•I•
•J O R D A N•
Ein Mensch wie ich hat nicht viele Überzeugungen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass die Gründe, die hinter jedem Lächeln, hinter jeder Träne und hinter jeder Tat eines Menschen stehen, von der Geschichte dieser Person geprägt wurden.
Erfahrungen machen uns zu dem, was wir sind. Keiner kann mir sagen, dass er das anzweifelt.
Bei mir ist das nicht anders. Man wird von den unterschiedlichsten Leuten geformt, zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Leben und auf unterschiedliche Arten. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass es die erste große Liebe ist, die jeden verändert. Zumindest bei mir war es so.
Damals, ich muss so 14 oder 15 gewesen sein, war ich in einer ziemlich schweren Phase. Ich wurde erwachsen...zumindest glaube ich das... und ich begriff so manche Dinge, mit denen mein von Hormonen vollgepumptes Hirn nicht wirklich klarkommen wollte.
Ich war neugierig, redete ich mir ein. Nur neugierig. Ich wollte mich mit den anderen Jungs vergleichen, wollte besser sein als sie, nur deshalb schaute ich sie immer so genau an und versank dabei oft in Gedanken. Ich machte mir nur Sorgen um meine Freunde, deshalb wollte ich immer die Arme um sie legen. Sie war einfach noch unerfahren, deshalb fand ich Schwulenpornos so ansprechend.
Aber von Zeit zu Zeit, als ich mehr mit dem Internet zu tun bekam und von Dingen hörte, die sich Homosexualität nannten, Schwulsein, Männerliebe... und begriff, was hinter all diesen Aneinanderreihungen von Buchstaben steckte, lernte ich mich selbst auf eine neue Art und Weise kennen und wusste, das war es, womit ich mich identifizieren konnte.
Doch das war nicht leicht. „Das ist doch voll schwul!", sagten meine Freunde und ich, wenn wir etwas doof, langweilig oder mädchenhaft fanden. „Schwuchtel!", nannten wir die Schwächlinge, die im Football nicht gegen uns ankamen. Wir reden nur über Mädchen, über ihre Geschlechtsteile und was mich dabei anwiderte, schien meine Kumpels alle ganz wuschig zu machen.
Das war viel für mich, zu viel, da ich nicht wusste, ob ich mich jemandem anvertrauen konnte oder es denn überhaupt wollte. Also schlenderte ich am frühen Abend eines unbedeutenden Tages durch die Straßen von New York und suchte Erleuchtung im Sonnenuntergang.
Überraschenderweise fand ich sie sogar, als ich im Park auf zwei Jungen traf, die ich aus der Schule kannte. Der eine war der beliebte Mädchenschwarm schlecht hin, der Footballcaptain, aber auch derjenige, der immer die größten Probleme mit den Lehrern und Mitschülern hatte.
Der andere war für die meisten eher unauffällig, aber ich hatte ihn schon immer irgendwie interessant gefunden. Wo andere über gemeine Witze lachten, verzog er das Gesicht und fragte, was denn daran so lustig sei. Wenn andere jemanden herumschupsten, war er derjenige, der denjenigen auffing und von seinen Peinigern wegbrachte. Und wenn man versuchte, auf ihm herumzutrampeln, hörte er sich alles ruhig mit an, ließ sie alle ausreden, fragte sie dann, ob sie fertig seien und meinte dann, er hätte noch etwas zu erledigen, weshalb er sich leider nicht am Gespräch beteiligen konnte. Er ließ sie dann immer sprachlos stehen und zog sein Ding durch.
Erst, als mir bewusst wurde, wie viel ich eigentlich über Jaydens Verhaltensweisen wusste, wurde mir klar, dass ich ihn jeden Tag mit meinem Blick suchte und verfolgte. Dass ich ihn bewunderte und mir wünschte, er würde auch mal so für mich eintreten.
Genauso begriff ich in diesem Moment, weshalb meine Brust so wehtat, als ich ihn mit Derek sah an diesem warmen Sommerabend kichernd und turtelnd im Gebüsch, so als wollten sie sich verstecken, aber jemandem doch noch die Möglichkeit geben, sie zu finden.
Ich wollte nichts wie weg da, also ging ich. Auf meinem Weg nachhause musste ich feststellen, dass meine Verwirrung so gut wie verschwunden war. Dass ich nur noch Jayden im Kopf hatte und wie Dereks Lippen seine berührten. Das war der Abend, an dem ich begriff, dass ich mich zum ersten Mal verliebt hatte.
Obwohl es offensichtlich geworden war, dass Jayden auch an Jungs interessiert war, traute ich mich lange nicht, ihn anzusprechen, zumindest nicht deshalb.
Wie es der Zufall so wollte, sollte er mir aber etwa eineinhalb Jahre später Nachhilfe geben, damit ich es trotz meiner unterirdischen Leistungen in die nächste Jahrgangsstufe schaffte.
Er war einer der besten Schüler seines Jahrgangs, er war Schülersprecher und auch nicht abgeneigt davon, mir kostenlos zu helfen, solange eine gute Bewertung in seinem Zeugnis für ihn dabei raussprang.
Er wollte Arzt werden, hatte er mir in meiner ersten Nachhilfestunde erzählt, er wollte Leuten helfen. Im Gegensatz zu ihm war ich da noch ziemlich planlos gewesen. Ich wollte einfach nur die Klasse schaffen und dabei half er mir.
