Kapitel 5
Der Berg war steil und das Gras begann langsam wieder zu wachsen, zwar in dem selben hässlichen Gelbstich in der es auch in der Steppe wuchs, aber immerhin waren wir aus dem kalten Schneegebiet heraus. Ich war froh das Vyris die ganze Nacht Wache gehalten hatte, ansonsten hätte ich mich nicht getraut auch nur ein Auge zu zu machen. Trolle hatten wir keine mehr gesehen, ich hatte zwar hin und wieder ein gelbes Augenpaar ausmachen können, dennoch haben sie nicht angegriffen sondern haben sich nur besser versteckt als ich sie ausmachen konnte. „Wir sind noch etwa einen Tagesritt von Kalmhar' entfernt." sagte Vyris, wir würden als am späten Abend erst in der Stadt ankommen. Ich nickte nur, ich wusste nicht was ich mit Vyris noch bereden sollte. Ich ritt etwa zwei Schrittlängen hinter ihm und war froh das mein Pferd seinem gehorsam hinterher lief, ich achtete nicht auf den Weg. Die Steppe die sich schon wieder auftat wirkte wie ein Meer aus gelben Hügeln, der Wind strich durch das Gras als wären es Wellen und kühlte mich etwas ab, da es inzwischen ziemlich warm geworden war. Hier, in der Mitte des Landes schien es eben so warm und schwül zu sein wie es bei uns im Hain war. Schweigend ritten wir weiter, ich hatte Vyris immer im Blick. Er hatte seine Kapuze wieder aufgesetzt und sich das Tuch tief ins Gesicht gezogen. Ich wusste nicht warum er das tat, schließlich war er kein gesuchter Verbrecher. Oder war er es doch? Der Orden der Schützen suchte mich schließlich auch, aber ich war aus ihrem Einflussgebiet raus und bis die anderen Orden die Nachricht per Brief erhalten konnten mochte es einige Tage dauern. Die Boten mussten die gleichen Wege zurücklegen wie wir und schließlich mussten die Orden auch noch beraten und eine Antwort zurück senden.
Wir ritten den ganzen Tag, es wurde immer heißer und ich setzte bald schon auch meine Kapuze auf um die Sonne etwas abzuhalten. Den Mantel hatte ich immer noch an, mir war aufgefallen, dass er nicht nur vor Kälte schützte sondern auch viel Luft hindurch lies wenn es warm war. Perfekte Kleidung für alle Wetterlagen, ich fragte mich ob der Orden der Diebe wirklich so organisiert war wie er mir bis jetzt vorkam. Wenn die Kleidung daher stammte oder nicht einfach nur gestohlen war.
Wir ritten eine Weile schweigend nebeneinander her, dann kam schon bald ein kleiner Teich in Sicht. Auch hier in der trockenen Steppe schien es also Wasser zu geben, ich war froh darüber, denn meine Beutel waren fast leer. Vyris stieg neben dem Teich ab und setzte sich auf einen Stein. Mein Pferd war brav, es graste neben dem Teich und suchte nach den wenigen frischen Grashalmen die es hier gab während ich mich neben Vyris setzte und die Beutel aus meinem Koffer holte. Vyris sah mir dabei zu „Trinkwasser." sagte er nur nickend und ich kniete mich an das Ufer und füllte nach und nach die Beutel voll Wasser. Ich sah in den Teich, mein Spiegelbild im Wasser sah zurück. Meine Haare hingen in schwarzen Strähnen herunter und berührten fast das Wasser. Ich selbst war nur noch ein Schatten meiner selbst, blasser als sonst und mit dunklen Augenringen gezeichnet. Ich sah mich an und nahm mir vor wenn ich im Orden ankommen würde erst einmal mindestens einen Tag lang durch zu schlafen. Für ein Mädchen das ihr ganzes Leben an einem Ort verbracht und immer ein Bett zur Verfügung hatte war das Leben als Reisende ein Sprung ins kalte Wasser.
