Zuhause Teil 1
Kapitel 38
Winter
Der Weg diesen Abhang hinunter war tückisch. Ich hörte mehrere Male, wie hinter mir einer der Männer ein Schrei entglitt und nur der Arm eines Kameraden ihn vor dem Absturz bewahrte. Es passierte so oft, dass Lore irgendwann die Geduld verlor, den Männer befahl, ihr Geschwafel einzustellen und sich auf den Weg zu konzentrieren.
Ich konnte es ihm nicht übel nehmen.
Die Männer freuten sich darauf, nach Monaten zurückzukommen. Ich hatte gehört, wie einer von seinen Kindern schwärmte, ein Jüngerer freute sich auf den Braten, den sein Großvater immer machte. Es herrschte ausgelassene Stimmung, aber Lore musste diesem Einhalt gebieten, damit keiner kurz vor ihrem Zuhause doch noch den Tod fand.
Nur einer bewegte sich vollkommen ungehalten auf den Stufen. Grim, sprang gleich mehrere Stufen mit einmal herunter, wenn er den Halt verlor, breitete er seine Flügel aus und schwebte auf die nächste sichere Stelle. Ich beneidete ihn.
Ich hielt mich so nahe wie möglich an der Felswand. Und mein einziger Halt war Lore, der sich so nahe hinter mir bewegte, das es für mich schwer war, vorsichtig und bedacht einen Fuß auf vor den nächsten zu setzen. Er lenkte mich ab. Alles an ihm. Die Hitze die er ausstrahlte, sein Geruch und ich könnte schwören ab und an sogar seinen Atem in meinem Nacken zu spüren.
Als ich einmal deswegen eine Treppenstufe verfehlte, wickelte sich sein Arm um mich vor einen Sturz zu bewahren. Danach war ich vorsichtiger und zwang mich dazu ihn auszublenden, die Anziehung zu ignorieren, die mit jeder Sekunde zu wachsen schien.
Aber ich musste mich konzentrieren.
Der Nebel wurde immer dichter, die Stufen noch gefährlicher und irgendwann, als ich immer weiter zögerte, war da Lores Hand, die sich in den Stoff meines Umhangs krallte. Eine Sicherheitsleine, die ich mehr als nötig hatte.
"Vorsichtig Vögelchen. Du kannst nicht fliegen, mach langsamer", hauchte er mir über meine Schulter hinweg zu.
Ich nickte und ignorierte wie der Nebel sich über meine Kleidung legte und seine Nässe langsam Schicht um Schicht durchdrang. Kurz befürchtete ich, ich würde mir doch noch eine Lungenentzündung holen. Kalte und nasse Sachen waren niemals eine gute Idee, aber dann, als sich der Nebel wieder lichtete, spürte ich die Wärme, die mir entgegen schlug. Das war merkwürdig, doch es gab noch mehr was mir den Atem raubte. Magie.
Eine Aura. Irgendetwas Seltsames lag in der Luft, als würde sie unter Spannung stehen. Energie knisterte zwischen meinen Fingern und als ich meine Sinne öffnete, um die natürliche Magie des Felsens zu erspüren, schien er regelrecht davon zu vibrieren. Er war angefüllt davon, voll. Sodass ich mich wunderte, wie er unter der Macht die in ihm wohnte, nicht einfach zersprang. Dann glitten wir tiefer und ich sah zum ersten Mal den Boden des Grabens. Es war überwältigend.
Während die Welt oberhalb im ewigen Winter gefangen war und Nadelbäume die spärlichen Landschaften dominierten, war hier alles in einem Rostrot getaucht. Schnee lag nur wenigen Stellen. Als hätte es schneit aber es war zu warm, um wirklich liegenzubleiben. Und einige zweige der Laubbäume wiesen bereits kahle Äste auf, aber sonst war das Blätterdach von einem farbenfrohen Spektakel bedeckt, denn ich noch nie zuvor gesehen habe.
"Zum Glück, der Winter ist noch nicht angebrochen", hörte ich Lore hinter mir sagen und erinnerte mich daran, dass er so etwas Ähnliches schon mal gesagt hatte. Und ich hatte mich gewundert, wie er denn so weit im Norden überhaupt etwas von den Jahreszeiten mitbekommen könnte. Selbst ich sah nur ihre spärlichen Ausläufer. Nur etwas Grün im Frühling und Sommer und einen Hauch von Herbstfarben, bevor es einfach wieder kalt wurde.
"Herbst" entfuhr es mir mehr zu mir selbst während wir uns den Baumkronen Grenze näherten, darin eintauchen und dann nach sicherlich zwei Stunden des mühsamen Abstiegs endlich wieder festen Boden unter den Füßen hatte.
Zu der Zeit hatte Grim bereits seine Schnauze in der lockeren Erde gegraben und knabberte herabfallende Kastanien, die in meiner Heimat nur selten von Händlern mitgebracht wurden und für mich und meine Eltern eigentlich unerschwinglich gewesen waren. Hier lagen sie zu hunderten auf den braunen, stellenweise noch grünen Gras, in dem die Treppe gemündet hatte.
Ich konnte kaum fassen, wie anders die Landschaft hier doch war. Lores Faust hielt noch immer meinen Mantel fest, als er ebenfalls auf den Boden ankam und wir warteten geduldig, bis sich der Zug von Männern hier am Fuße der Treppe wieder versammelt hatte.
Doch lange genießen konnte ich den Wald aus Kastanienbäumen nicht. Kaum war der letzte Mann sicher angekommen, hörte ich bereits eine Schar von kläffenden, schnappenden und herumtollenden kleinen Wölfen, die auf uns zurassten.
Die meisten blieben in Wolfsgestalt aber einige verwandelten sich noch im Rennen während sie dabei waren die Krieger hinter mir und Lore anzuspringen.
Nicht aggressiv, sondern freudig und verspielt. Kinder in allen alters Klassen sprangen die Krieger an, die sie wiederum in kräftige Umarmungen zogen. Zuhause.
Ihre Familien hatten sie erwartet.
Wenig später kamen die Erwachsenen und Jugendlichen. Frauen zumeist, aber auch andere ältere Männer. Es wurde gelacht, begrüßt und auch die ein oder andere Freudentränen verdrückt. In dem Chaos von sich begrüßenden Familien und freudigen Geplapper ging meine Anwesenheit vollkommen unter.
Nie zuvor hatte ich mich dermaßen fehl am Platz gefühlt aber dennoch ließ ich mich kurzzeitig von der Freude anstecken. Ich sah Mel, der eine ältere Frau, seien Frau mit einem schwindelerregenden Kuss begrüßte. Dann zog er eine junge Frau in seine Arme, die einen Babybauch vor sich hertrug. Sie nannte ihn "Vater" und Mel wurde die Botschaft verkündet, dass er Großvater werden würde. Was diesem doch so hart erscheinenden Mann die Tränen die Augen trieb und er darauf noch den Rest seiner Familie umarmte. Nur Lore und ich standen Abseits von all dem und betrachteten die glücklichen Familien. Doch zunehmend mischten sich auch besorgte Gesichter darunter.
Eine Frau, die schon eine weile suchend durch die Leute zwängte entdeckte Lore und steuerte ihn direkt an. Als dieser dann vorsichtig den Kopf schüttelte, brach sie in Tränen aus und ich wusste sofort, was das hieß.
Heute waren viele Wechselhäuter nach Hause gekommen aber eben nicht alle.
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