•27•
•B R Y C E•
Wieder eine schlaflose Nacht, diesmal voller Sorge. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal so richtig schön geschlummert habe. Wahrscheinlich brauche ich es einfach, mich tagsüber in der Arbeit komplett zu verausgaben, um dann nachts schlafen zu können. Das war mir noch nie so bewusst wie jetzt. Aber heute ist es nicht nur die Tatsache, dass ich noch immer nicht wirklich müde bin, sondern eher die, dass mich einiges beschäftigt.
Ich finde es nicht gut, dass Jayden wieder bei Derek ist. Er sah auch wirklich alles andere als erfreut aus, als sein Lover plötzlich bei uns im Wohnzimmer saß. Während er wohl eher Angst hatte, ging mir fast die Düse. Ich stand wirklich Nanometer davor, Derek nochmal eine zu ballern und ihm sehr klarzumachen, dass er sich von jedem, der mit mir irgendwas zu tun hat, gefälligst fernhalten soll. Sowie er meine Mum angemacht hat, das war einfach nur abartig. Es regt mich ja schon auf, was er mit Jayden abzieht, aber bei meiner Familie, bei Miles und vor allem bei meiner Mutter ist ein Punkt erreicht, an dem Freundlichkeit zu einem Fremdwort für mich wird.
Irgendwie rechne ich damit, dass Jay jeden Moment wieder hier auf der Matte steht. Verweint, verzweifelt und zugerichtet als käme er frisch von der Schlachtbank. Ein Teil von mir wünscht sich das vielleicht sogar. Jayden ist so gefangen in diesem Traum einer funktionierenden Beziehung, dass er wohl nur durch einen nuklearen Knall darauf wachgerüttelt werden kann. Dass er wieder mit Derek gegangen ist, obwohl er wissen muss, dass ich der erste bin, der ihn verteidigt, falls er sagt, dass er lieber Abstand zu ihm will, beweist auch irgendwie, dass er das gar nicht will. Aufwachen.
Das alles beschäftigt mich deutlich mehr als es wahrscheinlich sollte. Diese Nacht habe ich nicht mal Lust darauf, es mit einer heißen Wanne und gutem Sex mit mir selber zu versuchen, um dann einschlafen zu können. Ich wälze mich hin und her und verfluche mich dafür, dass ich einfach nicht aufhören kann, daran zu denken. An Jayden. Daran, wie sehr er sich verändert, wenn Derek anwesend ist. Dann ist er irgendwie nur noch... ein blasses Abbild von sich selbst. Er tut und sagt dann ja kaum was und er lässt auch nicht wirklich den Anschein, dass er irgendwas wahrnimmt oder empfindet in diesen Momenten. Das ist krass... Wie jemand, der so aufgeweckt und lebensfroh ist wie er, plötzlich so... farblos werden kann. Und irgendwie ist es auch schade. Nicht nur, weil man merkt, dass Jay so nicht glücklich ist, sondern auch, weil er da einen wirklichen coolen Typen versteckt. Ich meine, er ist schlau und witzig und lieb... Unter anderen Umständen würde ich echt gerne mehr Zeit mit ihm verbringen. Vielleicht könnten wir Freunde werden oder so.
Keine Ahnung, was mit mir los ist. Wieso denke ich überhaupt darüber nach? Eigentlich will ich doch nicht mal Freunde. Vor allem nicht jemanden wie Jayden. Mit ihm befreundet zu sein, bedeutet, mir all seine Probleme aufzuhalsen und das wohl größte davon – namens Derek – ist echt alles andere als amüsant. Ich sollte weder meine Zeit noch meine Nerven für sowas verschwenden, vor allem, da es ja offensichtlich ohnehin nichts ändern würde. Ich werde Jay nur kurz anrufen und hören, dass es ihm gut geht und dann friedlich schlafen. Guter Plan.
Ich knipse meine Nachtlampe an, greife nach meinem Handy und wähle die relativ neu eingespeicherte Nummer. Im Freizeitpark, als sich unsere Wege kurz getrennt haben, haben Jay und ich Nummern ausgetauscht, weil Miles Handy leer war. So haben wir uns dann wiedergefunden. Er wird bestimmt richtig schockiert sein, weil ich ihn anrufe. Aber wenn ich einfach so tue, als sei das total normal, wird es hoffentlich nicht so peinlich.
