Kapitel 4
Ich wachte auf, auch diesmal fielen mir die Sonnenstrahlen durch das kleine Fenster im Stall ins Gesicht und ließen mich blinzeln. Jeden Tag aufs neue dankte ich, dass ich noch nicht von meinem Pferd zertrampelt worden war da ich mit ihm in einem engen Raum schlafen musste. Er sah mich an und schnaubte mir ins Gesicht. Ich lächelte, langsam hatte ich ihn lieb gewonnen. Der einzige Freund den ich hier hatte, mein Arbeitgeber war zwar in gewissem Maße freundlich, aber ich kannte weder seinen Namen noch hatte ich länger als ein paar Sätze mit ihm geredet. Doch daraus schloss ich, dass er zufrieden mit meiner Arbeit war. Ich hatte nun schon vier Tage im Stall gearbeitet und als ich mich aufrichtete bemerkte ich, wie sehr ich mein Bett vermisste, auch wenn es auch mit Stroh gefüllt war. Aber es war dennoch weicher und angenehmer, mein ganzer Rücken schmerzte und meine Arme fühlten sich nicht besser an. Der Mann hatte mir für heute frei gegeben, solange ich die Pferde fütterte, da es sonst nichts zu tun gab. In den letzten Tagen hatte ich kaum Zeit gehabt mich in der Rubinstadt umzusehen, ich war lediglich auf dem Markt gewesen und hatte mir etwas Fleisch und Brot gekauft um nicht nur von Äpfeln leben zu müssen, die außerdem für die Pferde vorgesehen waren. Ich gähnte und lief wie aus Routine zur Scheune, holte das Heu heraus und gab jedem der Pferde jeweils einen großen Arm voll. Der Mann stand an der Wand des Hauses gelehnt da und beobachtete mich, das tat er oft. Er hatte mich hin und wieder von dort aus beobachtet, aber hin und wieder stand er auch im Stall. Geredet hatte er wenig, aber damit war ich selbst mehr als einverstanden. Ich konnte nicht wissen ob er für den Orden der Diebe war oder dagegen, vielleicht wusste er nicht einmal davon. Ich sah ihn nicht genauer an, es konnte ihm schlichtweg egal sein, was ich in meiner Freizeit anstellen würde. Nachdem ich die Box geschlossen hatte schnappte ich mir meinen Rucksack und machte mich auf den Weg in die Rubinstadt, ich hatte nicht vor noch viel länger zu bleiben, aber ich wusste nicht wo ich hin sollte. Irgendwo sollte es doch einen Hinweis auf den Orden der Diebe geben, das Pferd auf das mich Callum gesetzt hatte ist nur in die Richtung gelaufen, in die mich Callum auch geleitet hatte. Und wir sind genau auf die Rubinstadt zugeritten, wir hatten keinen Richtungswechsel unternommen.
Die Stadt sah von innen etwa so aus wie von außen, sie war größtenteils aus normalem Stein, aber überall gab es Rubinornamente, -statuen und -brunnen. Auf dem Markt gab es viele Stände, doch ich hatte nicht genug Geld um mir mehr als einige Lebensmittel zu kaufen. Ich bewunderte immer wieder den Schmuck und die Kleidung die wunderschön waren, aber dennoch viel zu teuer. In dieser Stadt gab es viele Wohnhäuser, die Straßen waren gut gefüllt, es gab viele Bewohner in dieser Stadt. Allerdings gab es auch viele Läden in denen ich zu gerne etwas gekauft hätte, aber nicht wagte hineinzugehen.
Ich lief umher und sah mich um, bald schon entschied ich mich in eine Taverne zu gehen. Eine Taverne war das Zentrum der Stadt für Reisende, für Herrschaftsfamilien und andere reiche Leute war es natürlich der Pavillon, aber ich musste mich mit einer Taverne zu Frieden geben. Als ich die schwere Tür öffnete schlug mir der Geruch von Wein, Met und gewürztem Tee entgegen. Ich atmete ein, den selben Geruch kannte ich aus Myrposa.
