21

Maxime

Wie viele Minuten, oder sogar Stunden, starre ich nun auf die ganzen Storys der Jugendlichen die gerade dabei sind sich auf der Party von Nella zu betrinken? Viel zu viele. Und nach einem weiteren, viel zu unnötigen Selbstgespräch mit mir selber, habe ich erneut entschieden nicht hin zu gehen.
Ich will nicht noch mehr riskieren, wie ich es sowieso schon habe.

Es reicht mir mit Demütigung, eingebildeten Menschen, Alkohol, Drogen, viel zu lauter Musik und Raven. Oh Gott. Schon der Gedanke an Raven macht mich fertiger als das Workout, welches ich eben zu Ende gebracht habe.

Seufzend schließe ich meinen Bildschirm, lege mein Handy mit dem Rücken nach oben neben mich auf das Bett, schließe meine Augen und versuche an nichts zu denken. An nichts, außer wie ich mein Leben Stück für Stück verbessern kann. War diese Academy doch nicht der Traum, der sich erfüllen hätte sollen? Vielleicht war es ein Fehler hierher zu kommen. Ein Fehler, welcher nur noch mehr Dunkelheit und Grausam mit sich zieht.

Wo wäre ich wohl jetzt, wäre ich nicht an dieser Academy? Würde ich schon arbeiten? Würde ich mit Mirabelle noch zusammen leben? Würde ich vielleicht mehr um meinen Dad trauern? Ich weiß es nicht und werde es niemals erfahren, denn ich habe diesen Weg gewählt. Ich habe es gewählt zu studieren, später etwas großes zu erreichen und mich von niemanden ausbremsen lassen.

Nur leider hilft Raven mir nicht besonders dabei.

Erneut seufze ich, drehe mich auf meinen Bauch und starre an den Lichtschalter, welcher viel zu weit weg ist, um ihn ausknipsen zu können. Langsam schließe ich meine Augen. Lasse all die Gedanken und Gewissensbisse aus meinem Körper gleiten und versuche die Hintergrundgeräusche auszublenden, welche sich sehr stark nach der Party anhört, die anscheinend in einem der Wohnhäuser gehalten wird.

Doch ein leises, zögerndes Klopfen weckt mich aus meinem leichten Halbschlaf. Verwirrt schaue ich auf die weiße Tür, welche Stück für Stück weiter geöffnet wird, bis ich ein schwarzes Oberteil -ein Hemd um genauer zu sein-, eine graue Jeans und dunkle verwuschelte Haare erblicken kann. Und als ich nun verstehe, wer da gerade vor meinem Zimmer steht und dabei ist meine Tür zu öffnen, stöhne ich genervt auf.

Nicht einmal einen Abend kriege ich es hin ihm nicht zu begegnen. „Wow", gibt er leise von sich. „Nicht die schönste Art begrüßt zu werden." Mit noch halbgeschlossenen Augen, verdrehe ich sie dennoch und murmle eine Antwort. „Nicht gerade die beste Art, abends, oder eher gesagt nachts, in mein Zimmer zu kommen."

Ein schmales Grinsen bildet sich auf seinen Lippen, bevor er nun ganz in den hellen Raum tritt und die Tür hinter sich ins Schloss fallen lässt. Kurze Zeit steht er da. Schaut ein paar Sekunden länger als sonst auf die Tür, dreht sich dann doch zu mir, krempelt sein Hemd über seine Arme und kommt räuspernd einen Schritt weiter in den Raum.

Doch ich sage nichts. Nicht, dass er verschwinden soll. Nicht, dass er nervt, oder, dass es nichts bringen würde hier zu stehen und mir in die Augen zu blicken. Denn das tut es. Aus irgendeinem, unerklärlichen Grund, beruhigt mich sein blinzeln.

Ein Mal. Nein zwei, drei mal blinzelt er nun, während er mir abwechselnd in die Augen und in das Zimmer schaut. Wir sagen weiterhin nichts. Schauen und ab und zu an, bevor ich erneut meine Augen schließe und einfach unser Schweigen reden lasse.
Denn manchmal sagt Schweigen mehr aus, als es Worte können.

Aber als ich schließlich höre wie er langsam, aber dennoch schneller als vorher, von einer Seite des Raumes zur anderen läuft und anscheinend eine meiner Schubladen an meinem Schreibtisch öffnet, zwinge ich mich dazu erneut zu beobachten, was er vor hat.

„Lass das", zische ich, „das ist privat." Dennoch halten ihn meine Worte nicht davon ab, eine weitere Schublade zu öffnen, bis er anscheinend das gefunden hat, wonach er gesucht hat. Und anders als erwartet, hält er nun meine Pinsel, ein paar meiner Farben und ein altes Handtuch, welches schon mehr Farbtupfer auf sich hat, als ich zählen kann, in seinen Händen.

