Kapitel 11

Das klingt jetzt nicht sehr professionell, aber in dieser Situation dachte ich nur an meinen knurrenden Magen. Ich hatte keine Ahnung wie ich weiter vorgehen sollte, also setzte ich mich in die Taverne und aß mein Trockenfleisch – das Essen wollte ich nicht vom Boden aufheben, ich wusste nicht genau was damit passiert war. Dabei ging ich alles noch mal durch: Alison war vor dem Orden der Magier geflüchtet und nun irgendwo hingelaufen. Ich steckte mir gerade das letzte Stück Trockenfleisch in den Mund und stand auf, als ich etwas von oben hörte. Ein Krachen und Scheppern, ich lief sofort die Treppen hinauf und wäre dabei fast auf einem Portrait irgendeiner Adelsfamilie ausgerutscht. „Ist da jemand?" fragte ich als ich nichts hörte, dann hörte ich ein weiteres Krachen und in dem Zimmer das Alison bewohnt hatte kam eine kleine Wolke aus dem Kamin. Ich begutachtete sie erstaunt und war verwirrt, dann krachte es erneut und eine Person kroch vor meinen Augen aus dem Kamin. Sie war über und über mit Ruß bedeckt und ihre Haare waren verklebt. Langsam stand sie auf und rieb sich ihre Augen, so dass ich einen strahlende Grünton wahrnehmen konnte. „Alison?" fragte ich sie, so eine Augenfarbe hatte niemand sonst den ich kannte. „Raven?" fragte sie leise und sah mich an. „Was machst du denn hier?" Ein riesiger Stein fiel von meinem Herzen, ich konnte meine Mission doch zu Ende bringen. „Du lebst!" mehr konnte ich erst ein mal nicht dazu sagen, ich war froh sie zu sehen. „Ich komme vom Orden der Diebe, du hast die Statue gefunden und konntest sie im Gegensatz zu anderen Menschen hochheben, nicht wahr?" fragte ich sie dann und sie nickte. „Die Person auf die du hier warten solltest war ich, aber jetzt müssen wir uns beeilen. Ich hatte es schon fast aufgegeben dich zu finden, es sah aus als wärst du dem Orden der Magier entkommen und geflüchtet." Ich reichte Alison einen meiner Wasserbeutel und während sie sich ihr Gesicht wusch, erzählte sie mir, dass sie das auch getan hatte, aber durch das Fenster nur aufs Dach geflohen sei und sich dann im Kamin versteckt hatte. So lange, bis sie sich nicht mehr halten konnte und gut hörbar vor meine Füße gefallen war. Ich musste lachen, eine solche Taktik hatte ich noch nicht erlebt. Dennoch drängte ich sie zur Eile, die Orden würden dieses Haus wohl kaum unüberwacht lassen.

Die Nachmittagssonne tauchte die Hochlanden in ein herrliches Licht und es war gerade warm genug, dass man nicht fror, aber auch nicht so heiß, dass man schwitzte. Der Wallach schnaufte unter dem Gewicht von Alison und mir, er war nicht besonders stark und das machte ihm zu schaffen. „Wäre es nicht sinnvoller wenn ich laufen würde?" fragte Alison in die Stille. Ich hatte ihr zuvor alles wichtige über den Orden erzählt, das, was Vyris mir am ersten Tag erzählt hatte. Vyris – ging es ihm gut? Selten hatte ich so oft an eine Person gedacht, meine Schwester lag mir sehr am Herzen und ich hatte mir geschworen immer gut auf sie Acht zu geben, aber da ich wusste das sie in guten Händen war, machte ich mir eher um den immer noch ziemlich schwachen Vyris Gedanken. „Der Weg ist zu weit, wenn wir laufen kommen wir frühestens morgen Abend an. Wir müssen uns beeilen." sagte ich. Ich merkte wie Alison hinter mir nickte. „Aber es wäre besser, wenn wir zwei Pferde hätten – dieses hier kann uns beide jedenfalls nicht tragen." sagte sie. Erst jetzt fiel mir auf das der Wallach schweißgebadet und mit immer langsamer werdenden Schritten lief. „Kleine Pause." sagte ich nur leise und stieg ab, dann zog ich mein Tuch vom Mund und die Kapuze vom Kopf. Ich hatte schon eine Idee, wie wir an ein zweites Pferd kommen würden: in der Ferne hörte ich Hufgetrappel, das immer näher kam.