Es wählt gar nicht lange, bis er leise abnimmt. „Hallo?"
„Hei, hier ist Bryce"
„Ich weiß" Er spricht wirklich sehr leise, noch mehr als beim Sprechen. Trotzdem versteht man ihn ganz gut, immerhin redet er deutlich und irgendwie... ich weiß nicht. Er hat eine ganz angenehme Stimme, fällt mir grade auf. „Was willst du?" Er klingt verwirrt.
„Äh, ich wollte nur... Fragen wie es dir geht, schätze ich" Gott, ich komme mir so dämlich vor. Das hier ist doch mega seltsam.
„Mir... Mir geht's gut", stammelt er, deutlich perplex. „Hast du dir etwa Sorgen gemacht?"
Ich fange leicht an zu lachen, halte diesen Gedanken für total absurd, aber irgendwie, ganz tief in meinem inneren weiß ich, dass er recht hat. „Nicht wirklich. Mir ist nur langweilig und ich weiß, dass du bestimmt was Spannendes zu erzählen hast"
Wieder braucht er relativ lange zum Antworten. Ich knabbere solange auf meiner Unterlippe rum und wippe mit meinem Fuß auf und ab, während ich darüber nachdenke, was ich gesagt habe und ob das blöd gewesen sein könnte.
„Ich weiß nicht, was du meinst", gibt er schließlich zurück.
„Na, das mit den Dinos zum Beispiel. Oder Evolution. Ich... mag es irgendwie dir zuzuhören, wenn du über sowas redest"
„Echt?", er klingt erstaunt. Ich nicke, obwohl er es nicht sehen kann und schmunzele bei der Vorstellung, wie sich seine grünen Augen leicht öffnen und er rötliche Wangen bekommt. Niedlich. „Du verarschst mich doch", beschließt er dann. „Mach dich nicht über mich lustig"
„Hei, das mache ich gar nicht! Ich meins echt ernst!" Was hält er denn bitte von mir?
„Jaja. Wie auch immer. Ich lege jetzt auf. Wenn Derek mitbekommt, dass wir miteinander telefonieren, ist seine gute Laune sofort wieder verschwunden"
„Gute Laune?", hake ich misstrauisch nach. „Er hat dir also nichts getan?" Die Frage ist so direkt wie sie es nur sein kann, das ist mir bewusst. Aber Jay weiß mittlerweile, dass ich weiß, was bei ihm so abgeht und obwohl ich durchaus Gefahr laufe, ihn zu verärgern, ist es doch einfach meine Art, sehr direkt zu sein. Sogar bei sowas.
„Nein, hat er nicht. Er war etwas enttäuscht, weil ich abgehauen bin ohne was zu was sagen und das kann ich sehr gut nachvollziehen. Er hat sich sorgen gemacht und er hat mich vermisst. Mehr nicht"
„Aha" Noch immer kann ich ihm nicht ganz glauben, aber ich höre aus seiner Stimme raus, dass er schon wieder gereizt ist, sowie immer, wenn dieses Thema aufkommt, also lasse ich es bleiben. Es scheint ihm immerhin gut zu gehen. „Dann Gute Nacht, schätze ich"
Irgendwas in mir hofft, dass er nicht auflegt und vielleicht doch noch etwas reden will. Mir ist einfach echt langweilig und das Telefonat hat mich alles andere als zufriedengestellt. Doch trotzdem verabschiedet er sich mit einem leisen „Schlaf gut." und legt dann auf.
Seufzend lasse ich mein Handy sinken und lege es irgendwo in meiner Matratze ab. Super. Jayden hält mich für den totalen Arsch. Dabei dachte ich eigentlich echt, dass wir uns theoretisch ganz gut verstehen. Manchmal. Selten. Ein wenig.