Ich setzte mich an einen der vorderen Tische und überlegte wie es weiter gehen sollte, ich hatte keine Ahnung und das schon seit Tagen. Die Taverne gut gefüllt, es gab wenige freie Tische und eine Bedienung hastete zwischen ihnen hin und her. Als sie abgehetzt zu mir kam konnte man in ihren Augen die Dankbarkeit einer Verschnaufpause sehen. „Macht Euch keinen Stress. Ich nehme nur einen Wein." sagte ich freundlich und hob eine Gabel auf, die sie verloren hatte. Sie hatte auf beiden Händen Teller und Tabletts gestapelt und keine Hand frei. Ich legte die Gabel auf einen Teller und während sie mir ein freundliches Lächeln schenkte hatte ich meine Hand schon in ihrem Geldbeutel versenkt und blitzschnell einige Goldmünzen geklaut. Sie hatte nichts bemerkt, aber daran hatte ich nicht gedacht – meine Erfolgsquote war seit einigen Jahren bei hundert Prozent. Mich bemerkte kaum jemand, aber dennoch stahl ich nicht wirklich viel, es sei denn ich hatte einen Auftrag. Gestohlene Ware verkaufte sich schlecht, aber für mich selbst konnte ich hin und wieder schon etwas mitgehen lassen. „Das war aber nicht nett." sagte eine Stimme hinter mir, ich brauchte mich nicht umdrehen, denn der Mann trat aus dem Schatten vor mich und nahm sich einen Stuhl. Der Mann der vor mir saß hätte auf jeden anderen bedrohlich gewirkt, er hatte eine schwarze Stoff- und Lederrüstung an und trug eine Kapuze die er tief ins Gesicht gezogen hatte. Ich hatte meine Hand instinktiv an dem Messer am Gürtel. „Ich bin generell nicht sehr nett." antwortete ich knapp und musterte ihn. Seine Rüstung war etwas abgewetzt aber nicht kaputt und wirkte trotz der kleinen Schnittstellen tiefschwarz. Der Mann lächelte kurz. „Wer bist du, Mädchen?" fragte er mich. „Das werde ich einem dahergelaufenem Mann in einer Taverne doch nicht sagen." ich konnte schnell antworten und musste nicht lange überlegen was ich sagte. Er sah mich nur mit hochgezogener Augenbraue an. „Mein Name ist Vyris. So schwer ist das nicht, siehst du?" fragte er nun lachend. Ich zögerte nun etwas. „Ich bin Raven." antwortete ich ihm dann doch. Die Bedienung brachte meinen Wein und ich bezahlte mit dem ihr eben gestohlenen Geld. Dann sah ich Vyris wieder an während ich am Wein nippte. „Darf so ein kleines Mädchen denn schon Wein trinken?" fragte er mich provozierend. „Ich bin alt genug." antwortete ich nur knapp und kippte demonstrativ den ganzen Wein herunter. „Du bist fünfzehn Jahre alt, das weiß ich." sagte er nur und sah mich mit einem gelangweilten Blick an. Ich versuchte nicht sehr erstaunt auszusehen, aber ich war es. „Woher weißt du das?" fragte ich. Er lachte wieder. „Ich habe so meine Quellen." Er grinste. „Aber viel wichtiger ist der Grund warum ich dich angesprochen habe. Du hast etwas in deiner Tasche, zeig es mir." forderte er. „Ich bin ein einfacher Wanderer der hier und da ein wenig mehr Zeit in Städten verbringt." sagte ich nur. „Was sollte ich in meiner Tasche haben?" „Du weißt es." kam die Antwort nur knapp und für einen Moment hatte ich das Gefühl er blickte mir in die Seele, ich fühlte pure Entspannung. Es war wie eine Welle die von ihm aus auf mich zu geschwappt war und durch mich durch floss. „Du weißt es!" hörte ich noch einmal von ihm, allerdings hörte ich diesmal seine Stimme in meinem Kopf. Es war rein telepathisch, über seine Lippen kam kein einziges Wort. Ich nickte nur, ich hatte verstanden, dass er wirklich wusste was er wollte. Vielleicht könnte er mir ja auch weiter helfen. Ich sah mich um, die Taverne war immer noch sehr voll und ich sah Säufer, Pilger, Bürger und Händler. Dann holte ich die Statue heraus. Sie zog mich immer noch in ihren Bann, aber ich hatte mich etwas daran gewöhnt. Vyris sah mich an, musterte mich, dann blickte er zur Statue. „Du kannst sie tragen." flüsterte er. „Du weißt Bescheid?" fragte ich flüsternd zurück. Er grinste wieder, dann ergriff er die Statue und hob sie hoch. Ich war zu überrascht etwas zu sagen, ich war nicht darauf gefasst gewesen. War er etwa auch Bestimmt dem Orden beizutreten? „Pack sie wieder ein, wir müssen wo anders reden. Komm mit!" sagte er und ich packte schnell alles ein. „Ich frage mich schon die ganze Zeit warum man so früh in eine Taverne geht wenn man nicht jemanden sucht, aber diese Stadt kommt mir auch so schon komisch genug vor." sagte er zu mir als er nach draußen trat. Erst jetzt fiel mir auf, dass eine Taverne um diese Uhrzeit nicht gut besucht sein sollte, es war erst kurz vor Mittag.
