Pack Teil51

Der gemeinsame Nachmittagstee war eine wirklich gute Idee gewesen und zog sich länger hin, einfach weil es so viel zu erzählen gab. Sean wurde es gar nicht müde, davon zu berichten, wie seine Babes immer wieder nach Gabriel und Luke gefragt hatten und wie sie einerseits alles in der Zeitung gelesen hatten, andererseits aber die Presse abgewimmelt hatten, wenn die am Elysium zu aufdringlich wurden. An einem Abend hatten die Bouncer regelrecht verhindern müssen, dass zwei Pressetypen nach oben ins Loft gelangten.

„Was wollten die denn da?", hakte Gabriel nach.

„Na was wohl?", antwortete Oscar. „Die wollten sicher wissen, wie ihr zwei da oben gehaust habt. Der Sergeant vom Yard und sein Go-go Tänzer."

„Das ist ja auch so wahnsinnig aufregend." Der Feuerkopf verdrehte genervt die Augen.

Luke beschloss, etwas gegen dessen Rückfall in schlechte Laune zu unternehmen. „Also ich fand's sehr aufregend", betonte er mit einem Augenzwinkern.

Gabriel Miene hellte sich auf und er musste direkt grinsen. „Okay, ja. Der Teil war wirklich aufregend. Trotzdem albern. Wir wohnen da ganz normal."

„Wer weiß schon, was die wollen", fiel Oscar ein. „Am Ende hätten die was geklaut. Fotos oder so."

„Oh, du liebe Güte!", rief Sean.

„Vielleicht nicht gerade solche Fotos", wandte Luke ein.

Lukes Dad hatte da offenbar keine Zweifel. „Was wollen wir wetten?" Roger als pensionierter Polizist traute den Paparazzi alles zu.

„Hauptsache, es hat nicht geklappt", murrte Gabriel. „Die Typen haben nicht in meinen oder Lukes Sachen rumzuschnüffeln."

Kate stimmte dem ohne Zögern zu. „Recht hast du."

„Keine Sorge", ergänzte Oscar gelassen. „Sean und ich sind schon ein paar Mal oben gewesen, da ist alles wie es war. Sobald es euch besser geht, könnt ihr da wieder einziehen. Es gibt jetzt 'ne Treppe."

„Hat mein Göttergatte selbst gebaut", verkündete Sean nicht ohne Stolz.

„Einer von uns beiden sollte eine praktische Veranlagung haben."

„Weiß nicht, was du meinst, Göttergatte, mein Sinn für Stil und Schönheit sind absolut praktisch!"

Oscar stimmte lachend zu. „Oh, ganz sicher doch!" Dann nahm er sich noch einen Scone, den dritten, was mächtig Eindruck bei Shermans machte.

Luke überlegte inzwischen, wie er mit dem einen oder dem anderen reden könnte, ohne dass es Gabriel weiter auffiel. Die Gelegenheit ergab sich schließlich in dem Moment, als Oscar fragte, wo er denn eine rauchen könne.

„Ich zeig dir die Terrasse", schlug der Blonde vor und beide machten sich direkt auf den Weg dorthin. Während Oscar bereits eine Zigarette anzündete, kramte Luke einen Aschenbecher zwischen Blumentöpfen hervor. Er wusste, dass sein Vater gelegentlich heimlich rauchte, aus alter Gewohnheit und das gute Stück war nicht so gut versteckt wie Roger vielleicht meinte.

„Ich wollte mit dir reden", begann Luke, während sie sich auf eine Bank setzten.

„Das dachte ich mir schon. Willst du auch eine?" Oscar hielt seine Schachtel dem Jüngeren entgegen.

„Okay, ja. Danke."

Die ersten zwei, drei Züge warteten die beiden ab, dann war es an der Zeit für Luke, dass er mit der Sprache rausrückte.

„Ich brauche eure Hilfe", begann er.

„Worum geht's?" Oscar rauchte vollkommen entspannt weiter.

„Belfast."

Oscar hustete. „Belfast?! Shit. Was ist damit?"

„Es ist einiges an Zeit vergangen und ich möchte was für Gabriel tun. Meine Mum und ich haben überlegt, dass vielleicht nicht alle O' Reillys der gleichen Ansicht sind. Ginger hat mal von seinen Schwestern erzählt, mit denen er getanzt hat. Möglicherweise lieben die ihren Bruder, auch wenn ihre Eltern völlig verbohrt sind."

„Guter Punkt. Aber die müssten doch längst alt genug sein, um sich dafür zu interessieren, wo der Engel ist. Trotzdem hat sich keine von denen oder ein Bruder darum geschert."

Da war was Wahres dran, dachte Luke, aber das war noch nicht alles, was ihm dazu einfiel. „Die halten ihn möglicherweise für tot", gab er zu bedenken. „So weit ich weiß, hat Gabriel nur einmal mit seiner Mutter telefoniert. Alle anderen sind vollkommen ahnungslos."

Oscar schaute Luke intensiv in die Augen, so als wollte er abschätzen, ob der wüsste, wovon er da sprach.

„Was hat er dir noch über seine Familie erzählt?"

