Kapitel 19

Kapitel 19 - Das Jubeljubiläum

»Guten Morgen, Narie.«, wird Narie von einer sanften, männlichen Stimme geweckt und sie öffnet langsam ihre Augen. Leicht verwirrt sieht sie sich um, dann gerät der Besitzer der Stimme in ihr Blickfeld.

»Guten Morgen, Zane.«, murmelt Narie zurück und in ihr kommt hoch, was sie hier tut. Zane ist der Vater von Rosie. Narie war gestern, als sie Rosie von der Schule abgeholt hatte, noch mit hier hergekommen und Zane hatte darauf bestanden, dass sie hier die Nacht verbringt und nicht so spät abends noch durch den halben Distrikt laufen muss. Zane und Rosie wohnen zusammen recht nah am Waldrand und obwohl das Dorf der Sieger nicht sonderlich weit weg ist, zu Fuß etwa eine viertel Stunde, wollte Zane trotzdem nicht für Unannehmlichkeiten sorgen.

»Das Frühstück ist fertig. Wenn du magst, kannst du runter kommen und mit uns essen.«, bietet Zane ihr an und Narie schwingt die Beine aus dem unbequemen Bett.

»Ich komme direkt mit, vielen Dank.«, lächelt Narie ihn an und folgt ihm zu dem kleinen Küchentisch. Rosie sitzt dort schon und wedelt mit dem Beinen in der Luft rum. Als sie sieht, dass Narie und ihr Vater in die Küche kommen, sieht sie erfreut aus.

»Guten Morgen, Narie!«, begrüßt sie sie fröhlich und legt für Narie ein Brötchen auf den Teller.

»Es tut mir leid, dass ich dir leider nicht viel bieten kann.«, meint Zane entschuldigend und weicht Naries Blick aus. Diese sieht ihn nur mit einem sanften Lächeln an.

»Das ist mehr als genug, vielen Dank.« Narie, Zane und Rosie beginnen stumm zu essen. Alle sind müde, denn es ist noch früh am Morgen und allen ist bewusst, dass Zane in wenigen Minuten los muss, um zu arbeiten. Rosies Vater arbeitet als Holzfäller und hatte sich über die Jahre dort eine beständige Einnahmequelle erarbeitet. Er arbeitet immer sehr fleißig und gewissenhaft und hat sich gut in seinem Job eingefunden.

»Narie, wusstest du, dass Papa jetzt immer bewacht wird, wenn er arbeitet?«, fragt Rosie und Narie sieht erst zu ihr, dann gleitet ihr Blick zu Zane und auf ihrem Gesicht erscheint ein fragender Ausdruck.

»Die Friedenswächter bewachen alle arbeitenden Menschen in diesem Distrikt, seitdem sie das letzte Mal hier waren.«, erklärt er und Narie nickt ein Mal. Das letzte Mal, dass die Friedenswächter hier waren, war an dem Tag, als der Angriff stattgefunden hatte. Danach hatte sie einen Tag geschlafen und war danach direkt zu Rosie gegangen. Das heißt heute ist der erste Tag, an dem sie hätte bemerken können, dass ihr Distrikt nur so von Friedenswächtern belagert wird.

»Wieso tun sie das?«, möchte Narie wissen und Zane weicht ihrem Blick aus. Er weiß, dass es nicht lange dauern wird, bis sich Narie die Schuld an dem Ganzen gibt, obwohl sie rein gar nichts dafür konnte.

»Sie haben Angst, dass es Aufstände geben könnte. Dass wir uns weigern zu arbeiten.«, meint er und sieht, dass Narie betroffen den Blick senkt. Sie will gerade etwas sagen, will sich entschuldigen dafür, dass sie so einen Schmerz über die Arbeiter bringt, doch sie kann plötzlich nicht sprechen. Es ist, als würden ihre Stimmlippen blockieren, während sie versucht zu sprechen. Sie hat das Gefühl, als bekommt sie immer weniger Luft. Ruckartig steht sie auf.

»Ich muss los, tut mir leid. Danke für alles.« Plötzlich versagt ihre Stimme nicht mehr und Narie kann diese Worte murmeln, als sie aus dem Haus stürmt.