Ich folgte Vyris einfach, er lief um einige Häuserblocks herum und wir fanden uns bald schon in einem kleinen Holzschuppen wieder. „Wo sind wir?" war meine erste Frage als wir ankamen. „In einem Schuppen, ich kenne den Besitzer nicht aber der Schuppen wird nicht benutzt – und wird es erst einmal auch nicht werden." Ich nickte, ich verstand das er mehr wusste als die meisten Menschen. Er konnte so etwas wie Gedankenübertragung und sicher noch mehr, ich war mir nicht sicher aber es kam mir so vor. Ich machte den Mund auf um etwas zu sagen, doch Vyris unterbrach mich. „Du weißt das du zum Orden musst?" fragte er mich. Ich nickte. Er nickte. „Gut, der Orden der Diebe besteht bisher nur aus vier festen Leuten. Einer von ihnen ist ein Magier der die Statuen in der Welt verteilt und die würdigen überwacht. Anscheinend hat sich jemand gefunden." sagte er lächelnd zu mir. „Du kannst sie auch heben..." begann ich. „Ja, ich bin dabei ein Ordensmitglied zu werden, ich bin mitten im Ritual. Ich habe auch eine der Statuen gefunden und sie zum Orden gebracht, damit unser Magier sie erneut in die Welt setzen kann um weitere Würdige zu suchen." er lächelte. „Ich dachte schon ich bin allein." sagte ich lachend, die Anspannung fiel langsam von mir ab. „Das bist du auf keinen Fall. Aber ich weiß wie es dir geht, ich kann in deinen Geist sehen." sagte er und lächelte. „Irgendwelche Fragen?" fragte er dann. Ich hatte eine ganze Menge, doch ich brauchte etwas um sie zu realisieren. „Tausende..." fing ich an. Vyris lachte, dann nickte er zum Zeichen, dass ich ihm meine Fragen stellen könnte. „Also, wohin müssen wir, was passiert dann mit mir und wer ist alles im Orden? Woher wissen einige Leute davon und was ist das ganze Ziel von diesem Neuaufbau?" sprudelte es aus mir heraus. „Wir müssen zum Sitz des Ordens der Diebe, wir haben uns in einer Grotte mit Meerblick eingerichtet. Wir nennen sie Salzwassergrotte, da sie einst vom Salzwasser aus dem Felsen gewaschen wurde. Du wirst sehen, sie ist wunderschön und auf einer Seite des Sitzungsraumes gibt es eine Öffnung, wie ein Fenster nach draußen. Man kann aufs Meer sehen und ist mitten in der Klippe, falls Gefahr vom Meer droht könnte ein Bogenschütze heraus schießen, aber ich beobachte lieber das Funkeln der Wellen." sagte er verträumt. Dann sah er mir wieder in die Augen und begann weiter zu reden. „Sie ist am Meer, sie liegt in keinem Einflussgebiet eines Ordens. Allerdings ist sie in der Nähe der Stadt Kalmhar'. Der Orden der Krieger und der Orden der Magier sind auch nicht weit, aber es könnte dem Orden der Diebe gelingen die Steppe bis zum Drachengebirge als Einflussgebiet zu beantragen. Darauf soll es hinauslaufen." er lächelte. „Wir wollen den Orden der Diebe aufbauen, ihr Einflussgebiet wieder erlangen und die Macht zurück die wir hatten." Er sah auf den Boden und dann wieder zu mir auf. „Was mit dir passiert...also, du bist würdig dem Orden der Diebe beizutreten und das Ritual zu vollziehen so wie ich es gerade tue, dann bist du ein Vollwertiges Mitglied. Im Ritual lernst du auch das was du 'Gedankenübertragung' nennst." Vyris lachte und ich sah ihm an, dass er es genoss mehr zu wissen als ich. „Was das Ritual ist wird dir der Ordensmeister erklären. Wo wir bei den festen Mitgliedern wären, der Magier der die Statuen überwacht und für vieles Weiteres was auf Magie beruht zuständig ist hat keinen Namen, jedenfalls ist er sehr zurückgezogen und ehrlich gesagt hat man manchmal auch etwas Angst vor ihm, aber im Grunde ist er ein guter Mann. Unser Ordensmeister, der oberste Meister des Ordens ist Jackmyr, er ist direkter Nachfahre des