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•B R Y C E•

Was soll ein erbärmlicher Loner wie ich schon anderes mit seinem Wochenende anfangen als den besten Freund meines kleinen Bruders bei der Arbeit zu belästigen? Zuhause langweile ich mich nur, Eric hat keine Zeit für mich und meine Mum kommt, wenn sie mich so tatenlos rumgammeln sieht, nur auf die Idee, dass ich doch mit ihr das Haus putzen könnte. Ich habe quasi keine andere Wahl als Jayden nachzustellen.

Er schaut ganz dämlich von den Gläsern auf, die er gerade poliert, als ich mich knapp vor ihm auf den Hocker werfe und über den Tresen grinse. „Hast du mich schon vermisst?“

„Was machst du hier?“

Nachdem wir letzten Abend so schön gekuschelt haben und er in meinen Armen eingeschlafen ist, dachte ich, seine Reaktion, mich zu sehen würde deutlich erfreuter ausfallen. Er muss mich ja nicht gleich abknutschen, aber ein kleines Lächeln könnte er mir schon schenken. Immerhin habe ich mich dagegen entschieden, ihn heimlich auszuziehen und es so aussehen zu lassen als hätten wir es wild miteinander getrieben. 

„Was wohl? Ich will Kuchen“ Ich schnappe mir die Speisekarte und beriete sie vor mir aus. Jayden bedient indes gewohnt freundlich weitere Kunden. 

„Sag mal, kannst du mir irgendwas empfehlen?“, frage ich leicht verloren. Die Auswahl ist nicht exorbitant groß, aber mein Wissen über Kuchen ist einfach zu beschränkt, um zu entscheiden, was gut für mich sein könnte. 

Jay ist gerade dabei, einige Tassen einzuräumen. Er dreht sich zu mir, schaut sich um und beugt sich dann über den Tresen, um mir ins Ohr zu flüstern. „Die meisten der Kuchen sind heute nicht mal frisch. Blieb lieber bei Getränken.“ 

„Oh“ 

Er macht weiter, als sei nichts gewesen, während ich seine Bewegungen mit meinen Blicken verfolge. Sein Hintern sieht unfassbar gut aus in dieser engen schwarzen Jeans. Die Schütze, die er trägt, sorgt nur dafür, dass dies umso deutlicher wird. 

„Das ist schade“, erwidere ich viel zu spät auf seine Warnung. „Dann muss ich wohl dich vernaschen“

Da er sich so plötzlich zu mir dreht, knallt er direkt gegen eine Kollegin und reißt sowohl ihr voll belegtes Tablett als auch die Tassen vor ihm herunter. Die Flüssigkeiten vermischen sich auf dem Boden und einige Gläser zersplittern.

„Mist. Das tut mir so leid, Mandy“ Jayden geht sofort zu seiner Kollegin in die Hocke, um das Chaos zu beseitigen. Jetzt tut es mir schon ein wenig Leid, mir keinen besseren Zeitpunkt ausgesucht zu haben, ihn so aus dem Konzept zu bringen. Aber ich konnte doch nicht wissen, dass er gleich die halbe Einrichtung auseinandernehmen wird, wenn ich ihn ein wenig aufziehe. Wobei... Als Spaß war es eigentlich nicht gemeint. Dieser Gedanke ist schon seit Monaten in meinen Kopf. Jayden, der nackt vor mir liegt. Jayden, der sich in meinen Laken räkelt. Jayden, der mich mit seinen weichen Händen berührt. Jayden, der meinen Namen stöhnt. Jayden, Jayden, Jayden. 

„Sei vorsichtig, was du sagst“, zischt er mir zu, nachdem der Boden frisch gewischt ist und die kaputten Gläser entsorgt. 

„Ist es dir lieber, wenn ich es einfach tue? Ganze ohne Vorwarnung?“

Er verdreht die Augen. „Es ist mir lieber, wenn du die klappe hältst und einen Abflug machst. Ich habe zu arbeiten“

„Lenke ich dich etwa ab?“ 

Ich weiß wie sehr ich ihn gerade aufrege. Aber es macht Spaß. Dieses Funkeln in seinen Augen, die Frustration in seiner Stimme, seine verzweifelten Antworten. Ich wäre nirgendwo lieber als hier. 

„Ich hasse dich, Bryce, weißt du was?“, seufzt er schließlich. Er scheint verstanden zu haben, dass er mich so schnell nicht loswird. 

Eigentlich habe ich gern viel Zeit für mich. Aber wenn ich jetzt daran denke, allein in meinem Zimmer zu chillen, will ich nur noch weiter zu Jayden aufrücken. Wäre da nur nicht diese dumme Einrichtung zwischen uns. Oder überhaupt irgendwas. Am liebsten will ich ihn spüren. Haut und Haut. Keine Kleidung zwischen uns, ja nicht mal Luft. 