*

Distrikt 4

Annie liegt müde auf dem Sofa und beobachtet ihren Bruder dabei, wie er Mags eine Flasche Wasser reicht. Die drei Gewinner hatten beschlossen, dass sie den Tag zusammen verbringen, denn Nachher wird im Fernsehen eine offizielle Ankündigung von Präsident Snow stattfinden, die sie sich ansehen müssen. Es hat ohnehin etwas mit dem Jubeljubiläum zu tun, bei dem die drei erneut Mentoren sein müssen.

»Finnick, wie lange brauchst du noch zum Kochen?«, ruft sie müde und klingt dabei in Finnicks Ohren wie ein kleines Kind.

»Noch eine Weile... du könntest mir natürlich auch helfen, dann wären wir schneller dabei!«, entgegnet er genervt und zerhackt die Zwiebel vor ihm.

»Wir wissen beide, dass das keine gute Idee ist.«, kommentiert Annie nur und geht ihrer vorherigen Beschäftigung weiterhin nach: Liegen. Dabei beobachtet sie ihren Bruder, der im Vergleich zu sonst einen recht müden und abwesenden Eindruck macht. Genau deshalb beschließt Annie, dass sie aufstehen sollte und ihm hilft. Auch, wenn sie weiß, dass sie definitiv keine große Hilfe sein wird.

»Was kann ich machen?«, fragt sie ihn, doch Finnick antwortet ihr gar nicht. Er scheint so in Gedanken versunken zu sein, dass er erst reagiert, als Annie ihn anstößt.

»Hey, so in Gedanken an Narie versunken?«, neckt Annie ihn. Finnick sieht sie beinahe schon ertappt an.

»Woher weißt du-? Ich habe nicht an Narie gedacht!«, beteuert er und entlockt Annie damit ein kleines, spöttisches Schmunzeln.

»Natürlich hast du das nicht...«, meint sie und beginnt das Fleisch anzubraten. Sie ist froh, dass es heute keinen Fisch gibt. Nachdem sie ihr ganzes Leben in Distrikt 4 verbracht hat, hatte sie die Schnauze voll davon, dass es immer nur Fisch gibt. Als ob es nichts anderes hier gäbe, als Fisch und Meerestiere.

»Ich vermisse sie, okay? Ich mache mir Sorgen.«, meint er und Annie realisiert in diesem Moment, dass Finnick so seltsam ist, seitdem er Narie im Fernsehen gesehen hatte. Seitdem sie vor ganz Panem zusammengebrochen ist.

»Ihr wird es gut gehen, okay? Wenn ihr etwas passiert wäre, hätten wir schon längst etwas dazu im Fernsehen gesehen. Und du weißt, dass Mags den ganzen Tag vorm Fernseher hängt, sie hätte es mit Sicherheit nicht verpasst.«, lächelt Annie ihren Bruder an, doch dieser sieht trotzdem nicht beruhigt aus.

»Hey, Finnick... ich weiß, dass du sie echt magst und sie beschützen willst... aber sie ist stark genug, um auf sich selbst aufzupassen. Sie schafft das, keine Sorge.« Annie legt ihm sanft eine Hand auf den Arm. Finnick dreht das erste Mal, seit sich die beiden unterhalten, den Kopf zu Annie. Sie sieht, dass ihm Tränen in den Augen stehen und zieht ihren Bruder in eine feste Umarmung. Noch nie hatte sie Finnick so gesehen und allein das ist der Grund, weshalb sie weiß, dass Narie etwas ganz besonderes für ihren Bruder ist. Sie weiß nur nicht, wie es anders herum aussieht. Natürlich hatte Annie gemerkt, dass Narie Finnick auch sehr zugetan ist, aber ist sie dies auf die gleiche Weise, wie Finnick es ist?

»Fühlt es sich so an, verliebt zu sein? Wenn ja, warum ist es so ein quälendes Gefühl?«, fragt Finnick leise und Annie streicht ihm sanft über den Kopf, um ihn zu beruhigen. Selten hatte sie mit ihrem Bruder so einen Moment erlebt, doch sie will ihm zeigen, dass sie für ihn da ist. Ihm Halt gibt, ihn unterstützt.

