Name Teil14
In der U-Bahn ging Luke die ganze Sache mit Blake nochmal durch den Kopf. Sie hatten ganz offensichtlich unterschiedliche Vorstellungen von dem, was Luke tat und wieso er es tat. Das war gestern Abend nicht nur eine zufällige, schlechte Wortwahl oder eine dumme Laune gewesen. Er schien wirklich der Meinung zu sein, dass Luke kein solches Risiko eingehen sollte, um einen Täter zu fassen, der ihresgleichen brutalst vergewaltigte und ermordete. Und er sieht sie nicht als unseresgleichen an. Dieser Gedanke war zudem auf seine Art verstörend. Wie kam Blake dazu, sich ein abwertendes Urteil, egal welcher Art, über die Jungs im Club, wie Ginger, Sean oder die Gäste, die der liebevoll als „Babes" bezeichnete zu machen? Niemand hatte verdient so zu sterben. Abgesehen davon, gehörten die „Babes" zu allen möglichen, unterschiedlichen Altersgruppen, sozialen Schichten, Berufsgruppen, ethnischen Gruppen oder Bildungsschichten. Das Einzige, was die meisten, abgesehen von Touristen oder anderem neugierigen Partyvolk gemeinsam hatte, war eben, dass sie auf Männer standen. Oder machte sich sein Freund einfach nur zu große Sorgen, dass ihm etwas zustoßen konnte? Vielleicht hätte er ihm öfters von seinem Job beim Yard erzählen sollen und so machte sich Blake vielleicht nur ein falsches Bild von dem, was Luke tat. Er war richtig gut. Er hatte schon andere gefährliche Einsätze hinter sich, sonst wäre er nicht mit Mitte zwanzig schon Sergeant und überhaupt als verdeckter Ermittler tätig. Er hatte eine hervorragende Ausbildung in Nahkampf, war ein herausragender Schütze, besaß kriminalistisches Gespür und er war alles andere als ängstlich. Er hatte bereits in Sachen Kindesentführung, Drogenhandel, Menschenhandel, Geiselnahme und illegale Hundewettkämpfe ermittelt und zur Aufklärung beigetragen. Der einzige Unterschied dieses Mal, war seine Rolle speziell als Lockvogel und seine gewissermaßen größere, persönliche Anteilnahme, weil der Täter ein homophobes Arschloch war. Wobei Luke nicht behaupten würde, dass irgendein Gewaltverbrechen als schlimmer oder weniger schlimm zu bewerten war. Kinder zu vergiften, Flüchtlinge ersticken zu lassen oder Schwule abzuschlachten, war wohl im jeweiligen Ausmaß an Bestialität nicht zu unterscheiden. Er nahm sich vor, Blake in Zukunft mehr einbeziehen. Seit sie sich vor etwas mehr als anderthalb Jahren bei einer Gerichtsverhandlung- Blake als Anwalt, Luke als Zeuge -kennengelernt hatten, war es beiden stets wichtig gewesen, ihre gemeinsame Zeit zu genießen, schöne Dinge zu tun und Pläne zu machen, anstatt über Gewaltverbrechen, Gerichtsverhandlungen oder Polizeiermittlungen zu reden. Jetzt kam es Luke wie ein Fehler vor, den er berichtigen wollte, wenn das alles erst vorbei war. Wenn Blake erst eine bessere Vorstellung von Lukes Job und dessen Bedeutung für ihn hatte, würde er verstehen. Bis dahin allerdings würden sie jedoch erstmal auf Abstand bleiben, denn ihre Meinungsverschiedenheiten waren alles andere als konstruktiv. Die Gefahr, in die er sich mit blondem Haar begab und die Tatsache, dass er den Täter stellen wollte, bevor der ein weiteres Opfer fand, forderten seine ganze Aufmerksamkeit und Klarheit. Darum ging es jetzt in erster Linie.
Auf dem Weg zum Club machte der junge Sergeant einen Zwischenstopp in der Apotheke, um eine Salbe gegen Schwellungen und Blutergüsse zu besorgen. Die könnte gewiss nicht schaden. Als er dann die Treppe zum Loft hinaufkam, hörte er drinnen die Stimmen von Ginger und Sean oder besser: wirklich hören konnte man nur Sean. Ginger sprach nicht, er wurde besprochen.
„...Was du aber auch gleich für Sachen machst. Wie oft habe ich dir gesagt, dass wir dafür unsere Bouncer haben. Die werden gut dafür bezahlt, dass sie euch beschützen. Und es hilft wirklich niemandem, wenn du erst böse hinschlägst und dir dann auch noch mehr hässliche blaue Flecken holst, Babe. Was sollte das denn? Hast du gedacht, dass das dieses Monster war? Der würde Schlimmeres machen als eine Pfütze auf der Bar."
Luke kam herein, sah die beiden in der Sitzecke und räusperte sich, was nicht sofort den gewünschten Effekt erzielte. Erst als Ginger ihn mit „Hi Luke, schön, dass du kommst" begrüßte, hielt Sean in seinem Redeschwall an und drehte sich zu ihm.
„Luke- Babe, gut, dass du da bist. Ich habe Ginger gesagt, er soll nicht tanzen, aber er sieht das nicht ein!"
„Hi Sean, hi Ginger. Warum siehst du das nicht ein?", fragte Luke neugierig. Wenn Ginger Schmerzen hatte, sollte er nicht arbeiten und auch nicht tanzen.