Als wir Kalmhar' erreichten war es bereits Abend und wir stellten unsere Pferde beim Örtlichen Stall unter. Vyris bezahlte dafür, auch wenn ich genau sah wie er das Gold aus der Tasche des Stallmeisters nahm und mit diesem bezahlte. Die Stadt war anders als die Rubinstadt, sie war nicht ganz so edel. Hier auf der westlichen Seite des Drachengebirges wurde anders gebaut als auf der östlichen Seite. Bei uns waren die Häuser meist aus Stein oder Holz und mit Schieferplatten als Dächer. Hier waren alle Häuser aus dem gleichen goldgelben Lehm gebaut und es gab viel mehr runde Dächer als eckige. Zudem waren Felle und Tierhäute an den Häusern aufgehängt oder mit in die Wand gearbeitet. Die Wege waren auch nicht aus Pflastersteinen sondern aus gebrannten Lehm Ziegeln. Desto weiter man von meinem zu Hause wegkam, desto mehr veränderte sich alles. Was nicht hieß das diese Stadt hässlich war, sie war wunderschön und zwischen den Häusern blühten an jeder Ecke Olivenbäumen und Dattelpalmen. Alle Straßen schienen zu einem Platz zu führen, auf dem ein großer Brunnen aus schneeweißem Marmor sprudelte. Die Abendsonne beleuchtete die Gebilde und ich musste mich erst einmal genau umsehen. Doch Vyris trieb mich zur Eile an, wir würde nur eine Nacht hier bleiben können und am Morgen sofort wieder los reiten. Er hetzte mich weiter zum Markt und während er einen gut gekleideten Bürger nach Sehenswürdigkeiten fragte um einen ganzen Beutel voll Gold zu stehlen, beobachtete ich die Marktstände. Händler feilschten mit Käufern, Kinder bettelten bei ihren Eltern um einen Beutel süßer Datteln und Jäger schleppten erlegte Tiere auf ihre Auslagen. „Was brauchen wir?" fragte ich Vyris als er den Beutel öffnete und das erbeutete Gold zählte. „Auf jeden Fall Trockenfleisch, die Wasserbeutel sollte aber noch halten." murmelte er. Ich hörte ihm gar nicht richtig zu sondern sah mich weiter um, Vyris würde alles kaufen und ich musste nur aufpassen das ich ihn nicht verlor.
Nach dem wir genug eingekauft hatten und unsere Rucksäcke wieder randvoll mit Nahrung waren gingen wir hinüber zu einer Taverne. Anders als in der Rubinstadt war die Taverne hier fast vollständig leer, es saß nur ein einziger betrunkener Mann in der Ecke. Der Wirt musterte uns kurz, gab uns aber ein Zimmer als er das restliche Gold von Vyris erhielt. Ich nickte ihm dankbar zu, er sah zwar nicht sehr freundlich aus, aber dennoch hatte ich keine Lust mir weitere Feinde zu machen.
Vyris und ich betraten das Zimmer, es war im oberen Stockwerk. Sofort fiel mir auf das ein Doppelbett an der rechten Wand des Zimmers stand. Die Augenbrauen nach oben gezogen sah ich zu Vyris. Er sah mich kurz an und dann auf den Boden. „Für zwei Einzelzimmer hat das Geld nicht gereicht..." sagte er und stellte seinen Rucksack auf eine dunkle Holzkommode. Ich nickte nur, dann würde ich mit einem Mann in einem Bett schlafen müssen den ich kaum kannte. Meine Grundsätze schwanden sichtlich dahin. Ich legte den Mantel ab und hängte ihn an einen Haken an der Wand. Durch das kleine Fenster sah ich nach draußen, die Sonne war längst unter gegangen und die Sterne funkelten am dunkelblauen Himmel. Mir fiel auf wie Müde ich war, wir hatten heute zwar mehrere Pausen gemacht aber die letzte Nacht hatte ich nicht gerade gemütlich verbracht. Ich zog meine Schuhe aus und legte mich in das Bett. Es war aus Fellen gemacht und sehr weich. Ich wusste nicht von welchem Tier dieses Fell war, aber es war weicher als Schafswolle oder andere Felle. Vyris nahm sich aus dem Schrank eine weitere Decke und machte Anstalten sich damit auf den Boden legen zu wollen. „Du..." ich stockte kurz. „Du musst nicht auf dem Boden schlafen." sagte ich nur und lächelte ihn an. Vyris zwinkerte mir zu, was von mir noch geduldet wurde. Es war still geworden und draußen hörte man nur noch vereinzelt das kläffen von Hunden. „So bekommt man alle Frauen ist Bett." witzelte Vyris als er sich neben mich legte, doch ich gab ihm nur genervt einen kleinen Tritt. Er lachte kurz, doch dann wurde es auch in unserem Zimmer still.
