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•B R Y C E•

„Ich dachte, du kannst sowas!", beschwere ich mich frustriert bei Logan.

Dieser stützt gerade das Gesicht in den Handflächen ab und reibt sich dann darüber, ehe er den Kopf schüttelt wie ein nasser Hund sein Fell und sich seine Brille aufsetzt.

Es hat mich fast schockiert, als er sie ausgepackt hat, aber er meinte, dass seine Augen einfach durch die viele Arbeit am Rechner ziemlich schlecht geworden sind und er sie daher braucht. Schlecht sieht sie auch gar nicht aus, im Gegenteil. Ohne den doch recht trainierten Körper könnte er fast ein süßer, kleiner Nerd sein. Wobei man ihm schon ansieht, dass sein Training sich hauptsächlich auf seinen Oberkörper beschränkt. Er hat ja dieses Problem mit dem Knie, weswegen er auch mit dem Football aufhören musste, da es einfach nicht richtig heilen wollte. Mir würden da aber schon ein paar Dinge einfallen, wie ich seinen Unterkörper aktiv bekommen würde, vor allem im Hüftbereich...

Ich schüttele den Kopf, um meine schmutzigen Gedanken zu vertreiben, die mehr als unpassend sind. Vor allem, da Logans Freundin gerade mit meinem Bruder am anderen Ende des Raumes sitzt und unterdrückt kichert.

Logan hat die beiden schon zwei Mal gebeten, leiser zu sein, damit er sich besser konzentrieren kann. Er versucht, sich für mich in die Datenbank der Polizei zu hacken, aber so richtig will das nicht funktionieren. Vielleicht ist er einfach nicht so gut darin, wie er es immer behauptet.

„Bis du fertig bist, bin ich tot, dann brauche ich die Infos auch nicht mehr"

Gereizt schaut Logan mich an. „Du kannst froh sein, dass ich das überhaupt versuche, ich kann dafür meinen Job verlieren und Jahrelang in den Knast kommen, wenn das rauskommt, also tut mir leid, dass ich versuche, meine Spuren zu verwischen. Das ist alles nicht so einfach wie es in Filmen dargestellt wird... und das ist die verdammte Polizei-Datenbank, die haben Schutzalgorithmen, die verdammt gut sind. Da prallen die besten Hacker dran ab."

„Aber du bist besser oder?", frage ich erwartungsvoll.

Logan atmet tief durch und sieht wieder zurück auf den Bildschirm seines Laptops, ehe er weiter tippt.

Er kommt allerdings nicht weit, da Miles und Emma ihn durch ihr lautes Lachen unterbrechen. Er nimmt die Finger von den Tasten und ballt die Hände zu Fäusten, ehe er zu den Übeltätern sieht.

„Emmi, hast du grade zufällig Lust, mir was zu essen zu machen? Ich verhungere"

Emma sieht ihn an, dann Miles und dann wieder ihn. „Klar. Ich nehme Miles mit"

Logan seufzt einen Dank und fasst nach Emmas Hand, als diese seinen Oberarm beim Vorbeigehen streift. Sie bleibt kurz stehen, lächelt ihn an und geht dann zusammen mit Miles aus dem Zimmer.

„Endlich", murmelt Logan dann und widmet sich wieder seiner Arbeit.

„Nicht einfach mit der Kleinen, mh?"

Logan braucht einige Momente, um zu antworten, da er gerade so konzentriert ist, tut es dann aber abgelenkt. „Einfach sind die Dinge, die dich wirklich glücklich machen, nie. Man muss aber für sich selbst wissen, ob es das wert ist und Emma ist es für mich definitiv"

Ich gestehe, beeindruckt von dieser Antwort zu sein, vor allem, weil er sie ja nur so nebenbei gibt und nicht mal groß darüber nachdenken muss. Für mich ergibt sich dadurch ja beinahe eine ganz neue Weltsicht.

Die weiteren Stunden denke ich nur noch darüber nach, was Logan da gesagt hat und stelle Vermutungen an, was ich wohl in Dereks Polizeiakte finden werde.

Die Aussage seines Trainingskumpels/seiner Affäre hat mich extrem neugierig gemacht. Außerdem weiß ich ja, dass er irgendetwas mit Eric vorhat und, obwohl ich keine Beziehung mit ihm habe, kann ich den Kleinen doch ganz gut leiden und da ist es besser, Vorsorgen zu treffen statt mir hinter Vorwürfe zu machen, wenn ihm etwas passiert.

Logan schafft es, mir am Abend des Tages, an dem er sich vormittags an die Aufgabe gesetzt hat, meine Bitte zu erfüllen.

Er lehnt sich erschöpft zurück und isst endlich die Sandwiches, die Emma ihm schon vor Stunden hingestellt hat. Ich denke, sie hat begriffen, dass Logan sie loswerden wollte, denn kurz danach hat sie Miles zum Shoppen mitgeschleift, aber nicht ohne Logan davor noch einen Hunderter aus der Tasche zu ziehen. „Zu irgendwas muss es ja gut sein, dass du arbeiten gehst", begründete sie das und Logan nahm es nur schmunzelnd hin, meinte, sie sollte sich was Schönes kaufen und machte sich danach wieder an die Arbeit.

Miles und Emma sind seit zwei Stunden wieder zurück und helfen Mum beim Kochen, während ich fassungslos auf den Bildschirm starre und nicht fassen kann, was ich hier lese. Vieles von dem verstehe ich ja nicht mal, aber das, was nicht in umständlicher Polizistensprache verfasst ist, reicht mir schon.

In verständlicheres Englisch übersetzt: Anstiftung zu einem Verbrechen, Nötigung, Raub, Räuberische Erpressung, Erregung öffentlichen Ärgernisses... Körperverletzung mit Todesfolge.

