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•M I L E S•

Es fühlt sich seltsam an, auf Nick zu warten. Ausgerechnet auf ihn. Mir ist klar, dass Bryce alles stehen und liegen lassen würde, wenn ich ihn bitte, mich abzuholen, aber um die Uhrzeit ist er auf der Arbeit und ich will ihn dabei nicht stören. 

Außerdem bringt es ja auch gar nichts, Nick weiter aus dem Weg zu gehen. Wir müssen endlich über diese Sache reden, egal wie unangenehm das wird und egal wie sehr es wehtut. Wenn wir das schon vorher gemacht hätten, hätte alles, was dieser Aiden gesagt hat, mich nicht halb so sehr treffen können. Aber wer weiß schon, ob Nick überhaupt ehrlich gewesen wäre. Alles, was Aiden gesagt hat, beweist, dass Nick mich angelogen hat, als es darum ging, ob er diesen Typen kennt. Ob er Sex mit ihm hatte. Aiden hat über Dinge mit mir geredet, die niemand, der uns nicht verdammt nahesteht, einfach so wissen kann. Es hat sich angefühlt als würde er mit jedem Wort sein eiskaltes Schwert ein Stückchen tiefer in meine Brust rammen. Seitdem klafft dort diese Wunde. Sie blutet und tut weh und, wenn ich nicht bald was dagegen tue, dann bringt sie mich um. Oder vielleicht bin ich schon tot. 

Woher weiß man denn, ob man am Leben ist? Ist ein regelmäßiger Puls wirklich alles, was da zählt? Ich glaube kaum. Aber was ist es dann? Was kann ich tun, um mich endlich mal wieder lebendig zu fühlen? Um glücklich darüber zu sein, am Leben zu sein? Eislaufen hat mir für kurze Zeit geholfen, ja. Aber, wenn ich jetzt ans Eis denke, dann sehe ich nur wieder Aiden vor mir, wie er mich packt, damit ich nicht weggehen kann und mir Dinge sagt, die ich nicht hören will. 

Erst, als eine Autotür zuknallt, schrecke ich aus meinen Gedanken auf und sehe zum Hof. Nick kommt langsam auf mich zu. Er hat die Hände in den Hosentaschen und die Schultern leicht hochgezogen. Er ist unsicher und traurig und er sieht richtig fertig aus. Ich bezweifle, dass er auch nur eine Minute geschlafen hat. 

Ich sitze auf der Treppe zu Jays Tür. Obwohl Nick mir die Hand hinhält, um mich auf die Beine zu ziehen, drücke ich mich selbst nach oben und gehe dann einfach an ihm vorbei auf das Auto zu. Ich höre sein leises Seufzen und dann seine Schritte, als er mir folgt. 

Auch im Auto ist es still zwischen uns. Nick wirft mir immer wieder kleine Blicke zu, doch ich starre aus dem Seitenfenster und sehe der Welt dabei zu, wie sie an uns vorbeizieht. Obwohl ich weiß, dass der Weg von Jay zu uns nicht gerade kurz ist, kommt er mir nun doch so vor. Wahrscheinlich auch, weil mein Hirn in der Zwischenzeit einfach abschaltet, um keine weiteren vernichtenden Gedanken zuzulassen. 

Nick parkt in unserer Einfahrt, doch hält das Lenkrad noch immer in den Händen. „Wir sollten darüber reden“, sagt er dann leise. 

Ich nicke, bin mir sicher, dass er das aus dem Augenwinkel sieht und steige aus. Nur kurz danach folgt er mir. 

Meine Eltern sind genauso wie Bryce arbeiten und Benni in der Schule. Nick und ich haben das Haus also für uns. 

Wie ferngesteuert laufe ich in die Küche, um meine Tabletten zu nehmen. Natürlich kommt mir dabei wieder in den Sinn, was Aiden gesagt hat. Es lässt mich bitter lachen, wie recht er mit alle dem hat. Dass er das nur ausgesprochen hat, um mich zu verletzen, ändert nichts daran, dass es die Wahrheit ist. 

Nick lehnt im Türrahmen der Küche und sieht mir ruhig zu. Sowie er mich anschaut, kann ich kaum glauben, dass er jemals abfällig über mich geredet haben soll. Ich bin mir sicher, Aiden hat es etwas drastischer dargestellt, als es tatsächlich war, aber das ändert nichts daran, dass Nick die Dinge gesagt hat, die er gesagt hat, egal wie. 

„Wie geht’s dir?“, fragt Nick leise, als ich das Glas wieder abstelle und mich dann zu ihm drehe. 

Ich lehne mich an die Küche und verschränke die Arme. „Die Tabletten sind kein Wundermittel, die alles plötzlich bunt und fröhlich machen, Nick. Mir geht es immer noch beschissen“

Mein Ton ist nicht in Ordnung, das ist mir klar. Nick zuckt sogar leicht zusammen und senkt dann betreten den Blick, als ich ihm das an den Kopf werfe, so als hätte ich ihm eine gescheuert. 

Ich seufze. „Tut mir leid.“ Ich hasse diese gesamte Situation. Ich habe so viel, das ich Nick sagen will. Das ich von ihm wissen will. Ich will Erklärungen und ich will verstehen. Aber ich bin noch nicht bereit dafür. Ich habe das Gefühl, jeden Moment in tausend Stücke zu zerbrechen. Doch es wird nicht besser werden, wenn ich noch weiter warte, das weiß ich. Ich sollte es einfach hinter mich bringen. 

