Kapitel 1
Der Wind wehte vom geöffneten Fenster herein in mein Zimmer. Sanft strich er über die Haare, die sich aus dem feuerroten Knoten auf meinem Kopf gelöst hatten. Normalerweise würde mich das extrem nerven doch ich nun störte mich das ausnahmsweise kein bisschen. Denn nun musste ich mich auf genau dieses Kitzeln konzentrieren. Meine Gabe, die Luft zu kontrollieren, musste ich dank fehlenden Ausbildungsmöglichkeiten in meinen Ferien üben. Blöd nur, dass ich da manchmal einfach keine Lust zu hatte. Und das war einer der Momente, weshalb ich auch nicht einmal die Schwingungen der Luft spüren konnte, was eigentlich sehr einfach war. Ich trat die leere Kupferschüssel durch mein kleines Zimmer gegen den verhaltensmäßig großen Kleiderschrank am Ende das Raumes.
Frustriert ließ ich mich auf mein Bett sinken. Ich war eine Hexe. Eine Hexe, die nicht einmal die einfachsten Dinge schaffte. Natürlich war es ein ziemliches Klischee, dass ausgerechnet ich und nicht mein nicht magischer Bruder die roten Haare bekommen hatte. Und natürlich war er der, der von Magie regelrecht besessen war. Er sorgte mit seinen Braunschwarzen Haaren und seiner durchschnittlichen Figur kaum für Aufsehen was man von mir nicht unbedingt behaupten konnte. Ich stach immer überall heraus. Sei es wegen meinen Haaren, meiner schmalen Figur oder wegen meiner fehlenden Sommersprossen.
Gerade als ich mich begann immer mehr selbst zu bemitleiden klopfte es an meiner Tür und besagter Bruder trat ein. Er hatte seltsamerweise die Kapuze seiner Hoodies aufgesetzt doch ich stellte das nun einfach nicht in Frage.
„Was willst du?", maulte ich ihm entgegen. Er verdrehte die Augen und entgegnete: „Nicht ich. Dad will was von dir. Du sollst runterkommen"
Nun verdrehte auch ich die Augen und stand auf. Warum musste Dad immer Lucca zu mir schicken, wenn er was wollte. Ich würdigte diesen keines Blickes als ich an ihm vorbei die schmale Treppe hinabstieg. Am Küchentisch wartete mein Vater auf mich. Meine Mutter hatte sich schon früh von meinem Vater getrennt. Wir haben seit dem auch nichts mehr von ihr gehört, weshalb Lucca und ich bei meinem Vater lebten.
Ich setzte mich zu ihm und warte darauf, dass er ansprach was er wollte. Christian de Beauchêne war jedoch über ein Buch gebeugt und bemerkte mich zunächst nicht. Leise zog ich den Stuhl, auf dem ich saß, näher an den Tisch um so seine Aufmerksamkeit zu erregen. Er hob den Blick und sah mich mit seinen dunkelgrünen Augen an. Seine Augen waren genauso wie meine Grün und braun gesprenkelt. Es war, als würde ich in einen Spiegel sehen. Mein Vater räusperte sich und begann zu sprechen.
„Also wie läuft das Training, Sambarita?", fragte er. Echt jetzt? Er wollte mit mir über mein Training sprechen? Dad hatte genauso wie Lucca keine magischen Fähigkeiten. Meine Magie hatte ich von meiner Mutter. Deshalb hatte er auch keine Ahnung wie schwer es war, diese zu kontrollieren. Vor allem wenn einem dafür die nötige Ausbildung fehlte.
Meine Antwort fiel ziemlich schwach aus. „Naja ich versuche es aber ich schaffe es nicht. Ich habe irgendwie kaum Motivation."
Dad zog die Mundwinkel leicht hoch bevor er einen ernsteren Ton anschnitt.
„Ich kenne eine Möglichkeit, wie das vielleicht einfacher wird."