„Kaum was. Er hat zehn Geschwister, seine Eltern haben ihn rausgeworfen, sowas wie Scones gab es da nicht." Luke schaute auf Oscars Reaktion. Es war möglich, wenn auch nicht sehr wahrscheinlich, dass Gabriel ihm oder Sean mehr von sich und seiner Familie offenbart hatte, aber sein Gegenüber zog nur eine Augenbraue hoch.

„Junge", begann er, „du kannst dir das nicht vorstellen. Du kommst hier aus diesem Haus im Grünen, mit diesen Eltern, die kein Problem darin sehen, dass du 'nen gefallenen Engel hier anschleppst, der über 'ner Gay Bar wohnt und als einzige Freunde oder Familie 'nen Paradiesvogel wie Sean und 'nen Rausschmeißer wie mich vorzuweisen hat."

„Worauf willst du hinaus? Was kann ich mir nicht vorstellen?" Luke hatte tatsächlich keine Ahnung. Natürlich war er nicht naiv, was solche Familiengeschichten anging. Nicht immer verlief ein Coming Out in den eigenen Reihen so wie es sein sollte. Es gab Geschrei, Tränen, sogar Schläge.

„Worauf ich hinaus will? Diese Eltern sind übelstes Pack. Darauf will ich hinaus. Elf Kinder sind keine Kleinigkeit, aber die haben sich Null für ihren dritten Sohn interessiert. Du weißt doch selbst: Schwul wird man nicht von heute auf morgen. Das fällt auch nicht vom Himmel oder steigt aus der Hölle empor. So wie Gabriel es nach und nach geahnt und irgendwann gewusst haben muss, hätten es die Alten bemerken können. Wenn der was mit Mädchen hätte anfangen können, dann hätten die ihm die Bude eingerannt, kaum dass er zwölf war. Aber so war's wohl nicht und die haben das komplett nicht mitgekriegt. Und dann schmeißen die ihn vor die Tür wie 'n räudigen Hund. Sowas macht Pack."

Luke nickte langsam. Er konnte nicht anders als dem, was der Bouncer sagte zustimmen. Zwar fand er, dass Oscar mit Pack ein heftiges Wort in den Mund nahm, aber sicher benutzte er es nicht ohne Grund. Oscar schien gleichsam zu bemerken, dass seine Ausdrucksweise ein Rätsel aufwarf, also redete er nach einem weiteren tiefen Zug weiter.

„Ich hab nicht gesagt, dass es ihre Schuld ist, dass sie so sind. Viele Familien in Nordirland sind schwerst traumatisiert durch den Bürgerkrieg und suchen irgendeinen Halt, den sie in der Kirche finden. Geradezu blind leben sie nach ihrem katholischen Glauben, weil es das ist, was ihnen ihre Identität gibt. Sie sind katholische Iren, keine protestantischen Engländer. Und ein Junge wie Gabriel passt nicht in dieses Weltbild. Wenn er nicht so ist, wie es die Kirche will, dann gehört er nicht zu ihnen. So ... sehen die das. Aber sein eigenes Kind zu verstoßen, weil es ist, wie es ist, das zeugt von Angst, Unwissenheit und Herzlosigkeit. Die haben da irgendwo in Belfast gehockt und den Rosenkranz für Gabriel gebetet, als sie ihn einfach hätten suchen, finden und von dieser Heizung abmachen sollen."

Da hatte Oscar einen wirklich guten Punkt. Aber selbst wenn die Eltern so versagt hatten, dann konnten doch Gabriels Geschwister nichts dafür. Sie waren die nächste Generation, sie mochten andere Ansichten haben. „Ich denke, wir sollten es trotzdem tun, nach Belfast fahren. Ich liebe ihn und er hat mir das Leben gerettet. Wenn wir auch nur einen Bruder oder eine Schwester finden und sie sich versöhnen, dann ist es das doch wert. Und es ist in jedem Fall besser, als es gar nicht erst zu versuchen." 


Oscar kniff abschätzend die Augen zusammen. „Wann willst du mit ihm reden?"

„Am besten sofort."

„Wann willst du es machen?"

„Sobald es ihm gut genug geht. In zwei oder drei Wochen."

„Wenn es so weit ist, dann komm' ich mit."

„Das ist ... ein Angebot, das ich sehr zu schätzen weiß. Danke."

„Keine Ursache, Junge. Du bist nicht der Einzige, dem echt was an dem Engel liegt."

Luke lächelte. Das war ganz bestimmt so, daran hatte er keinen Zweifel.

„Und, Luke, wenn ich dir was raten darf", fuhr Oscar fort, während er die Zigarette austrat, „rede mit ihm auch mal darüber, wie es dir eigentlich geht."

„Was meinst du?" Der Jüngere war gerade etwas ratlos.

„Du tust so, als hätte nur er was abgekriegt. Das kauft er dir nicht ab, also red' mit ihm."

Nach diesen Worten deutete Oscar mit dem Kopf in Richtung des Wohnzimmers. Sie sollten wieder hineingehen. Luke nickte einigermaßen verblüfft über den Rat und folgte.


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