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Maxime

Müde von der schlaflosen Nacht, laufe ich den Weg zu meinem ersten Kurs. Mathematik.
Trotz des späten Sommers, ist es so früh am Morgen nicht so warm wie gedacht.
Mit meinem kurzen, grau kartierten Rock, meinem Top und meinen Kniestrümpfen, könnte man meinen, hier sei Hochsommer.
Und das sollen wir das ganze Jahr über tragen...

Genau dies war einer der Punkte, die ich an dieser Academy total sinnlos finde.
Wieso eine Uniform?
Und auch noch so eine kurze?

Nicht weiter darüber nachdenkend, betrete ich den schon vollen Raum mit meinem Rucksack und einem Kaffee in der Hand und versuche mir einen Platz zu suchen, welcher vielleicht nicht ganz so auffällig ist.
Ich möchte ungern direkt am Anfang auffallen.
Leider haben Jo und ich fast keine Kurse gleich, was das ganze ein wenig schwierig macht.

Doch was mir sofort auffällt sind drei Mädchen, welche gestern Nachmittag bei Raven an dem Eingang standen.
Missbillig starren sie mich an und versuchen nicht einmal zu verstecken, dass sie über mich lästern.
Doch mein rasender Herzschlag nimmt zu, als sie mit ihren schwarzen Lackschuhen auf mich zukommen, mir meinen Kaffee aus der Hand nehmen und ihn auf dem Tisch neben uns stellen.

Total überfordert starre ich die Blonde, Braunäugige an, aber als sie ihre Finger durch meine Haare gleiten lässt, kommt sie mir irgendwie... nett vor?
Nun starrt sie mich wieder wie ihre restlichen Bitches an, wodurch dieses Gefühl direkt wieder verfliegt.
„Heute ist eine Willkommensparty. Du bist eingeladen." Ein grinsen schleicht sich auf ihre vollen Lippen, genau wie bei ihren zwei braunhaarigen Freundinnen.

Täuschen sie mich, oder wollen sie mich wirklich dabei haben?
Niemals. So wie die mich angeschaut haben, als ich mit Jo an ihnen vorbeigegangen bin...
„Sorry", erkläre ich seufzend und nehme mir meinen Kaffee wieder in die Hand, „hab schon was for."
Ich sehe wie sie wütend ihre Kiefer aufeinander presst und sich schließlich wieder zu ihren Freundinnen umdreht.

Augenverdrehend suche ich mir einen Platz auf der linken Seite.
Etwa in der Mitte lasse ich mich nieder und hoffe einfach, dass diese Stunden so schnell wie möglich umgehen.

Niemals wollen sie mich dabei haben.
Und wenn doch, haben sie wahrscheinlich einen perfekten Plan geschmiedet, wie sie mich am besten bloßstellen könnten.

Völlig erschöpft nach diesem ersten Tag, lasse ich mich neben Jo an einem der Tische auf dem grünen Gelände nieder, um etwas zu essen.
Jo, die immer noch mit ihrem Gesicht in einem Englischbuch steckt, beißt langsam von ihrem Apfel ab.
Mittlerweile ist das Wetter wieder angenehm.
Keine einzige Wolke versperrt einem die Sicht und die großen Berge, die hinter dem Gelände auftauchen, sehen so sommerlich wie noch nie aus.

„Und? Wie war dein Tag so?", frage ich seufzend und atme die warme Bergluft ein, ehe ich mir meinen Apfel aus meiner Tasche hole.
„War eigentlich ganz gut", antwortet sie gelassen und legt ihr Buch endlich beiseite.

Unschlüssig ob ich ihr erzählen soll, dass Raven gestern bei mir war, kaue ich auf meiner Lippe herum und starre auf einen der Büsche am anderen Ende des Campus.
„Maxime?" Verwirrt wedelt sie mit ihrer Hand vor meinem Gesicht hin und her, worauf ich sie wieder angucke und versuche meine Gedanken aus dem Kopf zu bekommen.

Dennoch fühle ich mich meistens besser, wenn ich mit jemanden über meine Probleme rede.
Da war schon immer so, ist immer noch so und wird sich wahrscheinlich auch nicht ändern.

