•II•
• D E R E K •
Manchmal im Leben passiert etwas. Es können gute, oder schlechte Dinge sein. Dinge, die einen prägen, verändern, zum Guten, oder Schlechten.
Ich habe nie an so etwas wie das Schicksal geglaubt und ich tue es auch nach wie vor nicht.
Denn wieso sollte das Schicksal mancher Menschen so unfair sein?
Die einen haben Erfolg in absolut allen Lebenslagen. Haben ein glückliches langes Leben, bis sie irgendwann Hand in Hand mit ihrem Ehepartner auf dem Sofa einschlafen und sich von dieser Erde verabschieden.
Andere wiederum, haben Pech. Ein Schicksalsschlag nach dem Anderen. Krankheiten, Verluste, Geldprobleme. Sie kämpfen jeden Tag um das, was ihnen wichtig ist, bekommen es aber nur mit einem weiteren dumpfen Schlag bezahlt. Wieso ist das so?
Als ich 14 war, bekam ich einen dieser Schicksalsschläge ab. Meine Mutter starb bei einem Autounfall. Die Person, die immer für mich da war, mir zuhörte, mich liebhatte, mir Halt gab, war plötzlich nicht mehr da.
Ich war bei Freunden gewesen und habe mir dort an der fettigen Pizza wohl den Magen verdorben. Ich rief zu Hause an, bat darum, mich abzuholen, da es mir echt mies ging und es mir unangenehm war, bei meinen Freunden über dem einzigen Klo, was sie hatten, zu hängen und es zu belagern, indem ich mich immer wieder übergab.
Da mein Vater zu dem Zeitpunkt noch Schichtarbeiter war, war er nicht zu Hause und so musste meine Mutter los, um mich zu holen.
Es war ein regnerischer, kalter Tag in einem November.
Draußen war es dunkel, die Sicht war schlecht. Sie hasste es, bei so einem Wetter fahren zu müssen. Doch sie tat es für mich.
Und so kam es, wie es kommen musste.
Auf dem Rückweg, mir war wieder zum Kotzen schlecht, suchte ich panisch nach einer Tüte, oder irgendetwas, um das Auto meiner Mum vor meinem rebellierenden Inneren zu schützen. Durch meine Panik fing auch sie an, nun im Handschuhfach nach etwas zu suchen, daher sah sie den Hirsch, der auf der Straße stand zu spät. Sie versuchte noch auszuweichen, doch traf ihn mit voller Wucht. Die nassen Straßen taten ihr Übriges, sodass wir von eben dieser abkamen, uns mehrfach überschlugen, als wir die Böschung Richtung Wald hinunter rasten.
Über Kopf blieben wir dann irgendwann liegen. Alles war still, bis auf den Regen, der auf das Auto niederprasselte. Mein Kopf schmerzte, ebenso mein linker Arm und meine Beine. Die Übelkeit war in den Hintergrund gerückt.
"Mum?"
Ihre Augen waren geschlossen, als ich den Kopf zu ihr drehte. Ihr Körper ruhig, zu ruhig.
"Mum!" Ich rüttelte an ihrem Arm, versuchte, meine Schmerzen zu ignorieren, tat alles, um sie irgendwie aufzuwecken. Schrie, weinte, flehte. Doch nichts geschah. Ihre Augen blieben geschlossen und auch ihr Atem blieb aus.
Ich erinnerte mich daran, dass sie einen Notfallknopf in ihrem Auto besaß, der direkt ein Signal an die Notdienste sendete und so betätigte ich ihn, wartete dort im Kalten, alleine neben dem Körper meiner Mutter, bis nach gefühlten Stunden endlich jemand kam.
Ich kam mit 2 gebrochenen Beinen, einem geprellten Arm und mehreren Schürfwunden ins Krankenhaus, während sie meine Mutter parallel wegbrachten, da sie sie nicht mehr retten konnten.
Noch immer wünsche ich mir, mein Kopf hätte irgendetwas getan, um diesen Abend zu vergessen, denn ich wollte sie nicht so in Erinnerung behalten. Doch leider kann ich mich an jedes noch so kleine Detail erinnern.