Auf einem hellgrauen Pferd mit schwarzer Mähne saß ein Soldat in glänzender Rüstung. Er sah uns nicht an, aber er hatte uns wohl bemerkt. „Was willst du tun?" fragte Alison mich während sie einen Apfel aus ihrer Tasche holte und dem erschöpfen Wallach gab. „Verlass dich auf mich." flüsterte ich nur und tat so, als würde ich verzweifelt etwas in meiner Tasche suchen. „Wo hab ich denn nur die Karte von Jayway gelassen?" fragte ich mich selbst in einer etwas zu hohen Lautstärke. Der Soldat verdrehte nur die Augen, was man gerade so durch seinen Helm sehen konnte. Ich grinste innerlich, das Gerücht stimmte also, dass Soldaten Wanderer und Reisende nicht würdigten oder ihnen nicht halfen. Eigentlich wollte ich mir nur sicher sein, dass er auch wirklich vorbeiritt. Kaum hatte er den Blick wieder auf die Straße gerichtet, griff ich zu einem Dolch den ich am Gürtel trug und warf ihn mit aller Kraft in seine Richtung. Er bemerkte es zu spät, denn er kippte in seiner schweren Rüstung vom Pferd. Ich hatte auf den Spalt zwischen seinen Helm und die Rüstung gezielt und sicher hinein getroffen, er war sofort tot. Sein Pferd bäumte sich kurz auf, aber Alison war schon zur Stelle und beruhigte es. Ich lief zu dem Mann, durchsuchte ihn schnell. „Verdammt!" entfuhr es mir als ich einen genaueren Blick auf seine Rüstung warf. „Was ist los?" fragte Alison erstaunt, man merkte ihr an, dass sie aus gutem Hause kam. Ihre Ausdrucksweise war in jeder Situation freundlich und wäre ihr es aufgefallen hätte sie mit Sicherheit nicht geflucht. „Das hier ist ein Späher, das heißt, dass er vorraus reitet. Wir werden es gleich mit einer Gruppe Soldaten zu tun bekommen, wenn wir uns nicht schleunigst vom Acker machen." sagte ich und lief zu dem Grauen hinüber. Schnell entfernte ich alles was auf ein Legionspferd hindeutete und übergab es dann wieder Alison. „Kannst du überhaupt reiten?" fragte ich sie als ich selbst auf den braunen Wallach stieg, der sich inzwischen wieder beruhigt hatte und erfreut war, dass nur noch halb so viel Gewicht auf ihm lastete. „Meine Eltern fanden es zu gefährlich, aber ich habe mich oft weggeschlichen und bin zu meiner Großmutter auf den Gutshof geritten. Sie ist die einzige in unserer Familie, die sich nach ein paar Jahren vom Schmuckhandwerk abgewandt hat und nun einen Hof leitet." Sie lächelte, stieg auf und reihte sich hinter mir ein. Ich nickte, dann lauschte ich. Hufgetrappel, erneut. Aber dies mal waren es viele Pferde, gleich würden sie uns sehen. „Bleib hinter mir!" sagte ich schnell, zog das Tuch wieder über den Mund und die Kapuze über meine Haare. Dann preschte ich los, Querfeldein und möglichst schnell in einen kleinen Buchenwald. Hier konnte man uns nicht gut sehen und das war das wichtigste. Dieser Wald war zwar heller und nichts im Vergleich zu dem großen Hain in dem ich aufgewachsen war oder dem Wald der sich rund um den Orden der Waldläufer erstreckte, aber immerhin verlor sich hier unsere Spur zwischen hohen Bäumen.