Ordensmeisters des Diebesordens der früher existierte. Die anderen beiden festen Mitglieder sind Jaceey, unsere Schatzmeisterin – sie wacht über unser Vermögen und kennt sich mit Geld aus, egal was man ihr vorlegt, sie macht es zu Geld. Und meistens zu mehr als es eigentlich wert ist. Jackmyr und Jaceey sind Geschwister, sie ist seine kleine Schwester." sagte er. Ich musste kurz an Callum denken, der auch wusste wo man welche Sachen verkaufen konnte und an Hazel, meine eigene Schwester die ich jetzt schon sehr lange nicht mehr gesehen hatte. Ich vermisste sie sehr und umschloss das Amulett das sie mir geschnitzt hatte mit meiner Hand. Dann hörte ich Vyris weiter aufmerksam zu. „Das letzte Mitglied ist Danemon, ein guter Dieb. Ich kenne keinen besseren als ihn, er stiehlt dir in der Sekunde die du ihm begegnest sofort alle deine Besitztümer." Vyris dachte kurz nach und dachte nach welche Fragen ich noch gestellt hatte. „Manche Leute haben durch Jackmyr selbst von dem Orden der Diebe erfahren. Die Statuen werden laut dem Magier immer an Orte gesandt, in denen bald ein Würdiger vorbeikommt und sie mitnimmt. Die Würdigen sind natürlich vom Fach, jemand der kein guter Dieb ist würde es nicht annähernd schaffen die Statue zu heben und dann sind es auch noch vom Schicksal ausgesuchte Personen." Schon wieder das Schicksal, diese Organisation hing also auch vom Schicksal ab. Ich hatte über das Schicksal gelernt, eine höhere Macht – nichts geschah einfach so. Ich wusste nicht so Recht ob ich daran glauben sollte, aber ich hatte nicht das Gefühl das mich etwas oder jemand lenkte. Ich tat das was ich wollte, entschied selbst und konnte eigenwillig Handlungen ausführen. Aber ob es das Schicksal gab oder nicht, darüber wollte ich jetzt nicht nachdenken. Ich hatte so lange gewartet bis endlich jemand Klarheit in das Chaos brachte was Callum angerichtet hatte. Vyris füllte die Lücken und endlich verstand ich mehr – was das alles sollte, wie wichtig es war das ich half und das ich meine Reise anscheinend mit Vyris fortsetzen würde. „Aber die Würdigen müssen auch von jemandem erfahren, dass sie würdig sind und somit hat Jackmyr in jede noch so kleine Diebesgilde einen Boten geschickt, der einer Person das nötigste erklärt." redete Vyris weiter. Mich durchfuhr ein leichter Blitz als spielten sich vor meinem geistigen Auge einige Geschehnisse noch ein mal in rasanter Geschwindigkeit ab. Vyris lächelte während ich ihn nicht gerade erfreut ansah. Was auch immer er tat, es fühlte sich an als würde er meinen Geist lesen und das gefiel mir ganz und gar nicht. Jeder hatte Gedanken die er nicht teilen wollte, schon gar nicht mit jemandem den er erst vor kurzem (genauer gesagt vor knapp einer Stunde) kennen gelernt hatte. „Bei dir dürfte es Callum gewesen sein, wenn ich das richtig gesehen habe." sagte Vyris und sah mich triumphierend an. Ich warf einen wütenden Blick zurück, doch Vyris sprach weiter. „Wir sollten sofort los reisen, während des Rituals sind deine Aufgaben neben Diebstählen auch das Abholen der neuen Rekruten. Davon gibt es momentan übrigends sieben, ich kenne sie selbst nicht alle. Im Orden wird viel geschwiegen. Jedenfalls bekomme ich Ärger wenn ich mich nicht beeile und da ich kein Magier bin..." sagte er und stand auf. „Was sitzt du hier noch rum?" fragte er mich und nahm mich an den Schultern, hob mich einfach so hoch und stellte mich neben sich. Stark war er, das hatte ich gerade gemerkt. Ich war zwar nicht schwer, aber er hatte mich hochgehoben als würde er eine Vase wieder aufstellen. Ich schluckte und hoffte innigst, dass es die richtige Entscheidung war mit ihm zu gehen.
