Nach einiger Zeit kam die Ordensburg der Waldläufer in Sicht. Sie war groß und aus dunkelgrauen Steinen erbaut. Sie sah aus, als würde sie mit dem Wald verschmelzen, da die Ranken, die sich um die dunklen Bäume wickelten, auch auf die Burg übergesprungen waren und die Wurzeln des Waldes die Burg zusätzlich verankerten. Um die Burg war ein Graben gezogen worden, in dem das Wasser fast bis zur Oberfläche stand. Es war aber ganz sicher kein sauberes Wasser, es war vom Schlamm dunkelbraun gefärbt und als ich genauer hinsah, konnte ich einen riesigen Fischschatten unter der Zugbrücke ausmachen. Durch dieses Wasser wollte ich garantiert nicht schwimmen, aber über die Zugbrücke würde ich auch nicht kommen. Die Gruppe wurde von den Wachen vor und hinter der Brücke einfach so durch das Tor gelassen, sie hatten sich nur kurz zugenickt. Ich harrte immer noch auf einem Baum mit gutem Sichtfeld aus, mich würden sie sicher nicht in ihre Burg lassen. Innerhalb der Burg herrschte ja Waffenruhe – aber wenn ich gar nicht in die Burg kam, hätte sich das auch erledigt. Die Wachen waren muskulös und hatten leichte Lederrüstung an, allerdings wusste ich, dass jeder Waldläufer sein eigenen tierischen Untergeben hatte. Ich suchte mit den Augen das Gebiet ab und entdeckte zwei schwarze Panther im Gebüsch neben dem Eingang, das mussten die Untergebenen der vorderen Wachen sein. Die hinteren Wachen hatten jeweils einen großen Greifvogel auf der Schulter sitzen, auch denen wollte ich lieber nicht begegnen. Aber verdammt, ich war ein Dieb, ich musste doch irgendwie in die Burg kommen, schließlich war ich schon oft in Burgen eingebrochen. Ich stieg von Ast zu Ast, bis ich die Rückseite der Burg sehen konnte. Auf jedem Turm stand eine Wache mit einem Vogel als Untergebener, aber sie konnten mich nicht erkennen – ich hatte einen toten Winkel gefunden und konnte leicht über die Mauer klettern. Aber nun war ich in der Höhle des Löwen, ich war noch nicht in der Burg, erst im Garten. Flink versteckte ich mich hinter einer großen Statue eines Raubtiers, als eine Gruppe Wachen auf Patroullie um die Ecke kamen. Wussten sie, dass ich es so weit geschafft hatte oder dachten sie man hätte mich längst umgebracht? Seit dem ich den halben Orden der Schützen umgebracht hatte, sollte ich nicht sonderlich beliebt sein. Dann kam mir eine Idee, ich sah eine kleine Laube im Garten der Burg (einen solch riesigen Garten konnte man sich auch nur leisten, wenn man einer der einflussreichsten Orden war, selbst wenn man so zurückgezogen lebte wie der Orden der Waldläufer). In dieser Laube wurden Weinfässer gelagert, es gab eine Seite für Leere und eine für gefüllte. Zwei Jungen, etwas jünger als ich selbst, waren gerade dabei die vollen Fässer in die Burg zu schleppen. Als die beiden ein Fass in die Burg trugen und für einige Zeit verschwunden waren, hatte ich schnell wie der Blitz ein leeres Fass zu den vollen gestellt und war hineingeschlüpft. In dem Fass war es eng und stickig, aber immerhin kam ich so in die Burg. Kaum war ich im Fass hörte ich wieder Stimmen und wurde hochgehoben. Ich wollte lachen und mich freuen, dass ich es tatsächlich in die Burg geschafft hatte, aber ich durfte keinen Laut von mir geben. Das Fass roch stark nach Wein und mir wurde fast schlecht, ich mochte den Wein, der hier gelagert wurde aber zusammen mit der generell schlechten Luft in dem Fass war es fast unerträglich. Die Jungen stellten das Fass ab und verschwanden wieder um die nächsten Fässer zu holen, ich öffnete den Deckel und schnappte nach Luft. Ich stand mitten im Weinkeller der Burg, so schnell ich konnte lief ich die Treppen hinauf und überprüfte mein Bild im Spiegel an der Wand. Ich sah aus wie ein Mal durch den Fleischwolf gedreht, aber nach dem ich meine Haare etwas geglättet hatte sah ich ganz annehmbar aus. Ich atmete durch um mich zu beruhigen und schritt dann selbstbewusst und mit schnellem Schritt durch die Gänge der Burg. Überall wo ich entlangkam trauten die Leute ihren Augen nicht und selbst die Tiere der Waldläufer sahen mir hinterher. Ich war vielleicht