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Felix wachte schweißgebadet auf. Er hatte sich so eben aus den Fängen seines Alptraumes reißen können, der ihn oft heimsuchte. Immer wieder durchlebte er den Unfalltag aufs neuste, konnte nicht damit abschließen und fand sich dementsprechend in einer noch dunkleren, verzerrter, verregneten Welt vor, die er nur durch das Aufwachen entfliehen können. Felix konnte sich auf keinen der Träume wappnen, immer wieder spürte die schreckliche, kalte Angst in seinem Herzen schlagen, dass auch in seinen Alpträumen das Geräusch des Regens übertönte. Jedes Mal war er komplett fertig mit der Welt, wenn er nachts in seinen Zimmer aufwachte und sich einreden musste, dass das alle nur ein böser Traum war, dass die Erinnerungen an den Unfall ihn nicht in seinem wachen Zustand folgen konnten, sie konnten die Grenze zwischen Traum und Realität nicht entfliehen, waren gefangen im tiefen REM-Schlaf des Schülers. Und doch fühlte es sich stets für Felix so an, als würde seine Träume sich in schwarzen Schatten verwandeln können, die um ihn herum waberten und ihre Dunkelheit in seinen Körper einzuflößen. Felix schluchzte und hielt sich seinen bebenden Körper. Jedes Mal fanden seine Tränen den Weg aus seinen Augen. Jedes Mal konnte er sie nicht stoppen und fühlte sich wie damals mit zwölf, als er eine Ewigkeit in dem Regen versucht hatte zu überleben.
Das Licht draußen wurde angemacht und Sooa, seine Tante, riss die Tür auf. „Wieder ein Alptraum, Schatz?", fragte sie ihn, worauf Felix nur nicken konnte. Seit seine Eltern tot waren, lebte er bei seiner Tante Sooa und seinem Onkel Jaehwan, die ihn mit Freude aufgenommen hatten. Sie kümmerten sich so gut um ihn, wie sie nur konnten. Nur die psychischen Auswirkungen des Unfalls, der jetzt schon seit vier Jahren zurück lag, konnten sie ihm nicht aus dem Kopf herausradieren. Felix ging seitdem regelmäßig zu Doktor Yim, seinem Therapeut, nachdem bei Felix eine posttraumatischer Belastungsstörung diagnostiziert wurde. Felix hatte in den letzten vier Jahren schon einen Fortschritt machen können. Früher hatte er regelmäßige Flashbacks gehabt und hatte oft Wutausbrüche, die allerdings nach und nach mit Herr Yims Hilfe zurückgegangen waren.
„Komm, ich mache dir eine warme Milch mit Honig", bot Sooa ihrem Neffen an. Sie wusste, dass Felix das gerne trank, wenn er einen seiner Alpträume hatte. Auch heute brachte sie ihn damit aus dem Bett. Felix deckte sich auf, worauf ein Schwall an kalten Schweiß und den strengen Geruch von Urin aufgewirbelt wurde. Ein Blick nach unten verriet dem schwarzhaarigen Schüler, dass er sich wieder mal in die Hose gemacht hatte. Mit 16 sollte es ihm peinlich sein, noch das Bett einzunässen, aber in den letzten Jahre ist das so häufig passiert, dass er es darin nur eine Routine sah. Die Routine seines Körpers mit dem Trauma klar zu kommen. Da Sooa wusste, wie schwer es für Felix war, war es auch für sie normal geworden, wenn Felix ab und zu ins Bett machte. Ihr Neffe ist schwer traumatisiert worden. Doktor Yim hatte ihr gesagt, sie soll Felix nicht ausschimpfen oder zurechtweisen, wenn er sich in die Hosen gemacht hatte. Das würde Felix nur weiter triggern. Stattdessen soll sie ihn aufheitern und ihn zuhören, wen er darüber reden wollte. Sie und Felix haben viel über den Unfall geredet und sie tun es immer noch, weil es Felix half damit klar zu kommen.