Wir gingen aus dem Schuppen und traten auf die Straße, mein Kopf war immer noch voller Informationen und ich musste erst einmal durchatmen. Dann gingen wir durch das große Rubintor aus der Stadt hinaus und zum Stall. „Du hast ein Pferd?" fragte er überrascht. Wahrscheinlich dachte man das nicht von einem kleinen Mädchen das sich das Geld für seinen Wein stehlen musste. „Ich bin zwar überstürzt aufgebrochen – aber ich bin erst seit einigen Tagen unterwegs." sagte ich zu ihm. Man sah ihm an, dass es ihn überraschte, dass ich so weit gekommen war und das in der kurzen Zeit. Er lief zu dem Mann der mir Arbeit gab, dieser würdigte mich nur mit einem Seitenblick. Vyris warf ihm einen Beutel mit Geld zu und lief dann zur Box des Braunen Pferdes, dessen Box ich jeden Tag sauber gemacht hatte. „Ist das dein Pferd?" fragte ich ihn während ich das schwarze Band wieder in eine Art Trense verwandelt hatte und mein Pferd aufzäumen konnte. „Nein." Antwortete Vyris kurz. „Aber in dem Beutel ist das ganze ersparte Vermögen der Wirtin, ich denke es reicht für ein Pferd." Ich nickte stumm, die Methoden des Ordens waren anscheinend auf ihr Fachgebiet ausgeweitet.
Ich stieg im Stall auf und ritt neben Vyris aus dem Hof, mein Arbeitgeber nickte uns nur zu, er schien es zu akzeptieren. Wir ritten eine Weile gerade aus, dann wurde der Weg allmählich steiler. Wir könnten um das Drachengebirge herum reiten, aber es würde lange dauern. Wir hatten keine Zeit, desto schneller ich beim Orden war desto besser. Also würden wir uns über das Gebirge durchschlagen müssen. Ich hatte viele Geschichten von dort gehört, es soll dort kalt sein und es war der einzig bekannte Lebensraum der Bergtrolle. Sicherlich waren sie nicht größer als ein Mensch und ziemlich fett, aber wenn sie sich in Bewegung setzten konnten sie schneller werden als ein Pferd und stärker als Sylvains stärkster Krieger.