Es war später Abend als wir endlich in der Salzwassergrotte eintrafen, mit dem Umweg hatten wir länger gebraucht als ich erwartet hätte aber wir waren einer halben Legion ausgewichen und ich war stolz Alison unverletzt hier her gebracht zu haben. Nach dem ich kurz die Pferde in den Stall gestellt hatte und einen anderen Diener gebeten hatte sie zu versorgen, zeigte ich Alison den Weg in die Grotte und schickte sie zum Magier. „Ohne dich hätte ich den Weg niemals geschafft!" sagte sie. „Dafür bin ich da, das wirst du auch irgendwann machen. Leute rekrutieren, Aufträge erfüllen. Aber jetzt geh erst ein mal zu Jackmyr und stell dich vor, er sagt dir sicher was du jetzt tun sollst." sagte ich, doch sah das Jackmyr über seinen Schriften eingeschlafen war. Sein fettiges Haar lag im Tintenfass, seine Feder lag auf dem Boden und er selbst war auf seinen Notizen ausgebreitet. Aber ich gönnte es ihm, endlich hatte er mal Schlaf gefunden – ich wusste das es ihm wichtiger war als alles Andere, den Orden zu seiner alten Macht zu führen aber er würde sich ja nicht dabei umbringen wollen. „Frag doch lieber gleich den Magier..." sagte ich zu ihr und lächelte verschmitzt, auch sie musste lachen, als sie Jackmyr sah. Ich zeigte ihr schnell den Weg zum Magier, dann lief ich selbst in den Raum um zu Vyris zu kommen. Er lag auf seiner provisorischen Liege und setzte sich auf, als ich in den Raum kam. „Du hast es wirklich geschafft!" sagte er leise und kaum hörbar. Auch der Magier nickte mir anerkennend zu und beschäftigte sich dann mit Alison, die auch noch so einige Fragen hatte. „Wie geht es dir?" fragte ich ihn. „Auf jedenfall schon viel besser!" er lächelte mich warm an, die Arroganz würde bald wieder kommen befürchtete ich. „Der Magier meint, dass ich mich in ein, zwei Tagen wieder erholt hab. Dann kann ich wieder Aufträge übernehmen. Aber bis dahin sollte ich mich ausruhen – und du dich auch." sagte er. Ich sah in den Spiegel an der Wand, er war klein und hatte hässliche, kitschige Verzierungen, aber mein Gesicht toppte alles. Ich hatte riesige Augenringe und sah müde aus, was mir selbst noch nicht aufgefallen war. Ich nickte nur und wandte mich von dem Spiegel ab, auf ein mal merkte ich, wie ich selbst kaum noch stehen konnte. Ich setzte mich neben Vyris auf die Liege und er legte einen Arm um mich. Wieder schoss mir die Frage in den Kopf, ob er gar nichts für Nefra empfunden hatte oder warum er sich sonst mit ihrem Tod einfach so zufrieden gab. Hatte er überhaupt Gefühle, so etwas wie Mitleid hatte er bis jetzt nicht gezeigt, außer, als er den Speerhieb abbekommen hatte um mich zu schützen. Dieser Mann war seltsam, aber dennoch war er der einzige Mensch, bei dem mir das auch egal war. Er war wie er eben war, dachte ich und schloss die Augen.

Die nächsten Tage verliefen entspannt, ich entschloss mich dagegen noch einen Auftrag anzunehmen und wollte für den Rest der Zeit in der Vyris zu schwach war in der Salzwassergrotte bleiben. Alison hatte vom Magier alles nützliche beigebracht und gezeigt bekommen und da sie sich noch keinen Meister gesucht hatte, hatten wir viel Zeit. Wir beide trainierten fast jeden Tag unser Magiefähigkeiten und bald schon fiel mir auf, dass sie das Leben bei ihren Eltern gar nicht vermisste. „Meine Eltern hatten mein ganzes Leben durchgeplant, ohne mich zu fragen. Ich brauche den ganzen Luxus nicht, ich bin wirklich froh hier zu sein!" sagte sie ein mal zu mir. Ich musste lächeln, ich hatte mir schon Sorgen gemacht, dass sie es nicht verkraften würde, wenn man sie aus ihrer gewohnten Umgebung herausriss.


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