Herr der Ringe / Der Hobbit (7 500 Wörter)

Schon viele Jahre erreichten immer wieder die ungewöhnlichsten Gerüchte die Ohren des Prinzen. Über Schreie, dunkle Gestalten oder sogar schwarze Magie, die in einem relativ großen Grundstück im Süden des Düsterwaldes ihren Ursprung finden sollten. Legolas hatte schon länger vor ihm einen Besuch abzustatten, doch noch hatte es sich nicht ergeben. Als Prinz hatte er schließlich viele andere Dinge zu tun.
Er glaubte die vielen Gerüchte nicht, doch hielt es für möglich, dass sich dort das ein oder andere dunkle Wesen herumtrieb. Kein Elb, der sich dem abgezäunten Bereich näherte, war jemals zurückgekommen und wenn doch, dann schwer verwundet. Die Überlebenden waren so geschockt von dem Erlebnis, dass kaum einer jemals darüber gesprochen hatte. Und nun, da sich niemand mehr in diesen Teil des dunklen Waldes traute, lag es in Legolas' Aufgabenbereich nach dem Rechten zu sehen. Er hatte seinen Freund Celon mitgenommen, mit welchem er schon viele Kämpfe geschlagen hatte. Der kleine rothaarige Elb ließ auf den ersten Blick nicht vermuten, welche Kraft und welches Geschick in ihm steckte, doch Legolas wusste es besser. Die beiden trainierten oft zusammen und wenngleich der Prinz meistens den Sieg errang, musste er zugeben, dass Celon schnell immer besser wurde und sich die ein oder andere Taktik abschaute.

So weit im Süden war die Luft stickig und die Umgebung dunkel. Durch die geübten elbischen Augen waren sie sich ihrem Umfeld bewusst, doch sonst so fröhliche, leuchtende Herzen wie die ihren, trübte solch ein schwarzer Zauber. Ein unangenehmes Gefühl machte sich in ihrer Brust breit und wie automatisch verschnellerten sich ihre Schritte. Sie wollten diese Aufgabe so schnell wie möglich hinter sich bringen.
Der Weg war schmal und kaum mehr als ein Trampelpfad. Er wurde nur äußerst selten bis gar nicht benutzt. Früher lebten auf diesem Grundstück Elben, doch wenn sie noch am Leben waren, so hatten sie sich seit vielen Jahren nicht mehr blicken lassen.
Der Zaun, den sie nun erreichten, war ebenso alt und abgenutzt. Stacheldraht versperrte ihnen den Weg und das ein oder andere Schild mit Betretungsverboten waren daran befestigt.
„Falls dort wirklich dunkle Kreaturen leben, würden sie doch nicht solche Schilder aufhängen?", murmelte Celon nachdenklich und schlüpfte durch das kleine Loch, welches von ihren Vorgängern noch im Zaun war.
„Vielleicht leben dort einfach nur Elben, die ihre Ruhe haben wollen", antwortete Legolas und folgte ihm. Er musste zugeben, dass ihn ein ungutes Gefühl beschlich, doch er musste nach dem Rechten sehen. Leute waren dort verschwunden und nie wieder gesehen. Der König würde nicht einfach einen Teil seines Reiches sperren, ohne es davor genau inspiziert zu haben und das war nun einmal die Aufgabe seines Sohnes.
„Wir sollten vorsichtig sein und nach Fallen Ausschau halten", flüsterte der Prinz und hatte eine Hand auf seinem Bogen liegen. Er vermutete bereits, dass sie nicht lange unentdeckt bleiben würden. Sie mussten immer auf einen Angriff vorbereitet sein.
„Legolas", zischte Celan plötzlich und schob eine Hand vor seinen Freund, welcher überrascht stehenblieb und ihn erwartungsvoll ansah. Dieser nickte bloß in die Bäume und spannte einen Pfeil ein. Bei genauerem Hinsehen, konnte auch Legolas das Seil erkennen, welches dort zwischen zwei Ästen gespannt war. In der Dunkelheit war kaum zu erkennen, zu welcher Art von Falle es gehörte, doch an solch einem Ort, war es sicher nicht aus Zufall dort.
Auf ein Nicken des blondhaarigen Prinzen ließ Celan den Pfeil von der Sehne schnellen und beobachtete genau, was das Durchtrennen des Seiles gebracht hatte.
Für einige Sekunden war es totenstill, bloß der flache Atem der beiden Elben war zu hören. Das ungute Gefühl war schlimmer geworden, weshalb Legolas vorsichtig einen Schritt vor sich setzte und einen kurzen Blick zu seinem Freund zurückwarf. In seinem Gesicht konnte man die Besorgnis ablesen. Celon war gewöhnlich nicht schnell eingeschüchtert, doch auch er hatte die Legenden und Geschichten über diesen Ort gehört und hatte nicht vor einer der Verschwundenen zu werden.
Legolas' Blick fiel auf Skelett, welches am Genick in den Bäumen aufgehängt war. Es war zweifellos elbisch und als Abschreckung gedacht. Er spürte Wut in sich brodeln, doch wusste, dass er nun keinesfalls blind für die Gefahr werden durfte. Hier war definitiv ein intelligentes Wesen am Werke und wenn es bloß ein Ork wäre, würde er nicht so darauf bedacht sein, Besucher fernzuhalten.
„Was denkst du, erwartet uns?", fragte Celon leise, als er wieder zu seinem Freund aufgeholt hatte. Seine dunkelbraunen Augen huschten aufmerksam durch den Wald. „Das habe ich mich auch gerade gefragt", antwortete der Prinz gedämpft und holte vorsichtshalber einen Pfeil aus dem Köcher an seinem Rücken. Warum sollte sich etwas Böses im Waldlandreich breit machen, wenn es keine Eindringlinge wollte? Der Süden war derzeit unbewacht, die Elben hatten sich in den Norden zurückgezogen, warum sich also hier niederlassen?

Sie waren bereits etwas weiter in das nachtschwarze Grundstück eingedrungen, als ein kalter Schauer über die Rücken der beiden Elben fuhr. Sie blieben sofort stehen, doch der letzte Schritt, den sie getan hatten, war der Schritt ins Verderben gewesen.
Ohne, dass sie irgendwie hätten reagieren können, schnappte eine Falle unter dem Fuß des Prinzen zu. Die gezackten Bogen bohrten sich tief in das Fleisch und ließen den Verletzten ein Knurren verlautbaren.
Gleichzeitig wurde ein Pfeil ausgelöst, welcher Celons Schulter traf. Etwas, das sich anfühlte wie dichter Nebel umfing sie und stahl ihnen die Luft.
Celon taumelte einige Schritte zurück und wollte davonlaufen, doch seine Loyalität zu seinem Freund hielt ihn zurück, was ihm noch einiges kosten sollte.
