Trauer

Kapitel 17

Lore

Wir bleiben, um bei der Beseitigung der Schäden zu helfen, aber vor allem um die Kadaver zu verbrennen, damit die Hexenkönigin sie nicht noch einmal mit finsterer Magie zu den Waffen rufen konnte.
Ich versuchte nicht daran zu denken, warum sie hier gewesen waren. Drauger und ein Wendigo. Während die Draugre erschreckend oft zu den Armeen der Hexenkönigin gehörten, Tote gab es schließlich überall, waren Wendigos eher nutzlos in einen chaotischen Kampf auf den Schlachtfeld. Sie waren Jäger. Geschaffen, um eine einzige Person aufzuspüren, zu verfolgen und ihnen dann die Seele zu rauben. Mir war seit Ewigkeiten keiner Mehr begegnet. Der letzte hatte meinen Bruder gejagt und fast getötet. Doch was er hier gesucht hatte, konnte ich mir nicht vorstellen.
Eine Lüge.
Ich wusste es, spürte es bis in die tiefen meiner Seele. Der Wendigo war eindeutig hinter Winter her gewesen. Hinter meiner Gefährtin. Das konnte kein Zufall sein. Genauso wenig wie es kein Zufall sein könnte, dass ihre Ziehmutter eine Hexe gewesen war. Ich war, genauso wie der Rest der Welt davon überzeugt gewesen, dass es keine mehr gab. Bis auf ihre Königin natürlich.
Und wenn dieses alte Miststück Winter so dringend tot sehen wollte, wenn einer der letzten noch lebenden Hexen so viel riskierte um sie zu verstecken und zu schützen, dann musste irgendwas an Winter besonders sein. Eine Besonderheit, die die Hexenkönigin nervös machte.
"Wir haben weitere fünf Männer verloren", erklärte mir Mel, während er zwei Draugre auf einen brennenden Haufen zu den anderen warf. Die überlebenden Dorfbewohner hatten ihre Toten auf eine Schicht Stroh und Holz gebettet um sie zu bestatten. Das Klagen und Weinen der Hinterbliebenden ließ mich aber kalt. Wir waren im Krieg, Verlust gehörte dazu selbst an diesem Ort, so nahe an der Landenge zu Andersheit.
"War zu erwarten", entgegnete ich abweisend. Ich half dabei die Kadaver einzusammeln, während mein Blick immerweider zu Winter glitt, die vor den Scheiterhaufen ihrer Eltern hockte und blicklos ins Feuer starrte. Mein Drachentier hatte es sich auf ihren Schoß bequem gemacht und ließ sich von ihr streicheln. In Winter hatte Grim wohl endlich das Frauchen gefunden, dass er sich immer gewünscht hatte.
Ich sollte mir darüber Sorgen machen, wem ab jetzt seine Treue gehörte, doch im Augenblick war es beruhigend, dass er bei ihr wahr. Grim war kein Schoßtier, sondern extrem gefährlich und wenn er auf sie aufpasste beruhigte das meinen Wolf. Gerade jetzt wo ich meine Pläne neu überdenken musste. Ich war vielleicht ein Tyrann und mein Mistkerln, weil ich vorhatte sie auszunutzen und dann wegzuwerfen, aber wenn die Hexenkönigin ihren Tod wollte bedeutete das für mich, dass ich sie am Leben halten musste. Dringend. Alles was der Hexenkönigin gegen den Strich gang, war gut für den Rest dieses Kontinentes.
"Wie zu erwarten? Lore, diese Männer sind wegen dieser Hexe und ihrer Tochter gestorben, die Überlebenden sind alles andere als begeistert, sie wollen-"
"Seit wann interessiert es mich was sie wollen? Wir waren hier, weil wir diesen Angriff erwartet haben und wir hier sein sollten. Jeder kannte das Risiko, gerade die Söldner, die sich uns auf den Weg angeschlossen haben. Ich diskutiere mit niemandem darüber und verschaffe ihnen keine andere Genugtuung als die, die sie immer bekommen haben: Die Armeen der Hexenkönigin zu dezimieren." Den Weg zurück zu den Zwillingen würden die meisten eh nicht überstehen, gerade nicht die Menschen, die sich in meinem Gefolge befanden. Sie waren sich des Risikos bewusst, das sie ihre Frustration jetzt an Winter auslassen wollten, war mir gleichgültig, solange es dabei blieb, dass sie meckerten und rumorten. Wem es nicht passte, konnte jederzeit gehen.
