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• B R Y C E •
Großer Bruder zu sein bedeutet, grundsätzlich alles besser zu können. Zumindest dachte ich das bisher. Immerhin fragen meine Brüder mich ständig nach Hilfe, Rat und Unterstützung, genauso wie meine Eltern. Aber Benni bringt mir beim Zocken gehörig Respekt bei.
Ich war nie ein Stubenhocker. Dazu hatte ich einfach nicht die Zeit. Wenn ich nicht in der Schule war, dann habe ich im Dorf auf den Bauernhöfen geholfen, um ein wenig Geld zu verdienen oder ältere Leute der Gemeinde beim Putzen oder einkaufen unterstützt.
Sobald ich alt genug war, suchte ich mir zusätzlich dazu noch richtige Jobs. Lieferte Kuchen von der Konditorei von Nicks Mum aus, arbeitete im Späti und der Tankstelle oder im Kino am Kartenverkauf. Meine Eltern hatten nicht das Geld, uns ein Taschengeld zukommen zu lassen und ich traute ich mich nie zu fragen, wenn ich mir etwas kaufen wollte. Ich wusste, sie würden alles möglich machen, um mir meine Wünsche zu erfüllen. Genau das war das Problem. Sie beide arbeiteten hart und ich sah nicht, wieso ich nicht ebenfalls Zeit und Mühe investieren sollte, um mir verdienen, was ich wollte.
Ich hatte schon früh gelernt, dass nichts auf diese Welt umsonst war. Egal, wie wichtig oder gerecht es auch sein möge.
Als wir begonnen, auf Miles‘ OPs zu sparen, arbeiteten wir alle umso mehr und machten Abstriche, wo es nur ging. Unsere Eltern boten uns alles, was sie konnten und manchmal sogar noch viel mehr. Wir zogen sprichwörtlich alle an einem Strang.
Nur jetzt, als es um Leben und Tod ging, rammte Benni mir buchstäblich eine Lanze in den Rücken und sah lachend dabei zu, wie ich elendig krepierte.
„Du hast mich ja absolut nicht kommen sehen!“, hechelte er vor lachen.
„Ich habe ja auch keine Augen im Hinterkopf!“, zische ich beleidigt und pfeffere seinen Kontroller aufs Bett. „Außerdem habe ich keine Übung in solchen Spielen. Ich hatte nie eine Chance gegen einen kleinen Nerd wie dich“
„Das hättest du dir vorher denken können“, grinst er hochnäsig. „Noch ne Runde?“
„Vergiss es“ Ich verschränke schnaubend die Arme. „Wir können zusammen Eishockey spielen gehen-“
Er verzieht sofort sein Gesicht. „Nah. Da sind so viele Leute“
„Ja und? Die rammen wir weg“
Ich fand es schon immer niedlich, wie seine Schultern sich rhythmisch rauf- und runterbewegen, wenn er lacht.
„Muss nicht sein. Aber danke“
Ich habe nicht die Möglichkeit, mir Gedanken darüber zu machen, ob ich versuchen sollte, ihn zu überzeugen. Die Türklingel verlangt nach meiner Aufmerksamkeit.
„Das müsste Eric sein.“, erkläre ich Ben, während ich aufstehe.
„Okay“ Er interessiert sich wenig dafür, sondern verändert den Modus seines Spieles, um alleine weiterzocken zu können.
Bevor ich die Tür zu seinem Zimmer hinter mir schließe, werfe ich ihm noch einen letzten Blick zu, den er schon gar nicht mehr wahrnehmen kann, da er so tief in der digitalen Welt versunken ist.
Da meine Eltern heute Abend aus sind, erlaube ich es mir, locker die Treppen runterzutrampeln. Etwa bei der Hälfte erkenne ich, dass Miles die Tür bereits geöffnet hat und Logan fest in die Arme schließt.
„Ey ich freue mich so auf den Urlaub, das ist nicht mehr normal“, kichert er.
„Ja, ich mich auch“ Miles war ist ein schlechter Lügner gewesen. Trotzdem ha e ich seine Schwindeleien schon immer durchschaut. So auch jetzt.
Ich werfe ihm einen misstrauischen Blick zu, während Logan seine Schuhe auszieht und dann fragt, ob er seine Taschen im Flur stehen lassen könne. Miles rückt sie noch ein Stück von der Tür weg und befindet es dann für in Ordnung.
