Ginger Teil2
Superintendant Waterford hatte alles bestens in die Wege geleitet und Luke und seine beteiligten Kollegen waren bestens instruiert. Jeden Abend von nun an, würde sich einer von ihnen unter die Gäste des Clubs in Notting Hill mischen, immer wieder abwechselnd, damit es nicht auffiel. Luke jedoch wäre ein neuer Kellner und Aushilfe an der Bar, je nachdem, wie groß der Bedarf nach dem einen, dem anderen oder beidem wäre. Er war der Geeignetste für diese Aufgabe, denn er war ein besonders guter Beobachter. Auch war er jung genug, um genug Ehrgeiz hineinzustecken und Risiken einzugehen. Er hatte während der Ausbildung gekellnert und nicht zuletzt war er schwul und würde sich in einem Gay Club nicht wie ein Fremdkörper aufführen. Er würde sich dort einfügen, kellnern, flirten, die Bar im Auge behalten und verdächtige Personen observieren. Seine Statur, sein Alter von fünfundzwanzig und nun auch seine Haarfarbe entsprachen dem Typ des Täters, was ihn gleichzeitig zu einer Art Lockvogel machte. Der junge Sergeant würde nicht zögern zu tun, was nötig wäre, um diesen brutalen Wichser zu fassen. Er hatte die Akten studiert, bis er sie nahezu auswendig aufsagen konnte.
Die Opfer waren auffallend blond oder rothaarig, groß, schlank, mit heller Augenfarbe. Sie hatten etwas getrunken, wo man ihnen Rohypnol hinein gemischt hatte. Ein Betäubungsmittel, auch bekannt als K.O.-Tropfen, genau das Zeug, vor dem die Eltern immer warnten, das sich aber vollkommen geschmacksneutral in jedem Drink verhielt. Die Opfer hatten getrunken, nach zwanzig bis dreißig Minuten wirkte das Zeug. Ihre Muskeln erschlafften, ihr Verstand war vernebelt und damit auch ihr Wille. Sie waren vollkommen hilflos und bewegungsunfähig, aber bei Bewusstsein. Alle Opfer waren fortgeführt, fortgeschleppt, irgendwohin gebracht werden, wo ihr Peiniger sie vergewaltigt, geschunden, gequält, dann schließlich liegen und sterben gelassen hatte. Die wichtigen Hinweise, auf denen Lukes Ermittlungen im Elysium Club beruhten, stammten von einem 21-Jährigen, den jemand beim Gassi gehen spät in der Nacht zwischen Sperrmüll gefunden hatte, der sich an kaum etwas klar erinnern konnte, aber noch am Leben war und es wie durch ein Wunder auch blieb. Jamie aus Shoreditch. Luke war hier für ihn, damit keinem weiteren Jungen etwas so Grausames zustoßen müsste.
Der Clubmanager, Mr Calahan, begrüßte Luke am Nachmittag persönlich, um ihm seinen Arbeitsplatz zu zeigen und seine Aufgaben zu erläutern. „Nenn' mich einfach Sean, das tun alle hier", sagte jener mit einem einladenden Lächeln. Auf den ersten Blick sah er gar nicht wie ein Manager aus, eher wie eine Fata Morgana von Elton John in jüngeren Jahren, mit nicht weniger auffälliger Brille. Seine Menschenkenntnis verriet dem jungen Mann, dass der Typ vielleicht etwas überdreht war, immerhin fand nicht jeden Tag eine Ermittlung von Scotland Yard im eigenen Club statt, aber ehrlich bereit zu helfen, wo es nur ging. Wie Calahan sagte, war er sehr erleichtert, dass Scotland Yard praktisch vor der Lösung des Falls stand und hoffte, dass seine „Babes", wie er seine Gäste nannte, bald wieder sicher sein würden. „Das ist alles so schrecklich", sagte er immer wieder und schüttelte den Kopf. „So schrecklich ..." Luke stimmte immer wieder zu und folgte ihm zur Bar. Die nahm großzügig eine Ecke des Clubraumes ein. Entlang der angrenzenden Wände, an denen sich glänzende Spiegel und enorme Portraits von Hollywood- Ikonen abwechselten, gab es Sitzecken, die mit dunkel-violettem Samt bezogen waren und auch Stehtische. Über und hinter der Bar hingen ebenfalls große, gravierte Spiegel und glitzernde Discokugeln. Ihr gegenüber war eine Tanzfläche, über der es eine beeindruckende Lichttechnik zu bestaunen gab. An einer Seite führte eine Wendeltreppe hinauf zu einem Balkon, von wo aus man auf die Tänzer hinunterschauen konnte. Wenn Luke erst hier kellnern würde, wäre es ihm möglich, eine große Zahl von Seans Babes und ihr Tun zu beobachten.