„Nein, du liebst mich“, widerspreche ich überzeugt. „Und ich warte nur noch darauf, dass du es dir eingestehst“ 

„Darauf kannst du lange warten“, schnaubt er und pfeffert mir dann ein feuchtes Tuch, das er zuvor zum abwischen des Tresens benutzt hat, ins Gesicht. Grinsend fange ich es auf und folge seinem süßen Hintern den gesamten Weg zur Kaffeemaschine. Nur wenig später kommt er mit einer befüllten Tasse zurück und stellt sie vor mich hin. „Schwarz, ohne Milch, ein halbes Stückchen Zucker“ 

Sowie ich es mag. 

„Danke“ Etwas perplex ziehe ich den Kaffee zu mir und schließe meine Hände um die Tasse. 

Jayden mustert mich kurz, nickt dann zufrieden und widmet sich weiter seiner Arbeit. Mir fällt gar nicht auf, dass er einen Weg gefunden hat, mich ruhigzustellen, bis mir wieder langweilig wird. Jayden die ganze Zeit nur hinterher zu sehen, wie er durch das Lokal läuft und seine übliche Show abzieht, reicht mir nicht mehr. Ich will mehr von ihm. Seine Blicke, seine Stimme, seine frechen Antworten. Seine verdammte Aufmerksamkeit. Als ich das realisiere und vor allem, wie weh es tut, dass ich das nicht bekomme, zumindest nicht aus freien Stücken, ist es vorbei mit meiner guten Laune. Ich will mich sofort nachhause beamen, direkt in mein Bett, unter meine Decke und mich selbst einfach abschalten. 

„Jay? ich würde gern zahlen“ 

Er bleibt vor mir stehen und sieht mich verwundert an. Dann schaut er auf die Uhr an seinem Handgelenk und schließlich wieder in mein Gesicht. „In einer halben Stunde habe ich Schluss.“ 

Das ist sicher nicht die übliche Art eines Kellners auf eine Anmerkung wie meine zu reagieren. Ich dachte, Jay wird mir den Preis für meinen Kaffee sagen, ich lege ihm das Geld hin und haue wortlos ab. Doch so läuft es nicht. 

„Das ist toll für dich, schätze ich?“ Ich bin verwirrt. 

Jay wirkt als würde er auf etwas Bestimmtes hinauswollen. Auf etwas warten. Er beißt sich auf die Lippe, sieht auf den Boden und lehnt sich zu mir, weiterhin ohne aufzusehen. „Wenn du noch solange warten willst, könnten wir dann... Was unternehmen oder so...“ 

Er kann nicht sehen, wie ich misstrauisch die Augenbrauen zusammenziehe. Ich sage nichts, sondern mustere ihn bloß ungläubig und warte darauf, dass er mich auslacht und mir verklickert, er hätte mich nur reingelegt. Aber das passiert nicht. 

Je länger ich nichts sage, desto nervöser scheint er zu werden. Irgendwann beginnt er den Kopf zu schütteln. „Egal, vergiss es“, murmelt er dabei. 

In seinem Versuch, sich von mir wegzudrehen, fasse ich nach ihm und halte ihn somit auf. Wieder legt sich seine Hand in meine. Wieder bin ich fasziniert davon, wie weich sie ist. Und wieder will ich nichts lieber als zu testen, ob sich seine Lippen ebenso anfühlen. 

Bevor ich mir die richtigen Worte zurechtlegen kann, werden wir unterbrochen. Jemand legt den Arm um meine Schultern und stößt mit seinem Kopf an meinen. Er riecht nach Rauch und Schweiß. Seine Stimme ist genauso ekelhaft. 

„Wieso wundert es mich nicht mal, euch hier so rumturteln zu sehen?“ 

Jay zieht seine Hand aus meiner, als hätte er sich daran verbrannt. Im selben Moment stoße ich Derek grob von mir und hüpfe vom Hocker des Tresens. 

„Hei, schon gut. Kein Stress“ Er hebt abwehrend die Arme und weicht ein paar Schritte zurück. Dabei grinst er so ekelerregend, dass ich ihm am liebsten direkt ins Gesicht kotzen würde. 

„Geh mir aus den Augen“, brumme ich nur und setze mich dann wieder. 

Jay steht regungslos an Ort und Stelle und bewegt sich erst wieder, als Derek uns sein Belegleiter in einer entfernten Ecke platznehmen. 

„Mann, auf den hab ich jetzt so gar keinen Bock“, grummele ich. „Aber ist ja nur noch eine halbe Stunde“ 

Überrascht schießt Jaydens Blick hoch. Ich lächele ihn aufmunternd an und er erwidert es zurückhaltend. Dann arbeitet er weiter. Da Derek und sein kleiner Freund im Bereich von Jays Kollegin sitzen, muss er glücklicherweise nicht zu ihnen. Aber ich merke, dass sein Blick ständig dort hängt. Er sieht richtig gequält aus. Und das wiederum quält mich. Was interessiert es Jayden bitte, dass dieser Typ an Derek klebt? Dass Derek ihn küsst und abgräbt und ihn offensichtlich um seinen Finger wickelt?

