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• B R Y C E•

Ich war noch nie in einem Freizeitpark. Das Erlebnis, das dem wohl am nächsten kommt, ist bekifft von dem Dach eines Stalls in einen meterhohen Heuhafen zu springen.

Meine Familie hatte einfach nie das Geld für so einen Luxus und, immer, wenn Miles meine Eltern überzeugen konnte, bin ich zuhause geblieben, weil ich vom Alter her als Erwachsener gekostet hätte. So habe ich meinen Eltern ein paar Mal um die 30 Euro gespart. Das Geld fürs Essen, Trinken und andere Kleinigkeiten, die man dort kaufen oder machen konnte, nicht miteinberechnet.

Meine Eltern wollten natürlich immer, dass ich mitkomme. Einen schönen Familienausflug daraus machen. Sie waren nie sehr offen damit, dass es finanziell nicht gut um uns stand, aber ich wusste es trotzdem schon immer. Also habe ich behauptet, dass ich einfach keine Lust darauf habe oder lernen muss oder Sonstiges.

Klar wäre ich gern dabei gewesen. Miles wirkte jedes Mal so begeistert und total aufgedreht, wenn sie zurückkamen. Er und Benni haben mir so viel erzählt, ich konnte mir perfekt vorstellen, wie es wohl war, dort zu sein. Aber ich tat immer so als wäre das Kinderkram und nicht meine Art der Beschäftigung.

Als Jayden Miles dazu eingeladen hat, mit in den Freizeitpark zu kommen, war für mich von Anfang an klar, dass ich mitkommen werde. Nicht nur, um dafür zu sorgen, dass Derek sich von Miles fernhält, sondern auch, weil ich echt gerne mal in einen Freizeitpark will.

Es hat mich schon gewundert, dass Miles so ruhig geblieben ist. Jetzt jedenfalls sieht es ganz anders aus. Er ist schon seit gestern Abend total aufgeregt, packt ständig unseren Rucksack um, um zu überprüfen, ob wir was vergessen haben oder, um irgendwas reinzutun, das wir noch gebrauchen könnten. Er hat zwei Sets für jeden von uns zum Umziehen mitgenommen, einmal falls es kalt wird und einmal falls wir nass werden bei irgendwelchen Wasseraktivitäten. Dann hat er Proviant eingepackt und eine Extratasche für die Stofftiere, die er bei Spielständen ergattern will.

Da merkt man mal, dass er unbestreitbar der Sohn unserer Mutter ist. Die beiden sind wahrscheinlich die einzigen Menschen auf dieser Erde, die einen Ausflug so genau durchdenken würden und einen halben Umzug daraus machen. Aber letztendlich sind sie nie diejenigen, die dann den schweren Rucksack tragen müssen, sondern immer Dad oder jetzt in dem Fall ich.

„Pünktlichkeit ist nicht so deren Ding, mh?", brumme ich genervt. Wir stehen zwar erst sein zehn Minuten an dem vereinbarten Treffpunkt vor dem Eingang des Parks, doch ich habe jetzt schon keine Lust mehr. Wozu macht man Termine, wenn man sich nicht dranhält? Ich hasse sowas. Wenn sogar ich es hinbekomme, pünktlich zu sein, gibt es für alle andere keine plausible Erklärung, das nicht auch zu schaffen. Ich warte nur verdammt ungern, vor allem auf jemanden wie Derek und Jayden.

„Jetzt reg dich mal ab, wir waren viel zu früh" Miles zeigt mir die Uhrzeit auf seinem Handy.

Genervt verdrehe ich die Augen. Etwas, das ich noch viel mehr hasse als warten zu müssen, ist, unrecht zu haben. Das steht mir einfach nicht.

„Was ist denn los heute?", fragt Miles, als er sein Handy wieder wegsteckt. „Eigentlich sollte ich mies drauf sein, weil Mum mich gezwungen hat, dich mitzunehmen"

Ich muss schnauben. „Wärst du ernsthaft lieber mit Jayden und seinem Psychofreund alleine gewesen?"

Er zuckt mit den Schultern, sagt aber nichts. Das reicht mir als Antwort.

