Sturrheit
Kapitel 23
Lore
Das Vögelchen war stur und kämpfte sich durch den Schnee, obwohl ich ihr angeboten hatte, ihre Tasche zu tragen. Doch es hatte nichts gebracht. Nach dem Aufstehen und dem eher kargen Frühstück aus getrocknetem Fleisch und einem dünnen Tee aus geschmolzenen Schnee war sie so unleidlich wie den Tag zuvor. Fast könnte man meinen, dass sie sich überhaupt nicht für mich interessierte, aber ich wusste es besser.
Ich hatte sehr wohl bemerkt, wie sie mir immer wieder einen wütenden Blick zuwarf, weil ich den Schritt meines Heeres nicht verlangsamte. Warum sollte ich das auch tun? Ihrem Starrsinn so entgegenkommen? Weil es in meinem Bauch rumorte, wenn ich sah, wie ihr jeder Schritt schwerer fiel? Nein. Auf keinen Fall. Diesen Gedanken würde ich an denselben Ort in meinen Kopf schieben wie die Erkenntnis, dass sie mich bereits jetzt besser einschätzte als Mel.
"Du bist nicht wirklich ein geborener Anführer, oder?", hatte mich gefragt und ich hatte gelacht, weil es so lächerlich war. Das Vögelchen hatte mich durchschaut und das gesehen, was mein Volk sich weigerte zu sehen: Ich würde niemals ihr Anführer sein. Das war die Rolle meines Bruders. Doch leider hatte ich das Pech, mit dem Blut der Berserker gesegnet zu sein und war damit der ranghöchste Wechselhäuter in meinem Rudel. Nach meinem Bruder versteht sich und der war gerade ... unpässlich. Dennoch war ich absolut ungeeignet dafür, in seine Fußstapfen zu treten. Und ich wollte es auch nicht.
Das ausgerechnet sie selbst zu diesem Schluss kam, war ärgerlich. Vielleicht ließ ich sie deswegen noch etwas unter ihrer eigenen Sturheit leiden: Weil sie jetzt schon an Punkte in meinen Kopf angekommen war, wo sie absolut nicht hingehörte.
Der Weg war weit, beschwerlich und würde mit jedem Schritt unangenehmer werden, den wir taten.
Selbst die Menschen würden es früher oder später merken: Umso näher wir den Gebieten der Hexenkönigin im Norden kamen, umso lebloser würde die Landschaft werden, umso dicker wurde die Luft und umso weniger erholsam der Schlaf. Als würde diese Erde alles und jeden die Energie rauben.
Auch ihr. Auch diese sture, kleine Gefährtin, die sich noch die Haut von den Füßen ablaufen würde, bevor sie zugab, dass sie auf den Rücken des Pferdes gehörte. Sie war zu schwach für diesen Weg, zu klein, zu zerbrechlich.
Es gab nicht viele Rösser und da in der Nacht einige verwunderte Männern ihren Verletzungen erlegen waren, war es jetzt ein guter Zeitpunkt, eines davon in Anspruch zu nehmen. Es war unvernünftig, dass sie so...
Ich hörte hinter sich wie ein Mann keuchte und dann einen kleines "Hn". Ein Ton, der entstand, wenn jemand umkippte und die Luft plötzlich aus den Lungen gepresst wurde. Ich rollte mit den Augen, blieb stehen und drehte mich zu dem Vögelchen um.
Wie erwartete, lag sie im Schnee und war gerade dabei, sich so schnell wie möglich wieder aufzurappeln. Ich bewunderte den flammenden Stolz in ihrem Blick, den sie einem der Männer neben sich zuwarf, als dessen Lippen sich belustigt kräuselten. Wenn sie von meiner Art gewesen wäre, hätte sie geknurrt, da war ich sicher.
So tschiepse sie nur beleidigt. "Was gibt es da zu glotzen?" Der Soldat blickte schnell betroffen weg, nicht weil er vor ihr Angst hatte, sondern weil ich einen Schritt auf das Vögelchen zugemacht hatte.
Ich packte sie am Arm und zog sie mit einer Leichtigkeit auf ihre beiden Füße, als würde sie nicht mehr wiegen, als das, was sie am Leib hatte.
"Du hältst meine Männer auf!", warf ich ihr vor und wusste sofort, dass sie auf diese Provokation eingehen würde. Noch bevor sie ihr stolzes Kinn gehoben hatte und mich anfauchte.
