Vater

Die drei Männer sahen sich an, um sicher zu gehen, dass der Plan noch stand und ob es Gabriel gut ginge. Der nickte stumm, was bedeutete, dass er die Situation oder zumindest sich selbst im Griff hatte. Mit dem nächsten Nicken ging er langsam durch den Vorgarten und drei Stufen hinauf bis zur Tür. Luke und Oscar folgten direkt hinter ihm, wobei der junge Polizist nicht anders konnte, als zu checken, ob sich da hinter den Gardinen irgendetwas tat. Drei Typen im Vorgarten wären nicht gerade unauffällig und möglicherweise würde ein Bruder oder eine Schwester Gabriel erkennen. Oben links an einem Fenster bewegte sich tatsächlich etwas, aber es mochte auch eine Katze gewesen sein. Gabriel schaute sich neben den Plastikblumen zu seinen Begleitern um und Luke schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. So tat er es dann: Er klingelte. Sogleich begann er, nervös von einem Fuß auf den anderen zu treten, während alle drei horchten, ob jemand kam.

„Verschwinden Sie!", ertönte plötzlich eine raue Männerstimme hinter der Tür.

Gabriel zog erschrocken die Luft ein. Das war nicht gut! Ganz sicher hatte sein Vater durch den Spion in der Tür geschaut und wies ihn ab, weil er ihn nicht erkannte. Oder schlimmer noch: weil er es tat. Das musste der Engel nun herausfinden. Er klingelte noch einmal, was zu keinerlei Reaktion im Haus zu führen schien. Noch einmal.

„Wenn Sie nicht sofort verschwinden, rufe ich die Polizei!", drohte sein Vater nun, lauter als zuvor.

„Ich bin es!", rief Gabriel nun und spannte den ganzen Körper an. „Mach auf, ich bin's Gabriel!"

„Verflucht noch eins, hier gibt es keinen Gabriel!", kam die Antwort hinter der Tür. Der Mann klang jetzt wütend und Luke gab Oscar ein Zeichen, sich bereit zu halten. Für was genau, würden sie gleich sehen, denn der Engel ließ nicht locker.

„Seit Jahren nicht, aber trotzdem bin ich hier. Und jetzt mach die scheiß Tür auf, du sturer, irischer Bock! Ich will mit den anderen reden!"

Mit einem Mal gab es deutlich Bewegung hinter den Gardinen. Von den anderen Familienmitgliedern waren durchaus welche im Haus.

„Hörst du nicht? Auch wenn's dir nicht passt, ich bin jetzt hier und wenn du die Polizei holst, ist mir das auch egal!" Gabriel geriet eindeutig in Rage. Damit, dass man nicht einmal öffnen würde, hatte er nicht gerechnet.

Ausgerechnet Oscar riet nun zur Vorsicht. „Ho Trigger! Reiz den lieber nicht ..."

Auch Luke versetzte sich selbst in höchste Alarmbereitschaft. Sein Babe konnte aufbrausen, das war nichts Neues. Und der Vater hinter der Tür war schwer einzuschätzen. Mit einem tiefen Atemzug beruhigte sich Ginger, dann blickte er kurz zu seinen beiden Begleitern und klingelte noch einmal.

„Was willst du hier? Wir wollen nichts mehr mit solchen wie dir zu schaffen haben!"

Als er die Worte vernahm, verkrampfte Gabriel regelrecht. Reine Wut über den Mann wäre leichter zu ertragen als der Schmerz, der mit seiner Aussage wieder hochkam. Das hatte er genau so vor Jahren auch gesagt. Wieder atmete der Engel tief durch. „Leg dich wieder hin!", riefe er, so laut er konnte. „Von dir will ich gar nichts, aber ich will mit meinen Geschwistern reden. Die sind ganz sicher nicht alle deiner Meinung!" Wenn diese im Haus waren, könnten sie es nicht überhören. Für eine endlos erscheinende Sekunde oder zwei tat sich gar nicht. Auch kein Gebrüll hinter der Tür. Dann öffnete sie sich nach innen und der Vater trat vorn an die Schwelle. Ganz unverkennbar hatte er in seiner Jugend das gleiche rote Haar besessen wie sein Sohn, doch es hing strähnig und mit viel Grau durchzogen herum. Ein Schnauzbart und wütend funkelnde, dunkle Augen gaben ihm einen Ausdruck von Härte und Unerbittlichkeit, der in starkem Kontrast zu dem labberigen Trainingsanzug in grauem Sweat-Stoff stand, den er trug.

„Du Abschaum wagst es, hier aufzutauchen? Wo dich jeder Nachbar sieht?", zischte er.

Für den Augenblick eines Wimpernschlags wirkte Gabriel erstarrt über den Anblick und Ton des Mannes, dennoch unternahm er einen Versuch. „Vater, ich ...", begann er ruhig und kam nicht weiter, denn in dem Moment schnellten die Arme des Vaters vor und er versetzte seinem Sohn einen heftigen Stoß mit beiden Händen vor die Brust, sodass Gabriel von der Wucht nach hinten flog und ungebremst die Stufen rückwärts hinunter gestürzt wäre, wenn Luke nicht da gewesen wäre, um blitzschnell zu reagieren und ihn abzufangen. Er bekam ihn um die Brust zu packen und beide gingen taumelnd zu Boden. Sofort sprang Oscar vor und stürmte zum Eingang, um sich den Mann zu greifen, doch der hatte die Tür zugeschlagen und der Ex-Bouncer knallte dagegen. „Shit!", rief er aus und rieb sich die Schulter. Dann besann er sich darauf, dass es keinen Sinn ergab, diesen Vater zu verprügeln. Davon wurde nichts besser.

Die beiden jungen Männer waren inzwischen unsanft auf dem Gartenweg gelandet und ächzten laut, aber während dem Blonden wegen Gabriels Gewicht die Luft aus den Lungen gepresst wurde, schmerzte diesem heftig die Seite, wo er im Krankenhaus punktiert worden war. Wenigstens hatte Luke ihn vor einem bösen Sturz auf den Hinterkopf bewahrt. „Verflucht", spuckte er aus und begann damit, sich hochzurappeln, damit auch der andere aufstehen konnte. Oscar lief noch vor der Tür hin und her und trat mehrfach dagegen.

„Versteck dich in deiner Bude, du irisches Arschloch! Wenn deine Nachbarn hier eins sehen, dann dass du als Vater ein Versager bist!", brüllte er.

Von irgendwo an der Falls Road hörte man jetzt eine Polizeisirene.

„Komm Oscar, Gabriel, lasst uns verschwinden!", kam Luke sofort in den Sinn. Er hatte keine große Lust, seinen Kollegen zu begegnen.

Der Engel hielt sich die Seite und hatte Blut am Mund, wo er sich beim Aufprall selbst gebissen hatte. Er schaute zu Oscar, dann begann er plötzlich laut zu rufen, was eine Zahlenkombination war, die er mehrfach wiederholte. „Null, null, vier ..."

„Kommt jetzt ihr zwei", drängelte Luke.

Oscar kickte wütend in die Plastikblumen, dann nahm er die Treppe mit einem Satz, hakte Gabriel demonstrativ unter und so kehrten sie endlich dem Haus den Rücken. Der Tänzer rief immer wieder die Zahlen. Als der Blonde noch einmal zurückschaute, war ihm, als hätte er zwei Gesichter hinter den Gardinen gesehen. Dann hatten sie die Straße und den Landrover erreicht. Zügig stiegen sie ein und fuhren davon.


https://youtu.be/dV8cXNdcHYo

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