Nachdem Tage später nun auch mein Vater realisierte, was passiert war, wünschte ich mir Arme, die mich auffingen, mir sagten, dass dies nicht meine Schuld war, doch genau das Gegenteil trat ein. Er schupste mich von sich, redete mir ein, dass es meine Schuld war.
"Wenn du nicht so eine Memme gewesen wärst, hätte deine Mutter nicht wegen dir dorthin fahren müssen!"
Immer wieder musste ich es mir anhören.
Er zog sich zurück, betäubte seine Trauer mit Alkohol, verlor seinen Job, überließ mich mir selbst. Ging ich ihm trotz allem zu sehr auf die Nerven, erhob er ohne jegliche Hemmung die Hand gegen mich. Gegen mich, seinen 14-jährigen Sohn, der mit 2 gebrochenen Beinen nun eine Zeit lang im Rollstuhl saß.
Um dieser Situation wenigstens etwas zu entkommen, fuhr ich durch den Hintereingang unseres Hauses, weiter durch den Garten und dann zu einem angrenzenden Spielplatz, wo ich mich etwas abseits auf eine Wiese stellte.
Immer wieder riss ich Blätter des Busches neben mir ab zerriss diese und lies die Schnipsel fallen, erinnerte mich dabei an den Tag, als mein Leben in mehrere Teile zersprungen ist. Ich bemerkte die Tränen, welche meine Wangen hinunterflossen und eine feuchte Spur hinterließen.
"Hallo, warum weinst du?"
Das war der Moment, als ich ihn zum ersten Mal sah. Schon damals konnte ich meinen Blick nicht von ihm reißen. Mir war bereits bewusst, dass ich Jungen attraktiver fand als Mädchen und auch, wenn er wohl jünger war als ich, bezauberte er mich mit seinen strahlenden Augen, den wuscheligen Haaren und allgemein mit seinem strahlenden Auftreten.
Er setzte sich neben mich auf einen Baumstumpf und begann einzelne Grashalme auszureißen und diese zu verknoten, bis sie kaputtgingen. "Ich heiße Jayden und wer bist du?"
Abwartend sah er mich an, warf immer mal wieder einen Blick zu seinen Eltern, die mit einem kleineren Kind lachend im Sandkasten spielten.
"Derek", antwortete ich leise, fand, dass mein Name nicht ansatzweise so schön klang, wie seiner.
Ein kurzes Kichern seinerseits lies meinen Blick wieder zu ihm hochschnellen.
"Wollen wir Karten spielen?", fragte er, holte dabei eine Packung aus seiner Jackentasche. Es handelte sich um wasserfeste UNO-Karten. Wie praktisch um diese Jahreszeit.
Ich willigte ein, war froh, dass er mich ablenkte. Wir unterhielten uns, auch wenn er mehr redete als ich, doch ich genoss es. Er erzählte mir von seiner Familie, davon, dass er erst 12 Jahre alt war.
"Weißt du, meine Oma sitzt auch im Rollstuhl. Sie meinte zu mir, dass die Kinder früher sich immer über sie lustig gemacht haben. Dabei ist das doch nur das Äußere. Aber es geht doch nur um das, was in einem drin ist."
Mich überraschte seine Offenheit, seine Reife. Schon mit 12 Jahren war er reifer als die meisten, die ich kannte. Er sah nicht den armen Jungen im Rollstuhl, oder wie die Jungen in meiner Schule, die es lustig fanden, mich in der Schule hin und her zu schieben.
Er sah mich.
Nach dem Treffen auf dem Spielplatz, sahen wir uns öfters. Wir trafen uns bei ihm, spielten Karten, oder anderes. Wenn das Wetter es zuließ, gingen wir nach draußen und machten da weiter.
Nach ein paar Monaten war ich dann auch endlich alle Verbände sowie Hilfsmittel los und konnte auch endlich mit ihm Basketball spielen und Skateboarden gehen.
Irgendwie fühlte ich mich schon damals zu ihm hingezogen, doch ich konnte ihn nicht zu nahe an mich ranlassen, weil ich ihn ebenso beschützen wollte. Denn während ich die Ruhe bei ihm genoss, spitzte sich die Situation bei mir zu Hause immer mehr zu.
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