„Wie wild geht's hier normalerweise zu?", wollte der Sergeant wissen, während er schätzte, dass sich insgesamt wohl annähernd dreihundert bis fünfhundert Leute vor Ort vergnügen könnten.
„Na, richtig wild, Officer Sherman. Das hier ist nicht der Disney Club." Sean verdrehte dramatisch die Augen. „Aber es gibt keine schmuddeligen Hinterzimmer, wenn du das meinst, nur, was du hier siehst. Hier wird angebandelt und angebahnt und dann, husch husch ins Körbchen."
So in etwa hatte Luke sich das gedacht. „Officer klingt irgendwie kinky, sag einfach Luke."
„Na schön, hübscher Name. Magst du was trinken, Luke?" Offenbar musste sich Sean an den Namen gewöhnen. Der junge Mann zuckte mit den Schultern. Klar, wieso nicht. Offiziell im Dienst wäre er erst am Abend. Kaum hatten sie die Bar erreicht, ging der Clubbesitzer auch gleich dahinter.
„Ich nehme 'n Cider."
„Kommt sofort, oops!", verkündete Sean und freute sich über die kleine Zweideutigkeit, die der Blonde mit einem Lächeln quittierte. „Solange du hier arbeitest", erklärte der Ältere, während sie tranken, „kriegst du auch eins von den Handys für meine Angestellten. Das ist mir wichtig, dass ich meine Babes erreichen kann, wenn ich das möchte. Da sind die Nummern von allen anderen gespeichert und auch die, mit der du bei mir und Oscar zuhause anrufst. Aber nur im Notfall, hörst du ..."
Sean erklärte noch mehr und Luke entschied für sich, dass er den Typen mochte, weil er ganz klar das Herz am rechten Fleck hatte. Dann, mit einem Mal, näherten sich Schritte, nicht von der Tür, sondern von jenseits der Tanzfläche. Da der Club nachmittags nur spärlich beleuchtet war, konnte der Blonde nicht gut erkennen, wer da auf sie zukam, ganz im Gegensatz zu Sean. „Ginger-Babe, das wurde auch Zeit, dass du kommst. Rate mal, wer da ist?!"
Der Mann, den Sean mit Ginger ansprach, antwortete nicht und kam nur mit großen Schritten weiter auf sie zu. Endlich konnte Luke ihn genauer sehen. Er war groß und schlank und bewegte sich geschmeidig wie eine Großkatze, zumindest war das seine erste Assoziation. Und wie der Name schon sagte, besaß er einen üppigen Schopf aus ginger-roten Locken, die etwas unbändig auf einer Seite ins Gesicht fielen. Als er die Bar erreicht hatte, fixierte er den Polizisten mit einem Blick, der dessen Eindruck nur verstärkte. Gingers Augen waren grün, wie die einer Katze und auch ihre Form war außergewöhnlich, leicht mandelförmig. Er trug eine lose sitzende Sporthose und ein T-Shirt, dass eben so saß, dass Luke seine wohl definierten Muskeln an Armen und Oberkörper erahnen konnte. Er hoffte inständig, dass Ginger nicht bemerkt hätte, wie er ihn musterte und sich dabei direkt über die Lippen geleckt hatte. Wenn der Rothaarige das hatte, dann ließ er es sich nicht anmerken.
„Hi, du bist der Neue", sagte er schlicht mit tiefer, samtener Stimme, sodass Luke auch davon nicht gerade wenig beeindruckt war. Wie der wohl klingen würde, wenn er Sex hatte?