„Ich dachte, du pennst morgen hier?“, hake ich verwirrt nach. Miles hat mich davon überzeugt, übermorgen um drei Uhr morgens aufzustehen, um ihn und Logan rechtzeitig zum Flughafen zu bringen. Logan soll deshalb bei uns übernachten.
„Ja ne, heute und morgen“, klärt Logan auf, kommt dann auf mich zu und gibt mir einen kurzen Handschlag. „Danke, dass du uns fahren wirst. Ich vertraue Taxifahrern einfach nicht. Die sind doch alle auf Drogen“
„Schon gut, schon gut“ Miles hat mir bereits vor Logans Angst vor Taxis berichtet. „Dann sind wir quitt für deinen keinen Hacker-Angriff auf die Polizei“
„Das ist ja schon ewig her und dafür hast du mich ja auch bezahlt“
Ich zucke nur mit den Schultern und wünsche den beiden viel Spaß, bevor sie in Miles Zimmer verschwinden. Ein Blick auf mein Handy verrät mir, das Eric später kommen wird. Und er will Jordan mitbringen. Na super.
„Wenn ich ihn die ganze Zeit böse anschauen darf, meinetwegen“
„Klar darfst du. Aber sei vorsichtig, ich stehe auf diese Blicke“
„Dann ficke ich dich und Jordan schaut zu?“
„Deal.“
Mit einem leichten Grinsen stecke ich mein Handy in meine Hosentasche, ehe ich mir im Kühlschrank etwas zu essen suche. Dabei nehme ich mir vor, morgen unbedingt einkaufen zu gehen und schreibe eine kleine Liste.
Der einzige von uns, der wirklich Zeit zum Einkaufen hat, ist Benni. Doch der besitzt kein Auto und ihn alles schleppen lassen will wir auch nicht. Deshalb leben wir die meiste Zeit über kurz vor dem Limit.
Als es erneut an der Tür klingelt, werfe ich einen Blick auf die Uhr und nehme an, Eric sei doch ganz pünktlich. Schnell stellt sich aber heraus, dass es Nick ist, der reinwill.
„Was ist denn heute bitte für eine Versammlung bei Miles?“, frage ich genervt. Mein Bruder ist ja richtig beliebt. Zum Kotzen.
„Pyjamaparty“, grinst Nick vorfreudig. Wie abgeneigt ich mein Gesicht verziehe, ignoriert er vollkommen.
„Kommt noch jemand?“, wi ich brummend wissen.
„Wenn Logan schon da ist, dann ne.“
Ich nicke nur verstehend.
„Magst du mitmachen?“
Reflexartig schüttele ich den Kopf. „Auf keinen Fall“
„Wieso nicht?“
Und dann stocke ich. Wieso eigentlich nicht?
„Was habt ihr denn so vor?“
„Filme schauen, reden, spielen. Sowas halt. Warst du noch nie auf einer Pyjamaparty?“
„Nein.“
„Oh.“
Er weicht meinem ernsten Blick aus und zuckt mit den Schultern. „Überlegs dir halt. Je mehr, desto besser“ Dann verschwindet er nach oben.
Fortan laufe ich nutzlos im Wohnzimmer auf und ab und denke darüber nach, der Pyjamaparty beizutreten. Ich will mich nicht in diese Unsicherheit begeben und für mich klingt Pyjamaparty eindeutig nach etwas, das Kinder machen, doch andererseits ist das die Möglichkeit etwas nachzuholen, das ich als King eben nie tun konnte. Sowie in den Freizeitpark gehen. Oder echte Freunde haben.
Zwei Stunden später sitze ich zwischen Eric und Logan auf Miles‘ Zimmerboden und mustere Jay dabei, wie er Jordan ein kleines Lächeln zuwirft.
Auch Eric bemerkt es und rutscht ein wenig weiter zu seinem Abgebeteten auf.
Keine Ahnung, was Eric dazu veranlasst, weiterhin so an Jordan zu hängen. Er hat Dinge von sich preisgegeben, die jeden anderen dazu gebracht hätten das Weite zu suchen. Er ist seinem Ex gegenüber gewalttätig gewesen und er hat nach wie vor Gefühle für ihn. Und dennoch klammert sich Eric an seinen Arm und lässt ihn für keinen Moment los.
Es stört mich.