"Es ist ihre Schuld. Du kannst sie nicht mitnehmen und erwarten-"
"Ich erwarte gehorsam. Auch von dir, Mel. Oder willst du mich herausfordern?", entgegnete ich Provokant und wandte zum ersten Mal meinen Blick von Winter ab und blickte ihm entgegen. Er war ein Wechselhäuter wie ich, wenn er an der natürlichen Rangfolge etwas ändern wollte, würde er sich mir in einen Kampf stellen und gewinnen müssen. Er war meine rechte Hand, hatte mir Treue geschworen, wie er meinen Bruder davor Treue geschworen hatte. Mels Blick nahm für einen Moment einen goldenen Ton an, bevor er einen Schritt zurück machte. Ich wusste nicht, was er in meinen sah, aber es schien auszureichen, dass er meine Worte nicht weiter infrage stellte und endlich die Klappe hielt.
In einer nebensächlichen Armbewegung schleuderte ich einen weiteren enthaupteten Drauger auf das Feuer und ging mit langen Schritten auf Winter zu. Einige der Dorfbewohner, die ich dabei passierte, warfen mir einen vernichtenden Blick zu, als hätten wir selbst dieses Leid über ihr Dorf gebracht und ich konnte es ihnen nicht einmal verdenken. Dennoch hatte nicht mit dieser offensichtlichen Feindseligkeit gerechnet, schließlich trug ich diesmal zumindest ein Leinenhemd, dass mich fast zivilisiert aussehen ließ und hatte meine Axt in der Gaststätte gelassen. Leider musste ich eingestehen, dass ich auch ohne eine offensichtliche Waffe wohl nie wirklich harmlos wirken würde.
Auf den halben Weg in ihre Richtung blieb ich stehen und sah mit einer Mischung aus Verärgerung und Misstrauen dabei zu, wie dieser Junge sich neben Winter hockte. Ich hatte seinen Namen vergessen, aber ich konnte mich an die Griffel erinnern, die er schon einmal in Richtung meiner Gefährtin ausgestreckt hatte und die jetzt auf ihrer Schulter lagen. Der Kerl wollte tatsächlich ebenfalls in einem Massengrab enden, oder?
Mein Wolf war alles andere als begeistert und lechzte nach seinem Blut.
Meine Muskeln spannten sich an, als ich die Entfernung überwand. Ich hörte bereits von weiten, wie Grimm knurrte, sich aber immer wieder von Winters kraulenden Fingern zwischen seinen flaumigen Flügeln beruhigen ließ. Seine Schwachstelle. Wenn sie ihn zu kräftigt, dort streichelte wurde er zu einem sabbernden Schoßtier. Doch das schien sie selbst schon herausgefunden zu haben.
Ich hörte Winter und den jungen Mann reden, bevor sie ihre Schultern kreisen ließ, um seine Hand loszuwerden. Sie lehnte sich von ihm fort, wollte weder tröstende Worte noch seine Nähe. Das war offensichtlich für jeden bis auf diesen Jungen.
Irgendwann würde ein Ehemann, Freud oder eine der Frauen selbst ihm dafür die Nase brechen. Als die Hand wieder versuchte sie zu berühren, packte ich seinen gesamten Arm und schob ihn weg. Der Junge blickte zu mir auf, bekam es sichtlich mit der Angst zu tun und erhob sich schnell.
"Überleg' es dir Winter", hing er an das Gespräch noch an, dass ich verpasst hatte und trollte sich flink. Clever, denn wenn er noch einmal versuchte anzufassen war mir gehörte, würde ich ihm die Haut abziehen und stückchenweise im Fluss versenken.
Ich stieß noch ein Wölfischen warnenden knurren aus, damit er seine Schritte beschleunigte und auch für einige andere in der Nähe ein so deutlichen Besitzanspruch demonstrierte, dass es niemand wagen würde, sie anzufassen. Nicht jetzt, wo ich doch etwas hatte, was die Hexenkönigin so dringend tot sehen wollte. Vielleicht wollte mich das Schicksal doch nicht bestrafen.

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