»Weil du dich sorgst, Finnick. Aber das wird wieder besser, sobald du von ihr hörst. Du hast ihr doch einen Brief geschrieben, oder? Wenn du Glück hast, dann wirst du noch eine Antwort bekommen, bevor wir uns alle im Kapitol sehen, für die aktuellen Spiele. Und da hast du doch eine Menge Zeit, um mit ihr zu reden, während ihr eure Tribute beaufsichtigt.« Annie drückt ihren Bruder ein Stück von sich weg, damit sie ihm in die Augen sehen kann.

»Und jetzt fang mal wieder an zu lächeln, so erkenne ich dich gar nicht!«, grinst sie noch und lockt Finnick damit auch ein Lächeln auf das Gesicht.

»Okay. Danke, Annie. Lass uns weiter kochen, ich verhungere.«

Am Abend sitzen die drei Mentoren gemeinsam auf dem Sofa und starren auf den Fernseher. Annie wirft immer wieder einen Blick auf ihre Uhr, da sie nervös ist, wann es losgeht. Sie möchte es einfach nur hinter sich bringen und danach schlafen gehen. Alleine der Anblick des Präsidenten löst Panikattacken in ihr aus, von denen sie sich dann in Ruhe erholen muss.

Annie ist erleichtert, aber auch panisch, als die Hymne des Kapitols ertönt und ihr somit verkündet, dass Snows Auftritt im Fernsehen beginnt.

Annie sieht angeekelt dabei zu, wie Snow auf das riesige Podest steigt und die Bewohner des Kapitols lautstark zu jubeln beginnen. Sie kann sich gar nicht auf Finnick oder Mags konzentrieren und weiß nicht, wie es den beiden gerade geht. Sie merkt nur, dass sie selbst am ganzen Körper zu zittern beginnt und nicht mal weiß, weshalb. Finnick legt ihr beruhigend eine Hand auf das Bein, doch Annie kann den Blick nicht von dem Mann abwenden, der dort im Fernseher vor ihnen steht.

»Ladies und Gentleman, seit ganz genau 75 Jahren gibt es die Hungerspiele. Es wurde in der Karte der Spiele festgeschrieben, dass alle 25 Jahre ein Jubeljubiläum gefeiert werden solle. Auf dass Jene, auch in künftigen Generationen, niemals in Vergessenheit geraten, die beim Aufstand gegen das Kapitol ihr Leben ließen. Jedes Jubeljubiläum wird durch Spiele geprägt, denen eine besondere Bedeutung innewohnt. Und jetzt, an diesem unserem fünfundsiebzigsten Jahrestag der Niederschlagung der Rebellion, feiern wird das dritte Jubeljubiläum.« Applaus ertönt erneut von den Kapitolbewohnern und Annie beginnt stärker zu zittern. Sie weiß, dass nun das kommt, worauf sie wartet: Die Ankündigung, welche Besonderheit es dieses Jahr geben wird.

»Zum Gemahnen, dass selbst die Allerstärksten von uns es nie schaffen werden, die Macht des Kapitols zu überwinden, werden zu diesem dritten Jubeljubiläum die männlichen und weiblichen Tribute aus den Distrikten aus dem bestehenden Kreis der Sieger ausgelost.« Annie hört den Applaus der Leute nur gedämpft, denn die Worte, die Snow eben gesagt hat, dringen nur langsam zu ihr durch. Sie sieht erstarrt dabei zu, wie Finnick zu brüllen beginnt und dann aus dem Haus rennt. Annie will ihm hinterher rennen, doch sie kann sich nicht bewegen. Stattdessen sieht sie hilflos dabei zu, wie ihr Bruder panisch das Haus verlässt.

»Die Sieger haben sich am Tag der Ernte einzufinden, ungeachtet ihren Alters oder ihres Gesundheitszustands.«, diese Worte dringen nur gedämpft zu ihr durch. Ihr Blick gleitet zu Mags, die sie noch zu beruhigen versucht. Doch auch Mags kann nichts dagegen tun, dass Annie auf dem Boden zusammenbricht. 



Dieses Kapitel widme ich Lara-Celine, die sich gewünscht hat, dass ich Mal etwas aus Annies Sicht schreibe. Ich hoffe es gefällt dir! :) 

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