Irischer Bastard Teil19

"Patrick Foggerty", wiederholte Luke den Namen, „und das ist... ein Ex-Freund von dir?"

Ginger nickte. „Ja, aus Belfast", sagte er schlicht und verstummte gleich wieder. Was immer er erzählen musste, wollte nicht so ohne Weiteres hinaus. Wahrscheinlich wollte es das gar nicht. Luke konnte sehen, wie sich Gingers Brust deutlich hob und senkte. Er atmete schwer und Luke kam es so vor, als würde er gleich in Tränen ausbrechen, doch das geschah nicht und stattdessen machte es nun den Eindruck, als würde Ginger jede Emotion mit eisernem Willen unterdrücken.

„Ich hol dir was zu trinken", bot Luke an, stand auf und holte ein Glas Wasser aus der Küche, das Ginger dankend annahm und in eins austrank. Das musste seine verkrampfte Kehle gelockert haben, denn langsam begann er jetzt zu sprechen, während er auf seine Hände schaute.

„Wir waren zusammen, in Belfast. Ich war knapp siebzehn und noch auf dem College, als wir uns kennenlernten. Mir hat er gesagt er sei neunzehn und im letzten Jahr, aber er war schon einundzwanzig und auf der Uni."

Luke nickte. Ihm war nicht klar, warum der Altersunterschied der beiden einen Unterschied machte und warum dieser Patrick gelogen hatte, aber es schien wichtig für Gingers Geschichte.

„Wir haben beide gelogen. Ich wusste, dass ich schwul bin, das hab ich mit vierzehn geahnt und mit fünfzehn gewusst. Da war ich verknallt in den Kapitän der Hurling Mannschaft. Aber ich wusste, dass meine Eltern damit nicht klarkommen würden. Katholische Iren mit elf Kindern. Ich meine: Die machten nicht mal Empfängnisverhütung. Also hab' ich nie was gesagt. Patrick kam offiziell zum Hausaufgaben machen oder zum Üben für 'ne Klassenarbeit. Als ob ich das gebraucht hätte! Ich hab Schule geschwänzt und die Unterschrift meiner Eltern nachgemacht, damit wir bei mir zuhause 'rummachen konnten und die haben nichts gemerkt, weil die Noten stimmten. Aufgeflogen ist das Ganze erst als eine meiner Schwestern gepetzt hat, dass ich in der Schule fehle. Ich glaube nicht, dass sie gewusst hat wieso. Wahrscheinlich war sie nur sauer, weil sie hin musste und ich eben wegblieb. Mein Vater hat auf mich eingeschrien, wie ich sowas machen kann. Wenn ich so was mache, krieg ich als Katholik nie im Leben 'n Job. Bla bla. Ich sollte an meine arme Mutter denken. Und da war ich dann so weit, dass ich es ihnen gesagt habe. Dass ich bald achtzehn bin und machen kann was ich will und sie sollen sich nicht so aufregen, ich schaffe die Schule mit links und wenn sie sich 'n bisschen für mich interessieren würden, dann wüssten sie das und auch, dass ich schwul bin. Meine Mutter hat nur geheult und irgendwas von Sünde gejammert, mein Vater hat mir eine Stunde Zeit gegeben mein Zeug zu packen und sein Haus zu verlassen."

Luke hörte das alles sehr aufmerksam und wünschte sich, er könnte irgendetwas Kluges oder Tröstendes sagen, aber es fiel ihm nichts ein. „Wie furchtbar", flüsterte er nur.