„Sooa....es tut mir Leid", sprach der Schüler schuldbewusst aus, worauf er sich die Decke um die Hüfte schlang. So verdeckte er den leicht gelblichen, noch nassen warmen Fleck. „Mach dir keinen Kopf, okay. Es ist nicht leicht für dich, aber wir bekommend das hin, okay? Willst du zuerst duschen und dich dann umziehen?" Da Felix nicht sonderlich Lust hatte mit verschwitzten, vollgepissten Klamotten herumzulaufen, wollte er zuerst duschen und sich umziehen. Später würde er sich dann mit Sooa in der Küche treffen. Im Badezimmer schälte er sich aus der klammen Kleidung heraus und stellte sich zitternd in die Duschkabine, wo er sich mit warmen Wasser säuberte. Mit frischen Klamotten lief er zur Küche. Die Nachwirkungen des Alptraumes flauten langsam ab. Sie waren zu Anfang immer sehr heftig doch das Gute daran war, dass sie nicht die ganze Nacht blieben. Mit der warmen Milch mit Honig und ein paar beruhigenden Wörter seiner Tante fühlte er sich sicher und würde sich nochmal trauen ins Bett zu gehen. Die Alpträume suchten ihn nicht zweimal in einer Nacht auf. Als würden sie wissen, dass Felix weniger Angst hatte, wenn er wusste, was auf ihn zukam, ließen sie ihn in der restlichen Nacht in Ruhe. Felix fiel auf dem Sofa in einen traumlosen Schlaf.
Am nächsten Tag wurde er von seiner Tante geweckt. Es war noch sehr früh, viel früher als damals bei seinen Eltern, aber er wollte nicht die Schule extra wegen dem Umzug zu seiner Tante wechseln und so nahm er die längere Zugfahrt in Kauf. Seine Schule war noch ein Teil seines alten Ich und das wollte er sich nehmen lassen, nachdem er so vieles von früher aufgeben musste. „Felix, ich will dir keine Angst machen, aber draußen regnet es", gestand Sooa ihren Neffen. Jetzt würde sie Felix ängstliche Reaktion zu Gesicht bekommen: Die großen, braunen Augen weit aufgerissen, die Lippen bebend. Seit dem Unfall hatte Felix eine starke Angst zu Regen entwickelt. Der Therapeut hatte ihnen erzählt, dass Felix traumatisiertes Gehirn den Regen mit dem Unfall in Verbindung bringt und sich dadurch eine Angst entwickelt hatte. An Regentagen traute sich Felix nicht nach draußen, weil er den kalten Regen an seinen eigenen Leib spüren musste. Die Tropfen, die wie silberne Nadeln, sich in seinen Körper stachen, das Geräusch, was ihn durch Mark und Bein ging. Selbst wenn der Regen auf das Dach des Hauses prasselte, zuckte Felix regelmäßig zusammen. Er zog sich dann immer Kopfhörer auf, um das schreckliche Geräusch auszublenden.
„Kann...kann ich zuhause bleiben?", fragte Felix ängstlich, doch seine Tante war dagegen. Sie konnte ihn nicht immer Zuhause lassen, wenn es regnete. Sie wusste, dass er unfassbare Angst vor dem Regen hatte, aber langsam musste er sich gegen seine Ängste stellen. Er konnte doch nicht weiterhin vor dem Regen Angst haben, wenn er einmal erwachsen wird und ein ganz anderes Umfeld bekam als das jetzige. Man würde keine Rücksicht auf ihn nehmen und ihn ausstoßen. „Du schaffst das schon. Ich glaube an dich. Soll ich dich zum Bahnhof fahren?", fragte sie. Felix nickte. Er aß sein Frühstück und zog seine Schuluniform an. Das Öffnen der Tür fiel ihm sehr schwer, weil er dann den Regen sehen musste, der vor ihm auf den Boden prasselte. Er atmete tief durch und rannte zu dem Auto seiner Tante. Felix durchlebte Höllenqualen. Sooa beeilte sich und öffnete Felix das Auto. Erst seit einer Weile traute sich ihr Neffe wieder in ein Auto. Auch jetzt spürte Felix nur noch Angst in sich. Das Autofahren war ihm nicht gerade geheuer, vor allem, wenn es draußen regnete. Panisch sah er sich um, sah nach einem Laster Ausschau, doch die Straße war leer. Nur sie und der Regen. Felix umschlang seine Schultasche und wimmerte leise vor sich hin. Sooa brachte ihn zum Bahnhof und lies ihn aussteigen.
Es hatte zu regnen aufgehört, was Felix sofort erleichterte. Auch wenn die kalte Luft noch nach erdiger Nässe roch und sie versuchte das Trauma in Felix zu sich zu locken, war das so viel besser, als purer Regen. Felix eilte in den Bahnhof, wo er auf seinen Zug wartete. Er versuchte mit seinem Jackenärmel sich die Haare zu trocknen.
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