„Also" Ich klinge zufrieden. „Außerdem bin ich nicht mies drauf. Ich verschwende nur ungern meine Zeit, indem ich auf ein paar Vollpfosten warten muss"

„Mhm" Miles mustert mich. Er scheint mir meine Erklärung nicht abzukaufen. „Sicher, dass es nicht an deiner allgemeinen Unzufriedenheit liegt?"

Ich verziehe das Gesicht. „Was für eine allgemeine Unzufriedenheit bitte?"

„Naja, dein Tag besteht nur aus arbeiten, Sport und ficken. Wenn wir was mit meinen Freunden machen, bist du immer der einzige Single, eine Beziehung ist nicht in Sicht, soweit ich weiß, und eigene Freunde hast du keine..." Er zuckt mit den Schultern. „An deiner Stelle wäre ich auch unzufrieden"

Ich bin total fassungslos. Er meint das echt ernst. „Miles. Ich weiß nicht, ob es dir schon aufgefallen ist, aber ich bin nicht wie du, okay? Ich bin nicht der Beziehungstyp. Das ist auf emotionaler Ebene unnötig stressig und auf sexueller Ebene unnötig eintönig... Und ich habe sehr wohl Freunde! Du bist mein Freund"

„Ich bin dein Bruder", antwortet er mit zusammengezogenen Augenbrauen.

Ich öffne den Mund, um die Liste fortzuführen, aber Miles unterbricht mich. „Und Mum zählt auch nicht als Freundin." Er seufzt. „Jetzt mal ernsthaft, Bryce. Hast du irgendwem, mit dem du reden kannst, wenn es dir schlecht geht? Abgesehen von Mum und mir?"

„Mir geht es nicht schlecht", antworte ich, ohne mir selbst die Möglichkeit zu geben, über seine Frage nachzudenken. „Und abgesehen davon wäre es dumm, jemanden mit meinen Problemen zu belasten, selbst, wenn es mir mal schlecht gehen sollte... Was es nicht tut!"

Wieso muss ich mich eigentlich vor dem Knirps rechtfertigen? Er ist doch der, der wieder mit seinem Ex zusammen ist. Dem Typen, der ihn verprügelt hat, weil er ihm zeigen wollte, wie es ist, wie ein richtiger Mann behandelt zu werden, nachdem er ewig nicht akzeptieren wollte, dass er männlich ist. Ich bin sicher der letzte, um den er sich Sorgen machen sollte. Sein Leben ist auch nicht so perfekt, wie er glaubt oder tut. Aber ich bringe es einfach nichts übers Herz, ihm davon zu erzählen, was ich letztens im Club mitbekommen habe. Miles hat schon zu viel durchmachen müssen, er hat es verdient, endlich mal glücklich sein zu dürfen. Er will das mit Nick. Er hat das mit Nick. Er braucht das mit Nick. Ich kann das durch die Wahrheit nicht kaputt machen.

„Aber, wenn dich jemand gernhat, dann hört er sich gern deine Sorgen und Probleme an. Das ist keine Belastung, sondern... keine Ahnung, eine Verbindung. Vertrauen. Dann weiß man, dass man nicht alleine ist und vielleicht hilft es ja sogar-"

„Du tust fast so als sei ich der, der die Antidepressiva nötig hat"

Miles zeigt mir den Mittelfinger, als ich ihn durch diesen Satz unterbreche. „Sorry, dass ich mich um meinen Bruder sorge. Kommt nicht nochmal vor"

Okay, jetzt ist er mies drauf. Er ist beleidigt und schmollt und ich mache nicht den Hauch eines Versuchs, etwas dagegen zu tun.

Ich weiß, dass er es nur gut meint. Aber trotzdem ist das Letzte, was ich brauche, jemand, der mir sagt, dass mein Leben erbärmlich ist. Solange ich so zufrieden bin, passt doch alles. Ich lasse mir da nichts einreden. Es funktioniert doch so wie es ist. Und ich bin gar nicht so einsam und verzweifelt wie Miles es darstellt. Ich weiß gar nicht, was er hat... Er scheint nicht zu verstehen, dass ich vielleicht einfach andere Dinge brauche als er. Für ihn ist Sicherheit wichtig. Er will eine Person an seiner Seite haben, die für ihn was ganz Besonderes ist und für die er was ganz Besonderes ist. Ich will einfach nur ficken und dann meine Ruhe.

