, dass ihr es seid, die mich töten müsst.« Irritiert sieht Narie den Karriero vor sich an.

»Marvel-«

»Ich weiß was du sagen möchtest, Narie. Und ich weiß es zu schätzen, dass du mich als deinen Verbündeten behalten möchtest. Aber du wirst diejenige sein, die diese Arena lebendig verlässt. Und ich möchte nicht, dass nur noch wir uns am Ende gegenüber stehen.«

»Das weißt du nicht...«, meint Narie zögerlich, doch Marvel nickt eindringlich.

»Doch, das weiß ich. Ich habe Finnick sagen gehört, dass du diese Arena lebendig verlassen wirst. Er würde sich für dich sogar selbst den Dreizack in die Brust rammen.«

»Das ist doch Unsinn.«, wehrt Narie ab, doch Marvel schüttelt überzeugt den Kopf.

»Nein, ist es nicht. Und das wissen wir beide.« Marvel erhebt sich und beugt sich dann zu Narie herunter, um ihr einen Kuss auf den Scheitel zu drücken.

»Leb wohl, Narie. Und bitte sag Annie niemals, dass ich auf sie stehe.«

»Danke für Alles, Marvel.« Narie spürt, dass sie sich zu einem traurigen Lächeln durchringt, obwohl ihr Kopf ihr gerade widersprüchliche Befehle gibt. In ihr drinnen schreit alles danach ihn aufzuhalten, doch sie weiß, dass sie ihn nicht aufhalten kann. Nicht, nachdem er sich so sicher ist, was seine Entscheidung angeht. Marvel erwidert ihr Lächeln einen Moment, dann dreht er sich um und entfernt sich von der Gruppe. Narie sieht ihm einen Augenblick hinterher, dann wendet sie traurig den Blick von ihm ab. Finnicks Worte von vorhin schleichen sich in ihren Kopf. Was hatte er damit gemeint, dass sie ihm vertrauen soll? Hatte er genau auf das angespielt, aufgrund dessen Marvel nun gegangen ist?

Doch lange kann sie sich nicht damit beschäftigen, dass Marvel sich gerade von der Gruppe getrennt hat. Denn als er weit genug weg ist, hört sie Haymitch ihren Namen rufen und dreht den Kopf zu ihm. Narie sieht, dass er sie mit einer Handbewegung zu sich ruft und setzt sich in Bewegung. Auch Finnick kommt zu den anderen hinzu. Erwartungsvoll sieht Narie die Gruppe vor sich an, unwissend, weshalb diese sie soeben gerufen haben.

Doch ihre Verwirrung wird sofort wieder aufgehoben, als Beetee zu sprechen beginnt: »Ich habe einen Plan.«

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top