Legolas konnte eine Gestalt in dem Nebel ausmachen. Er versuchte seinen Bogen zu spannen, doch seine Sicht war verschwommen von dem Sauerstoffmangel. Er hustete und lehnte sich an dem Baum neben ihm an. „Wer seid Ihr?", rief er und versuchte unter großen Schmerzen sein Bein zu befreien.
„Ihr wurdet gewarnt, ihr hättet nicht eintreten sollen", knurrte die weibliche Stimme und die Gestalt näherte sich. Der Prinz warf einen Blick zu seinem Freund, welcher seine Schulter hielt und das Gleichgewicht verloren hatte.
„Das hier ist mein Königreich und ich betrete es wann ich will!", knurrte Legolas und schüttelte kurz seinen Kopf, um klarer zu werden. Die Person war bereits bei Celon angekommen und hatte ausgeholt, um ihm den Todesschlag zu versetzen. Wäre nicht immer noch die Falle um das Bein des Prinzen geschlungen, hätte er versucht zu seiner Rettung zu eilen, doch das Metall saß tief und fest in dem Fleisch.
„Wer seid Ihr?", fragte die Person plötzlich und hielt ein. Der Nebel verflog langsam, doch trotzdem waren die beiden Elben erschöpft und verausgabt. „Ich bin Legolas, Sohn des Königs und das ist Celon, ein Freund von mir", knurrte Legolas und rüttelte an der Falle unter ihm.
Plötzlich trat eine weitere Gestalt aus den Schatten und rammte ohne Vorwarnung dem rothaarigen Elben sein Schwert in den Rücken. Der Schrei schien durch den ganzen Wald zu gellen und brach das Herz des Prinzen in viele Stücke. Er riss seine Augen auf und zog sein Schwert, da er wusste, dass er mit seinem Bogen in dieser Verfassung nicht treffen würde.
„Warte, er ist der Prinz", sagte die weibliche Person seelenruhig und trat vor ihren Kameraden, welcher schon auf Legolas zutrat. „Das interessiert mich nicht! Und jetzt geh mir aus dem Weg", knurrte dieser wütend und wollte sie zur Seite schubsen. Inzwischen war zu erkennen, dass es eine braunhaarige Elbin war. Sie war groß und ließ in ihrer Art nicht an Kraft und Geschick zweifeln. Legolas fragte sich, was sie hier tat und was ihre Motive für solche Morde war.
„Du hast mir selbst erzählt, dass der König nur einen Sohn hat, du kannst ihn nicht umbringen", widersprach sie ernst und stellte sich zwischen den Prinzen und den dunkelhaarigen, mordlustigen Elben, welcher offensichtlich schnell gereizt war.
„Was hat das damit zu tun? Er hat die Warnungen ignoriert!", rief dieser und drängte sich an ihr vorbei, worauf die Elbin sein Handgelenk packte und ihm so schnell den Arm verdrehte, dass er mit einem schmerzverzerrten Knurren rücklings in ihren Armen landete.
„Lass mich sofort los!", verlangte er, wobei er plötzlich sehr ruhig und ernst wurde. Legolas' Blick lag bloß auf seinem Freund, der sich nicht mehr regte.
„Du wirst ihm nichts tun", knurrte sie und drehte ihn von sich weg, sodass er einige Meter weiter gegen einen Baum krachte. „So läuft das hier nicht, Kleine!", rief er wütend und kam wieder auf sie zu, doch sie zog kontrolliert ihren Bogen und richtete die Pfeilspitze auf seinen Kopf. „Wir sind immer noch Waldelben. Du wirst ihn nicht umbringen", sprach sie ruhig und sah ihn fest an. Einige Sekunden entstand stiller Blickkontakt, bei dem Legolas das Gefühl hatte, als würden mehr Worte gesagt werden, als er vermuten könnte.
„Ich erwarte dich Zuhause", knurrte der Dunkelhaarige schließlich und drehte sich in Richtung Herzen des Grundstücks um. Die Elbin seufzte leise und hockte sich zu Celon. „Wer seid Ihr?", fragte Legolas ernst. Sein Kopf war wieder klar, doch noch wollte er sie nicht bedrohen. Schließlich hatte sie ihm gerade das Leben gerettet.
„Mein Name tut nichts zur Sache, Prinz", antwortete sie knapp und legte ihre Hand an die Wange des Toten. Legolas beugte sich wieder zu seiner Fessel hinunter und zerrte mit aller Kraft an den beiden Bögen, die sich fast schon in seinen Knochen gebohrt hatten.
„Ihr solltet gehen, ich werde mich um Euren Freund kümmern", murmelte sie und flüsterte ein paar kurze Worte, die der Prinz nicht verstehen konnte. „Er wird nicht zu einer eurer Abschreckungsmaßnahmen werden", knurrte Legolas und konnte endlich das Metall lösen. „Ich kann ihn heilen", antwortete sie bloß und erhob sich wieder. Ihr Blick hing besorgt am Fuß des Prinzen. „Er ist bereits gegangen", sagte dieser und riss einen länglichen Streifen von seinem Mantel ab, um ihn um die tiefe Wunde zu binden.
„Der Weg zum Palast ist weit, werdet Ihr ihn ohne Medizin schaffen?", fragte sie einfach und beobachtete ihn beim Verbinden. Legolas sah sie aus kalten blauen Augen an. „Von Euch brauche ich keine Hilfe", blaffte er und richtete sich wieder auf, während eine Hand vorsorglich auf dem Heft des Schwertes lag. Er konnte den Ausdruck im Gesicht seines Freundes nicht aus dem Kopf bekommen.
„Ich riskiere mein Leben, wenn ich ihn zurückhole, also könntet Ihr ruhig etwas Dankbarkeit zeigen", knurrte sein Gegenüber wütend und trat einen Schritt näher. Ihre grünen Augen blitzten gefährlich. „Du hättest ihn genauso umgebracht!", rief er wütend zurück und versuchte den Schmerz in seinem Bein zu verbergen.
„Ich muss ihn nicht heilen, dann nehmt ihn eben mit", rief sie und stapfte wütend an ihm vorbei. Sobald die Elbin ihn nicht mehr im Sichtfeld hatte, zog er lautlos seinen Dolch und wollte ihn ihr in den Rücken rammen. Sie hatte ihm zwar das Leben gerettet, doch hätte es ihm selbst um ein Haar entrissen. Sie hatte sicherlich schon viele Waldelben auf dem Gewissen und war gefährlich.
Doch irgendwie schien sie es zu spüren und drehte sich so schnell herum, dass er bevor er es wirklich realisieren konnte, schon das kalte Metall ihrer Klinge an der Kehle fühlen konnte.
„Glaubt nicht im Geringsten, dass Ihr Euch mit mir messen könntet", knurrte sie und schien mit ihrem Blick eine solche Kälte in dem Prinzen hervorzurufen, dass er versteinerte und sich nicht mehr bewegen konnte.