„Nein, mir tut es leid“, murmelt er. Dabei hebt er den Blick wieder und sieht mich an. „Das war eine dämliche Frage. Ich...“ Er seufzt. „Keine Ahnung.“ Er wirkt etwas frustriert und unglaublich niedergeschlagen. Etwas von meinem Leid spiegelt sich sehr deutlich in seinem wieder. Das bedeutet, er versteht zumindest einen Teil von dem, was in mir vor sich geht. Ich bin ihm alles andere als egal. 

„Nicki...“ Er ist meinem Blick wieder ausgewichen. Nun, als ich ihn anspreche, als sein Spitzname liebevoll von meinen Lippen klingt, sieht er mich wieder an, deutlich überrascht. „Würdest du mich verändern, wenn du könntest?“ 

Er öffnet den Mund, um sofort zu antworten, stoppt aber, als ich ihn unterbreche. „Denk richtig darüber nach. Und bitte sag mir die Wahrheit. Bitte“ 

Im Gegensatz zu meiner Erwartung, nimmt er sich keine Zeit, um nachzudenken. Er antwortet sofort. „Ich würde nicht dich verändern, sondern mich. Ich würde einen besseren Freund aus mir machen, einen besseren Menschen. Jemanden, auf den du dich verlassen kannst und der dir nicht wehtut“ 

Ich habe mit allem gerechnet. Damit, dass er nein sagt, weil er weiß, dass ich nur aufgrund meiner Umstände bin wer ich bin und wie ich bin. Dass er ja sagt, weil er es mir gerne leichter machen würde. Aber das... Das habe ich nicht erwartet. 

„Verdammt, Sternchen, du bist nicht das Problem“, macht er nach kurzer Zeit der Stille weiter. Er klingt total verzweifelt. „Ich liebe dich, ich liebe dich über alles. Es gibt auf dieser Welt nichts, das ich lieber will, als dich glücklich zu machen. Ich habe diese Dinge mit Aiden getan, weil ich...“ Er atmet durch und schüttelt dabei leicht den Kopf. „Ich musste rausfinden, ob ich damit klarkomme. Ich dachte, wenn ich die Erfahrung gemacht habe und es funktioniert, dann kann ich dich besser unterstützten und weniger subjektiv beraten, was die OPs untenrum angeht. Ich habe nicht mit Aiden gefickt, weil er mir gefällt oder weil ich ihn mag. Und ich weiß, dass das dämlich war und ich hätte ehrlich zu dir sein müssen, aber ich wollte dich nicht verunsichern oder in deiner Entscheidung beeinflussen. Ich will, dass du tun kannst, weil sich für dich richtig anfühlt und ich will und werde dabei vollkommen hinter dir stehen... Aber ich musste es wissen“ 

Er atmet etwas beschleunigt, fleht mich durch seinen Blick an zu versuchen, ihn zu verstehen. Und das tue ich, ich verstehe ihn. Doch es ändert nichts daran, dass er mich belogen hat.  

„Wieso hast du ihm so viel über mich erzählt? Wir sind vom Arsch der Welt nach New York gezogen, nein wir sind geflüchtet, damit ich hier neu anfangen kann, ohne, dass die Leute mich ständig dafür verurteilen und fertigmachen. Und du plauderst mal einfach so mit deiner Affäre darüber und wirfst mich direkt dem Hai zum Fraß vor. Hast du eigentlich den Hauch einer Ahnung, wie sich das für mich anfühlt?“ Ich sehe ihn ebenso intensiv an, wie er mich. Seine Blicke fühlen sich an wie zärtliche, vorsichtige Berührungen am meinem Körper. Ich will nichts lieber als mich in seine Arme zu werfen und mich festhalten zu lassen. Er soll mir einfach sagen, dass das alles ein blöder Traum war und wir in der Realität noch glücklich und verliebt sind. Doch ich will nicht noch mehr von ihm angelogen werden. „Ich habe dir vertraut“, mache ich weiter. Diesmal weniger wütend, sondern mehr verletzt. „Du hast es schon mal richtig verbockt und ich habe trotzdem gelernt, dir wieder zu vertrauen. Ich habe dir schon mal unverzeihliche Dinge verziehen. Und ganz ehrlich? Ich will dich hassen. Ich will dich hassen und hier rausschicken und niemals wieder irgendwas mit dir zu tun haben. Aber ich kann nicht. Weil ich dich verstehe und weil ich es dir schuldig bin, dich richtig, ausführlich erklären zu lassen und weil ich dich so sehr liebe, dass der Gedanke daran, jemals wieder ohne dich aufzuwachen, dafür sorgt, dass ich am liebsten für immer schlafen will... Und das soll jetzt nicht heißen, dass ich unter allen Umständen mit dir zusammenbleiben will, aber es heißt auch, dass ich unsere Beziehung nicht leichtfertig wegwerfen werde, nur, weil du ein dummer Vollidiot bist. Wir reden jetzt darüber, du erzählst mir alles und zwar zu 1000% ehrlich und dann...“ Ich werfe die Hände in die Luft. „Keine Ahnung. Dann sehen wir weiter“  

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