nachhause

Noch während sie sich küssten, begannen Luke und Gabriel damit, sich gegenseitig auszuziehen. Es geschah ohne Hast und nicht aus sexuellem Verlangen, sondern aus einer Sehnsucht nach der Nähe des anderen, dem Gefühl von warmer Haut auf Haut und dem Spüren von Lebendigkeit. Vielleicht kam es von dem unbewussten Wissen um Sterblichkeit und Verletzbarkeit, das sie beide teilten. Es war wie ein kleines Wunder, Blakes Gefangennahme überlebt zu haben, für Gabriel sogar schon das zweite dieser Art nach Patrick. Und jetzt erwartete sie eine gemeinsame Zukunft.

Als der Tänzer die Knöpfe an Lukes Hemd einen nach dem anderen öffnete, ergriff dieser die Hand mit dem Totenkopfring und küsste jeden einzelnen Finger. Der Rotschopf ließ ihn und strich mit der anderen Hand sanft durch das dunkel nachwachsende Haar seines Liebsten. Gleich darauf fiel das Hemd zu Boden und Luke machte sich daran, Gabriel aus dem T-Shirt zu helfen. Ihm war klar, dass er vorsichtig sein musste und die blauen Flecken vom Vormittag waren nicht zu übersehen, doch bedeuteten sie nur einmal mehr, dass der geliebte junge Mann überstanden hatte, woran andere zerbrochen wären. So behutsam wie nur möglich, strich Luke mit seinen Fingern über eine blutunterlaufene Stelle unterhalb von Gabriels Rippenbogen, wo ihn der Stoß seines brutalen Vaters getroffen haben musste. Der Engel schaute ihm dabei nur ruhig zu.

„Es sieht schlimmer aus, als es ist", flüsterte er dann.

Kopfschüttelnd und ebenso leise antwortete Luke: „Es dürfte gar nicht sein. Wir werden in Zukunft besser aufeinander aufpassen. Das verspreche ich dir."

„Wie soll das gehen? Du wirst neue riskante Jobs beim Yard übernehmen."

Das stimmte. Wenn auch nicht so bald, würde es doch irgendwann wieder so sein.

„Mir kann nichts passieren, weil ich jetzt einen Schutzengel habe."

Was Luke da mit einem Lächeln sagte, war so rührend, dass Gabriel ihn dafür in seine Arme nahm und ihm den Kopf auf die Schulter legte, um in sein Ohr zu säuseln.

„So siehst du mich?"

Der junge Sergeant nickte. Irgendwie tat er das tatsächlich.

Gabriel fuhr fort.

„Das ist ein Grund, warum ich dich liebe, Luke Sherman. Du bist ein echter Romantiker. Du siehst Engel in Gay Bars."

„Vielleicht hat es was mit mir zu tun, aber Sean hat es auch so gesehen und du selbst. Oder was ist das mit deinen Flügeln?"

Ein wenig überrascht lächelte der Rotschopf. Noch nie hatten sie darüber gesprochen, welche Bedeutung seine Tätowierung für ihn hatte. Vielleicht hatten sie es bisher vermieden, weil Blake damit gedroht hatte, sie loszuschneiden. Irgendeinen Grund musste dieser Psychopath dafür gehabt haben. Wahrscheinlich hatte er sie als eine Art Provokation gesehen, denn so wie er über Ginger gesprochen hatte, war dieser für ihn nichts anderes als eine Versuchung aus der Hölle und ein verdammter Sünder gewesen.

„Luke, du weißt, dass ich alles andere als ein Heiliger bin", begann Gabriel nun und schaute seinem Liebsten dabei in die Augen. „Engel sind auch Krieger, oder etwa nicht? Sie töten Drachen und bewachen den Eingang zum Paradies. Das ist es, warum ich die Flügel trage. Ich wurde verstoßen und mir sind schreckliche Dinge passiert. Aber das hat mich nicht fertig gemacht. Es hat mich stark gemacht. Ich war Gabriel für meine Eltern und Geschwister, bevor das alles passiert ist. Und es war nur ein Name aus der Bibel. Aber er bedeutet „Kämpfer Gottes". Das hat mir nie etwas bedeutet, bis ich kapiert habe, dass es zu mir passt. Dafür stehen diese Flügel. Ich weiß was und wer ich bin."

„Für mich bist du der Beste, den ich jemals finden konnte", gab Luke zurück, wobei er seine Hände sanft über den Rücken seines Liebsten streichen ließ. „Es macht mich nur traurig, dass du alles was in dir steckt durch so viel Leid erfahren musstest."

„Vielleicht wäre ich sonst ein anderer?", überlegte der Engel laut. „Ein braver katholischer Lieblingssohn, der es bis zu irgendeinem Aufsteigerjob gebracht hat. Aber dann wäre ich sicher nicht glücklich. Denn ich hätte dich nicht oder Sean und Oscar. Und den Job im Elysium. Ich bin wahnsinnig gern ein schwuler Tänzer, musst du wissen."

Mit einem glucksenden Lacher nahm Luke den letzten Satz zur Kenntnis.

„Ja, das ist mir klar, du Feuerkopf. Und ich bin wahnsinnig gern dein schwuler Polizeiinspektor."

„Das überrascht mich jetzt kein bisschen."

„Dachte ich mir. Und was machen wir jetzt, wo wir uns so einig sind?", fragte Luke, schaute seinem Gabriel in die waldgrünen Augen und zog auffordernd eine Augenbraue hoch.