„Richtet Eurem Vater aus, dass von nun an jeder, der diesen Zaun überwindet ohne Vorwarnung getötet wird. Wir wollen nicht mehr als unsere Ruhe", sprach sie ernst und war dabei so nah am Gesicht des Prinzen, dass er ihren Atem spüren konnte.
Mit diesen Worten ließ sie ihn los und stolzierte davon. Legolas atmete schwer aus und sah ihr kurz hinterher. Mit solchen Nachrichten konnte er niemals zum Palast zurückkehren.
Er kniete sich zu seinem Freund und nahm seine noch warme Hand. Was, wenn sie wirklich die Macht hatte, ihn zurückzubringen? Er musste doch versuchen sein Leben zu retten! Aber würde er selbst nicht getötet werden bei dem Versuch? Würde die Elbin ihn ein zweites Mal so verteidigen? Er war sich nicht sicher. Warum musste er auch so unhöflich sein? Hätte er nichts gesagt, so wäre Celon vielleicht wieder am Leben?

~

Vorsichtig schob Legolas seinen Kopf in das helle Fenster. Er hatte den Leichnam seines Freundes ein wenig weiter weg versteckt und sich alleine zu dem Haus in den Bäumen ausgemacht. Auf den ersten Blick sah alles wie in jedem anderen Teil des Waldlandreiches aus, doch der Prinz wusste, wo er sich befand. Wenn er nun gesehen wurde, konnte er zweifellos sein Leben verlieren. Die Falle von vorhin war sicherlich nicht die einzige gewesen.
Aufgebrachte Stimmen schlugen ihm entgegen. Die Elbin und ihr Kamerad standen in dem Wohnzimmer und stritten offensichtlich.
„Ich dachte, ich hätte meinen Punkt schon vor langer Zeit klargemacht! Niemand betritt dieses Grundstück!", rief der dunkelhaarige Elb gerade und schubste sein Gegenüber ein wenig nach hinten. Sie hatte den Blick gesenkt und wehrte sich nicht.
„Was hast du dir dabei gedacht, hm?", fragte er wütend, worauf sie nicht antwortete und keinen Muskel rührte. Außer sich holte der Elb aus und ließ seine Hand auf die Braunhaarige niederschnellen.
Legolas kniff die Augen zusammen, als sie offensichtlich Schmerzen dabei empfand, doch sich immer noch nicht zur Wehr setzte. Sie hatte doch bereits bewiesen, dass sie ihm weit überlegen war!
„Vergib mir", flüsterte sie kaum hörbar und hatte weiterhin den Blick gesenkt. „Das werde ich dieses letzte Mal", knurrte ihr Gegenüber und erhob noch ein weiteres Mal die Hand, um ihren Kopf diesmal auf die andere Seite zu werfen. Legolas musste kurz den Blick abwenden und atmete durch. Das, was er von ihr gesehen hatte, widersprach gänzlich diesem Verhalten. Was hatte er gegen sie in der Hand?
„Ich gehe die Fallen erneuern", murmelte der Elb und wandte sich der Tür zu. Der Prinz wartete kurz, bis er weg war und kletterte dann zur Eingangstür. Er zögerte zu klopfen, doch nun, da er schon so weit gekommen war, sah er keinen Grund es nicht zu tun.
Es dauerte einige Sekunden bis geöffnet wurde. „Ihr solltet nicht hier sein", murmelte die Elbin ruhig und blieb in der Tür stehen. „Ich kenne die Gründe nicht, wegen denen ihr so unbedingt alleine sein wollt, doch ich wäre dir dankbar, wenn du meinem Freund helfen würdest", sprach Legolas vorsichtig. Tatsächlich war der Ansatz eines belustigen Lächelns auf den Lippen der Elbin zu erkennen.
„Ich dachte mir schon, dass Ihr das sagen würdet, doch das dauert seine Zeit und ich will dafür etwas im Gegenzug", antwortete sie und baute sich vor ihm auf. Legolas kniff die Augen zusammen. „Ich bin nicht der König, ich kann euch dieses Land nicht zusprechen. Ich habe Auftrag herauszufinden, was hier los ist und das habe ich immer noch vor", sagte er ernst. „Dann kann ich Euch nicht helfen", stellte sie schulterzuckend fest und legte ihre Hand an die Tür. „Ich habe gesehen, was gerade passiert ist. Du kannst mit zum Palast kommen", bot er schnell an. Sie hob überrascht ihre Brauen.
„Warum solltet Ihr das tun? Ich habe Euch fast umgebracht?", fragte sie misstrauisch und musterte ihn. „Jemand mit solchen Fähigkeiten ist sicherlich immer erwünscht. Du könntest ein neues Leben anfangen", erklärte der Prinz und wusste selbst nicht so ganz, ob das möglich war. Sie lachte bloß kurz. „Ich bin keine Heilerin. Was lässt Euch überhaupt denken, dass ich von hier weg will? Hier habe ich meine Ruhe", lächelte sie überheblich und legte den Kopf ein wenig schief.
„Das, was ich gesehen habe, hat nicht unbedingt sehr angenehm ausgeschaut", antwortete Legolas bloß und sah sie prüfend an. Was steckte hinter all dem?
Ihre Mundwinkel sanken sofort ein Stück. „Vergesst, was Ihr gesehen habt, ich brauche keine Hilfe von Euch", knurrte sie wütend und wollte die Tür schließen. „Ich aber von dir", hielt er sie schnell auf und legte eine Hand an die Holztür, um sie offen zu halten. Der Blick der Elbin wurde etwas weicher. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch brach abrupt ab. Ohne ein Wort der Warnung packte sie ihn am Arm und zog ihn hinein. Überrascht versuchte Legolas sich zu wehren, doch das hatte er nicht unbedingt erwartet, weshalb er etwas überfordert hineinstolperte. Die Elbin schloss die Tür hinter ihnen und schob ihn in einen Nebenraum.
„Keinen Mucks", befahl sie eindringlich und schloss die Tür von außen. Der Prinz stand vollkommen verwirrt in dem Schlafzimmer und starrte einige Sekunden auf das Holz vor ihm.
„Dieser Prinz muss immer noch in der Umgebung sein. Sieh, was ich gefunden habe, Ráva", erklang plötzlich von draußen und wie automatisch glitt Legolas etwas weiter weg von der Tür. Der schnell reizbare Elb hatte den vorzeitigen Weg zurück gefunden. Er wurde den Gedanken nicht los, dass er Celon gefunden hatte.
„Ich brauche ihn noch nicht", antwortete Ráva kühl. Der Prinz runzelte verwirrt seine Stirn und begann sich im Schlafzimmer umzusehen. Es war nur spärlich eingerichtet und ohne Liebe verziert, was für Elben eher untypisch war.
„Ich will, dass du ihn umbringst, wenn du ihn das nächste Mal siehst, ist das klar?", fragte der Elb eindringlich. Legolas trat wieder an die Tür und warf einen Blick durchs Schlüsselloch.