Ich hatte so gut geschlafen wie noch nie, doch als ich aufwachte spürte ich deutlich Vyris Arm den er um mich gelegt hatte. Ich räusperte mich kurz und sah Vyris an. Es war ein Blick, den eigentlich jeder sofort erkannte. Ein typisch weiblich geprägter 'Willst du mich verarschen?' Blick. Bei mir mischte sich allerdings ein 'Willst du das wirklich tun? Es könnte sein das ich dir gleich die Nase breche.' Blick darunter. Vyris öffnete schnell die Augen, grinste mich an und stand auf. Ich bemerkte, dass er sich zum Schlafen nicht nur die Schuhe, sondern auch sein Hemd ausgezogen hatte. Er musste wohl gesehen haben wie ich starrte, der Herr hatte ganz schön was unter seiner Rüstung versteckt. Vyris sah mich mit einem lächeln an und ich hatte kurz den Anflug seiner Magie, als würde jemand meinen Geist lesen wollen. Aber nur kurz, er hatte nicht einmal angefangen etwas aus meinen Gedanken einzusehen. Vyris drehte sich um, seine Augen zuckten als las er etwas. „Hast du gerade versucht meine Gedanken zu lesen?" fuhr ich ihn an, ich wollte nicht das er sah was ich gerade gedacht hatte. Diese Gedanken sollte lieber niemand wissen. „Ja..." fing er an hastig zu reden, aber ich warf ihm nur einen demütigenden Blick zu. „Ich habe es versucht, aber bin dann auf jemanden anderen gesprungen." sagte er nun noch schneller, als müsste er schnell fertig werden. Währenddessen zog er sich wieder an und schnappte sich auch seinen Rucksack. Ich zog ebenfalls meine Schuhe wieder an. „Und diese Person, dessen Gedanken ich gelesen habe ist eine Wache des Ordens der Krieger. „Ich dachte der Orden der Krieger ist ganz wo anders angesiedelt, die westliche Steppe war doch schon immer freies Land!" entgegnete ich während ich den Mantel anzog und mir meinen Rucksack auf den Rücken band. „Ist es eigentlich auch, aber dagegen können wir jetzt auch nichts machen." Vyris zog sich seine Kapuze ins Gesicht und schob das Tuch über Mund und Nase. „Es sind etwa ein dutzend Krieger im Haus, sie haben einen Boten bekommen und wissen Bescheid – als ich zum Orden kam wurde ich nicht so gejagt." sagte er und setzte mir die Kapuze auf. „Na los, wir müssen übers Dach zu den Ställen kommen." - Da klopfte es auch schon an der Tür. „Macht die Tür auf!" brüllte eine tiefe Stimme. Wir hatten zum Glück ein Fenster an einer efeubewachsenen Seite des Hauses. Vyris war schnell und flink aus dem Fenster geklettert und stand schon auf dem Dach als ich knapp über dem Fenster nach den nächsten Ästen griff, als ich hörte wie die Tür eingetreten wurde. Er half mir schnell hoch und drückte mich an die Lehmplatten des Daches. Ein Krieger sah aus dem Fenster und auch nach oben, doch konnte uns nicht erkennen. Als er den Kopf wieder ins Zimmer steckte, wollte ich aufstehen doch Vyris drückte mich wieder nach unten. „Man darf uns nicht sehen, zwei Leute auf einem Dach sieht man schneller als zwei Leute die auf dem Dach liegen. Bleib unten!" flüsterte er mir zu und schlich vorran. Ich nickte, dann passte ich auf, dass mich niemand sah und blieb liegen. Wir sprangen kurz auf ein abgelegenes Haus, dort konnten wir aufrecht gehen da die eine Seite von der Stadt abgewandt war. Lautlos sprangen wir von diesem Haus auf die eben so lehmfarbene Stadtmauer und kletterten diese herunter. Die Krieger schienen auszuschwärmen, denn nun hörte man von über all Stimmen. Die Stadtbewohner waren eher ruhig, das hatte ich gestern schon bemerkt. Im Schatten des Stalls schlichen wir zu unseren Pferden, doch als ich sah was dort passiert war klappte mein Mund nach unten. Man hatte mir von dem Orden der Krieger erzählt, blutrünstig und plump aber dennoch auf alles vorbereitet. Das Stimmte.