Verblüfft sah ich ihn an. Von einer Möglichkeit habe ich noch nie in meinem Leben gehört. Natürlich gab es Schulen für Hexen, wo man eine professionelle Ausbildung genießen konnte aber ein Besuch an so einer Schule war sehr teuer und auch nicht gerade um die Ecke.
„Die Direktorin der Acadia hat mich angeschrieben. Sie verteilen Stipendien an Hexen die keine Möglichkeit haben, die Schule zu besuchen. Und du wurdest als Stipendiatin ausgewählt!"
Quietschend warf ich mich in die Arme meines Vaters. Das Acadia - College for Witches war eine wenn nicht sogar die beliebteste Hochschule für Hexen auf der ganzen Welt. Sie hatten noch nie zuvor Stipendien verteilt, weshalb ich mich umso mehr freute das ich eine der Ersten war. Dad zog mich lachend an sich. In diesem Moment kam auch Lucca mit seinem Hund Leika in die Küche. Er dachte erst, dass ich weinen würde und irgendwie tat ich das auch. Erschrocken ließ er die Tüte voller Leckerlies fallen und rannte so mir um mich ebenfalls in die Arme zu schließen. Leika, die garnicht wusste was nun eigentlich abging, sprang bellend an ihm hoch.
Ich strich ihr über den Kopf und wurde mit einen Bellen belohnt. Mein noch immer unwissender Bruder sah mich ratlos an während ich versuchte zwischen meinen Schluchzern zu Wort zu kommen. Man konnte es ihm nicht verübeln. Und ich würdigte es wirklich sehr das er versuchte, für mich da zu sein auch wenn er nicht wusste was eigentlich abging.
„IchbinanderAcadia", brachte ich heraus, was das Fass zum Überlaufen zu bringen schien. Lucca und auch mein Vater zogen mich in eine innige Umarmung, die ewig andauern sollte. Leika machte es sich unterdessen auf unseren Beinen gemütlich.
Das war der beste Tag meines Lebens.
Die hellen Strahlen der Morgensonne bahnten sich am nächsten Morgen einen Weg durch meine dicken, hellgrauen Vorhänge. Ich schlug meine Decke zurück und stand auf, um diese zu öffnen. Allerdings entschied ich mich auf halber Strecke um und warf mich zurück auf mein Bett. Die Moleküle in der Luft bündelten sich dank mir zu einem festen Strahl, der die Vorhänge aufwehte und das Fenster öffnete. Zufrieden lächelte ich. Seit ich von meinem Stipendium erfahren habe funktionierte meine Magie plötzlich einwandfrei. Natürlich musste ich jede Möglichkeit nutzen um vor meiner Familie damit anzugeben. Besonders Lucca ging ich damit gern auf die Nerven.
Ich genoss kurz die warme Sommerluft, die durch das offene Fenster herein wehte bevor ich letztendlich doch aufstand. Am Küchentisch warteten bereits mein Vater und mein Bruder auf mich. Sie hatten den Tisch gedeckt und mein Vater hatte Brötchen vom Bäcker geholt. Heute war schließlich vor Weihnachten der letzte Tag an dem ich sie sehen würde und sie hatten offensichtlich vor, mich nicht einfach gehen zu lassen. Normalerweise war es eines unserer Rituale, sonntags Brötchen vom Bäcker zu holen.
„Uhh womit habe ich das denn verdient?", fragte ich mit einem riesigen Lächeln auf dem Gesicht. Die beiden hatten sich echt Mühe gegeben. Der Tisch vor mir war voll mit Essen. Allerdings gerade so viel, dass alles auf kam. Unsere Familie versuchte nichts zu verschwenden.
Ich fühlte mich wie eine Königin an diesem Tag. Und das, obwohl ich nur eine neue Schule gehen würde. Lucca ließ mich während des Essens sehr oft wissen, dass er mich vermissen würde. Dies ging so weit, dass ich ihm damit drohte ihn zu verhexen wenn er nicht aufhörte. Doch das brachte meinen Bruder nur zum schmunzeln.