„Ich weiß", antwortete Ráva ruhig. Der Prinz traute seinen Augen kaum, als er seinen totgeglaubten Freund in der Mitte des Raumes stehen sah, als ob nichts gewesen wäre. Doch der Blick des rothaarigen Elben ging starr geradeaus ins Leere. Als wäre er paralysiert stand er kerzengerade da und regte sich nicht. Konnte man das lebendig nennen?
„Nun gut, dann pass auf den hier auf, ich mache wieder auf den Weg", verabschiedete sich der Elb und ging wieder auf die Eingangstür zu. Legolas wartete nicht lange und trat aus dem Schlafzimmer.
„Celon?", fragte er vorsichtig und trat zu seinem Freund. „Das ist nicht mehr Celon, Prinz", murmelte Ráva unbeeindruckt und fixierte den leeren Körper, welcher sich nun auf eine Ecke des Raumes zubewegte. „Kannst du ihn zurückholen?", fragte Legolas und sah ihm nachdenklich hinterher. Die Elbin senkte kurz den Blick. „Orntalma würde es merken", antwortete sie und trat auf einen der vielen Schränke zu. Erst jetzt fielen Legolas die vielen Kräuter, Gläser und Körperteile auf, die von den verschiedensten Wesen stammten.
„Dann habe ich nichts mehr zu verlieren und kann fragen, was das alles ist." Die Elbin sah ihn böse an und verschränkte ihre Arme. „Immerhin habt Ihr Euer Leben zu verlieren", knurrte sie. „Du willst mich nicht umbringen, sonst hättest du es schon längst getan", antwortete er bloß und sah sich weiter um.
„Er führt Experimente durch", seufzte sie schließlich und nahm ein paar Kräuter und einen Verband aus dem Schrank vor ihr. Legolas sah sie überrascht an. „An dir?", es war ein Schuss ins Blaue, doch er schien zu treffen. Sie erstarrte und biss sich auf die Lippe. Einige Sekunden herrschte Stille zwischen den beiden. „Ich sollte deine Wunde versorgen, sie wird sich sonst entzünden", sagte sie endlich und kam wieder auf ihn zu. Legolas wollte schon verneinen, doch wusste irgendwo, dass sie es als nette Geste meinte. Wie er gesagt hatte, würde sie ihm wirklich schaden wollen, so hätte sie es bereits getan.
Deswegen setzte er sich zu dem Tisch am Fenster und nahm den provisorischen Verband ab.
„Also warum bleibst du hier?", fragte er und sah sie fest an. Mit der Frage vorhin schien er einen wunden Punkt getroffen zu haben. Nun war sie nicht mehr so kühl und verschlossen. Sie setzte sich ihm gegenüber und zerriss die Blätter.
„Es ist kompliziert", murmelte sie leise und sah ihn nicht an. „Aber er behandelt dich nicht gut", widersprach Legolas sanft. Er spürte, dass sie darüber reden wollte, doch ihm noch nicht wirklich vertraute.
„Er hat mir das Leben gerettet. Ich denke ich schulde ihm meine Loyalität", antwortete sie und verteilte die verkleinerten Kräuter auf der verkrusteten Wunde. Sie brannten und der Prinz musste sich konzentrieren, nicht zurückzuzucken.
„Das ist keine Loyalität. Du musst so nicht leben." Sie schüttelte leicht den Kopf. „Du verstehst das nicht", murmelte sie und begann leise unbekannte Zaubersprüche vor sich herzusagen.
„Mein Vater wird nicht zulassen, dass ihr einfach ein Teil seines Königreiches übernehmt", sprach er, als sie sich wieder zurücklehnte und nach dem Verband griff. „Wenn ihr uns angreift, werden viele sterben", antwortete sie kühl und begann die Wunde zu verbinden. „Ihr werdet aber auch zu den Toten zählen", widersprach Legolas ruhig. Ráva hielt kurz ein. „Er tut es, um mich zu schützen, weißt du", murmelte sie leise und beende ihr Tun. „Wegen deinen Fähigkeiten?" Sie lächelte leicht und erhob sich. „So ungefähr", erwiderte sie und räumte die restlichen Kräuter zurück. „Mordest du für ihn oder für dich?", fragte Legolas die Frage, die ihn schon die ganze Zeit beschäftigte und dessen Antwort auch viel bedeutete.
Sie zögerte sichtlich und wartete, bis sie alles fertig verstaut hatte. „Ich kenne nichts anderes als dieses Haus, dieses Grundstück. Ich versuche nicht zu hinterfragen, was ich mache, um es zu verteidigen. Mein Leben lang wurde mir beigebracht, dass ich zu niemand anderem darf, dass es mich umbringen würde", erzählte sie nachdenklich. „Dann reiß dich von dem los. Komm mit mir." Ihre Augen zuckten wieder zu dem Elben. „Du verstehst es immer noch nicht", stellte sie trocken fest. „Wie kannst du zu so einem Angebot Nein sagen? Du könntest viel mehr werden als das! Du könntest die mächtigste Elbin des ganzen Waldlandreiches werden! Sieh dir meinen Fuß an, elbische Heilkunst ist sehr weit entwickelt, doch das -, du weißt selbst, dass du nicht einmal einen Verband hättest machen müssen", widersprach der Prinz sofort und zog die Schichten von Stoff über der bereits komplett verblassten Wunde hinunter.
Ráva seufzte leicht. „Du hast keine Ahnung, was du von mir verlangst", flüsterte sie und sah hinter sich zu Celon. Er versuchte zweifellos nur sie zu umzustimmen, damit sie seinen Freund zurückbrachte, doch war sie so leicht zu überzeugen?

~~

Erschöpft öffnete Legolas die Tür zu seinem Balkon. Die letzten Stunden wurde vergeblich nach Ráva gesucht. Sie hatte beim Training wohl einige Probleme, worauf sie einen Elben verletzt und eine Elbin umgebracht hatte. Er hatte versucht den Unfall so lange wie möglich verdeckt zu halten, um zuerst mit ihr zu sprechen, doch nun gab es wohl keine Wahl mehr.
Sie war schon einige Monate hier und hatte sich bis jetzt eigentlich ganz gut eingelebt. Obwohl sie eigentlich gesagt hatte, dass sie keine Heilerin werden wollte, hatte Legolas sie überzeugen können, sich trotzdem zumindest kurz mit dem Thema zu befassen. Irgendwo war es auch seine Pflicht sie dort einzusetzen, wo sie am meisten bewirken würde.
Er hatte wann immer es seine Aufgaben als Anführer der Palastwachen erlaubten, Zeit mit ihr verbracht und sich irgendwie an sie gewöhnt. Ráva sprach nicht gerne über ihre Vergangenheit, doch sie hatte in vielen Bereichen ein weit größeres Wissen, als er vermutet hatte. Außerdem hatte er herausgefunden, dass sein erster Eindruck von ihr richtig gewesen war: sie kämpfte mühelos und ohne großen Kraftverbrauch und hatte ihn selbst damit schon das ein oder andere Mal besiegt, genauer gesagt, hatte er kaum eine Chance, was er allerdings nicht gerne zugab. Seine Gewinne waren meistens auf Zufälle oder Glück zurückzuführen.