Ginger zuckte mit den Schultern und fuhr wie mechanisch fort. „Als ob ich da freiwillig länger geblieben wäre! Und so hab' ich dann auch herausgefunden, dass Patrick nicht an einem College war, wie er gesagt hatte, sondern schon an der Uni. Er sagte, das würde alles ganz cool und ich zog wie so'n Untermieter in seiner Studentenbude mit ein. Das war eng, aber okay. Da hab' ich angefangen zu kellnern und am Anfang war's tatsächlich ganz cool. Aber nicht lange. Ich war bis nachmittags in der Schule und nach den Hausaufgaben, wenn er von der Uni kam, ging ich arbeiten. Da blieb nicht viel Zeit für uns, abgesehen von den Nächten. Höchstens am Wochenende und da ist er auch zu seinen Eltern. Und die wussten nichts von ...uns. Das dauerte nicht lange und er war ständig gereizt. Er hatte sich mehr davon versprochen, wenn wir zusammen wohnen, vor allem mehr... Sex. Oder besser: mehr abgefahrenes Zeug. Ich war ein Bengel, der irgendwie versuchte mit schwul sein, Schule und arbeiten gleichzeitig klar zu kommen. Und er war ein Typ, der ständig mehr wollte als ich. Ich war tatsächlich so naiv, zu glauben, dass das am Altersunterschied liegt und ich mich nur daran gewöhnen muss. Aber wenn er sagte, er liebt mich, dann hab ich alles mitgemacht, auch wenn es... mir nicht gefiel. Das ist dann irgendwann voll nach hinten losgegangen. Ich kam später nachhause oder blieb länger in der Schule und er hat sofort angenommen, dass da ein anderer Typ war. Einmal hat er mich mit einem Mädchen gesehen. Wir haben zusammen für ein Referat gearbeitet. Und da hat er mir dann das erste Mal, wie er es nannte, gezeigt, dass ich ihm gehöre. Nur ihm. Ich war danach völlig neben der Spur. Nicht, weil er mich ... so hart genommen hat, mehr weil er mich auch geschlagen hat. Bäm, voll ins Gesicht und so. Ich meine, wer macht sowas? Und wer ist so bescheuert, zu glauben, dass das irgendwas mit Liebe zu tun hat? Ich hätte gleich nach dem ersten Mal abhauen sollen. Aber er sagte, dass es ihm leid tut, er liebt mich, ich habe ihn dazu gebracht, weil ich nicht nachhause gekommen bin. Der ganze Blues. Also hab' ich ihm verziehen, jedes verfickte Mal. Aber es wurde schlimmer. Seine Eltern, die noch immer nichts wussten, drängten ihn zu irgendwelchen Dates mit den Töchtern irgendwelcher Freunde und Bekannten und an der Uni kam er an seine Grenzen. Wenn ich ihm sagte, er solle sich endlich outen oder ihm helfen wollte, wurde er wütend und unberechenbar. Dann schlug er zu. Hinterher, wenn er mir zeigte, dass er mich liebte, war es nur noch so, dass es mir so vorkam, als würde ich bestraft. Schließlich, eines Nachts, hab ich versucht abzuhauen. Da hat er mich erwischt, als ich meine Tasche gepackt habe. Er hat mich gegen die Wand geschleudert, mich mit 'nem Telefonkabel gefesselt, vergewaltigt und schließlich mit seinem Gürtel verprügelt. Ich dachte, er schlägt mich tot und das hat er auch gesagt. Wenn ich nochmal versuche, abzuhauen, dann überlebe ich das nicht. Aber wie du siehst, bin ich hier. Zwei Tage lang war ich in dieser Wohnung gefesselt, er kam und ging und es war ihm egal. Am dritten Tag konnte ich aufstehen und das verfickte Kabel loswerden. Und da hab ich mir nur was angezogen und bin weg. Ich hab nichts mitgenommen. Nur die Klamotten am Leib mit vierunddreißig Pfund siebzig drin und meinem Ausweis."

An diesem Punkt angekommen wagte Ginger zum ersten Mal, seit er begonnen hatte, Luke direkt anzuschauen. „Ist keine schöne Geschichte", fügte er flüsternd hinzu, „aber es ist meine."

Luke nickte langsam. Er wusste, dass diese Geschichte noch längst nicht zu Ende war, aber der Teil, den Ginger für relevant hielt, war es wohl, denn der Rothaarige biss sich auf die Unterlippe und da begriff Luke, wie viel Überwindung es ihn gekostet haben musste. „Danke", sagte er und wusste nicht recht warum. Danke, dass du mitdenkst, wenn's darum geht diesen Mistsack dranzukriegen? Die Polizei dankt für ihre Mitarbeit und Kooperation? Das war es auch, aber das war nicht, worum es ihm eigentlich ging.

„Danke, dass du mir vertraust", setzte er dann neu an.

„Ich... hab das seit Jahren nicht... nur...", weiter kam Ginger nicht.

„Du hast das... nur Sean erzählt?"

„Ja. Nur er und jetzt du. Er wird's Oscar erzählt haben, naja. Das war's dann."

„Du bist also nach London gekommen, weil du vor diesem Patrick auf der Flucht bist." Luke fand, dass das noch viel zu trivial klang, denn Ginger hatte ihm gerade berichtet, wie er durch die Hölle gegangen war.

„Ich dachte, es wäre vorbei. Aber jetzt, wo diese Morde passieren, wo dieser Andrew so zugerichtet ist, ich... kann mir vorstellen, dass er das ist. Patrick. Es ist zwar Jahre her, aber wie gesagt, Menschen verändern sich. Wenn er jetzt noch brutaler ist und wenn er zufällig nach London gekommen ist und mich hier gesehen hat..."

Das machte alles einen furchtbaren Sinn und so wie die Ermittlung stand, durften sie beim Yard nichts, auch nicht den kleinsten Hinweis ignorieren. Es stand zu viel auf dem Spiel. „Ich werde dem Yard die Sache mitteilen. Die werden überprüfen, wo sich der Typ aufhält, ob es möglich ist, dass er hier ist. Wenn ja, dann treiben wir ein Foto auf..."

„Wenn er aussähe, wie damals, dann würde ich ihn erkennen. Wenn er es ist, dann hat er auch anderes Haar oder 'n Bart oder so." 