Ich legte meine Hand auf das Fell meines Rappen, dunkles Blut floss aus der Wunde am Hals und beschmutzte den Boden. Man hatte ihm die Kehle aufgeschnitten um uns an der Ausreise zu hindern. Auch Vyris Brauner lag ermordet in seiner Box, doch Vyris sah kein bisschen traurig aus. Er hatte sein Pferd nicht lieb gewonnen, nicht viel mit ihm erlebt und es war nicht das einzige was ihm von einem guten Freund geblieben war. Ich war traurig und enttäuscht, aber zu sauer um zu weinen. Es tropfte nur eine einzelne Träne auf sein rabenschwarzes Fell. „Ich werde dich gut in Erinnerung behalten Valesha." flüsterte ich ihm ins Ohr, auch wenn er es nicht mehr hören konnte, dann schloss ich seine Augen. Valesha ist ein Wort der alten Sprache die mich Callum gelehrt hatte, es bedeutet 'ehrenhafter Freund' und ich war mir sicher, das Valesha einer war. Ich pflückte eine dunkelrote Blume von einem perfekt gepflegten Strauch neben dem Stall und legte sie auf seine Wunde. Eine Blume auf der Wunde sollte helfen sicher in die andere Welt zu gehen, ich hoffte innigst das Valesha es schaffen würde. Er war sehr wichtig für mich geworden. Vyris herzloses „Können wir los? Ich habe nichts gegen deine Abschiedszeremonie aber wir müssen hier weg!" riss mich aus meinem Kummer. Genervt aber verständnisvoll nickte ich nur und lies mich von Vyris hinter den Stall ziehen. „Was machen wir jetzt?" fragte ich ihn leise. „Wir müssen hier weg, aber wir sollten die Truppen vorbeiziehen lassen. Sie würden uns wohl kaum immer noch hier vermuten, sie werden denken wir sind geflohen." flüsterte er zurück und lief zu einem dicken, nahegelegenen Baum. „Na los, hoch mit dir!" sage er und ich erzwang ein lächeln, dann stieg ich auf seine Schultern und ergriff einen Ast. Nachdem ich mich hochgezogen hatte kletterte ich weiter in die Baumkrone und setzte mich auf einen dicken, oberen Ast nahe am Stamm. Vyris lief schnell zum Stall und kam mit dem Stoff zurück aus dem ich ein Halfter gebaut hatte und steckte es auf einen Zweig sodass es so aussah, als wäre ich beim weglaufen daran hängen geblieben. Ein Anflug von Traurigkeit flog über mein Gesicht und es fühlte sich an als würde jemand meinem Herzen tausend kleine Stiche geben. Ich schüttelte den Kopf um den Gedanken zu verscheuchen, ich hatte wichtigeres zu tun als um meine Freunde zu trauern, auch wenn sie noch so viel für mich getan hatten. Vyris lief wieder zum Baum und sah sich schnell um, ob noch jemand ihn sehen konnte. Er brauchte keine Hilfe, er sprang selbst an den Ast und schwang sich von Ast zu Ast bis er sich auf einem stand, der direkt neben meinem aus dem Stamm ragte. Er hatte recht, unter uns liefen schon bald die Truppen der Krieger aus der Stadt hinaus. Sie suchten die Wege ab und rannten weiter.