Dass Eric es so offensichtlich machen muss, dass er in Jordan verliebt ist. Und dass Jordan kaum darauf eingeht. Erst nach dem fünften Shot ist er etwas lockerer geworden und drückt Eric immer wieder kleine Küsse auf den Mundwinkel oder fasst nach seiner Hand. Nachdem die beiden aufgeklärt haben, dass sie nicht zusammen waren, sind alle anderen dementsprechend verwirrt.
Dann sind da noch Logan und Nick. Nick, der freundlich und zuvorkommen wie immer ist und Logan, der jede Gelegenheit nutzt, um gegen Nick zu schießen.
Miles hat ihn schon mehrmals gebeten, damit aufzuhören, aber man sieht Logan an, wie schwer es für ihn ist, sich zurückzuhalten.
Erst, seit Nick nach einer Pflichtaufgabe von Logan den Fußboden abgeleckt hat, ist er etwas friedlicher gestimmt.
„Okay, Bryce, du bist“
„Wahrheit“, murmele ich an mein Glas, ehe ich einen Schluck davon nehme.
„Okay. Mit wem von uns würdest du rummachen wollen?“, Nick wackelt wild mit den Augenbrauen und grinst dabei verheißungsvoll.
Ich sehe überprüfend in die Runde. „Eric. Und falls ich anderenfalls sterben würde, vielleicht noch Logan und Jay“
„Ich glaube, es hat bisher noch niemand geschafft, mich in diesem Spiel so hart zu beleidigen ohne mich zu beleidigen“, lacht Logan und hält sein Glas in die Höhe, um mir anzudeuten, dass er sich darauf einen Schluck genehmigt.
„Die Brille steht dir“, meine ich bloß schulterzuckend.
Er wird tatsächlich ein wenig rot um die Nase, formt die Hand zu einer klaue und raunt mir ein „Rawr“ zu.
„Hei, du hast eine wunderschöne Freundin!“, mahnt Miles seinen Kumpel sofort lachend.
„Die ich über alles liebe“, bestätigt Logan. „Keine Sorge, ich würde nicht fremndficken. Auch nicht, um mich auszuprobieren.“
Sofort liegt wieder ein dunkler Schleier über uns. Mein Versuch, die Stimmung wieder aufzulockern, indem ich Miles aiftrage für eine halbe Minute so zu tun ls würde er sich gerade sie Seele aus dem Leib scheißen, findet nicht den gewünschten Anklang. Nur Eric lacht sich beinahe zu Tode.
Dann beugt er sich zu mir rüber und flüstert mir etwas ins Ohr. „Beim nächsten mal sorgst du dafür, dass ich ihn küssen darf."
Auf meinen verwirrten Blick hin, grinst er mit funkelnden Augen.
„Ey, wer flüstert, lügt!“ Jordan piekt Eric in den Bauch, sodass er sich kichernd zusammenkrümmt.
„Ich hab gar nicht gelogen!“, verteidigt sich dieser. „Ich habe einen Wunsch geäußert“
„Und der wäre?“
„Sag ich nicht“
Jordan setzt an, eine weitere Kitzelattake zu starten, hält aber inne, als ich Eric verrate. Dann ist es still und ich sehe meinem ungläubig dreinblickenden Bruder in die Augen.
„Mann, Bryce du bist so ein scheiß Verräter!“, empört sich Eric beleidigt. Er verschränkt die Arme und sieht schmollend zu Boden. So erkannt er nicht, wie Miles zu ihm krabbelt, bis er direkt vor ihm sitzt und sein Kinn durch einen sanften Druck seiner Finger anheben kann.
Noch ehe Eric ganz begreifen kann, was Miles vorhat, legt mein Bruder seine Lippen auf die meines besten Freundes. Es dauert nur kurz, dann löst er sich wieder von ihm und grinst Eric an. Dieser sitzt schnell blinzend vor ihm und versucht das Geschehene zu verarbeiten.
„Ein kleiner Vorgeschmack“, flüstert mein Bruder, ehe er zu zurück zu seinem Platz krabbelt und dann unschuldig dreinblickt. „Was denn? Er hat ja nicht nach nem Blowjob verlangt“
„Den würde ich auch nicht ablehnen“, ruft Eric schnell aus.
Ein Lachen geht durch die Runde und das Spiel läuft weiter. Wir amüsieren uns. Und ich habe keine Ahnung, was diese Nacht noch so für uns bereithält.
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