•IV•

• J O R D A N •

Ich habe viele Fehler gemacht in meinem Leben, so viele, dass ich mich nicht mehr daran erinnern kann, jemals etwas richtig gemacht zu haben.

 Zur Therapie zu gehen war eindeutig eine der wenigen guten Dinge, die ich getan habe. Ich merke wirklich, dass mir das hilft, auch, wenn es ein harter Weg bis hierhin war und es alles andere als leicht ist, mich mit all dem auseinanderzusetzen, was ich viel lieber einfach vergessen würde. 

Ich habe festgestellt, dass Jayden und alles, was damals zwischen ihm und mir passiert ist, wirklich extrem viel von meinen heutigen Verhaltensweisen beeinflusst. Ich erinnere mich immer wieder an die Zeit mit ihm zurück und manchmal, wenn ich ihn ansehe, dann merke ich auch noch deutlich, dass meine Gefühle für ihn wohl nie ganz verschwunden sind. Ich schätze, so ist das mit der ersten Liebe. 

Jay und ich hatten es nie wirklich leicht. Das war meine Schuld, das wusste ich schon immer. Ich hatte zu große Angst vor meinem Outing und war über ein Jahr mit Jay zusammen, ohne es jemals jemandem gesagt zu haben. Anfangs verstand er es noch und er war sich selbst nicht mal ganz sicher, ob er es öffentlich machen wollte, aber irgendwann, als es auf seinen Abschluss zuging und er sich mehr Gedanken um seine Zukunft machte und darum, wie er diese verbringen wollte, kam er immer öfter mit diesem Thema an und löste somit beinahe täglich wirklich unschöne Streits aus. 

An einem Abend wie sonst jedem anderen auch lagen wir mal wieder in seinem Bett und kuschelten. Ich hatte ihm gerade davon erzählt, dass ich fürs nächste Jahr unbedingt im Footballteam der Schule aufgenommen werden wollte und es einfach nicht fassen konnte, dass Jackson schon drin war, als fester Quaterback, obwohl er dafür eigentlich viel zu jung war. 

Jay hatte sich nie wirklich für Football interessiert. Wenn ich mir Spiele anschaute, saß er meistens neben mir und las ein Buch oder machte irgendwas für schlaue Menschen, das ich nicht annähernd verstand. 

Mitten in meiner Erzählung – er glaubte wohl, ich sei schon fertig – fragte er mich, ob Football wirklich die richtige Wahl sei. „Ich meine, wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass du damit aufs Collage kommst? Du bräuchtest ein Vollstipendium und... also ich weiß nicht“ Er wirkte kritisch. 

„Wer sagt, dass ich aufs Collage will?“, stellte ich die Gegenfrage. Für ihn total plötzlich, aber ich dachte schon länger darüber nach, was ich nach meinem Abschluss machen sollte. Meine Eltern hatten das Geld für zwei Kinder auf dem Collage einfach nicht und meine große Schwester war nun mal zuerst da gewesen. Also entweder es wurde wirklich ein Vollstipendium und ich hängte mich richtig rein oder ich suchte mir was Anderes. 

„Warum solltest du das nicht wollen?“, fragte Jayden weiter. Er richtete sich etwas auf, um mich überprüfend anzusehen. „Es gibt Kinder auf dieser Welt, die gar keine Chance auf Bildung haben und du würdest deine einfach so wegwerfen, um faullenzen zu können?“

„Hei, so ist es nun auch wieder nicht“ Ich zog einen Schmollmund. Ich wusste, dass er mich für echt faul hielt und genauso gut wusste ich, dass ich das war. Immerhin war er sogar jünger als ich, aber zwei Klassenstufen über mir. Er sagte mir schon, seit er mir Nachhilfe gab, dass es viel mehr in mir steckte, doch obwohl ich ihm glaubte, wolle ich meine Energie nicht darein investieren, um es herauszufinden. Und vielleicht, ja vielleicht wollte ich mir auch die Enttäuschung ersparen, falls es dann doch nicht so war. 

„Irgendwie schon“ Jay begann mit der Fingerspitze auf meiner Brust herumzutippen und schaute dieser dabei konzentriert zu, um meinen Blick nicht erwidern zu müssen. „Du gehst immer den einfachen Weg. Zum Beispiel mit dem Outing...“

„Nicht schon wieder das Thema“ Ich verdrehte die Augen und ließ den Kopf erschöpft in mein Kissen fallen. „Ich bin noch nicht so weit, wie oft soll ich dir das denn noch sagen?“ 

Er hörte, wie genervt ich war und schaute mich daher niedergeschlagen an. „Ich will nicht schon wieder streiten. Aber das Thema einfach zu ignorieren, nur, weil es unangenehm ist, bringt doch auch nichts. Ich will eine Lösung dafür finden. Diese wagen Angaben von wegen Jetzt nicht, bringen mir nichts. Sag mir doch einfach, wann ich damit rechnen kann. Worauf ich mich einstellen muss...“

„Baby“ Ich seufzte und strich mit dem Daumen über seine weiche Wange. Immer wieder faszinierte mich die makellose Haut dieses wunderschönen Jungen. „Ich weiß das alles. Aber ich kann dir keine Antworten darauf geben. Ich brauche noch ein bisschen Zeit...“

„Wie viel Zeit denn noch? Wir sind jetzt schon seit einem Jahr zusammen. In ein paar Monaten bin ich am Collage. Wie soll unsere Beziehung unter diesen Umständen denn funktionieren? Interessiert es dich gar nicht, dass ich weg sein werde? Denn mich interessiert das sehr. Ich will dich nicht hier zurücklassen und damit rechnen müssen, dass du ständig angebaggert wirst und niemandem klarmachst, dass du vergeben bist.“ 

„Dann geh halt nicht“, schlug ich als Lösung vor. 