Doch gerade deswegen war er umso überraschter gewesen von dem Vorfall am Trainingsplatz zu hören. Er wollte nicht, dass sie nun dafür verbannt oder umgebracht wurde. Jemand mit ihrer Vergangenheit barg immer das Risiko in alte Muster zu verfallen, doch er glaubte nicht, dass es aussichtslos war, zu versuchen sie zu heilen.

Er atmete die kühle Luft ein und ließ seinen Blick über die von der Abenddämmerung rot und pink gefärbten Wolken gleiten, bis er plötzlich an einer Person hängen blieb, die etwas weiter weg am Geländer gelehnt dastand. Sie hatte ihm ihren Rücken zugewandt und die Kapuze über den Kopf gezogen. Er wusste sofort wer das war und lächelte leicht.
„Ich wollte mich verabschieden", murmelte Ráva leise und warf ihm einen kurzen Blick zu. „Warum?", fragte er, wobei er natürlich die Antwort kannte, und trat näher. Sie senkte den Blick nach unten auf den Wald. „Ich habe die Kontrolle verloren. Du weißt wovon ich spreche. Der ganze Palast sucht vermutlich nach mir", antwortete sie und knetete unruhig ihre Finger. Auch für sie waren die letzten Monate denkwürdig gewesen.
„Nur ein paar Wachen", lächelte Legolas und stellte sich neben sie. „Du könntest deinen Fehler wiedergutmachen", fuhr er fort und musterte sie kurz. Die Elbin schüttelte den Kopf. „Dann wäre ich keine normale Elbin mehr", antwortete sie nachdenklich. Sie hatte wenig von ihren Kräften gezeigt. Der Prinz wollte ihr nicht befehlen zu helfen, auch da es in letzter Zeit nicht sonderlich viele Verletzte gegeben hatte, weshalb er es nicht hinterfragt hatte.
„Und was wäre so schlimm daran?", fragte er vorsichtig und legte eine Hand an ihre Schulter, sodass er sie ein wenig zu sich drehen konnte. „Ich war nur bei Orntalma, um eine normale Elbin zu werden", brachte sie schließlich heraus und wandte den Blick ab. Legolas sah sie etwas überrascht an. „Um deine Kräfte zu unterdrücken?" Sie zögerte sichtlich. „Nicht unbedingt. Ich habe Geheimnisse, die dich zwingen würden, mich umzubringen, wenn du sie kennen würdest", antwortete sie und seufzte. „Ich dachte wir waren uns einig, dass das hier ein Neuanfang sein sollte?" Sie lächelte ein bitteres Lächeln und schüttelte leicht den Kopf.
„Ich kann meine Vergangenheit nicht loswerden, wie du heute gemerkt hast." Legolas musterte sie nachdenklich. Was konnte sie so Schlimmes getan haben? Vermutlich hatte es etwas mit ihren ungewöhnlich starken Kräften zu tun, doch sie wollte offensichtlich nicht darüber reden.
„Dann musst du eben akzeptieren wer du bist und nicht davor wegrennen", sprach er und merkte, wie er dabei mehr Bedeutung hineinlegte, als er es eigentlich vorgehabt hatte. Er selbst hatte oft den Wunsch für einige Tage mal nicht der Prinz zu sein, frei von jedweder Verantwortung zu sein.
Der überraschte Blick seines Gegenübers durchbohrte ihn. Sie hatte wohl gemerkt, dass er nicht nur über sie gesprochen hatte.
„Ich wurde als das geboren, was ich bin und konnte nichts daran ändern", fügte er leise hinzu, worauf der Blick sanfter wurde. „Ich wusste nicht, dass es so schwer für dich ist", flüsterte sie, was nun Legolas dazu brachte sich wegzudrehen. Natürlich hatte es seine Vorzüge der Sohn des Königs zu sein, doch die meisten realisierten nicht, was das für eine Bürde sein konnte. Er musste immer derjenige sein, der Entscheidungen treffen musste, immer einen Rat parat hatte und Leuten aus der Patsche half.
„Vielleicht würde ich eine andere Sichtweise haben, wenn ich wüsste, wie es ist, nicht Prinz zu sein, so wie du es weißt mit deinen Problemen", hauchte er nachdenklich und ließ seinen Blick über die immer dunkler werdende Abenddämmerung gleiten.
„Eigentlich sollte das hier meine Flucht vor der Realität sein", sprach Ráva leise und lehnte sich am Geländer ein wenig gegen ihren Freund.
„Ich weiß, dass du Angst hast, aber du wirst niemanden mehr verletzen. Wegrennen wird nicht die Lösung sein." Er drehte seinen Kopf wieder zu ihr und sah ihr fest in die Augen. Es war nicht mehr nur der Nutzen für sein Königreich, wegen dem er wollte, dass sie blieb, sondern auch sie selbst.
Sie nickte leicht.

Im Heilertrakt war es still. Es gab neben den beiden Elben, von denen nur der eine bei Bewusstsein war, keine Verletzte derzeit.
„Sie ist in einem separaten Raum", beruhigte Legolas seine Begleiterin, als er ihren unsicheren Blick bemerkte. Früher oder später musste sie mit dem anderen Elben sprechen, doch das würde die Wiederbelebung der Toten abwarten können.
Wortlos öffnete er die Tür zu dem Heilerzimmer, das verlassen dalag. Die Elbin ruhte mit geschlossenen Augen und in schlafgleicher Pose in einem der Betten.
Ráva atmete kurz durch und näherte sich ihr. „Wenn sie aufwacht, wird sie nicht wissen was geschehen ist", murmelte sie, ohne Legolas eines Blickes zu würdigen. Auch, wenn sie es nicht sah, nickte er knapp und folgte. Ohne ein weiteres Wort, setzte sie sich neben den Leichnam und legte ihre Hand an den bewegungslosen Kopf.
Legolas hob überrascht die Brauen, als sie sie bereits nach ein paar Sekunden wieder zurückzog. Er hatte sich gerade auf einem der anderen Betten niederlassen wollen.
„Ihre Seele ist bereits auf dem Weg in die Hallen von Mandos", flüsterte sie bedrückt und starrte zu Boden. „Gibt es keinen Weg sie zurückzuholen?", fragte Legolas schnell nach. Er kannte sie zwar nicht sehr gut, doch er wollte nicht, dass sie offiziell zur Mörderin erklärt wurde.