„Alles okay?", fragt sie sorgend und legt ihre Hand vorsichtig auf meine, doch ich ziehe sie schnell auf mein Schoß und spiele unsicher mit dem Saum meines Rockes.
„Gestern als ich alleine war, hat Raven bei mir geklopft", erzähle ich langsam und schaue wieder auf die großen Berge vor uns, während ich einen kurzen, grauen Faden zwischen meinen Fingern zwirble.
„Was?" Total überrascht setzt sie sich gerade auf und rückt näher zu mir.
„Oh mein Gott, hat er dir was getan? Hat er dich angefasst?" „Nein", Lüge ich.

Aber hat er mir etwas angetan?
Ich hab mich nicht gewehrt.
Oder?
Ich wollte es.
Oder?

„Er ist in mein Zimmer gekommen und wollte sich für seinen Freund entschuldigen, der diesen scheiß Spruch gerufen hat."
Sie nickt verstehend, doch glücklich sieht sie nicht aus.
Kurze Zeit schweige ich, unsicher wieviel ich ihr erzählen soll.
Kenne ich sie überhaupt richtig?
Nur weil sie schon ein Jahr lang hier ist, soll ich ihr vertrauen?

Sofort schließe ich meinen Mund.
„Das wars, ist nicht besonders gewesen", sage ich schnell und schaue sie fake lächelnd an.
Doch das Misstrauen in ihren Augen zeigt mit, dass sie mir nicht einmal die Hälfte davon abkauft.

„Versprech mir eins", fängt sie streng an, starrt mir tief in die Augen und legt ihre dünnen Ärmchen um meine Schultern.
„Werde nicht wie sie" „Wie sie?"
„Die anderen. Bitte versprech mir, dass du niemals in einem der Räume Raven oder sonst wem ein bläst, dich niemals vor einem von denen ausziehst, oder dich in einen von ihnen verliebst!"
Ich nicke eifrig, da ich niemals auf die Idee kommen würde.
Ich bin hier um an mir zu arbeiten.
Um das beste aus mir zu machen und nicht irgendwelche Männer zu befriedigen.

„Ich mach's nicht", flüstere ich lächelnd „versprochen."
Erleichtert lässt sie ihre Hände sinken und greift wieder zu ihrem Apfel, genau wie ich, doch anderes als Jo, welche genüsslich in ihn beißen kann, wird mir meiner vor der Nase weggerissen.

Verwirrt blicke ich über den Tisch zu der Hand, die sich meinen Apfel genommen hat.
Spielerisch wirft er den Apfel in die Luft, beißt saftig in ihn, bevor er ihn über die Wiese, in einen der Büsche wirft.

Den hätte man definitiv noch essen können.

Mit zusammen gepressten Lippen starre ich den blonden Jungen an und frage mich, wie man ein solches Arsch sein kann.
Gestern noch dumm hinterher rufen und heute meinen Apfel wegschmeißen?
Bastard.

„Was willst du Miles", stöhnt Jo genervt aus und schaut ihn ebenfalls wütend an.
Miles also...
„Ich hab gehört ihr habt nicht vor zur Party zukommen?", fragt er lächelnd und lässt sich gegenüber von uns nieder.
Jo hat also auch nein gesagt.

„Nein", gebe ich von mir und verschränke meine Arme vor meiner Brust.
Ich sehe wie sein Blick langsam zu meinen Brüsten wandern und schließlich wieder zu meinen Augen.
Heute habe ich tatsächlich wieder einen meiner BH's an.
Ich hatte zwar überlegt aus Protest extra keinen anzuziehen, doch dafür habe ich mich zu unwohl gefühlt.
Außerdem bin ich erst seit gestern hier.
Ich hab noch eine Weile Zeit mich zu rächen.

„Vor allem du solltest kommen, Nuevo", erklärt er uns fröhlich und lehnt sich über den Tisch zu uns rüber, „da du neu hier bist, ist sie schließlich gerade für dich. Oder nicht?"
Ein kleines, fieses Grinsen spielt sich um seine Lippen.