Fragend beobachte ich ihn dabei, wie er nun zu der Wand neben meinem bemalten Poster läuft, die ganzen Sachen auf den braunen Boden stellt und sich nun, weiterhin schweigend, zu mir dreht.

„Was soll das werden", frag ich nun leise, da laut zu werden nun wirklich nicht mehr in meinen Kram passen würde. Er antwortet nicht. Kommt stattdessen auf mich zu, zwingt mich dazu auf meinem Rücken liegen zu bleiben, während er sich langsam über mich beugt. Verwirrt will ich ihn wegschubsen, seine Arme von meinen entfernen, welche gerade dabei sind mich an dieses Bett zu heften und keuche ungläubig auf.

„Raven was soll das", frage ich erneut, als er sich weiter zu mir lehnt, mir nun mit einer Hand eine meiner Strähnen zur Seite streicht und mit seinen perfekten, roten Lippen näher kommt. Ein Rausch von Alkohol kommt mir entgegen. Vodka, Sekt, Bier. Eine Mischung aus allem steigt mir in die Nase, als er nun vor meinem Gesicht anhält. Er war also wie gedacht auch auf der Party. „Du hast getrunken", flüstere ich, während er mir weiterhin verloren in die Augen starrt.

Als würde er in ihnen etwas suchen. Eine Antwort auf all unsere Taten und Fehler. Antworten die wir beide versuchen zu verstehen. „Ich hab nicht getrunken." Lüge. „Ich rieche es doch", murmle ich zurück, doch er schüttelt nur seinen Kopf. „Ich hab nicht viel getrunken. Wirklich." Schwer schluckend schaue ich ihm in seine grauen Augen. In die Augen, welche mich seit Tag eins beobachten. In das Gesicht, in das ich mich verliebt habe.

„Maxime-" „Geh von mir runter", unterbreche ich ihn unsanft, worauf er laut schluckt und ein Nächstes mal mit seinen perfekten Wimpern klimpert. „Bitte hör mir zu-" „Geh von mir run-", will ich ihn erneut unterbrechen, doch er hört nicht, kommt meinen Lippen ein wenig näher, sodass ich jeden einzelnen Atemstoß, den er ausatmet auf ihnen spüre.

„Ich weiß nicht wie ich dir beweisen soll, dass ich nichts davon wusste. Aber ich wusste nichts davon. Ich wusste es nicht, bis du es mir gesagt hast. Bitte. Bitte glaub mir, Maxime." Ein leichter Hauch von Verzweiflung ist in seiner leisen und leicht lallenden Stimme zu hören. Verzweiflung die ich ebenfalls spüre. „Miles ist- es ist meine Schuld. Ja. Er ist mein Freund, aber ich wusste nicht, dass er dort war." Immer und immer wieder wiederholt er diese Worte. Stützt sich weiter über mich ab und schaut mir ununterbrochen in die Augen.

„Ich hab mit ihm geredet", flüstert er, streicht ein weiteres Mal mit seiner Hand über meine Wange und platziert sie nun hinter meinem Ohr. „Er wird nichts sagen. Er wird auch nicht noch einmal bei irgendwem so etwas tun. Bitte. Verzeih mir." Angespannt lausche ich seinem Flüstern. Höre all die Worte, welche er immer und immer wieder von vorne herunter rattert, bis er schließlich laut atmend seinen Kopf auf meiner Brust ablegt und meinem schnellen Herzschlag lauscht.

„Bitte glaub mir." Wiederholt er leise, während er nun beginnt meine Handfläche zu küssen. Einen nach dem anderen Kuss. Ein Wort nach dem anderen. Wie ein zerbrochenes Kleinkind liegt er nun auf mir. Lässt mich nicht los, zwingt mich den Alkohol zu riechen, welcher vermutlich über sein Oberteil geschüttet wurde und bringt mich dazu, ihm zuzuhören.

Doch kann ich ihm glauben? Kann ich ihm vertrauten? Ich weiß es nicht. Wie gesagt. Hoffnung. Das ist mit das einzige was uns zusammen hält. Und an dieser sollte man fest halten. Festhalten, bevor selbst das verschwunden ist.

Noch einmal tief ein und ausatmend, fange ich an vorsichtig durch sein Haar zu streichen. Zeige ihm so, dass ich ihm glaube. Zeige ihm so, dass ich hier bin. Und als würde er es verstehen, hebt er seinen Kopf, samt seinen Oberkörpers und schaut mir weit in die Augen. Erneut in das tosende Wirrwarr, welches sich dort abspielt.