Wir blieben etwa über ein Jahr durch die Nachhilfe in Kontakt, daher bemerkte ich auch eine Veränderung in seinem Blick. Dieses Strahlen verschwand schon ziemlich am Anfang dieser Zeit. Ich traute mich lange nicht nachzufragen, aber, als ich es dann tat, erzählte er mir, dass er unglücklich verliebt war.
„Weißt du, alle halten mich für ach so schlau und ach so perfekt, aber eigentlich bin ich strohdumm... Ich bin ihm so lange hinterhergerannt, war bereit, alles für ihn zu tun und er hätte mich fast mit runtergezogen"
„Von wem reden wir?", fragte ich leicht überfordert.
Jayden atmete tief durch und pulte an meinem Matheheft herum. „Derek... Wir hatten was am Laufen, vor ein paar Jahren und halt immer mal wieder, aber er wollte nichts Ernstes... Er meinte, er ist doch nicht so dumm und bindet sich in seinen besten Jahren an jemandem, von dem er weiß, dass es eh nichts wird..." Er sah so verletzt aus, als er mir das erzählte und hinzufügte, dass er so lange für umsonst gehofft hatte, da Derek nach wiederholten Vergehen zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden war und diese nun absitzen musste. Er vermisste ihn, aber er wollte ihn vergessen und sich mehr auf die Schule konzentrieren.
Es dauerte zwei Monate, bis ich den Mut fasste, ihn um ein Date zu bitten. Zuerst wollte er ablehnen, aber ich flehte und flehte, nervte ihn und bettelte, was das Zeug hielt, blamierte mich bis auf die Knochen, solange, bis er sich geschlagen hab und meinte, mir eine einzige Chance geben zu wollen.
Wir trafen uns also an einem Samstagabend in einem schicken Resteraunt, das für uns beide viel zu teuer war, doch ich hatte mir Geld von meiner Schwester geliehen und war bereit, jeden Cent sogar mit Zinsen abzubezahlen, nur um Jayden ein bisschen was bieten zu können.
Ich war so nervös an diesem Abend, das bemerkte Jay natürlich sofort. Er kannte mich mittlerweile immerhin ganz gut.
„Na sieh mal einer an", lächelte er und streckte die Hand nach meiner Wange aus, um darüber zu streichen. „Da ist ja einer richtig aufgeregt"
„Mach dich nicht lustig über mich", murmelte ich peinlich berührt und schaute auf meinen Schoß.
„Tue ich nicht" Ich hörte an Jaydens Stimme, dass er die Wahrheit sagte und auch noch dabei lächelte. „Ich bin einfach nur fasziniert davon wie süß du mit roten Wangen aussiehst" Sein Daumen strich die Stelle nochmal entlang, ehe er die Hand wieder zu sich zog.
Unsicher schaute ich auf, erkannte sein Lächeln und wusste, Jayden war wohl die einzige Person auf Erden, die niemals über mich lachen würde. Dafür hatte er einfach ein viel zu gutes Herz.
„Ich bin echt froh, dass du hier bist... Also dass wir zusammen hier sind", meinte ich mit einem zurückhaltenden Lächeln und hielt mich an meinem Wasserglas fest, ließ es dann aber sein, als ich bemerkte, wie sehr ich zitterte.
Jay streckte sich nach mir, aber diesmal nur, um meine Hände in seine zu nehmen. „Ich bin gerne bei dir, selbst, wenn's nur zur Nachhilfe ist. Bei der du beachtliche Fortschritte gemacht hast, wenn ich das mal so sagen darf. Ich hoffe für dich, du hintergehst mich nicht mit einem anderen Lehrer"
„Niemals!", empörte ich mich. „Ich versuche einfach nur, im Unterricht aufzupassen..."
„Dann brauchst du die Nachhilfe ja bald nicht mehr..."
„Nicht so voreilig!"
Jay lachte, weil ich plötzlich so panisch war, aufgrund der Richtung, in die sich das Gespräch entwickelt hatte.
„Ich meinte nur, solange ich eine Art Lehrer von dir bin, darf ich auch nur das bleiben. Außerdem wäre es ja seltsam, wenn ich dich nachts mal wirklich wegen der Mitternachtsformel aufwecke oder?"
Zuerst verstand ich nicht, worauf er hinauswollte, doch es sickerte in mein Hirn durch und ich könnte schwören zu spüren, wie ich sofort wieder rot wurde. „Du meinst, wenn wir... also falls wir..."
„Also ich nehme mal an, du hast mich um ein Date geben, weil du an mir interessiert bist. Und da ich auch nicht abgeneigt bin, wird es, wenn wir öfter Treffen wie diese abhalten, wohl dazu führen, dass wir irgendwann zusammen kommen..."
Ich konnte es gar nicht fassen. Ich meine, ich fühlte schon so lange was für ihn und plötzlich teilte er mir mit, dass er es nicht für so abwegig hielt, vielleicht mit mir zusammen zu kommen.
Ich war so glücklich in diesem Moment. Aber, wenn ich gewusst hätte, was noch alles auf Jayden zukommt, hätte ich wohl die Finger von ihm gelassen. Denn das war es, was auch mich maßgeblich verändert hat.
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