Ráva zögerte. „Hol Celon her, ich brauche ihn", befahl sie schließlich und warf ihm einen Blick zu. Legolas sah überrascht auf, doch erhob sich sofort. Celon war damals wie versprochen wiederbelebt worden, doch laut seinen Erzählungen hatte es sich bloß wie ein langer, tiefer Schlaf angefühlt. Er war niemals in den ewigen Hallen des Mandos angekommen, doch vielleicht wollte er einfach nicht darüber reden?
Legolas hinterfragte es nicht weiter, sondern begab sich einfach auf die Suche nach seinem alten Freund.
Er war schnell gefunden und willigte nach einer kurzen Erklärung ein, zu helfen. Der Prinz hatte ihm zwar nicht die volle Wahrheit erzählt, doch das konnte er später immer noch tun.

„Was muss ich tun?", fragte Celon, als sie den Raum betraten. Ráva saß immer noch neben der Elbin und schien in Gedanken versunken gewesen zu sein. Nun hob sie ruckartig den Kopf und bat ihn mit einer Handbewegung zu sich.
„Du musst mir nur vertrauen. Du wirst in etwas wie eine Leere versetzt werden. Eine Leere, in der auch sie sich gerade befindet (zumindest hoffentlich). Ich werde dich da wieder herausholen, sobald ich sie gefunden habe", erklärte sie, während der rothaarige Elb sich neben sie setzte.
„Wie lange wird es ungefähr dauern?", fragte er und nickte kurz verstehend. Ráva zögerte kurz. „Das kann man nie so genau sagen", antwortete sie schließlich und schien dabei eine wichtige Information zurückzuhalten, doch Legolas mischte sich nicht ein, sondern setzte sich einfach ihnen gegenüber auf das andere Bett.
Auf ein Nicken Celons nahm sie seine Hand in die ihre linke und die der Toten in die andere.

Legolas seufzte schwer und stand auf. Seine Gelenke waren die letzten Stunden des Wartens steif geworden. Alle drei hatten immer noch die Augen geschlossen und nichts rührte sich. Er fragte sich, wie lang es wirklich dauern würde und ob es überhaupt Sinn machte, hier auf das Ende zu warten. Vielleicht würden sie einige Tage so dasitzen?
Gerade als er ernsthaft in Betracht zog sich etwas zu Essen zu holen, keuchte Ráva plötzlich auf und kippte eine wenig nach vorne. Der Prinz stürzte sofort zu ihr und warf einen Blick auf die beiden Elben an ihren Seiten. Celon kippte nach hinten und bewegte sich nicht mehr. Mit großen Augen sah Legolas seine Freundin an. Er wollte keine voreiligen Schlüsse ziehen und es sie erklären lassen.
„Er hat mir nicht vertraut", brachte sie heraus und verbarg ihr Gesicht in den Händen. „Was willst du damit sagen?", fragte Legolas schockiert nach und beugte sich über Celon. „Ich habe ihre Seele gefunden, doch die seine-", erklärte sie leise und fuhr sich durch die braunen Haare.
„Du meinst-?", fragte der Elb mit zugeschnürter Kehle nach. Er konnte nicht glauben, dass Celon nun wieder verloren sein sollte. „Ich werde ihn zurückholen", antwortete sie entschlossen und fasste wieder nach den beiden Händen. Legolas wollte noch etwas sagen, doch sie verfiel sofort wieder in die Trance.
Diesmal dauerte es nicht sonderlich lange, bis sich eine Änderung zu erkennen gab, doch es war keine zum Guten.
„Ráva?", fragte der Prinz außer Atem und legte eine Hand an die kalte Wange seiner Freundin. Etwas Schwarzes, Dickflüssiges trat aus ihrer Nase. Sie keuchte mit einem unterschwelligen Wimmern, doch erwachte noch nicht. Sorgenvoll musterte er sie. Hatte sie sich etwa in die Welt der Toten versetzt?
„Ráva, wenn dich das umbringen könnte, dann komm zurück", flüsterte er eindringlich und suchte nach etwas, was er tun konnte. Er wollte die Verbindung zu den beiden Elben nicht unterbrechen.
Ein Brummen ertönte von der Seite. Überrascht schaute Legolas zu der Elbin, welche sich mit der freien Hand an den Kopf fasste. „Was ist passiert?", fragte sie müde und sah sich um. „Ganz ruhig, ich werde es dir erklären, wenn ich selbst es verstehe", antwortete Legolas und nickte ihr kurz zu. Sie musterte Ráva misstrauisch und entzog ihr ihre Hand. Der Prinz wollte es noch verhindern, doch es war zu spät. Er wusste nicht, ob das noch schlimme Folgen haben würde, doch bis jetzt konnte er nur sagen, dass die blutartige Flüssigkeit weiterhin aus der Nase seiner Freundin trat und inzwischen auf ihren Mantel tropfte.
„Sie hat mir ihr Schwert in den Brustkorb gerammt", keuchte die Elbin plötzlich und fasste sich an die Brust. „Und dich wieder geheilt", fügte Legolas hinzu, doch hatte seinen Blick weiterhin auf Ráva gerichtet.
„Was ist los mit ihr?", fragte sie und setzte sich auf. „Ich weiß es nicht", hauchte der Elb bloß und nahm die kalte Hand seiner Freundin.
Die beiden zuckten leicht zusammen, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde.

Celon hatte das Gefühl, als würde er in einer unendlichen Leere schweben. Er konnte seine Hände vor sich erkennen, doch von einem Boden unter seinen Füßen war keine Spur.
Wenngleich er das Gefühl hatte sich fortzubewegen, wenn er seine Beine hob, so gab es kein Zeichen, dass er es auch wirklich tat. Es war ein komisches Gefühl seinen eigenen Körper sehen zu können, obwohl keine Lichtquelle vorhanden war.
Der Elb war schon sehr erfahren und hatte vieles erlebt, doch solch ein Gefühl war ihm nie untergekommen. War er tot?
„Hallo?", fragte er vorsichtig und drehte sich um die eigene Achse, doch alles blieb still. Also ging er einfach in irgendeine Richtung los, auch wenn er nicht erwartete, auf etwas zu treffen.
Er wusste nicht, ob es Minuten oder Stunden waren, die er so durch die unendliche Schwärze lief, doch irgendwann vernahm er eine Stimme. „Celon?" Sie war weiblich und schmerzlich bekannt. „Mutter?", fragte er zurück und blieb stehen. Plötzlich merkte er, wie sich eine unsichtbare Hand an die seine legte, dort wo ihn in der echten Welt wohl gerade Rávas hielt.
„Bist das wirklich du?", kam die Stimme zurück. Nun konnte er sie auch orten, doch als er versuchte sich auf sie zuzubewegen, versuchte die Hand ihn zurückzuhalten. Seine Mutter war vor langer Zeit an einer schweren Infektion verstorben. Es hatte ihm das Herz gebrochen und oft hatte er sich gewünscht sie noch einmal so glücklich und gesund wie früher zu sehen, doch das war ihm niemals geschenkt worden.
