22

Maxime

Einen. Nein, zwei Sonnenstrahlen sehe ich durch mein Fenster scheinen, während ich dem ruhigen Atem von Raven lausche. Seine Körperwärme, welche er über meinen ganzen Oberkörper mit seinen breiten Schultern, überträgt, lässt mich sicherer fühlen. Und die verknoteten Haare, die mir kitzelnd unter der Nase entlang streichen, zwingen mich das Grinsen, welches sich um meine Lippen spielt, nicht zu verlieren.

Seit ein paar Minuten tue ich nichts anderes, als auf die bunte Wand zu starren. Wir haben sie wirklich mit Farbe beschmiert. Und ich habe tatsächlich mit gemacht. Schon der Gedanke an gestern lässt mich lächeln. Seine betrunkene, witzige Art... ich habe ihn noch nie so lange Lächeln sehen wie gestern. Aber dennoch habe ich ihn noch nie so zerstört wie gestern gesehen. Seine Küsse kann ich immer noch auf meinen Händen spüren. Seine Stimme höre ich immer wieder durch meinen Kopf wandern. All diese Entschuldigungen...

Vorsichtig hebe ich meine Hand. Lasse sie ganz langsam über sein Schulterblatt kreisen, spüre wie sich seine kleinen Härchen aufstellen und er seinen Kopf seufzend stärker gegen meine Brust presst. „Wie spät", murmelt er, lässt seinen gesamten Körper, wie einen nassen Sack auf mir nieder, und entlockt mir somit ein leises hüsteln, bevor ich antworte. „Genau 12:03 Uhr." Ein erneutes seufzen.

Ein paar Sekunden sagen wir nichts, sondern streicheln uns stattdessen gegenseitig unsere Schultern. Das reden der restlichen Jugendlichen, welche sich anscheinend auf den großen Wiesen der Academy tummeln, ist nicht zu überhören. Doch es ist angenehm. Wie ein Wasserfall erklingen die unterschiedlichsten Töne und verschwinden, sobald ein weiterer ertönt.

Schweigend stützt er sich auf, platziert seine Hände neben meinem Kopf, schaut mir verschlafen in die Augen, bevor er sich zu mir hinunter beugt und seine zarten Lippen auf meine legt. Mit geschlossenen Augen fahre ich über seine warme, nackte Brust und halte an seiner Hüfte, welche ich fest umschließe, während ich das leicht säuerliche aus unserem Kuss heraus schmecke.

Zögernd lecke ich mir über meine angefeuchtete Unterlippe, als er seinen Kopf wieder hebt und mir weiterhin in die Augen schaut. „Was", frag ich lächelnd, spüre wie mich sein Blick förmlich aus meinem Körper zieht, doch er erwidert nur ein schmales Grinsen. „Du siehst süß aus, wenn du verschlafen bist."

Verlegen blinzle ich, fühle wie mir das Lächeln über beide Ohren wächst und meine Wangen einen leichten rosa ton annehmen. Fasziniert lasse ich meinen Blick durch sein viel zu perfektes Gesicht gleiten, starre kurz auf die kleinen Fältchen, welche er anscheinend nur nach dem aufwachen hat und schließlich zu seinem Hals.

Einzelne Adern springen mir ins Auge. Wie ein Labyrinth verlaufen sie unter seiner Haut in verschiedene Richtungen. Doch am meisten verfalle  ich der goldenen Schmetterlingskette. Als würde der Schmetterling wirklich fliegen schwingt er hin und her. Nach vorne. Nach hinten. Vorne. Hinten. Vorne. Hinten.

„Sie gefällt dir, oder?", fragt er leise, sieht selber auf seine Kette, bevor er mir wieder in die Augen schaut. Nickend hebe ich meine Hand, lasse meine Finger über die kleinen Flügel des Falters gleiten und schaffe es nicht meine Augen von ihm los zu reißen.

„Seit wann hast du die?" Nun schaue ich ihm wieder in seine bezaubernden Augen, doch bemerke schnell, dass ihn die Frage mehr getroffen hat, als ich jemals vermutet hätte. Lange Zeit schaut er selber auf den Schmetterling, verkrampft seine Arme, ohne, dass er es bemerkt, bevor er mir seinen Blick wieder widmet. „Meine Schwester hat sie mir geschenkt."

Schulterzuckend erhebt er sich, lässt mich verwirrt auf dem Bett liegen, bevor er nach seinem verschmierten T-Shirt greift. „Ich wusste gar nicht, dass du eine hast", rede ich neugierig weiter und setze mich gähnend auf, doch kassiere nur einen weiteren ernsten Blick von Raven. „Ich hab dir auch noch nie von ihr erzählt", murmelt er, sieht sich sein Oberteil ein letztes Mal an, bevor er es in seinen Händen zusammen faltet.

„Hast du ein T-Shirt für mich?", fragt er und lenkt somit geschickt vom Thema ab. Doch ich lasse ihn, stehe auf und fische ein T-Shirt aus meinem
Schrank, welches mir viel zu groß ist. Wenn er nicht mit mir über seine Familie reden will, ist das okay für mich. Doch er soll nicht damit rechnen, dass ich ihm dann mehr von meinem Leben preis gebe.