„Jetzt fang du auch noch an", wehrte sich Ginger genervt. „Es geht mir gut. Ich kann tun, was ich immer tu und ich sitz' nicht tatenlos 'rum, wenn dieses Monster hier irgendwo lauert. Ich bin hingefallen und nicht behindert!"
Luke grinste entschuldigend, ging um die beiden herum zur Küche, um sich einen Stuhl zu holen und staunte nicht schlecht, weil auf dem Küchentisch eine angeschnittene Torte stand.
„Was ist das?" Hatte Luke irgendwas nicht mitbekommen?
„Eine Torte, Babe", erklärte Sean und rollte mit den Augen. „Ich wollte meinem Engel erst Blumen mitbringen, aber dann dachte ich, eine Torte ist schöner."
Luke verstand jetzt. „Ja, ist viel schöner." Er schaute zu Ginger und zog amüsiert eine Augenbraue hoch. Die Sahneschrift auf der Torte lautete „Gute Besserung".
„Nimm dir was und komm her", verlangte Ginger.
Luke tat, wie ihm gesagt und setzte sich mit Torte und Stuhl zu ihnen. „Ich hab dir auch was mit gebracht. Gute Besserung." Damit holte er die Salbe aus seiner Gesäßtasche und hielt sie Ginger hin. Der schaute erst etwas überrascht, dann brachte er ein schlichtes „Danke" hervor und blinzelte anerkennend.
„Warst du beim Yard, gibt's was Neues?", fragte Sean direkt, kaum dass Luke saß.
Er nickte. „Sie haben ein Täterprofil erstellt. Und sie sind nicht erfreut wegen Ginger, aber sie haben auch keine bessere Idee."
„Was für ein Profil?" Das war Ginger, der gleich wissen wollte, mit wem sie es zu tun hätten oder mit welcher Sorte Mensch. Luke wiederholte die wesentlichen Punkte, die er sich bereits gemerkt hatte und wusste, dass der Rothaarige sich ebenfalls alles einprägte.
„Wenigstens wissen wir jetzt, dass ich es nicht sein kann", bemerkte Sean. „Ich bin zu alt."
„Du warst, glaube ich, nicht wirklich als potentieller Täter im Gespräch", kam es von Ginger. „Eher haben die mich verdächtigt."
Luke verschluckte sich fast. Das war schon fast unheimlich, wie gut Ginger kombinierte und welche Schlussfolgerungen er zog.
„Ist doch so, oder?", hakte der junge Ire nach.
Luke nickte. „Ja, sorry. Ich hab das von Anfang an nicht geglaubt, aber da die kaum etwas über dich herausgekriegt haben, haben die das Schlimmste angenommen."
„So eine dumme Bande!", fand Sean.
Luke sah, wie Ginger das regelrecht unangenehm berührte, denn er senkte den Blick.
„Was gibt's da groß zu erzählen", lenkte er ab. „Ich komme aus Nordirland, das reicht wahrscheinlich für die Typen."
„So ein Unsinn", plapperte Sean, bremste sich aber, als er Gingers Reaktion bemerkte.
Luke hatte genug verstanden. Was immer es war, Ginger redete normalerweise nicht darüber und wollte es lieber vergessen. „Ist jetzt nicht mehr wichtig", sagte er mit Nachdruck und erntete dafür einen irritierten Blick von Sean und einen dankbaren von Ginger.
Sean und Ginger gingen dann noch den Veranstaltungsplan des Clubs durch, in dem sich ein paar Änderungen ergaben, während Luke sich ein zweites Stück Torte holte und schließlich verabschiedete sich der Ältere von den beiden, aber nicht, ohne Luke nochmals alle möglichen Versprechen abzunehmen.
„Und du rufst bestimmt ganz pünktlich an."
„Ja."
„Und ihr passt aufeinander auf."
„Ja."
„Und wenn das aussieht, als hätte er Schmerzen, dann bringst du ihn ins Loft, zur Not mit Tim und Bob."
„Ja-ha."
Ginger rollte mit den Augen. Dann war der Spuk vorbei. Die beiden jungen Männer sahen sich an.
„Er ist immer so", bejahte Ginger Lukes unausgesprochene Frage.
„Was bist du für ihn?", fragte Luke dann vollkommen ernsthaft.
„Das weiß ich auch nicht so genau. Ich hab ihn mal gefragt, warum er mich seinen Engel nennt, da hat er nur geweint. Seitdem hab' ich nicht wieder gefragt."
„Dann hat es nichts mit deiner Tätowierung zu tun..."
„Das dachte ich auch, aber das war's nicht. Woher weißt du...? "
„Ich hab sie letzte Nacht gesehen, als du aus der Dusche gekommen bist."
Ginger nickte. „Ach ja." Er schaute etwas verblüfft. Dann war das unbeabsichtigt gewesen. Also war das etwas, was nicht jeder sehen sollte, was aber andererseits für den Rothaarigen so selbstverständlich ein Teil von sich war, dass er es vergaß. Luke zögerte kurz, bevor er fragte.
„Was ist es? Dein Schutzengel?"
„Wird das wieder ein Verhör?"
Luke schüttelte den Kopf und schaute Ginger ganz offen an. „Nein, ich versuche zu verstehen, wer du bist und wie du bist."
„Das ist mein Name", sagte der andere dann und sah Luke in die Augen. „Wer heißt schon in echt Ginger? Das ist nur mein Spitzname. Vor allem hier, an der Bar, beim Tanzen. Ich heiß' Gabriel."
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