Dieser musste nicht wirklich überlegen, was er wollte: „Wie wäre ein gemeinsames Bad in der riesigen Wanne nebenan, bevor wir dieses Luxushotel verlassen? Ich finde, das sollten wir ausnutzen ..."

„Da kann ich nicht widersprechen", fand Luke und gab seinem Engel spontan einen Kuss. „Wie wär's, wenn ich schon mal das Wasser einlasse und du rufst noch bei Sean an. Dann hat er keinen Grund, uns später zu stören."

„Gute Idee. Leg los, Sergeant."

Mit einem Luftkuss für Gabriel verschwand Luke im Bad und sogleich hörte man, wie das Wasser in die Wanne einlief. Der Rotschopf grinste voller Vorfreude, tat aber, was er versprochen hatte und rief in London an. Kaum war die Verbindung hergestellt, da meldete sich Sean auch bereits am anderen Ende.

„Gabriel-Babe! Jetzt sag doch, wie geht es dir und unserem Luke? Oscar hat mir schon alles erzählt!", platzte der quirlige Clubbesitzer gleich los. Der Engel hatte seine Mühe, ihn zu unterbrechen, um zu versichern, dass alles in bestmöglicher Ordnung war.

„Es ist wirklich alles gut, wie es ist. Und gleich morgen kommen wir nachhause", fügte er schließlich hinzu und realisierte erst durch die ungewöhnliche Pause im Gespräch, dass er etwas gesagt haben musste, mit dem Sean so nicht gerechnet hatte.

„Ist alles gut bei dir", hakte er also vorsichtig nach.

„Ja, sicher doch", kam es zurück und jetzt begriff Gabriel, dass es ein Schweigen aus spontaner Rührung gewesen war. „Du machst mich so glücklich, mein Engel, wenn du sagst, dass du hier zuhause bist, bei uns", schniefte Sean.

Ja, das waren tatsächlich Gabriels Worte gewesen und es wunderte ihn nun, dass er es nicht vorher längst realisiert hatte. Was ihn mit Sean und Oscar verband war so viel mehr, nur hatte er es noch nie gegenüber dem einen oder anderen ausgesprochen.

„Sean, ... ich bin nicht gut mit so was, aber ... du und Oscar, ihr seid ... mehr als Freunde. Ihr habt mich bei euch aufgenommen und ich ..." Für einen Augenblick suchte er nach den Worten, die dann irgendwie kamen: „Ich liebe euch. Nicht wie Luke, aber als das was ihr für mich seid. Ich hatte nie ein besseres Zuhause und nie einen richtigen Vater ... Ich klinge bescheuert ..."

„Nein, nein", brachte Sean heraus und sprach nun erst recht gerührt. „Es ... macht ja alles Sinn. Komm nachhause, Babe."

„Ja klar. Morgen Abend sind wir zurück." Etwas verlegen, überlegte Gabriel, ob er noch etwas hinzufügen sollte, doch das war gar nicht notwendig. Es war alles gesagt und sowieso war es längst das, was sie beide wussten.

„Ich hab dich auch lieb, mein Engel."

„Ich weiß. Bis dann."

„Küsschen."

Damit hatte Sean den Anruf beendet und Gabriel schaute noch einen Moment blinzelnd auf das Display. Dann holte er tief Luft und ging ins Bad zu Luke.

Das Wasser lief schon nicht mehr und Luke saß bereits darin. Er hatte reichlich von dem teuren Schaumbad des Hotels hineingekippt und es wirkte ein wenig, als hätten sich Berge aus Zuckerwatte in der Wanne gebildet. Es roch intensiv nach Sandelholz und der Spiegel war bereits beschlagen.

„Endlich kommst du", ließ Luke seinen Liebsten wissen, als dieser sich die Hosen auszog und zu ihm ins Bad stieg.

„Sean und ich, wir haben etwas länger gebraucht", erklärte Gabriel, während er sich langsam in die Wanne gleiten ließ.

„Oscar hat ihm doch sicher alles erzählt."

Nickend bestätigte der Rotschopf.

„Komm, mach Platz."

Luke grinste und erlaubte Gabriel, es sich rücklings zwischen seinen Beinen bequem zu machen. Den Kopf legte ihm der Tänzer dabei nach hinten auf die Brust, bevor er fortfuhr:

„Ich habe ihm gesagt, dass wir nachhause kommen. Also ich habe es so gesagt."

Sein Geliebter verstand auch ohne Erläuterung.

„Damit hast du ihm bestimmt eine Freude gemacht."

„Hmmm, ja. Ist schon irre, wie das Schicksal Menschen zusammenführt. Dich und mich. Sean und Oscar. Mich und Sean ...", raunte Gabriel und stupste ein wenig in dem Schaum herum, bevor er seine Hände ganz selbstverständlich über Lukes Knie und Schenkel streichen ließ. Dieser hatte inzwischen seine Arme um ihn herum gelegt und hielt ihn nur sanft.

„Ich hätte nie gedacht, dass ich mal bei einem Clubtänzer mit zwei Ersatzvätern lande ..."

„Und dann mit so einer harten Landung ..."

„Schscht, reden wir nicht über harte Landungen, wenn wir glücklich sind."

Der Vorschlag schien mehr als gut und vernünftig.

„Wir brauchen gar nicht zu reden, wenn du magst", fand Gabriel und legte den Kopf so weit zurück, dass sich die beiden küssen konnten.

Da musste Luke nicht überlegen. Sie hatten genug erlebt und geredet für einen Tag. Jetzt würden sie einfach heiß und duftend baden und zärtlich sein. Und anfangen würde er mit einem langen, ausgiebigen Kuss.

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