Kapitel 20

Kapitel 20 – Die Ernte

Zitternd sitzt Narie im Wald und hofft inständig, dass niemand sie finden wird. Heute ist der Tag der Ernte und Narie weiß, dass sie innerhalb weniger Stunden am großen Platz zu sehen sein muss. Sie hofft inständig, dass Johanna sich an ihre Abmachung hält und sich nicht freiwillig für Narie meldet. Narie und Johanna hatten eine lange, hitzige Diskussion, doch im Nachhinein hatte Johanna versprochen, dass sie sich nicht für Narie meldet. Narie ist fest der Überzeugung, dass Blight momentan besser damit klarkommen würde, wenn Narie stirbt, als wenn es Johanna ist. Sie hatte lange auf Johanna einreden müssen, aber diese hatte dies schließlich auch eingesehen. Beiden Frauen war bewusst, dass Blight nicht schmerzfrei aus dieser Sache herauskommt, denn Distrikt 7 hatte nur zwei weibliche Sieger. Johanna und Narie. Und sollte Johanna gezogen werden, dann würde Narie sich melden. Für Blight. Denn sie will nichts lieber, als dass Blight und Johanna eine gemeinsame Zukunft haben. So glücklich, wie mit Johanna, hatte sie ihn nämlich noch nie gesehen. Die beiden haben eine echte Zukunft miteinander und diese will Narie unbedingt fördern. Sie hofft nur, dass Blight nicht gezogen wird. Distrikt 7 hat genau fünf männliche Sieger und eigentlich will Narie mit keinem von ihnen in die Arena. Sie versteht sich mit allen gut, mit manchen mehr und mit manchen weniger. Aber trotzdem waren sie alle für ihre Eltern da, als Narie nicht da war. Und deshalb steht sie für immer in deren Schuld.

Hinter ihr im Gebüsch knackt es und Narie fährt herum, die Axt angriffsbereit in der Luft. Sie sieht einen Friedenswächter vor sich, der sofort die Arme hebt und ihr somit zeigen will, dass er keine Gefahr darstellt. Narie sieht ihn weiterhin aufmerksam an und gibt ihm somit zu verstehen, dass sie jederzeit angreifen würde, wenn es dazu kommen müsste.

»Ich werde dir nichts tun.«, versichert der Friedenswächter ihr und hebt die Hände ein Stückchen höher. Narie sieht zögerlich dabei zu, wie er seinen Helm langsam abnimmt und sich ihr so offenbart. Der Mann, der vor ihr steht, hat feuerrote Haare und kann nicht viel älter sein, als sie selbst. Sie kann ein Tattoo an seinem Hals entdecken.

»Was tut ein Friedenswächter hier draußen im Wald?«, fragt sie ihn mit kalter Stimme und versucht ihre Tränen zu verbergen. Ihre Hand, die immer noch die schwere Axt hält, zittert leicht, aber das kommt nicht vom Gewicht der Waffe.

»Auch wir brauchen einfach Mal einen Moment Freiheit vom Kapitol.«, lächelt er und Narie glaubt ihm kein Wort.

»Du arbeitest für das Kapitol!«

»Ja. Aber das heißt nicht, dass ich es gerne tue. Ich mache nur das, was nötig ist, um meine Familie zu ernähren.« Der Mann sieht sie mit einem leichten Lächeln an.

»Ich werde jetzt verschwinden und du wirst niemandem sagen, dass du mich hier gesehen hast.«, meint Narie kalt und der Friedenswächter nickt. Narie sieht ihn aufmerksam an, als sie mit erhobener Waffe an ihm vorbei geht. Der Friedenswächter macht keine Anstalten sie anzugreifen, weshalb sie ihre Schritte beschleunigt und aus dem Wald flieht.



Als Narie in ihrer Wohnung steht und sich im Spiegel betrachtet, nachdem sie die Klamotten angezogen hat, die sie ausgewählt hat, schleicht sich ein zufriedener Ausdruck auf ihr Gesicht. Es ist das erste Mal, dass sie einen öffentlichen Auftritt hat und sich so zeigen darf, wie sie sich zeigen will. Sie trägt komplett schwarz und ihre Kleidung hebt sich somit nicht von ihren schwarzen Haaren ab. Sie weiß, dass sie unglaublich finster aussieht und das ist genau das, was sie will. Sie weiß, dass auch Blight und Johanna ausschließlich in schwarz gekleidet kommen, sodass die drei eine Einheit darstellen.

Narie wird vor ihrer Haustür von zwei Friedenswächtern abgeholt. Sie realisiert sofort, dass der eine von ihnen der Friedenswächter von vorhin ist und blickt extra finster drein, damit sie das Stückchen Stärke wiederbekommt, das sie vorhin durch ihren emotionalen Ausbruch verloren hatte. Ihre schwarzen Nietenstiefel klappern bei jedem Schritt und Narie weiß, dass sie bald die gesamte Aufmerksamkeit auf sich haben wird.