„Wo bist du?", fragte er schnell, um die Stimme nicht zu verlieren und kämpfte ein wenig gegen die Hand an, die ihn weiterhin fest umklammert hielt. „Bist du tot?", antwortete sie bloß. Celon zögerte. Wenn er das war, sollte er nicht in Mandos' Hallen sein? Und sie doch auch?
„Ich bin mir nicht sicher. Bist du wirklich hier?", fragte er vorsichtig und trat einen Schritt vor. Sein Arm wurde zurückgezogen, doch er konnte seine Neugier und die Liebe zu seiner Mutter einfach nicht bändigen. Er wollte sie doch nur ein letztes Mal sehen! Wer könnte zu solch einer Möglichkeit nein sagen?
„Celon? Ich glaube ich verliere dich", hauchte sie plötzlich etwas dumpfer als zuvor. Der Elb schluckte schwer und warf einen Blick auf seine rechte Hand. Sollte er es riskieren? Er würde sich die Richtung merken und dann wieder zurückkehren.
„Celon!", rief seine Mutter abermals panisch, worauf er sich kurzentschlossen losriss und auf die Stimme zu rannte. Als er das tat, merkte er irgendwann, wie sich langsam aber sicher, kalter Mamorboden unter seinen nackten Füßen bildete. Gedämpfte Stimmen empfingen ihn und eine kleine Lichtquelle ein wenig weiter weg von ihm, erschien. In seinem Inneren wusste er, dass dies die Hallen des Mandos waren, doch er wollte es nicht realisieren, er wollte bloß zu seiner Mutter.

Es war nicht leicht in die Welt der Toten einzutauchen. Außerdem war es sehr gefährlich. Wenn Ráva jemand dabei bemerkte, durfte sie vielleicht nie wieder zurück. Warum musste Celon sie auch abweisen? Sie hatte gespürt, dass er versucht wurde. Die Welt sah es nicht vor, dass Lebewesen in dieser Art Zwischenwelt waren, die nur von den gerade Gestorbenen betreten wurde. Keiner hatte mehr Erinnerungen daran oder sprach mehr darüber, nachdem dieser Teil der Reise vorbei war. Sie selbst war diesen Weg öfter gegangen, als ihr lieb war und hatte dabei die ein oder andere verlorene Seele getroffen. Doch ohne Körper brachte es nichts sie mit zurückzunehmen. Viele von ihnen hatten sich bereits mit ihrem Tod abgefunden und wollten auf diesem Weg nicht zurück. Schließlich wurden die Elben wieder zurückgeschickt, sobald die Zeit reif war.
Doch Celon war anders, sein Körper war nicht gestorben. Er wurde aus der Zwischenwelt gelockt, in der er zu lang verweilt hatte und natürlich hatte er dem nachgegeben. Ráva kannte den Elben zu schlecht, um sagen zu können, was ihm so viel bedeutet hatte. Er war schlau und hätte wissen müssen, dass es ihn umbringen würde.
Doch das alles änderte nichts an dem Fakt, dass sie entschlossen war, ihn zu finden. Sobald er zwischen den anderen Elben in Mandos' Hallen angekommen war, gab es kein Zurück mehr. Sie konnte ihn nicht vor allen Augen mit zurücknehmen. Eigentlich tat sie es nicht sonderlich oft, Seelen nach Mittelerde zurückzubringen, doch sie wusste, dass sie es konnte und wollte ihrem neu gewonnen Freund nicht diese Schmerzen auferlegen.
Während sie die Zwischenwelt betrat, wurde ihr bewusst, dass ihr Körper dabei immer schwächer wurde. Sie durfte nicht lange verweilen. Als Celon hier war, konnte sie ihn beschützen und hatte eine Brücke zur echten Welt dargestellt, doch sie hatte nun keine Reißleine mehr, die sie im Notfall ziehen konnte. Doch sie war, mehr oder weniger freiwillig, diesen Weg schon oft gegangen, weshalb sie sich einfach einredete, dass das funktionieren würde.
Sie sah sich kurz um und schloss die Augen, um sich besser konzentrieren zu können, obwohl es bei der Schwärze um sie herum kaum einen Unterschied machte.
Sie konnte Celon spüren, doch ihre Verbindung war schwach, also zögerte sie nicht lange und rannte los. Sie war schon länger nicht mehr hier gewesen und war sich nicht sicher, ob sie die Grenze zu den ewigen Hallen erkennen konnte, doch nun, da sie schon dabei war, musste sie es auch zu Ende führen.
Gerade, als sie meinte ihn fast schon greifen zu können, wurde sie sich plötzlich einer starken Präsenz hinter ihr bewusst. Sie war angenehm, wie ein schützendes Schild, das ihr die Anwesenheit in der Zwischenwelt erleichterte.
„Ráva, komm sofort zurück", erklang die dazugehörige Stimme. Sie war bestimmt, doch nicht wütend. Die Elbin wollte folgen, doch gleichzeitig Celon mit zurücknehmen. „Celon", brachte sie also leise heraus und sprang noch ein paar Schritte weiter vor. Wie an einer Leine wurde sie plötzlich zurückgerissen. Sie biss ihre Zähne von den Schmerzen zusammen, doch blieb standhaft. „Lass ihn gehen, sonst wirst du mit ihm enden", knurrte die gleichzeitig gefürchtete und geliebte Stimme hinter ihr. „Ich kann nicht", keuchte sie und stämmte sich noch ein letztes Mal gegen die Kraft, die sie nach hinten zog.
„Ráva", drohte Orntalma, dessen Körper nicht zu erkennen war und hielt sie wieder zurück. Die Elbin stöhnte vor Schmerz auf, als sie ihren Arm ausstreckte und merkte, dass die Kraft um ihren Oberkörper immer stärker wurde. Sie wurde zurück nach Mittelerde gezogen.
Verzweifelt fasste sie mit ihren Fingern ins Dunkle und merkte, dass ihr die Luft abgeschnürt wurde.
Gerade als der Zug zu stark wurde, fühlte sie, wie sie zwischen Mittel- und Zeigefinger etwas zu fassen bekam. Ohne groß darüber nachzudenken, krallte sie sich daran fest und ließ sich dann zurückziehen.
Als wäre es nicht schon genug, dass Celons Seele verloren war, Ráva sich offensichtlich verausgabte und vor Legolas auch noch eine Elbin saß, die wissen wollte, was genau geschehen war, stand nun in der Tür auch noch ein wutentbrannter Orntalma. Er war in den typischen Kleidern des Waldlandreiches gekleidet und wäre ohne Zweifel als einer der Waldelben durchgegangen, hätte der Prinz ihn nicht schon gekannt.