Ich bin echt froh, wenn ich wieder arbeiten und mir mehr Gedanken um Autos und die Psyche meiner Kunden machen kann. Nur noch ein paar Tage, dann tickt mein Hirn wieder normal und ich fühle mich auch endlich wieder nützlich. Es kommt sogar noch so weit, dass ich heute darauf bestehe, mit meiner Mum einkaufen zu gehen, obwohl sie mich eigentlich gar nicht dabeihaben will. Sie meint, beim Einkaufen hat sie endlich mal ihre Ruhe vor uns und das soll ich ihr gefälligst auch lassen, aber ich jammere solange, bis sie mich mitnimmt und ich ihren Packesel abgeben kann. Sie soll mal nicht so tun als hätte sie diese ganzen Kisten alleine schleppen können.
Obwohl sie mich nicht dabeihaben wollte, ist es dann doch ganz spaßig so zu zweit und am Mittag kochen wir dann sogar zusammen und ich versuche sie mit schlagfertigen Argumenten davon zu überzeugen, dass ich ihr Lieblingssohn bin. Sie grinst aber immer nur meint, sie hat uns alle drei gleich doll lieb. Dabei weiß eigentlich jeder, dass Ben ihr Liebling ist. Mit 11 hatte ich immerhin noch keinen eigenen PC und schon gar nicht in meinem Zimmer mit riesen großem Bildschirm.
Nach dem Essen und dem darauffolgenden Saubermachen, nimmt meine Mum mich an der Hand und bittet mich, ihr zu folgen.
„Was ist los?", hake ich besorgt nach.
„Nichts, nichts. Komm nur mal mit", meint sie, während sie weiter vorangeht. Kurz danach klopft sie an Miles' Zimmertür und ich schaue wie noch immer verwundert an.
„Ja?" Miles kann die Tür kaum öffnen, weil sein ganzes Zimmer entweder voll mit Klamotten oder Zetteln ist. Keine Ahnung, warum Mum ihn dafür nicht anmault, eigentlich wäre es für ihn echt mal wieder Zeit aufzuräumen, vor allem, weil er grade Besuch dahat.
„Nimm mir bitte deinen Bruder ab. Beschäftige ihn mit irgendwas, gib ihm eine Aufgabe oder setz ihn vor den Fernseher. Er ist so anhänglich, wenn ihm langweilig ist"
„Oha, Mum!" Ich schaute sie empört an. Sie will mich doch tatsächlich loswerden.
Sie beachtet mich gar nicht, sondern hält mich nur weiter fest und schaut Miles dabei bittend an.
Dieser beginnt zu lachen. „Klar, ich übernehme das Babysitten. Komm rein, großer Bruder" Er schiebt die Tür etwas weiter auf und meine Mum presst mich trotz meines Widerstandes in sein Zimmer. „Viel Spaß, meine Schätze" Sie lächelt engelsgleich, zieht dann die Tür zu und seufzt erleichtert „Endlich", sodass mir der Mund aufklappt und ich die Tür fassungslos anschaue. Da will man mal einen Tag lang seiner Mama helfen und dann sowas. Undankbar ist alles, was mir dazu einfällt.
Miles lacht noch immer leicht und dreht mich, sodass ich das Chaos in seinem Zimmer sehe, ehe er den Arm um meine Schultern legt. „Also wir planen gerade Emmas Geburtstag. Du kannst gerne mithelfen"
„Hi Bryce!" Emma sitzt im Schneidersitz auf Miles Bett und winkt mir freudestrahlend zu. Logan befindet sich hinter ihr und nimmt gerade den Kopf von ihrer Schulter um mir zur Begrüßung zuzunicken und sich dann wieder um die Zettel in ihren Händen zu kümmern.
„Hi Leute", brumme ich wenig begeistert. Jetzt soll ich auch noch einen Kindergeburtstag planen. Soweit ist es schon gekommen.
„Du bist ja mal wieder blendend drauf.", stellt Miles fest. „Was ist los?" Er lässt mich wieder los und schiebt ein paar Blätter zur Seite, um uns einen Weg zu seinem Schreibtisch zu ebnen, auf dessen Stuhl er mich dann platziert und durch den Raum zu seinem Bett schiebt, sodass ich mit ihm, Emma und Logan dort sitzen kann. Miles lässt sich vor mir nieder und schaut mich auffordernd an, damit ich ihm erzähle was auch immer mich beschäftigt.