etwas zu spät, aber ich fand den Versammlungsraum, das Kernstück jeder Ordensburg. Die schwere, goldverzierte Tür war auch kaum zu übersehen. Ich klopfte daran. „Die Tagung hat schon begonnen, was ist denn?" fragte der Ordensmeister der Waldläufer, als er seine Ordensmitglieder die Tür öffnen lies. Sofort richteten der neue Ordensmeister des Ordens der Schützen den Bogen auf mich und sah mich finster an. „Es ist Waffenstillstand, Bogen runter!" zischte die Frau des Ordens der Wächter und legte die Hand auf den Bogen des Mannes, bis er ihn herunter nahm und den Pfeil wieder in seinem Köcher verstaute. „Wer bist du?" fragte der Ordensmeister der Waldläufer, er erkannte mich nicht, wahrscheinlich weil er hier im Wald lebte und man dort sehr wenig mitbekam. „Ich bin Raven und verlange das Erbe des Ordens der Diebe zurück, ich bin die Auserwählte Ordensmeisterin des Schicksal und kann das auch beweisen." sagte ich und trat in den Raum. Innerlich zitterte ich mehr als ein verängstigter Welpe, aber ich versuchte selbstbewusst aufzutreten. „Der Orden der Diebe ist zurück!" sagte ich noch zur Verstärkung und stellte mich vor den Ordensmeister des Ordens der Waldläufer und sah mit einem von sich überzeugten Gesichtsausdruck zu ihm hoch. Er sah mich verdutzt an, dann sah er zu den anderen, die nickten nur. „Wir müssen den siebten Orden annehmen, sie hat es bis hier her geschafft, der Orden ist stark!" flüsterte der Mann des Ordens der Nekromanten. „Wir brauchen den siebten Orden!" hörte ich irgendwo anders her und eine dritte Stimme am Tisch sagte: „Wir können keine inoffiziellen Orden gebrauchen!" Ich nickte allen am Tisch ein Mal zu und sah dann zum Leiter dieser Vollversammlung. „Jeder Orden muss mit einem Kind des Schicksals anfangen, so ist es bestimmt!" sagte dieser und verschränkte die Arme. „Und das bin ich, ich bin eine Tochter des Schicksals." gab ich von mir. Die Meister sahen sich an und tuschelten. „Kinder des Schicksals haben verbesserte Fähigkeiten, du siehst nicht so aus als kannst du die Wand durchschlagen" sage er und lachte herzhaft. Ich verdrehte die Augen, das hatte ich leider schon zu oft geschafft und der Magier hatte einen Lachanfall bekommen als ich versucht hatte den Schutt wieder an die Wand zu bringen. Aber so hatten wir jetzt einen zusätzlichen Raum in der Grotte und durch ein paar Regale war der Raum zu unserer Bibliothek geworden. Während die anderen Ordensmeister noch lachten schlug ich mit einer Faust gegen die Wand und zog sie erst wieder zurück als Risse entstanden waren, die sich schnell ausbreiteten und die Steine der Wand brachen in sich zusammen. Ein Mitglied des Ordens der Waldläufer sah mich überrascht und voller Angst durch das Loch in der Wand an. Ich drehte mich zu den anderen Ordensmeistern um. Sie sahen mich auch sehr überrascht an. „Ein Kind des Schicksals gab es seit hunderten Jahren nicht mehr, seit die Orden gegründet wurden!" flüsterte irgendjemand, aber alle verstanden es, da es so ruhig in dem Raum geworden war. „Ich denke, jeder hier ist einverstanden, wenn wir den Orden der Diebe wieder offiziell zu den Orden zählen werden. Der siebte Orden wurde neugeboren!" sagte der Ordensmeister der Waldläufer langsam und stockend, ich denke er hatte ziemlich Respekt vor mir. Nach dem ihn eine kleine Kältewelle durchflutet hatte, wusste ich auch, dass er es ernst meinte und keine Fallen geplant hatte – den Geist zu lesen hatte schon seine Vorteile. „Welches Gebiet fordert ihr als Erbe zurück?" fragte der Waldläufer weiter. „Das Gebiet von der Küste bis nach Kalmhar', die gesammte westliche Wüste, die einst das Gebiet des alten Ordens der Diebe war." sagte ich mit klarer Stimme, das hatte ich mir auch schon überlegt gehabt. Ich wollte das Gebiet gut unter Kontrolle halten und den vielen Armen, die in diesem Gebiet lebten Spenden bringen. Von den Reichen stehlen und es den Armen geben, das würde ich als zusätzlichen Auftrag einführen, sodass wir nicht nur für unser eigenes Wohl andere Leute ausrauben würden. Natürlich kamen auch noch die expliziten Aufträge dazu.