"Dann lauft, anstatt blöd zu grinsen!" mein Wolf stellte die Ohren auf. War amüsiert. Ob ich es wollte oder nicht, ich mochte es, wenn sie sauer war. Wenn sie Respekt einforderte, mir die Stirn bot und für sich nichts gefallen ließ. Meine Art schätzte Stärke und Kampfgeist.
Doch ich wusste, dass ihr genau diese Stärke zum Verhängnis werden würde und ich war schließlich darauf angewiesen, sie am Leben zu erhalten. Vorläufig zumindest. Also umging ich ihr Gefauche, hob sie samt ihres Gepäcks einfach hoch und schob ihren Hintern auf den Rücken eines der Pferde in der Nähe. Sie schnappte empört nach Luft, wollte gerade wieder anfangen loszuzätern als ihr ein erleichtertes Keuchen über die Lippen kam.
Ich sah genau wie sie ihre Füße kurz streckte, weil sie vollkommen verkrampft sein mussten. Sie mochte ein Wechselhäuter sein, aber Kälte und Anstrengung setzte ihr dennoch ziemlich zu. Vielleicht war sie ein Halbblut und ihre menschliche Seite dominierte. Das wäre tatsächlich eine Erklärung dafür, warum sie keine Ahnung hatte, was sie war. Doch das würde sich in meinem Heimatdorf zeigen. Die Alte würde darauf eine Antwort haben.
"Ich muss nicht..." Ich schob ihr einen Streifen Trockenfleisch in den Mund, als sie erneut begann zu schimpfen und zerrte einen Fellmantel aus einer Seitentasche des Pferdes.
"Gib' einfach Ruhe und ruh dich aus. Wenn du wieder bei Kräften bis kannst du gerne wieder versuchen Schritt zu halten. Aber bis dahin, wirst du die Reise auf dem Rücken dieses Pferdes oder über meine Schultern geworfen verbringen!"
Das brachte sie zum Schweigen. Oder besser gesagt zum Kauen, denn sie begann ihren Snack zu verspeisen und ich nahm die Zügel des Pferdes aus den Händen einer meiner Männer. Dann gab ein Zeichen damit der Trupp weiter sich wieder in Bewegung setzte. Wir mussten bis heute Abend die Grenze zu den Zwillingen erreichen.
Das Pferd schnaufte etwas unruhig als ich ihm so nahekam. Es war zwar an Wechselhäuter gewöhnt aber Berserker wie mich, machten es dennoch etwas nervös. Ich tätschelte ihm die Nüstern und war vorsichtig bei seiner Führung bis es seine Scheu verloren hatte. Dann gingen wir weiter. Wortlos.
Winter verspeiste ihr Trockenfleisch und zog sich einen weiteren Streifen davon aus einer der Satteltaschen. Der Wolf in mir rebellierte als er zu dem Schluss kam, dass sie Hunger gehabt haben musste. Mist.
Wenn es etwas gab, dass meinen Instinkt am erfolgreichsten anstacheln war es die Tatsache meine Gefährtin hungern gelassen zu haben. Selbst jetzt mühte sie sich eher damit ab, etwas in den Magen zu bekommen. Ihre Zähne waren nicht die eines Fleischfresser-wechselhäuter, aber Raben waren keine reinen Vegetarier, also würde sie damit zurechtkommen. Und auch Menschen aßen beides.
Ich spürte, wie sich meine Schultern verspannten. Alleine die Tatsache, dass ich mir darüber Gedanken machte, war alles andere als gut. Bereits in der Nacht in diesem beengten Zelt hatte ihr Duft allen in mir verrücktspielen lassen, deswegen war ich regelrecht daraus geflohen kaum, dass die Sonne aufgegangen war. Ich musste nicht unbedingt jede Nacht schlafen. Ein paar schlaflose Nächten würden mir nichts ausmachen. Das Vögelchen aber wurde schnell müde. Ich konnte nur hoffen, dass ihre Erschöpfung meinen Wolf nicht noch mehr dazu brachte sie beschützen zu wollen, denn wenn das in dieser Geschwindigkeit weiter ging, dann würde mein Plan schneller ins Straucheln geraten als mein Geduldsfaden bei einem dieser Strategiebesprechungen in meinem Rudel um die Zwillinge zu halten und damit zu Verhindern, dass ganz Ewigkeit der Hexenkönig in die Hände fiel.
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