„Du malst gerne, oder?" Ich nicke fragend auf seine Aussage. Schaue ihm nun verwundert dabei zu, wie er sich erhebt, meine Hand dennoch nicht los lässt und mir somit auf die Beine hilft, während er nun auf die Wand zu läuft, vor die er zuvor ein paar meiner Malsachen gelegt hat.

„Hier", lächelnd nimmt er sich nun zwei Pinsel, gibt mir einen in die Hand und zeigt fragend auf die Farben. „Du willst malen?", frage ich verwirrt nach, bücke mich um mir eine der Farben auszusuchen und halte sie ihm hin. „Wieso nicht?" Wir lachen. Lachen, obwohl ich ihn eigentlich raus schmeißen sollte. Lachen, obwohl ich eben noch verzweifelt in meinem Bett lag. Lachen, obwohl ich gerade seine aufgeplatzten Knöchel erblicke.

Das Lächeln, welches sich eben noch um meine Lippen gespielt hat, erlischt. Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen, doch als er anfängt die Farbe an die Wald zu schmieren, versuche ich die Bilder, was er getan haben könnte, aus meinem Gedächtnis zu löschen.

„Was-", will ich aussprechen, doch schon fängt er an den braunen Pinsel in die Farbe zu tunken und Linien zu ziehen, welche über die ganze Wand reichen. Entsetzt reiße ich meine Augen auf, schaue Raven dabei zu, wie er einen weiteren Strich zieht und dann seinen Pinsel sinken lässt. „Das war eben eine weiße Wand", stelle ich leise fest. „Sie war weiß", wiederholt er und schaut fasziniert auf seine blaue Farbe, bevor er lächelnd zu mir blickt.

Doch etwas in mir bringt mich dazu eine weitere Farbe aufzuheben. Ebenfalls einen Farbfleck auf die Wand zu bringen und große Kreise zu ziehen. Kreise, welche seine Striche kreuzen. Linien, die länger als seine Malerei ist. Und bringt mich zum lachen, wie schon lang nicht mehr.

„Oh mein Gott", gebe ich ungläubig von mir, als ich mir die nun verunstaltete Wand anschaue. Blau und rot ist zu erkennen. Lila ebenfalls, aber nur weil sich unsere Farben vermischt haben. „Grün fehlt noch, oder?" Doch bevor ich antworten kann, spüre ich einen leichten Schlag auf meinen Bauch und ehe ich mich versehe, verspüre ich ihn ebenfalls auf meiner Wange. Erschrocken taumle ich zurück und blicke auf mein nun grünes Oberteil und fasse an meine bemalte Wange.

Und während Raven lachend den Pinsel in seiner Hand dreht, tunke ich meinen Pinsel böse lächelnd in das dunkle Lila und spritze es kreischend auf sein schwarzes, nach Alkohol stinkendes, Hemd. Nun bin ich es die lacht, als er mit großen Augen an sich herunter schaut.

„Sieht aus, als müsstest du dir das Hemd ausziehen, bevor es noch dreckiger wird", meine ich grinsend, fasse an den Saum meines Oberteils und ziehe es, genau wie Raven, über meinen Kopf. Schwer atmend schmeiße ich es auf den Boden, nehme mir erneut meinen Pinsel und warte nicht lange weitere Formen auf die Wand zu zeichnen.

Kopfschüttelnd sieht er mir dabei zu. Kommt mir näher, greift um meine Hüfte und läuft mit mir zusammen auf mein Bett zu. Laut lachend schmeißt er mich auf die graue Bettdecke, legt sich neben mich und schaut mich lächelnd an, was ich ihm gleich tue.

Schweigend streicht er durch mein Haar, nimmt sich meine Hand und umschließt sie mit beiden Händen. „Verlier bitte niemals dein wunderschönes Lächeln", flüstert er, schließt seine Augen, führt meine Hand zu seinem Mund und verteilt mehrere Küsse auf ihr.

Als würde Feuer statt seine Lippen meine Knöchel berühren, spüre ich das Lodern unter meiner Haut. Gefühle, die nur er hervorrufen kann. Nur er.

Ebenfalls schweigend, nehme ich meine andere Hand, führe sie zu seiner und streiche schwer schluckend über seine Knöchel. Krusten haben sich gebildet, doch die Trauer ist nicht zu übersehen. Angst, dass er es wegen den Schmerzen tut, breitet sich in meinem Kopf aus. Verletzt er sich? Tut er das schon immer?

Doch das einzige was ich nun höre ist sein gleichmäßiges Atmen. Und während er dort so seelenruhig neben mir liegt, seine Hände weiterhin um meine geschlossen hält, verschwindet das Gefühl nicht, dass er mich ebendas so mag, wie ich ihn.

Dass er mich so liebt, wie ich ihn.

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