Luke nickte. „Okay. Ich gebe die wichtigsten Infos an den Yard. Vielleicht kriegen wir noch eine Antwort, bevor der Club heute Abend öffnet."

„Dann rufe ich bei Sean an. Deine Leute haben ihn sicher längst informiert und er macht sich garantiert Sorgen."


Luke zog sich für eine Weile in seinen Erker zurück, um dort zu telefonieren. Er gab nur die nötigsten Fakten wieder und Superintendant Waterford versprach ihm direkt, dass er seinen Leuten genug Feuer unterm Hintern machen würde, damit es noch am heutigen Abend ein Ergebnis für die Überprüfung von Patrick Foggerty gebe. Sie wären einen Riesenschritt weiter, wenn Gingers gewalttätiger und Missbrauch treibender Ex-Freund theoretisch in Frage käme. Nachdem das Gespräch beendet war, wählte Luke Blakes Nummer. Was er sagen wollte, war ihm noch nicht so recht klar. Blake hatte sich wie ein Idiot aufgeführt. Luke hatte ihn betrogen. Es gab ein neue Opfer, aber das war nicht Luke. Von den drei Möglichkeiten müsste es wohl die letzte sein. Die anderen zwei würde Luke umgehen. Ihm war klar, dass er ein schlechtes Gewissen haben müsste, wegen dem, was zwischen ihm und Ginger gelaufen war. Sie hatten bisher nicht mal Gelegenheit gehabt, zu duschen und Blake würde es einfach nur wissen, wenn...

„Hier ist Blake, ich dachte du wolltest Abstand, bis alles vorbei ist", patzte der los.

„Jetzt sei nicht so. Es ist was passiert und ich wollte mich melden, damit du dir nicht unnötig Sorgen machst."

„Das nennst du unnötig, wenn was passiert ist?!"

Na toll, das war genau die Reaktion, die Luke jetzt brauchen konnte. Er wollte nicht schon wieder streiten. „Kannst du bitte einfach nur ruhig zuhören? Ja?!" Luke erzählte Blake jetzt von Andrew und dem Verdacht, den Ginger hatte.

„Na, das fällt diesem Go-go-Tänzer ja früh ein. Hat sich dein Job damit erledigt?"

„Blake- Schatz, hörst du mir überhaupt richtig zu? Das ist ein Verdacht. Du bist Anwalt, verdammt. Du weißt, dass wir da erst ermitteln müssen."

„Ich habe Angst um dich, kapier das doch. Du läufst da als Zielscheibe für irgendeinen völlig abartigen Serienkiller arschwackelnd durch die gaffende Menge."

„Du übertreibst." Luke versuchte ruhig zu klingen, damit Blake sich beruhigte.

„Ich übertreibe nicht! Ich hab's doch gesehen. Und ich will nicht, dass mein Freund sowas macht. Das ganze Geld an deinem Hosenbund! Räkelst du dich dafür auch auf dem Tresen wie dieser rote Teufel?!"

„Der räkelt sich nicht. Der tanzt richtig gut und schon gar nicht ist er ein Teufel."

„Ach, sieh an! Habt ihr schon gefickt?"

Luke biss sich auf die Lippe. Shit! War das so offenkundig? Wenn es nicht so wäre, dann hätte er behauptet, sein Freund wäre paranoid. Aber es war so. Irgendwie. Lukes Antwort verzögerte sich. Zu lange.

„Sag mal, tickst du noch richtig?", fuhr Blake ihn an. „Du bist keine drei Tage weg und fickst mit diesem... diesem irischen Bastard?!"

Luke schwoll der Kamm. Ja, er hatte Blake betrogen und der hatte jedes Recht, enttäuscht und wütend zu sein, aber es war nicht so! „Wie du redest! Was glaubst du wer du bist? Hä? Ficken scheint echt das Einzige zu sein, wovon du was verstehst. Wann hat das eigentlich angefangen? Krieg dich wieder ein!"

Zornig drückte Luke auf den roten Hörer. Was hatte er eigentlich erwartet? Dass Blake sich freute, wenn er sich doch bei ihm meldete? Dass er seine Meinung geändert hätte? Vielleicht änderten sich Menschen schneller als ihre Meinung... Luke sah auf die Uhr. Nicht mehr lange und sie müssten im Club sein, an der Bar und auf Verbrecherjagd. Wenn Patrick aus Belfast der Mörder war, dann lauerte er vielleicht schon auf Ginger. Oder er lauerte auf Luke. Luke würde alles tun, damit es nicht wieder geschah. Nebenan im Bad hörte er jetzt Wasser rauschen. Also zögerte er keinen Moment, zog sich das Shirt über den Kopf, schlüpfte aus seinen Schuhen und Socken und streifte seine Hosen hinunter, um ins Bad zu gehen. Dort, unter der Dusche, fand er Ginger....

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top