Alle nickte nur, dann stand die Frau des Ordens der Krieger auf und schob einen weiteren Stuhl an den Versammlungstisch und ich bedankte mich lächelnd, dann setzte ich mich dazu und lauschte dem restlichen Programm. Es hatte nichts mehr mit uns zu tun, es wurden nur wenige Sachen besprochen. Ob sich der Streit zwischen dem Orden der Nekromanten und dem Orden der Wächter geklärt hatte und wo das nächste Treffen stattfinden würde. „Ich schlage vor, beim nächsten mal wird der Orden der Diebe unser Gastgeber sein!" sagte Rahela, die Ordensmeisterin des Ordens der Krieger. Sie war auch erst vor kurzem Ordensmeisterin geworden und hatte sich mit mir schon gut unterhalten, sie schien freundlich zu sein. Und sie hatte mit mir über die Gerüchte innerhalb der Orden getratscht, zum Beispiel, dass sich der Orden der Wächter mit jedem anlegen würde und ihr Anführer sehr temperamentvoll war. Sie versprach auch uns zur Seite zu stehen, falls dieser uns angreifen würde. „Ich heiße euch gerne in unseren noch bescheidenen Ordensburg willkommen, dennoch werdet Ihr sie euch anders vorstellen als sie wirklich ist. Wir treffen uns also beim nächsten Mal in der Salzwassergrotte, wie Ihr sie findet ist Eure Sache – wir sind Diebe, wir arbeiten im Verborgenen!" sagte ich und zwinkerte den anderen geheimnisvoll zu, bevor ich meine Haare nach hinten warf und würdevoll aus dem Raum schritt. Ich hatte es geschafft, der Orden hatte seinen Ruf wieder und die Nachricht würde sich wie ein Lauffeuer verbreiten, da war ich mir sicher!
Der erste Sonnenstrahl schaute über dem Horizont hervor und beleuchtete das Wasser, das tief unten langsam und rhythmisch gegen die Steine der Klippen schlug. Oben, auf der Klippe, sah man zwei Gestalten sitzen. Eine Frau mit schwarzem, langen Haar, das sich im Wind bewegte und ein Mann, dessen kastanienbraune, leicht rötliche Haare verwuschelt vom Kopf abstanden. Sie saßen dort, Arm in Arm und sahen aufs Meer hinaus. Die frühmorgendliche Kälte machte ihnen nichts aus, sie hatten zu viel erlebt als das sie sich um solche Banalitäten Sorgen machen würden. Sie saßen schweigend da und sahen der Sonne entgegen, wie sie immer mehr über den Rand kroch, dort wo das Wasser und der Himmel eins wurden. Zwei Kinder, ein Mädchen mit mit ebenso braunem, leicht rötlichem Haar wie der Mann und ein etwas jüngerer Junge mit kohlrabenschwarzem Haar kamen zu den beiden und setzten sich zu ihnen. Sie schwiegen, genossen den Moment der Ruhe, eine Ruhe, die man in ihrem Leben selten finden konnte.
Sah man jedoch genauer hin, konnte man neben der Frau und dem Mann, die sich fest im Arm hielten und neben den beiden Kindern, die sich vertrauensvoll an den Händen fassten, noch etwas erkennen: ein kleiner Sprössling entfaltete seine hellgrünen Blätter in der Morgensonne. Es war der Sprössling eines Haselnussbaumes.
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