Ich weiß nicht ganz, ob ich meine Laune steigt oder noch weiter sinkt, als ich Derek und Jayden auf uns zukommen sehe. Gerade, als Derek meinen Blick erwidert, löst er seine Hand aus Jaydens und legt den Arm um ihn. Er zieht ihn im Zuge dessen nah an seine Seite und ignoriert Jaydens fragenden Blick daraufhin.

„Pünktlich auf die Minute" Miles zeigt mir wieder die Uhrzeit auf seinem Handy. Er will mir offensichtlich unter die Nase reiben, dass ich mich völlig umsonst aufgeregt habe, was ich nur mit einem Augenverdrehen quittiere. Wenn er nicht aufpasst, „vergesse" ich ihn hier. Dann kann er sehen, wie er nachhause kommt.

Es ist seltsam zu beobachten, wie ruhig Jayden ist, wenn Derek anwesend ist. Normalerweise kreischen er und Miles immer total aufgeregt, fallen sich um den Hals und plappern sofort energisch los, wenn sie sich sehen. Jetzt geben sie sich ruhig die Hand und mehr als ein Lächeln kommt von Jayden nicht.

Mir entgeht Dereks unnötig fester Handschlag nicht, als wir uns dann begrüßen. Der Typ hat echt solche Komplexe, dass er bei jeder Gelegenheit Stärke und „Besitz" demonstrieren muss. Denn das ist es ja, als was er seinen Freund ansieht.

Ob Jayden weiß, wie Derek eigentlich über ihn denkt und spricht? Dass er sich im Fitnessstudio an andere Typen ranmacht und dort krumme Geschäfte plant? Ich glaube kaum. Jayden wirkt nicht wie jemand, der sowas unterstützen würde. Ich kenne ihn zwar nicht unglaublich gut, aber ich weiß, dass er ein guter Kerl ist. Ich habe keine Ahnung, was er mit so einem wie Derek will.

„Also gehen wir dann endlich rein? Ich habe mir schon den Plan angeschaut und weiß genau, welchen Weg wir gehen. Komm, ich zeig's dir" Miles zieht Jayden von Derek weg. „Ihr zwei dürft die Tickets holen", meint er noch über die Schulter, während er schon wegläuft, Jayden im Schlepptau, und dabei auf ihn einredet. Irgendwas über eine Wasserrutsche und ein Geisterhaus.

Derek wirkt leicht perplex, schmunzelt aber, als Jay sich mit überfordertem Blick zu ihm umdreht und mit den Schultern zuckt. Als sich sein Blick danach auf mich richtet, verfinstert sich seine Miene wieder. Ohne groß etwas zu sagen geht er an mir vorbei, um die Eintrittskarten zu holen. Er rempelt mich dabei an, sodass ich ihm kurz schnaubend und kopfschüttelnd hinterhersehe, ehe ich ihm folge.

Er bezahlt die Tickets für uns alle vier, hält mir dann die für Miles und mich hin und lehnt das Geld dafür ab. Ich hasse es, dass meine gute Erziehung mich dazu zwingt, mich dafür zu bedanken. Ich will das nicht. Und erstrecht will ich ihm nichts schuldig sein.

„Nimm du das Geld oder gebe es Jayden" Irgendwie absurd, dass das wie eine Drohung klingt.

Derek verdreht die Augen und reißt mir dann die Scheine aus der Hand. „Halt dich fern von ihm.", macht er mir dabei klar. Wenn Blicke töten könnten...

„Keine Sorge. Ich werde nichts mit ihm tun, das er nicht unmissverständlich von mir verlangt" Ich grinse dabei. Nicht unbedingt, um Derek noch mehr zu provozieren, sondern einfach, weil ich mich darauf freue zu hören, wie Jayden flehend meinen Namen haucht. Wie er ihn stöhnt, während ich in ihm bin, wie er sich dabei an mir festklammert, während ich Dinge in ihm auslöse, die er noch nie zuvor gespürt hat. Wenn ich mit ihm fertig bin, kann er gar nicht anders als mir komplett zu verfallen, da bin ich mir sicher. Darauf freue ich mich jetzt schon.

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