Dereks Akte ist lang. Die Einträge beginnen etwa bei seinem siebzehnten Lebensjahr. Er war dann mit 19 eineinhalb Jahre im Knast, kam aber vorzeitig raus und ist seitdem auf Bewährung.

Zu dem erfahre ich etwas über seine Kindheit. Hier steht etwas von seinem alkoholabhängigen Vater und Misshandlungen im Kindesalter. Es wird weiter auf seine Krankenakte verwiesen, in der die Verletzungen aufgelistet sind.

Ich weiß nicht, wie ich mit all dem umgehen soll. Ich habe wirklich was Schlimmes erwartet, aber irgendwie habe ich nie daran gedacht, dass alles auch einen Hintergrund hat. Er wurde als Kind misshandelt und, als er 17 war, muss irgendetwas gewesen sein, dass ihn dermaßen geprägt hat, dass er zu so einer Person wurde, die anderen weh tut, die andere umbringt.... Selbst, wenn es wohl unabsichtlich war.

Es gibt zu jedem seiner Verbrechen ganze Berichte und Ausführungen. Ich drucke mir alles aus und lasse Logan dann wieder an den Computer, damit er die Spuren beseitigen kann. Nachdem er fertig ist, bezahle ich ihn mit 200 Tacken. Er hat zwar seinen kompletten Samstag für mich verschwendet, aber ich denke trotzdem, dass 200 da ausreichen sollten. Er hat immerhin darauf bestanden, es freiwillig zu machen. Also sind 200 deutlich mehr als nichts.

Nachdem wir mit allem fertig sind und ich die Unterlagen in mein Zimmer gebracht habe, gibt es Essen. Logan und Emma bleiben und auch Nick kommt pünktlich, um mitzufuttern.

Mum freut sich richtig, so viele Leute bekümmern zu dürfen, Ben ist eher genervt, da er lieber weiterzocken will, statt warten zu müssen, bis alle fertig sind und dann auch noch beim Abräumen helfen.

Als das passiert, gehen Nick, Miles, Logan, Emma und ich in Miles Zimmer, da wir damit argumentiert haben, Benny nicht helfen zu können, dass wir Besuch haben. Tut mir ja leid für Ben, aber der Abwasch reizt mich nicht wirklich.

Es ist Samstagabend, wir sind alle im besten Alter, aber trotzdem gammeln wir uns alle einfach in die Höhle, die ich letzte Woche mit Jayden gebaut habe und machen einen Film an, um zu entspannen. Emma legt sich dafür auf Logan und auch Nick und Miles kuscheln sich zusammen, sodass wir alle reinpassen.

Ich gebe zu, kurz den Gedanken zu haben, dass ich jetzt auch gerne jemanden hätte, den ich so festhalten kann wie Logan Emma oder Nick Miles. Jemanden, der sich an meine Brust kuschelt und dabei lächelt, einfach, weil es in so glücklich macht, dass ich da bin. Aber ein Teil von mir weiß auch, das Jayden recht hat. Diesen Jemand wird es sehr wahrscheinlich nicht geben und daran bin ich auch selbst schuld.

Vielleicht bin ich zu direkt. Ich sage oft ehrlich und unverblümt meine Meinung, das ist in der heutigen Gesellschaft einfach nicht mehr üblich. Von den meisten will ich nur Sex und ich finde, wenn man diese Grenze schon beim ersten Treffen überschritten hat, gibt es da nicht wirklich etwas, mit dem man aufbauen kann. Klar hat man dann schon was, das einen verbindet, aber wo bleibt denn da die Spannung?

Außerdem ist meine Möglichkeit, anderen Vertrauen gegenüber zu bringen, sehr gering. Nach allem, was ich mir bei Miles mitansehen und auch selbst miterleben durfte, ist es nicht sehr einfach, noch an das Gute im Menschen zu glauben. Zu glauben, dass sie es ernst meinen, wenn sie sagen, dass sie immer hinter dir stehen. Aber das einzige, was diese Leute dann in deinem Rücken machen, ist über dich zu lästern und Gerüchte oder Geheimnisse zu verbreiten, die entweder nicht wahr sind oder vertraulich waren.

Ich finde es besser, wenn mir jemand direkt ins Gesicht sagt, was er denkt. Dann kann ich mich wenigstens verteidigen. Aber bei so falschen Leuten, hat man da einfach keine Chance. Da es mir so vorkommt, als seien die meisten meiner früheren Freunde Leute wie diese, ist es wohl nur selbstverständlich, dass ich da vorsichtig bin. Die meisten merken ja auch gar nicht, wie sie andern wehtun oder sie machen es mir purer Absicht. Ich weiß nicht wirklich, was davon schlimmer ist.

Aber als ich so darüber grübele, fällt mir wieder ein, wann ich zuletzt schlechte Dinge über mich gehört habe. Von Jayden. Er hat mir seine Probleme mit mir direkt ins Gesicht gesagt. Seine Wortwahl fand er nicht okay, dafür hat er sich dann hinterher entschuldigt, weil er dachte, mich verletzt zu haben.

Deshalb glaube ich, er ist das komplette Gegenteil von dem, was ich für gewöhnlich in Menschen sehe. Klar kann ich das nicht festlegen, da ich ihn ja noch nicht wirklich gut kenne, aber andererseits ist es genau das, was meine Neugier antreibt, mich dazu bringt, ihn so interessant zu finden, dass ich mich sogar über illegale Mittel über seinen festen Freund informiere.

Die einzige Frage, die sich mir jetzt stellt, ist eben, was ich nun mit diesen Informationen anstellen will.

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