Eine halbe Stunde später verlassen wir das Café Seite an Seite. Jay atmet tief durch und läuft schnellen Schrittes voran. Ich folge ihm. Erst, als ich seine Hand nehme, wirkt er nicht mehr so als sei er auf der Flucht. Erst dann beruhigt er sich. 

„Er ist so Arsch. Einen Tag nach unserer Trennung fickt er diesen Typen und dann taucht er mit ihm in dem Lokal auf, in dem ich arbeite. Das macht er doch mit Absicht!“

Ich sage nichts. Derek will Jay ganz klar verletzen. Was genau er sich davon erhofft, kann ich mir nicht erklären. Wer weiß schon, was sein krankes Hirn sich daraus für Chancen ausmalt. 

„Er ist ein Tyrann“, beschließt Jayden aufgebracht. Dann drückt er meine Hand fester und atmet weitere Male tief durch, bevor sich seine Stimme senkt. „Danke, dass du dageblieben bist.“ Sein schüchterner Seitenblick trifft mich. 

Er schaut wieder weg, noch bevor er mein aufgesetztes Lächeln sehen kann. „Ich kann nicht behaupten, dass ich das gern gemacht habe. Aber da hätten mich trotzdem keine zehn Pferde rauschleifen können, nachdem dieser Vollidiot aufgetaucht ist“ 

Es hat endlich aufgehört. Jayden hat endlich aufgehört, Derek bei jeder Gelegenheit zu verteidigen und ihn als guten Menschen darzustellen. Er aufgehört zu behaupten, dass er ihn liebt. 

„Danke“, wiederholt Jay etwas leiser. Und dabei bleibt es, solange, bis wir zuhause ankommen. Wortlos ziehen wir uns Jacken und Schuhe aus. Ich werfe einen Blick ins Wohnzimmer und erkenne meine Eltern, die zusammengekuschelt auf dem Sofa sitzen und Fernsehen. Jay folgt meinem Blick und ich verdeutliche ihm, still zu sein und die beiden in Ruhe zu lassen. Es ist selten, dass sie mal so eine ruhige Zeit füreinander haben. Das sollen sie genießen dürften. Miles ist im Urlaub und Benni vergammelt in seinem Zimmer. Seltsam, wie wenig in diesem Haus los ist, wenn man weiß, wie es ist, wenn es mal abgeht. Fast schon gruselig.

Jayden folgt mir in mein Zimmer. Klar, er wollte ja etwas unternehmen. Gerade weiß ich aber nicht, ob ich noch wirklich in Stimmung für sowas bin. Für Gesellschaft. Für Jayden. Fr die ganzen Sorgen und Gedanken und Gefühle, die er mit sich bringt. Es strengt mich an, schon seit Monaten. Ich weiß nicht, wofür ich das alles eigentlich mache. Ich habe nichts davon, dass er sich dessen bewusstwird, wie Leute mit ihm umzugehen haben. Es nützt mir nichts, dass er endlich von Derek getrennt ist und sich einen besseren suchen könnte. Es lohnt sich nicht, dieser ganze Stress. Die schlaflosen Nächte und Streitereien und verschwendete Zeit. Glaube ich. Denn ich beginne zu zweifeln. Daran, wieso ich all das gemacht habe. Wieso ich mich für Jaydens Beziehung interessiert habe. Dafür, wie er behandelt wird. Dafür, was mit ihm passiert. Dafür, wie es ihm geht. 

Ich beginne alles anders zu sehen. Und alles, was es dafür gebraucht hat, war ein Kuss. 

Jays Lippen lösen sich langsam, fast schon widerwillig von meinen. Er geht einen kleinen Schritt zurück und nimmt die Hände von meinen Wangen. Sein Gesicht ist ganz rot, seine Schultern schützend hochgezogen und sein Blick beschämt nach unten gesenkt. 

„Sorry“, murmelt er. „Ich bin voll durch den Wind. Ich... Ich sollte gehen“ Er deutet zu meiner Tür, doch weit kommt er nicht. Ich stelle mich ihm in den Weg. 

„Stop“ 

Er schluckt merklich und sieht dann vorsichtig zu mir auf, während er erneut zurückweicht. „Es tut mir lei-“ 

„Hör auf“, erwidere ich. Ich weiß selbst nicht, ob ich streng oder einfühlsam klingen will. Jay wirkt eingeschüchtert und ich bin total überfordert. Ich will nur nicht, dass er geht. Nicht so. Nicht in dem Glauben, ich würde die Zeit nicht gern zurückdrehen, um seinen Kuss zu erwidern. 

„Entschuldige dich nicht“, flüstere ich. Wieder stelle ich mich knapp vor ihn, um ihm den Weg abzuschneiden. Als er diesmal zurücktreten will, halte ich ihn an den Hüften fest. „Bleib da“ Er lässt mich ihn zu mir ziehen, sodass sich seine Stirn an meine legt. „Bereu es nicht“, flehe ich leise. „Bitte bereu es nicht.“

Er sagt nichts. Und ich warte. Darauf, dass er etwas sagt. Dass er es wieder tut. Dass er mir die Chance gibt, es richtig zu machen. 

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