Dankend nimmt er das dunkelrote Oberteil an, zieht es sich schnell über, bevor er an mir vorbei in mein Badezimmer läuft. Langsam folge ich ihm, lehne mich an dem Türrahmen an, während ich ihn dabei beobachte, wie er seine Haare versucht zu richten.

Seufzend sehe ich mich in dem Spiegel an, durch den ich Raven zuvor beobachtet habe und sehe auf meinen fast nackten Oberkörper auf Raven for ein paar Minuten noch so ruhig geschlafen hat. Schweigend stell ich mich neben ihn, greife nach meiner Zahnbürste und schmiere ein wenig von der Zahnpasta auf sie, bevor ich sie mir in den Mund stecke, während ich wieder den Blickkontakt zu Raven suche. Und wie erwartet wandert sein Blick langsam von seinen Haaren durch den Spiegel zu mir.

Angespannt lehnt er sich mit beiden Händen von dem Waschbecken ab, sieht mit weiterhin in die Augen, bevor ich mich umdrehe und aus dem Badezimmer verschwinde.

Summend suche ich ein paar meiner Unterlagen zusammen, welche ich für die nächsten Tage benötige und lege ein paar von ihnen in die Schubladen meines Schreibtisches, bevor ich zwei starke Hände um meine Taille spüre, welche mich nicht gerade sanft herumwirbeln. Erschrocken schlucke ich ein wenig der Zahnpasta herunter und räusperte mich leise, während Raven seinen Blick nun schwer atmend über meinen Körper gleiten lässt.

Schweigend sehen wir uns an. Sagen nichts. Machen nichts. Bewegen uns nicht. Doch als ich nun die Spucke herunter schlucke, welche sich über die Zeit in meinem Mund angesammelt hat, spüre ich, wie sich seine Hand langsam über meinen Bauch, weiter über meine Brust und schließlich zu meinem Gesicht bewegt.

Meine Augen weiten sich, als ich seine zarten Finger über meine Lippe streichen spüre, er nun seinen Mund leicht öffnet und die Zahnpasta, welche soeben noch auf meiner Unterlippe verteilt war, auf seine Zunge streicht. Mit großen Augen sehe ich ihn an. Er sieht mich an. Und ganz vorsichtig gleitet sein Daumen unter meinem Auge entlang, bevor er ihn lächelnd von meiner Wange nimmt und sich den Farbflecks auf ihn ansieht.

Lächelnd lasse ich meine Hände ebenfalls über seine Haut gleiten, sehe mir jedes kleinste Detail seines Engelsgesichts an und seufze laut auf, als ich den kleinen Kratzer an seiner Wange entdecke.

„Wie war eigentlich die Party gestern?", frag ich interessiert, während ich neben Raven die Stufen in das Hauptgebäude folge. „Scheiße", murmelt er nur als Antwort, gibt keine weitere Erklärung dazu ab und öffnet die schwere Tür. Augenverdrehend versuche ich schneller zu laufen, sodass ich nicht soweit hinter ihm her hinke und schaue fragend in sein angespanntes Gesicht.

„Ist irgendwas?" „Was?", fragt er, schaut abwertend zu mir, worauf ich meine Augenbrauen lachen hoch ziehe. „Okay, habe ich was verpasst?" Keine Antwort, doch als ich Raven's Blicken folge und all die Menschen anschaue, die gerade dabei sind und beide anzustarren als wären wir Außerirdische, verstumme ich sofort.

Geflüster. Lauteres Geflüster. Menschen die auf ihre Handys starren. Menschen die erst auf ihre Handys starren und dann wieder zu uns blicken. Was lief auf dieser Party-

„Raven?", frag ich leise, greife vorsichtig zu seiner Hand, welche pumpend zu einer Faust wird, doch er sagt nichts. Er schweigt, bis ein viel zu Bekannter diesen Gang betritt. Miles.

Das Gemurmel wird lauter.

Schwer schluckend starre ich in sein demoliertes Gesicht. Schaue auf all die Verletzungen, welche über seine rechte, bis zur linken Wange reichen und schließlich auf seine aufgeplatzte Lippe. Ungewollt öffnet sich mein Mund, meine Augen weiten sich und sofort schweift mein Blick zu Raven, welcher schon längst stehen geblieben ist.

Ich will mit ihm reden. Ihn fragen was alles passiert ist, seine Hand weiter halten, doch eine Mädchenschule unterbricht mich dabei. „Maxime?" Hellhörig schaue ich zu Jo, welche sofort aus der Menge gestürmt kommt und mich an meinem Arm von Raven reißt. Sofort schwingt sein Blick zu mir. Hilfesuchend. Sorgend. Entschuldigend.

„Gehts dir gut?" Völlig außer Atem tastet sie mein Gesicht ab, schaut an mir herunter als würde ich aus den Fängen eines Psychopathen kommen und umarmt mich schließlich. „Was soll das", zische ich nun, lasse ihre Arme fallen, worauf sie mich völlig zerstört anblickt. „Hat er dich geschlagen?" „Was?"

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