Der Weg wurde steiler und es wurde kälter. „Wir hätten uns Mäntel kaufen sollen." sagte ich in das Schweigen während Vyris' und mein Pferd immer mehr auf den Weg achten mussten um nicht abzurutschen. Vyris lächelte und holte aus seiner eigenen Tasche einen schwarzen Mantel mit Kapuze heraus und warf ihn zu mir herüber. „Wir wollen doch nicht das du auf unserer kleinen Reise erfrierst, oder?" fragte er lachend während ich mir den Mantel überzog. Er war aus schwarzer Seide und ich dachte echt nicht das er mich wärmen würde, doch das tat er. Ich gab dem Rappen das Zeichen schneller zu gehen, auch wenn das bei dieser Steigung kaum möglich war. Wir schwiegen wieder, ich hasste dieses Schweigen jetzt schon – aber es zu unterbrechen war fast genau so schwer wie etwas zu finden, dass es unterbrach. „Wer bist du eigentlich?" fragte ich ihn dann. Wir waren immer weiter nach oben gekommen und man konnte schon die Rubinstadt unter uns sehen, man sah von oben immer noch die ganzen Rubinornamente an den Häusern. „Vyris, habe ich dir doch schon gesagt." gab er zurück, den Blick starr nach vorne gerichtet. Schritt für Schritt die unsere Pferde liefen wurde es kälter, zwar wärmte mich der Mantel besser als er gemusst hätte, aber dennoch merkte man wie das gelbliche Gras der Steppe langsam aufhörte zu wachsen und in scharfe Steinarrangemente überging. Wir dürften etwa auf dem Bein des Drachen aus Stein laufen, es würde noch einige Zeit dauern bis wir über das Gebirge gekommen waren.
„Wenn du wirklich in meinen Geist sehen kannst, dann weißt du fast alles über mich. Aber ich weiß nur deinen Namen und das du beim Orden im Ritual bist." sagte ich zu ihm. Der Weg würde noch lang sein und ich würde gerne etwas über meinen Begleiter wissen. Vyris schüttelte nur kurz den Kopf. „Es gibt nicht viel über Vyris zu sagen. Ich war ein Straßendieb und bin eines Tages eben über eine solche Statue gestolpert, so wie du." sagte er nur. Ich sah es an seinen Augen, dass er nicht alles erzählt hatte. Es gab ja wohl mehr über jemanden zu sagen als das was er mir preis gab, aber ich gab mich damit zu Frieden. Wir liefen weiter, ich spürte wie sich mein Pferd unter mir immer mehr anstrengen musste und ich streichelte ihm wohlwollend seinen Hals. Ich sah mich um: langsam bedeckte eine Schneeschicht die Felsen und schon bald fing es an zu schneien. Ich musste mich wohl sehr panisch umgesehen haben, denn Vyris sah zu mir rüber. „Du brauchst keine Angst vor den Bergtrollen haben, ich bin hier und kann dich beschützen." Er lächelte mich an, dieses lächeln kannte ich nun schon. Das war sein aufreißerisches Lächeln das einen schwächer darstellen sollte. Ich sah nur gleichgültig nach vorne, ich hatte keine Lust ihm zu antworten. Er brauchte keine Bestätigung seiner Arroganz. Doch wenn es ein Schicksal gab, dann beschaffte es mir eine gute Gelegenheit zu beweisen, dass ich nicht das kleine schwache Mädchen war für das er mich hielt. Etwas graues, wolliges mit gelben Augen starrte uns hinter einem Felsen an und bevor ich überlegen konnte, was es war, kam es hervor und sprang auf Vyris zu der noch mit seinem Lächeln beschäftigt war. Noch im Sprung des Bergtrolls hatte ich eines meiner Messer aus meinem Gürtel gezogen und nach ihm geworfen. Perfekt getroffen, genau ins Herz. In einem kurzen Stoßgebet dankte ich Travis für das jahrelange Training. Vyris sah mich gleichzeitig erstaunt und erschrocken an während das Blut des Trolles den Stein unter ihm schwarz färbte. Das Trolle schwarzes Blut hatte wusste ich selbst noch nicht, doch ich war immer bereit etwas neues zu lernen. Ich kannte den Teil von Sylvain nicht und war bereit vieles zu sehen das ich nicht kannte.
Vyris sah mich immer noch erstaunt an während ich den Blick vom toten Troll abwendete und ihn ansah. „Ich denke ich bin nicht die die beschützt werden sollte." sagte ich und stieg ab, zog das Messer aus dem Leichnam und strich es kurz an Vyris' Hose ab um es zu säubern, dann steckte ich es mir wieder in den Gürtel und stieg auf einen Stein um mich auf mein Pferd zu schwingen.
Vyris sagte immer noch nichts und starrte mich nur an, auch als wir wieder los ritten. „Ein Danke hätte gereicht..." fuhr ich fort und richtete meinen Blick starr nach vorne. „Danke... im Ernst: Danke!" sagte er kurze Zeit später als er sich wieder gesammelt hatte. Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht, aber kein arrogantes Ich-bin-der-beste-Lächeln, sondern ein ganz normales freundliches und dankbares Lächeln.