„Was tut ihr da?", fragte er und warf hinter sich die Tür ins Schloss. Legolas verfluchte sich dafür, dass er seine Waffen abgelegt hatte, als er den Palast betreten hatte, doch trotzdem musste er versuchen ihn aufzuhalten. Grausame Erinnerungen bildeten sich vor seinem inneren Auge, als er aufsprang und sich vor ihn stellte. Doch hier konnte er ihm nicht viel anhaben. Allem Anschein nach hatte er außerdem ebenfalls keine Waffen dabei.
„Bleib weg von ihr", knurrte er und streckte seine Hand vor. Orntalma schubste ihn bloß zur Seite, worauf Legolas sofort seinen Arm packte und ihn so verdrehte, dass sein Gegner mit einem leisen Schmerzensschrei nachgab.
„Sie wird sterben!", rief er wütend und versuchte sich zu befreien, doch alles, in dem er im Vorteil war, war die Leichtigkeit zu töten, was ihm hier nicht viel brachte. Der vereinsamte Elb kämpfte nicht viel, Eindringlinge waren meistens schnell und aus sicherer Entfernung erledigt.
„Sie ist geflohen, warum solltest du ihr helfen?", fuhr Legolas zurück, worauf sich der dunkelhaarige Elb endlich ihm zuwandte. „Ihr wisst wie viel Respekt ich Euch entgegenbringe. Lasst mich los oder ich werde Euch dorthin schicken, wohin sie gerade auf dem Weg ist", knurrte er gefährlich ruhig, was Legolas tatsächlich ein wenig verunsicherte. Wenn er sich um Ráva gekümmert hatte, die solch starke Kräfte besaß, hatte er vielleicht auch welche und er war es schließlich gewesen, der Celons Körper wieder zum Leben erweckt hatte.
Doch bevor der Blondhaarige reagieren konnte, heizten sich seine Hände bereits dermaßen auf, dass er kurz aufschrie und zurückzuckte. Orntalma dagegen trat entschlossen auf seine ehemalige Mitbewohnerin zu und ließ sich neben ihr nieder. Die wiederbelebte Elbin war aufgestanden und hatte sich weiter hinten im Raum in Sicherheit gebracht. Sie schien sich nicht unbedingt einmischen zu wollen.
„Ráva, komm sofort zurück", murmelte er eindringlich, als er ihre Hand nahm. Legolas rieb sich seine unverletzten Hände und runzelte etwas verwirrt die Stirn. Er benahm sich fast schon väterlich ihr gegenüber und trotzdem schlug und missbrauchte er sie. Nun verstand er auch, warum die Elbin sich nicht sicher war, wie sie über ihn denken sollte. Sie war ein zerrissenes Kind zwischen der Liebe zu ihrem Vater und dem Hass verloren.
„Lass ihn gehen, sonst wirst du mit ihm enden", flüsterte Orntalma wieder und verfestigte seinen Griff um die Hand, doch behielt dabei immer noch eine gewisse Sanftheit, die Legolas nicht wirklich beschreiben konnte.
Währenddessen wurde ihm erst bewusst, was diese Worte zu bedeuten hatten. Ráva begab sich offensichtlich in sehr große Gefahr bei dem Versuch seinen Freund zu retten, doch sie kannte ihn nicht einmal wirklich? Natürlich wäre Legolas traurig und vermutlich auch ein wenig wütend gewesen, dass sie das Risiko nicht richtig abschätzen hatte können, doch letztendlich hatte sie es nicht mit Absicht getan.
Gebannt wechselte sein Blick zwischen Celon und Ráva hin und her. Auch, wenn es nur Sekunden waren, die verstrichen, kamen sie ihm wie Stunden vor.
Plötzlich riss die braunhaarige Elbin ihre Augen auf und gleichzeitig atmete Celon tief ein, was Legolas kurz zusammenzucken ließ. „Ráva?", fragte Orntalma leise und legte eine Hand an das Gesicht der Elbin, welches sich wieder etwas entspannt hatte. Ihr Körper fiel kraftlos nach vorne und wurde schnell von der Seite aufgefangen.
Der Prinz wusste nicht ganz, was er tun sollte, weshalb er einen Schritt nähertrat und einen Blick auf Celon warf, welcher sich aufgesetzt hatte und geschockt ins Leere blickte.
„Celon?", flüsterte er leise und berührte ihn an der Schulter. „Warum bin ich hier?", fragte dieser verwirrt und sah sich um. „Weil ich dich zurückgeholt habe! Wenn du so einen Wunsch zum Sterben hast, dann segle doch nach Aman und frag, ob du in die Hallen des Mandos darfst - oder bring dich einfach gleich selbst um!", rief Ráva wütend und fasste sich an den Kopf. „Du solltest dich nicht aufregen", besänftigte Orntalma sie schnell und warf Legolas einen eindringlichen Blick zu. „Geht es dir gut?", fragte der Prinz Celon leise, um sicherzugehen, dass er ihn auch fortschicken konnte. Dieser nickte leicht und stand auf. „Danke - schätze ich", murmelte er und ging auf einen bösen Blick des dunkelhaarigen Elben schnell auf die Tür zu. Die immer noch verwirrte Elbin am Ende des Raumes folgte ihm so schnell und unauffällig sie konnte. Legolas würde später mit ihr reden.
„Du hättest das nicht tun müssen", hauchte er leise, als alle verschwunden waren und legte vorsichtig eine Hand auf Rávas Knie, während er sich vor sie hinhockte. Die grünen Augen sahen ihn schwach an.
„Hätte ich ihn nicht zurückgebracht, wusste ich, dass ich mit Orntalma hätte gehen müssen", flüsterte sie erschöpft und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. Der genannte Elb öffnete etwas überrascht den Mund und zog sich ein wenig von ihr zurück.
„Du wusstest, dass ich hier bin?", fragte er leise und musterte sie verwirrt. „Ich habe es heute Nachmittag herausgefunden", murmelte sie kaum verständlich. Legolas senkte kurz den Blick. Das war wohl die Erklärung für ihren Ausraster heute.
„Du musst verstehen, dass die Welt der Elben noch nichts für dich ist", antwortete Orntalma sanft und strich ein wenig von der blutartigen Flüssigkeit von ihrem Gesicht, von dem sie nun endlich ihre Hände nahm. „Nicht alles muss perfekt sein", hauchte sie mit Tränen in den Augen und sah ihn fast schon flehend an. Dieser schüttelte leicht den Kopf und rieb das Schwarz zwischen seinen Fingern.
„Ich verstehe nicht", brachte Legolas endlich hervor und sah fragend zwischen den beiden hin und her. Orntalma schien erst jetzt wieder zu realisieren, dass er überhaupt da war und sah ihn lange schweigsam an.
„Ich nehme an, er wird für dich sorgen. Ich habe getan, was ich konnte, Ráva. Wer du bist, musst letztendlich du entscheiden." Hilflos sah Legolas zu seiner Freundin, in der Hoffnung auf eine Erklärung, doch auf ihren Lippen hatte sich bloß ein leichtes Lächeln ausgebreitet. „Das habe ich schon vor langem getan."

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