Jay schnaubte und rückte von mir ab. Er schüttelt dabei ungläubig den Kopf. „Warum rede ich überhaupt noch mit dir? Du wartest wahrscheinlich eh nur, bis ich weg bin, um dich an den nächsten ranzumachen“ 

Er klang verletzt dabei, doch was er sagte und wie er dabei Distanz zu mir aufbaute, erschütterte mich. „Was?! Woher hast du den Scheiß denn jetzt?“

Er antwortete nicht. 

„Jayden“ Ich rutschte zu ihm auf. Es war mir egal, dass er es nicht zu wollen schien, ich legte die Arme um ihn und suchte solange nach seinem Blick, bis er meinen erwiderte. „Ich liebe dich“, machte ich ihm leise, aber eindringlich klar. „Ich liebe dich, nur dich. Ich wollte immer nur dich und ich werde niemals einen anderen wollen. Dass du gehen wirst, tut echt unglaublich weh, aber... Es ist auch... Wenn ich mich jetzt oute und es geht total in die Hose, dann muss ich mit alle dem allein klarkommen, weißt du?“ Ich sah ihn traurig an und weiß, dass ich mich ihm in diesem Moment in all meiner Verletzlichkeit zeigte. Denn ihn zu verlieren, war meine größte Angst. 

Jay ging nicht auf meine Aussage ein. Er schüttelte leicht den Kopf und murmelte: „Derek ist aus dem Gefängnis raus... Er war letztens hier und hat mir erzählt, dass er sich mit dir unterhalten hat... über mich. Und dass du meintest, dass er mich ruhig zurückhaben kann, weil du eh schon was Besseres in Sicht hast...“

„Was?!“ Erneut fassungslos sah ich ihn an. „Das... Ich.... Wow“ Das haute mich komplett von den Socken. Ich hatte bis zu diesem Abend noch nie mit Derek persönlich geredet und ich hatte auch nichts davon gewusst, dass er aus dem Gefängnis raus war, geschweigedenn, dass er wieder Kontakt zu Jay wollte. Doch eigentlich schockierte mich was Anderes viel mehr. „Also glaubst du das einem Kriminellen, der 18 Monate im Knast saß und dir davor für Jahre das Herz malträtiert hat? Muss ich dich echt daran erinnern, wie er teilweise mit dir umgegangen ist?“

„Du kennst nur seine schlechten Seiten, er ist gar nicht so übel...“

Ich schnaubte belustigt. „Klar, jetzt nimmst du ihn wieder in Schutz. Wieso wundert mich das nicht mal? Du glaubst ihm ja auch diese Scheiße, die er dir da aufgetischt hat, nur um dich wieder um den Finger zu wickeln.“ Ich schüttelte fassungslos den Kopf. Diesmal entfernte ich mich von ihm. 

„Jordan“ Er sah mich flehend an und setzte sich neben mich, als ich in meine Schuhe schlüpfte. Offensichtlich wollte ich gehen. „So war das nicht gemeint.“ Er nahm meine Hand. Eigentlich wollte ich meine losreißen und gehen, doch mein Blick blieb an ihm hängen und ich konnte einfach nicht. Nicht so. 

„Wenn du mir sagst, dass das nicht stimmt, dann glaube ich dir“, versicherte er mir. 

Ich nickte zufrieden und auch etwas erleichtert, ließ im Zuge dessen meine Stirn an seine sinken. „Er will uns auseinanderbringen“, flüsterte ich dabei. „Bitte lass das nicht zu“ 

Sofort schüttelte er den Kopf und umschlang meinen Nacken mit den Armen. „Werde ich nicht.“ 

Er sagte die Wahrheit in diesem Moment. Er glaubte mir wirklich und er hätte niemals zugelassen, dass Derek sich zwischen uns stellte, denn er kannte ihn und er wusste, dass Derek vor nichts zurückschreckte, um zu bekommen, was er wollte. Doch ich... Ich unterschätzte ihn und die Tatsache, wie böse ein Mensch sein konnte. Ich fiel darauf rein, auf jeden seiner Tricks und wurde zur Figur in jedem seiner Spiele. Jay und ich... Wir verloren uns. Ich tat Dinge... unverzeihliche Dinge, zu denen ich zwar angestiftet wurde, für die es aber keine Entschuldigung gibt. 

Jay hasst mich dafür bis heute und, wenn ich ehrlich bin, dann tue ich das selbst.

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