Ich zucke bloß mit den Schultern. „Ich will einfach wieder arbeiten gehen. Ich langweile mich zu Tode"
„Sowas mal zu hören... Von einem Anfang 20- Jährigen" Logan schüttelt amüsiert den Kopf. „Ich bin froh um jede Stunde Freizeit, die ich habe"
Ich verdrehe die Augen. „Ja, du hast ja auch was zu tun. Du gehst dann wahrscheinlich immer zu Emma, sowie ich dich kenne. Alles, was ich machen kann, ist trainieren gehen, aber das kann ich jetzt erstmal streichen, nachdem ich Hausverbot in meinem Fitnessstudio bekommen habe."
„Wieso das denn?" Emma guckt mich schockiert an. „Hast du was angestellt?"
„Klar, immer bin es ich" Ich verdrehe erneut die Augen. „Ich habe gehört, wie Derek über Jayden hergezogen hat und ihm nach einem kurzen Gespräch eine geschoben. Dieser respektlose Pisser kotzt mich so an..." Und schon wieder bin ich mit den Gedanken bei Derek und Jay. Wie konnten diese Beiden Idioten so schnell so einen großen Teil in meinem Leben einnehmen?
„Du schläfst auch wenig zurzeit, mh?", meint Miles und kneift dabei die Augen leicht zusammen.
Ich nicke, mit fragendem Blick. Doch Miles geht nicht darauf ein, sondern fragt weiter.
„Appetitlosigkeit?"
Wieder nicke ich.
„Das Gefühl, dass nichts richtig ist, solange du nicht bei einer gewissen Person bist?"
Ich kneife die Augen zusammen und sehe ihn misstrauisch an. „Worauf willst du denn bitte hinaus?"
Miles grinst leicht, beugt sich zu mir rüber und kichert dann ganz geheimnisvoll. „Du bist verliebt. In Jayden"
Ich höre, wie Logan scharf die Luft einzieht und Emma ganz betroffen „Oh nein", murmelt. Schon da beginne ich wild mit dem Kopf zu schütteln. „Nein, bin ich nicht. Halt die Klappe" Ich kicke mit meinem Fuß nach Miles. Das letzte, was ich gebrauchen kann, ist, dass er jetzt irgendwelche Gerüchte in die Welt setzt oder Jayden irgendeinen Scheiß erzählt. Ich habe eine Mission mit ihm, mehr nicht. Er bedeutet mir gar nichts.
„Aber es stimmt", beharrt Miles. „Bekommst du Herzklopfen, wenn du weißt, dass er in der Nähe ist oder sein wird? Bringt dich ein Gedanke an ihn zum Lächeln? Wird dir ganz heiß und kalt, wenn du ihn siehst? Hast du immer das Bedürfnis, ihn anzusehen und findest immer neue Sachen, die dir gefallen? Interessierst du dich plötzlich für ähnliche Sachen wie er? Gehst du anders mit ihm um als mit anderen? Willst du bei ihm sein? Ihn küssen?"
„Halt endlich die Klappe!" Diesmal schreie ich.
Miles hat bis dahin noch gegrinst und wirkte neckend. Vielleicht war es ja nur ein Spaß, keine Ahnung, aber durch jeden Laut aus seinem Mund hat er mich immer weiter zum Brodeln gebracht. Durch die Explosion zuckt er erschrocken zurück und schaut mich schockiert an. Ich kann selbst nicht ganz glauben, dass ich ihn gerade so angebrüllt habe.
„Das nervt.", füge ich nach kurzer Zeit leise gebrummt, auch ein wenig beleidigt, hinzu.
Ich will mich nicht entschuldigen. Ich hasse es, mich zu entschuldigen, auch, wenn ich weiß, dass das nicht okay war und es mir echt leidtut. Ich versuche mich also durch diese Erklärung zu rechtfertigen und so zu tun als hätte ich alles recht der Welt gehabt, so zu reagieren.
Er schüttelt nur den Kopf, schnaubt leicht, meint „Du nervst" und ignoriert mich dann. Obwohl es wohl besser wäre, wenn ich gehen würde, bleibe ich doch hier sitzen und schaue dabei zu, wie er, Emma und Logan weiter den Geburtstag planen, doch wirklich anwesend bin ich dabei eigentlich nicht. Ich denke über alles nach, was Miles gerade gesagt hat und halte mir mein Ziel wieder vor Augen.
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