Es wurde dunkel, über mir kreisten die Schneeflocken und tanzten mit den Sternen um die Wette die man nun deutlich sehen konnte. Es war wunderschön auf dem Rücken des Drachengebirges. Hier war der Weg wieder etwas flacher und unsere Pferde konnten gemütlich laufen ohne sich anstrengen zu müssen. Trolle hatten wir keine mehr gesehen, es gab Gerüchte dass Trolle sowohl intelligent sind als auch ein Sozialleben haben. Entweder waren sie von uns eingeschüchtert oder sie planten ihre Rache, falls diese Gerüchte stimmen. Ich hatte den Weg über immer wieder daran gedacht wie viele Gefahren uns auflauern würden und ob ich ihnen gewachsen war. Ich hatte schließlich nur in weniger als einem drittel von Sylvain trainiert und gekämpft, ich wusste nicht was es hier gab oder wie man es besiegt. Allerdings hatte ich einen Bergtroll überwunden und das gar nicht mal so schlecht. „Wir sollten unseren Pferden und uns eine Pause gönnen, wir können morgen weiter reiten." Ich nickte, da ich bemerkte wie müde ich eigentlich war. Gut geschlafen hatte ich in den letzten Nächten im Stall nicht, aber hier würde es wohl kaum besser sein.
Durch den kleinen Schneesturm der sich gebildet hatte konnte man kaum ein paar Schritte weit sehen. „Dort ist eine Höhle, wir sollte dort Unterschlupf suchen." sagte Vyris gegen den Sturm und wendeten in Richtung der Höhle. Sie war etwa so groß, das die Pferde gerade so hinein passten und uns dann noch genug Platz blieb. Nach dem wir abgestiegen waren holte Vyris von draußen ein wenig Feuerholz. Es war kaum noch Holz, eher festgefrorene Biomasse die mal ein Strauch war, aber es würde brennen. Ich gab meinem Rappen und Vyris' Braunen jeweils einen Apfel die ich vom Hof mitgenommen hatte, sie mussten eben so hungrig sein wie ich. Ich setzte mich auf den Boden und starrte in den Schneesturm draußen, es war kalt und man sah wenig aber irgendwie war es auch bezaubernd und wunderschön. Ich hatte selten Schnee gesehen, einmal war es im Winter extrem kalt geworden und es hatte im Hain kurz geschneit. Aber ansonsten war das Klima eher warm und schwül, sodass man Schnee kaum sehen konnte. Ich erinnerte mich daran wie Hazel und ich damals im Schnee gespielt hatten und uns freuten wenn wir kurz im Schnee einsanken – hier war die Schneeschicht schon bald so dick, dass man selbst bis zu den Knien einsank sobald man abstieg.
Vyris schaffte es schon bald das Feuer in Gang zu setzen und setzte sich neben mich auf den Boden. Ich hielt meine Hände über das Feuer um mich auf zu wärmen und starrte hinein, Feuer hatte mich schon immer fasziniert. Besonders seine Farben, tief im inneren war es Blau, von da aus ging es ins dunkle orange bis zu gelb über. „Wie machst du das mit den Gedanken?" fragte ich ihn schließlich um ein Gesprächsthema zu haben. Er blickte weiter nur ins Feuer. „Ich habe es vom Magier gelehrt bekommen, das wirst du auch noch. Im Orden der Diebe kommunizieren wir, wenn man nicht möchte das alle zuhören, telepathisch. Aber fürs Geschäft ist auch Anderes wichtig, zum Beispiel das man in den Geist seiner Opfer sehen kann um sie zu überlisten." sagte er. Er sah mich nicht dabei an. „Wie viel sieht man, wenn man in den Geist sieht?" fragte ich weiter. Er lächelte, doch sah mich noch immer nicht an. „Theoretisch kann man alles sehen, alles was du je erlebt oder gesehen hast. Aber dann würdest du selbst an der Flut an Informationen nicht mehr klar denken können, das können nur große Magier und davon ist selbst unser Magier keiner. Man konzentriert sich nur das was man wissen möchte, maximal