Keine zwei Stunden später fand ich mich im vollgepacktem Auto meines Vater auf dem Weg zu einem Pendolium wieder. Ein Pendolium war ein hexengeschaffener Ort, an dem viele Portale standen, mit denen man an andere Pendolien reisen konnte. Vor etwa zwei Jahrhunderten war es den Hexen zu mühselig auf menschliche Reisemethoden zurückgreifen zu müssen und so schufen sie das Pendolium. Diese befanden sich überall. Man musste sie nur finden.
Vor etwa einem halben Jahr hatte ich eine Gruppe mit Hexen auf Instagram gefunden, die einer unwissenden Hexe wie mir dieses Prinzip erklärt hatten.
Ich konnte es immer noch nicht fassen, dass ich eine der wenigen Stipendiatinnen war. Früher hatte ich mir immer in den buntesten Farben ausgemalt, wie wohl mein Leben an der Acadia aussehen würde. Doch natürlich war ich mir sicher, dass ich nie die Möglichkeit haben würde, auf diese Schule zu gehen. Ich werde auch mein Bruder und meinen Vater vermissen da war ich mir sicher. Ich habe mein gesamtes Leben mit diesen beiden Männern an meiner Seite verbracht doch plötzlich war ich dazu gezwungen, sie nicht jeden Tag zu sehen. Natürlich konnte ich anrufen aber das war nun einmal nicht das Selbe. Ich freute mich jetzt schon auf die Weihnachtsferien dabei war ich noch nicht einmal da.
Das Pendolium in unserer Nähe befand sich in einer dunklen Nische mitten in der Stadt. Hier befanden sich lediglich zwei schwarze Mülltonnen und ein gleichfarbiger Müllsack. Natürlich würde keiner ahnen, dass es sich hierbei um einen Anschluss zum größten, magischen Netzwerk der Welt handelte.
Da magisch Unbegabte das Pendolium nicht betreten konnten war ich dazu gezwungen, mich vor der Nische von meiner Familie zu verabschieden. In dieser Situation wünschte ich mir meine Mutter an meine Seite, damit ich nicht alleine dort hineingehen musste. Natürlich ist es etwas unreif für eine sechzehnjährige, sich davor zu fürchten allein zu sein. Aber das war mir egal.
„Das ist wohl der Moment, vor dem ich mich am meisten gefürchtet habe", sagte mein Vater leise und über gab mir meinen Koffer. Ich kämpfte mit den Tränen als ich antwortete: „Ich auch."
Mein Dad nahm mich in den Arm um mir die vorerst letzte, wärmende Umarmung zu schenken. Plötzlich kam ich mir wieder vor wie ein kleines Mädchen, welches zum ersten Mal zur Schule ging. Ich war nervös aber auch unglaublich aufgeregt. Schon da hatte mein Papa mir Kraft gegeben. Genauso wie in diesem Moment. Ich fühlte mich, als würde ich einen Teil von ihm mitnehmen. Als würde ich nicht allein gehen.
Auch Lucca schloss sich unserer Umarmung nun an. Ich musste beiden versprechen jede Woche anzurufen und meine Zeit zu genießen. Und das werde ich tun.
Etwas wackligen Schrittes ging ich ihn die Gasse allerdings nicht ohne mich noch einmal umzudrehen. Dort standen sie, die beiden wichtigsten Menschen in meinem Leben und winkten mir fröhlich. Ich legte meine Hand an die Wand und sah, wie diese grün zu Leuchten begann. Nun konnte ich hindurch in das Pendolium und weg von meiner Familie gehen. Ich drehte mich noch ein letztes Mal um und sah, wie mir beide grinsend die Daumen entgegen reckten. Ich atmete tief ein und lief durch die Wand.
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