Endlich konnte ich kurz durchatmen und den Kopf in den Nacken legen. Für eine Sekunde fiel alle Anspannung von mir ab, doch im nächsten Moment kehrte sie zusammen mit der Frage was nun passierte wieder zurück. Ich sah Vyris fragend an. Er legte nur den Finger an seine Lippen und sprang lautlos auf meinen Ast, dann nahm er mein Kinn und richtete es nach unten. Unter uns trabte ein Händler auf seinem Pferd entlang. „Handelsstraße." sagte er nur leise und setzte sich. „Halte Ausschau, wir suchen einen Händler der mit Kleidung handelt um uns zu verkleiden." sagte er, dann musterte er mich. „Wir werden gesucht und im Ernst – wir sehen aus wie Verbrecher!" sagte er nur. Ich sah weiter nach unten, natürlich, ich war in dieser Kleidung geflohen und auch mein sonstiges Aussehen war sicher auf irgendeinem Steckbrief festgehalten.
Es dauerte etwas, doch bald schon kam ein etwas dicklicher Händler auf einem starken dunkelbraunen Pferd angeritten. Auf dem Karren den das Pferd zog stapelten sich Kisten auf denen das Logo der Südwestlichen Handelsgemeinschaft für Textilien aufgebracht war. Ich stand langsam auf und hielt mich am Baumstamm fest, doch Vyris flüsterte ein „Lass mich das machen, Schätzchen." zu und sprang leise Katze vom Baum und landete sanft und auf beiden Füßen auf dem Karren. Der Händler bemerkte ihn erst, als sich schon ein dickes Tuch aus seiner eigenen Kiste um seinen Mund geschlungen hatte und er durch den Knebel nichts mehr sagen konnte. Ich verdrehte die Augen, Vyris war wieder in seinem Element, dann sprang ich selbst ebenfalls vom Baum. Mein Zögern lies ich mir nicht anmerken, dann half ich Vyris den Karren kurz vom Weg ab ein Stück in den Wald zu lenken. Nach dem wir dem Händler, der sich heftig wehrte, die Arme auf den Rücken gebunden hatten und die Beine mit einem weiteren Tuch gefesselt hatten stießen wir ihn in ein Gebüsch. Wir hatten beide schon viele Unschuldige getötet die nur zur falschen Zeit am falschen Ort waren und wenn es sich vermeiden lies, dann sollte man die Chance nutzen. Den Händler würde sicher bald jemand finden und bis dahin waren wir selbst über alle Berge. So weit konnte es bis zur Salzwassergrotte nicht sein, wir waren immerhin schon an Kalmhar' vorbei. Das Pferd schnaubte unruhig doch Vyris und ich ließen uns Zeit und durchsuchten die Kisten nach Kleidung die dem Stand eines Händlers entsprach. Die Kisten waren voll Seidengewänder für Herrschaftsfamilien aber auch einige bürgerliche Kleidung war darunter. Vyris zog ein hellblau eingefärbtes Leinenkleid und einen aus einfachem Wolfsfell gearbeiteten Mantel hervor. „Hier, das dürfte dir passen und dich wie die Frau eines Händlers aussehen lassen." sagte er lächelnd als er mir das Kleid reichte. Ich nahm es entgegen, der Stoff war gut verarbeitet und der Mantel war weicher als Ginas Fell. Händler gab es in Sylvain viele, aber die meisten waren Markschreier oder Hehler die Diebesgut verkauften. Manche hatten einen Laden und solange er gut lief konnten sie sich damit ihren Lebensunterhalt verdienen, doch die, die am meisten Verdienten waren fahrende Händler. Sie brachten die Ware aus fernen Städten und da der einfache Bürger nicht spontan zum Beispiel zur Wüsteninsel reisen konnte um sich dort den legendären Sytrias-Wein zu kaufen, konnten sie die Preise in die Höhe treiben. Unser Freund hier, den wir um seinen Karren gebracht hatten, war offensichtlich so einer. Seine eigene Kleidung war mit einem hübschen Muster bestickt und auch seine Schuhe waren aus feinstem Wildleder, nicht gerade Seide oder Samt aber besser als die Lumpen die manch anderer Händler trug.