Doch es ist anderes als bei Raven.
Von Miles geht eine unfreundliche, ekelhafte, draufgängerische Aura aus.
Bei Raven ist es einfach ein gefährliches, dunkles, spielerisches Grinsen.

„Sie hat nein gesagt", harkt Joel ein und lehnt sich weiter zu uns.
Doch Miles antwortet sofort, „Ich hab mit ihr geredet."
Mit wütenden Blick sieht sie nun zu mir, doch ich bleibe unschlüssig sitzen.
Einerseits hat er ja recht, ich bin neu hier und da die Party extra "Willkommensparty" heißt, wäre es unfreundlich nicht zu kommen.
Doch andererseits, fühle ich mich unwohl dabei.
Ich weiß nicht wem ich vertrauen kann und ob ich überhaupt jemanden vertrauen darf.

Nur weil Jo auch meint, es wäre besser nicht zu gehen, soll ich es nicht?
Was soll passieren?
Ich werde ja wohl kaum am Ende des Abends bewusstlos in einer Ecke liegen.

Anscheinend merkt Miles, welcher sich langsam über seine roten Lippen leckt, dass ich am überlegen bin, worauf er sich zufrieden erhebt und uns den Rücken zukehrt.
„Hoffentlich seh ich dich Nuevo!"

Erleichtert atme ich aus und schaue wieder zu Jo, welche mich ernst betrachtet.
„Du wirst nicht gehen."
„Wieso? Es ist nur eine Party", antworte ich etwas genervt.
„Du kennst diese Party's nicht. Weißt du wie viel hier getrunken wird? Wie vielen etwas passiert?"
Augenverdrehend erhebe ich mich und nehme mir meinen dunkelblauen Rucksack.
„Ich will wenigstens auf einer ihrer Partys gewesen sein. Wenn du nicht mitkommen willst, ist das deine Sache. Aber ich werde gehen", entscheide ich mich spontan und schaue ihr nun in ihre dunklen Kulleraugen.

Doch anstatt mir zu widersprechen, dreht sie sich wieder nach vorne und nimmt ihr Englischbuch zur Hand.
Kein weiteres Gemecker.
Kein weiterer Vortrag.

Kurz davor noch etwas zu sagen, öffne ich meinen Mund, doch schließe ihn nach ein paar Sekunden wieder und trete zögernd von ihr weg.

Das Zwitschern der Vögel klingt in meinen Ohren, während ich den Weg auf das große, marmorfarbene Gebäude ansteuere.
Es ist erst spät am Nachmittag, also nutze ich die restliche Zeit, um ein wenig in der Bibliothek zu stöbern.

So leise wie möglich versuche ich die Tür zu öffnen und muss mir ein lautes Staunen verkneifen, als ich die hohen Bücherregale erblicke, die sich durch den riesigen Saal erstrecken.
Ein breites Lächeln bildet sich auf meinen Lippen, während ich langsam durch die ersten Gänge laufe, meine Finger über die verschiedensten Bücher gleiten lasse und die Stille mich noch breiter lächeln lässt.

Wenn man genau darauf achtet, kommt es einem so vor, als würde jedes einzelne Buch seine eigene Geschichte erzählen.
Ist es kaputt, oder noch ganz heile?
Ist es ein Sachbuch, oder doch ein Liebesroman?

In den nächsten Gang abbiegend, kommt mir ein junger Mann entgegen. Seine schwarzen, verknoteten Haare, kommen zwar ungepflegt rüber, doch der Rest an ihm sieht traumhaft aus.
Die Uniform liegt nah an seinem Körper und sein Blick liegt starr auf dem dunkelgrünen Buch in seiner Hand.

Zögernd wende ich meinen Blick wieder zum Bücherregal rechts neben mir und ziehe mir eins heraus.
Mit meinen Kopfhörern in der Hand wedelnd, suche ich mir einen leeren Tisch und setze mich an den, der nah an den Regalen steht, weiter weg von den anderen.