Am großen Platz angekommen, sieht sie schon ihren gesamten Distrikt versammelt und Johanna fällt in ihr Blickfeld. Auch diese ist komplett in schwarz gekleidet und sieht ebenso finster drein, wie Narie es tut. Auch Blight, der ebenfalls bereits auf der Bühne steht, wirkt mit seiner Erscheinung mehr als nur dunkel und Narie weiß, dass alle drei die Stimmung dieses Treffens mehr als nur gut verkörpern.

Narie erklimmt stolz die Stufen zur Bühne und sieht auf Lorena, welche ebenfalls äußerst dunkel aussieht. In all der Zeit, in der Narie sie schon kennt, hatte sie die Kapitoldame niemals in etwas dunklerem als einem Lila gesehen, sodass es sie mehr als nur überrascht, Lorena in diesem Dunkelblau zu sehen. Doch sie kann sich nur schwer vorstellen, dass sie diese Kleidung anhat, um sich der Einheit der drei ebenfalls anzuschließen. Oder?

Als alle möglichen Tribute eingetroffen sind, tritt Lorena nach vorne an das Mikrofon. Ihre Stimme klingt normal wie immer, doch Narie kann den Schmerz in ihrem Blick sehen, der ihr zeigt, dass es auch für Lorena nicht einfach sein muss, jetzt hier zu stehen. Erklären, kann sie sich dies nicht so ganz. Sie dachte immer, dass sie Lorena alle egal wären.

»Willkommen... willkommen. Wir sind heute hier, um zu bestimmen, welchen beiden Siegern die Ehre zuteil wird, diesen Distrikt in den diesjährigen Hungerspielen zu repräsentieren.«, ertönt Lorenas Stimme. Sie stöckelt herüber zu dem Lostopf der weiblichen Tribute, in dem sich genau zwei Namen befinden. Johanna Mason und Narie Summers. Lorena greift in den Topf und zieht einen der beiden Zettel hervor. Gespielt langsam stöckelt sie zurück zu dem Mikrofon.

»Der weibliche Tribut für dieses Jahr ist... Narie Summers.« Lorenas Stimme bricht und Narie erstarrt. Ihr war bewusst, dass sie zurück in die Arena muss, doch dies jetzt so ausgesprochen zu hören, ist noch etwas völlig anderes. Narie lässt Johanna hinter sich und tritt mit sicheren Schritten nach vorne neben Lorena. Diese sieht sie von der Seite aus kurz an und Narie meint einen kurzen Moment tatsächlich, eine Träne in ihren Augen erkennen zu können.

»Kommen wir nun zu dem männlichen Tribut.«, verkündet sie und geht zu dem Lostopf der Männer, in dem sich genau fünf Zettel befinden. Einer davon ist Blights.

Lorena zieht einen Zettel heraus und kommt in genau derselben Geschwindigkeit wie eben wieder zurück.

»Der männliche Tribut für Distrikt 7 ist... Blight Jordan.«, verkündet sie. Narie keucht erschrocken auf und sieht zu Boden.

»Ich melde mich freiwillig!«, ertönt eine laute Stimme und Naries Blick schießt wieder hoch. Sie hört, dass Blight leise mit jemandem diskutiert, doch er scheint die Diskussion nicht zu gewinnen. Als sie endlich die Schritte hört, die sich ihren Weg zum Mikrofon bahnen, sieht sie nicht Blight vor sich.

»Wie ist Ihr Name?«, fragt Lorena den Mann vor sich höflich.

»Jack Williams.«, sagt er und Narie sieht zu ihm. Jack nickt ihr kurz aufmunternd zu, so als würde er sie beruhigen sollen und ihr versichern, dass Blight in Sicherheit ist.

»Okay... sehr schön, sehr... schön... unsere Tribute für Distrikt 7... Narie Summers und Jack Williams.« Narie und Jack stehen selbstsicher nebeneinander und tun zumindest so, als wären sie innerlich nicht schon völlig fertig.

Der ganze Distrikt hebt zum Abschied die Hand und Narie erinnert sich daran, wie sie letztes Mal auf den Drei-Finger-Gruß reagiert hatte. Kaum vorzustellen, dass dies nur ein einziges Jahr her ist. Narie und Jack erwidern den Gruß und in diesem Moment hofft Narie nur eins: Dass Finnick und Marvel nicht erneut in die Arena müssen.

Denn wenn Narie nicht gegen ihre Freunde, sondern gegen völlig fremde Killer antreten muss, dann hat sie tatsächlich noch Hoffnung, dass sie zurückkehren wird... 


Naries Outfit:

Ich bin gerade irgendwie in Schreiblaune und obwohl ich eigentlich für meine Prüfungen lernen sollte, schreibe ich wahrscheinlich noch ein weiteres Kapitel. Bleibt gespannt! :) 

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