das Gesehene aus zwei Jahren auf einmal. Sonst wird es kritisch." sagte er. Stille – Schweigen. Dann sah Vyris mich endlich an und ich sah ihm in die Augen. Sie schimmerten zwischen dunkelbraun und dunkelrot hin und her und sahen im Schein des Feuers so aus als würden sie glühen. Ich sah auf den Boden und musste schmunzeln. Vyris sah mich fragend an. „Was tue ich eigentlich hier?" fragte ich mich grinsend. „Ich reite mit einem Mann von dem ich nicht mal weiß wie er aussieht über das Drachengebirge um mich beim siebten Orden ausbilden zu lassen – wenn meine Schwester das wüsste würde sie wahrscheinlich ausrasten!" sagte ich. „Du weißt nicht wie ich aussehe?" fragte Vyris. Ich nickte: „Du hast immer deine Kapuze so tief ins Gesicht gezogen, dass ich kaum etwas von dir sehe." Vyris lächelte nur leicht und strich sich die Kapuze vom Kopf und machte das Tuch ab, das er sich über Mund und Nase gewickelt und hinter dem Kopf zusammengeknotet hatte. Seine Haare waren von einem dunklen braun, einige Strähnen schimmerten jedoch rötlich. Er sah nicht so aus wie jemand aus einer Herrschaftsfamilie, seine Haare standen in alle Richtungen ab. „Viel besser." sagte ich nur, dann wendete ich schweren Herzens meinen Blick von ihm ab und sah wieder ins Feuer. Nahe des Feuers war es warm, aber wenn ich auch nur einige Fußlängen vom Feuer wegtreten würde, würde mir wieder kalt werden. Langsam hörte der Schneesturm auf und der Schnee fiel langsam und leicht herunter, nicht in engen Kreisen wie eben. Das Schnauben unserer Pferde im Hintergrund holte ich aus meinem Rucksack den Rest der Nahrung die ich eingepackt hatte. Es war nicht mehr viel, nur etwas Fleisch. Da es schon gebraten war aß ich es so, allerdings war das viel zu wenig, kaum ein Bissen. Vyris beobachtete mich und reichte mir nur stumm ein Stück in Brot ummanteltes Rinderfleisch. „Hast du keinen Hunger?" Er schüttelte nur den Kopf, ich wollte ihm nicht sein Essen wegessen, aber ich hatte tierischen Hunger und so biss ich schließlich hinein. Wir würden sicher bald eine Stadt finden, wenn wir auf der anderen Seite des Drachengebirges waren. Er selbst hatte von Kalmhar' erzählt, dort würden wir sicher etwas essbares finden – beziehungsweise stehlen, so wie ich uns kannte.
Wir starrten ins Feuer, es war nur noch halb so groß und Vyris musste aufstehen um draußen einen weiteren halb erfrorenen Strauch zu finden den wir als Feuerholz benutzen konnten. Kaum war er aus der Höhle gegangen, fühlte es sich an als kämen die Steinwände näher. Es wurde kälter, obwohl das Feuer noch genauso entfacht war wie vor einigen Sekunden. Ich sah zu den Pferden, mein Rappe hatte sich hin gelegt, auch wenn es sicher nicht der bequemste Ort war. Vyris' Brauner stand dösend in einer Ecke. Ich sah wieder nach draußen, die Schneeflocken fielen langsam herunter und es waren so wenige, dass ich sie zählen konnte. Ich fühlte mich auf einmal allein, obwohl die Pferde noch gewissenhaft hinter mir standen und Vyris selbst nur einige Schritte vor dem Eingang der Höhle Stöcke abknickte.
„Bist du müde?" fragte mich Vyris als das Feuer wieder loderte und er sich neben mich gesetzt hatte. Ich schüttelte nur den Kopf, doch er merkte, dass ich es nicht so meinte. „Leg dich hin, ich werde Wache halten." sagte er, als ich immer noch den Kopf schüttelte fügte er hinzu: „Du brauchst Schlaf. Ich passe auf!" Nun nickte ich, ich war wirklich müde. Und während ich mich hinlegte und die Augen schloss saß Vyris neben mir und sah auf mich herunter.
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