Entspannt schlage ich das Buch und meinen Block auf, bereit mir nötige Notizen zu machen.
Die Angst nicht gut genug für diese Academy zu sein, nimmt jedes Mal zu, wenn ich mir die restlichen Noten anschaue die verteilt werden, nachdem ich meine bekommen habe.
Das viele lernen hilft bei meinem Glück gut, sodass ich mir über Noten so gut wie keine Sorgen machen muss.
Dennoch ist dieser Druck enorm hoch.
Zwischendurch hatte ich immer den Gedanken, mich lieber nicht bei dieser Academy zu bewerben.

Mein Vater hat doch so eine tolle Firma? Wieso tue ich das dann alles?
Richtig, ich will selber etwas erreichen. Nicht nur das weiter vererbt bekommen, was meine Eltern aufgebaut haben.

Vertieft in die Notizen, welche ich versuche auswendig zu lernen, höre ich nebenbei meine Playlist rauf und runter.
Doch das Gefühl beobachtet zu werden, nimmt von Sekunde zu Sekunde zu, worauf ich nun hochblicke und meinen Blick durch den Raum schweifen lasse.
Erst über die vielen Tische, an denen weitere Schüler sitzen, die fleißig durch die Bücher blättern und schließlich zu den Bücherregalen, an denen tatsächlich eine braunhaarige Person lehnt und mich stumm anschaut.

Langsam stoppe ich das Lied "Fade Away", bevor ich wieder in Ravens starren Blick schaue.
Schweigend stößt er sich vom Regal ab, bricht den Blickkontakt ab und zieht ein beliebiges Buch aus dem, schon etwas älter aussehenden Regal, bevor er auf den Tisch, an dem ich sitze, zusteuert.

Schwer schluckend spüre ich, wie die Schmetterlinge in meinem Bauch zunehmen und meine Nervosität Oberhand gewinnt.
Schnell entweiche ich seinen Augen, indem ich versuche wie vorher weiter zu lesen.

Doch als ich höre, wie er den Stuhl neben mir nach hinten schiebt und sich nun auf ihn fallen lässt, einen leisen Seufzer von sich gibt und anfängt zu lesen; spüre ich, wie sehr ich mir wünsche, niemals diese Bibliothek betreten zu haben.

„Nicht, dass ich hier gleich noch tot umfalle, wenn du mich weiterhin mit diesem Killerblick anstarrst", flüstert er belustigt, wendet seinen Blick jedoch nicht vom Buch.
Entsetzt von seiner Aussage, reiße ich mir meine Kopfhörer aus den Ohren und öffne meinen Mund ein wenig, in der Hoffnung einen passenden Konter zu finden, doch leider vergeblich.

„Hör auf zu starren." Nun sieht er mich mit einem schmalen Grinsen an und lehnt sich zurück in den Stuhl.
„Ich lese nur", fährt er fort und blickt wieder auf die schwarze Schrift in seinem Buch, „kein Grund nervös zu werden."

Sofort spüre ich, wie die Wut in mir zunimmt und somit auch das Verlangen ihn an seinen wunderschönen, dunklen Haaren, aus diesem Saal zu zerren.
„Wieso sollte ich nervös sein", zische ich angepisst und versuche meine Aufmerksamkeit wieder dem Buch in meinen Händen zu widmen.

Doch egal wie oft ich mir den gleichen Satz immer und immer wieder durchlese.
Verstehen tue ich kein einziges Wort mehr.
Schwer schluckend wippe ich mit meinem Bein, lese mir noch einmal den ersten Satz der Seite durch und muss feststellen, dass meine Aufmerksamkeit ganz alleine Raven gehört, welcher gerade dabei ist auf die nächste Seite zu blättern.

So unauffällig wie möglich, beobachte ich seine Gesichtszüge.
Wie er seine Augen kurz zusammen kneift, wenn er einen Wort nicht versteht.
Wie er sich langsam über seine roten Lippen leckt.
Wie er nicht bemerkt, dass er eine Augenbraue zwischendurch unabsichtlich hebt.
All das fällt mir auf, obwohl ich diese Zeit besser nutzen sollte, für meine erste Prüfung zu lernen.

Ich hasse dich Raven.
Dafür, dass du mich am ersten Tag schon ablenkst.




Dieses Kapitel ist tatsächlich etwas länger hahaha

Aber was meint ihr? Sollte sie auf die Party gehen, oder lieber nicht?

<3

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