Vyris selbst nahm sich ein dunkelrotes Hemd mit golden bestickten Ärmeln und eine dunkelbraune Hose, dazu einen Mantel der meinem glich. Ich sah ihn kurz an, dann drehte er sich nur lachend um. Ich ging noch ein paar Schritte hinter einen Baum um mir sicher zu sein, dass er mir nicht zusah während ich mich umzog, dann strich ich meine Kapuze vom Kopf und verstaute auch die restliche Kleidung in meinem Rucksack. Das hellblaue Kleid stand mir gut, es war eng anliegend und reichte fast bis zum Boden, gerade so lang, dass es ihn nicht streifte. Ich zog den Mantel über und strich noch meine Haare glatt, ich hoffte wenigstens etwas wie eine Händlersfrau auszusehen. Meine Dolche hatte ich mir noch immer an die Beine gebunden und auch die, die ich sonst am Gürtel trug band ich nun mit einem anderen Tuch an meinem linken Bein fest. Sicher war sicher und unter dem langen Kleid fiel es nicht auf.
Als ich mich umdrehte konnte ich gerade noch sehen wie sich Vyris sein Hemd überstreifte. Ich hatte ihn wohl schon wieder zu lange angestarrt, denn auf seinem Gesicht zeichnete sich das Lächeln ab, das er immer dann bekam, wenn man ihm einen Anflug von Arroganz ansah. „Ich..." fing ich an, doch merkte bald das ich nur herum stotterte. Doch ich hatte mich schnell gefasst. „Wir müssen los!" sagte ich nur. Vyris nickte „Ja, das müssen wir.". In seiner Stimme merkte man genau das belustigte und ich versuchte so gut wie möglich es zu ignorieren.
Wir stapelten die Kisten wieder auf den Karren und während sich Vyris in den Sattel des muskulösen Zugpferdes schwang, setze ich mich auf eine der Kisten in den Karren. Wir hatten sie zuvor, wie der Händler es auch getan hatte, noch mit Haken gesichert, damit sie nicht verrutschen konnten und somit war auch ich voller Vertrauen in diese etwas andere Sitzmöglichkeit.
Vyris drehte sich zu mir um. „Wir dürfen auf keinen Fall Aufsehen erregen, wir werden ab jetzt so tun als sind wir fahrende Händler auf dem Weg zu Hafenstadt Estehm. Deshalb werden wir auch nicht besonders schnell sein. Wenn wir die Nacht durchreiten sind wir etwa gegen Morgen Mittag in der Salzwassergrotte." sagte er und sah sich um ob wirklich niemand bei uns war. „Falls irgendjemand fragen sollte brauchen wir andere Namen, ich habe eben nachgesehen – auf der Handelsgenehmigung steht Aheren Lykati. Wenn Leute in der Nähe sind wirst du mich also mit Aheren ansprechen." sagte er und ich stimmte ihm zu. „Oder einfach mit Schatz, Geliebter..." Vyris lachte und ich verdrehte wieder die Augen. „Und wieso werde ich deine Frau spielen?" fragte ich ihn und verschränkte die Arme. „Weil du zu alt bist um als meine Tochter durchzugehen und du weißt sicher, dass man ab vierzehn Heiratsfähig ist – dementsprechend ist alles in bester Ordnung wenn du meine Frau bist." Er richtete den Blick wieder nach vorne und gab dem Pferd das Signal um loszulaufen. „Und nun darf ich mein Weib bitten zu schweigen!" fuhr er fort, allerdings in einem ziemlich übertriebenem und nicht ernstgemeintem Ton. Ich kicherte, dann setzte sich auch der Karren unter mir in Bewegung und wir steuerten auf die Straße zu.
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