„Ich bin Luke, hallo", brachte er heraus. Ihm gegenüber an der Bar lehnte nun Ginger O'Reilly, über den er in seinen Instruktionen für den Einsatz gelesen hatte. Automatisch rief sein Hirn die vorhandenen Informationen ab. 23, schwul, Linkshänder, nordirischer Herkunft, Schulabschluss unbekannt, Beruf: Barkeeper, Cocktail-Mixer und Tänzer-Animateur im Elysium. Wohnort: direkt im Hinterhaus des Clubs, über der Bar.
Oh Hell!
Sean übernahm das Reden, während Luke jetzt gleichermaßen von dem Rothaarigen stumm gemustert wurde. „Ginger-Babe war sofort einverstanden, als ich ihm gesagt habe, dass du ein Junge bist, der 'n halbwegs anständigen Job und 'ne Unterkunft braucht. Er hat oben alles vorbereitet. Da ist genug Platz für zwei."
Das gehörte tatsächlich zum Plan des Superintendants, dass Luke ebenfalls in dem Club wohnte, allerdings nicht, dass er seinen Mitbewohner super hot finden würde. Als Barkeeper gehörte er zum engeren Kreis der Verdächtigen, denn es wäre ihm ein Leichtes, das Rohypnol zu jeder Zeit in jedes Glas zu geben.
„Danke dir", wandte sich Luke an den heißen Typen und versuchte ein harmloses Lächeln.
„Keine Ursache."
Ein großer Redner schien er nicht zu sein.
„Babe, wie wär's, wenn du ihm oben alles zeigst? Und dann kannst du ihn auch für heute Abend einweisen. Ich denke, er sollte kellnern." Sean schaute neugierig von Ginger zu Luke und wieder zu Ginger. Offensichtlich erwartete der Clubbesitzer keine Antwort und versuchte abzuschätzen, wie die beiden aufeinander reagierten.
„Ich seh' schon, ihr kommt prima klar. Es wird dir bestimmt bei uns gefallen, Luke-Babe."
Der junge Sergeant nickte. „Ja sicher." Er war jetzt also offiziell auch ein Babe. Na schön. Sean reichte ihm das Handy, von dem er gesprochen hatte und kam um die Bar nach vorne. „Ich lass euch dann mal allein. Später komme ich nochmal schauen. Byyyye."
Der rothaarige Ire schaute nur und Luke nickte nochmals. „Okay, sag an, wo geht's nach oben?"
„Komm mit."
Luke ließ sich nicht zweimal bitten und überquerte mit Ginger die Tanzfläche, bis sie zu einer weiteren Wendeltreppe kamen, die nach oben führte, vorbei an Lichttechnik und Lautsprecherboxen zu einem Zugang ins Hinterhaus.
„Da wären wir." Der Tänzer deutete mit seinem Blick in die Runde. Sie befanden sich nun in einem Loft, vermutlich ein ehemaliger Lagerraum, denn die Wände waren nicht verputzt. Es gab nicht gerade sehr viel, aber doch annähernd genug Platz für zwei. Der Raum bestand aus zwei Ebenen. Einer Art kombiniertem Koch und Wohnbereich unten und oberhalb lag eine Balustrade mit drei spitzen Erkern, die groß genug waren, dass in einem der drei ein großzügiges Bett eingebaut war. In dem anderen daneben, so dass sich eine gewisse Privatsphäre ergab, war eine große Matratze ausgelegt und darauf lagen Bettzeug und ein paar Handtücher. Im dritten befand sich ein kleines Bad mit Dusche. Luke ging direkt über eine Leiter nach oben, um nachzuschauen. Der Blick aus „seinem" Erker über die Dächer Londons war fantastisch. Nie würde Blake ihm das glauben, wenn er es erzählte!
„Wow, hätte nicht gedacht, dass es hier so eine krasse Aussicht gibt!", rief er nach unten.
„Schon." Ginger schaute zu ihm herauf und wenn ihn nicht alles täuschte, glaubte er, ein Lächeln gesehen zu haben.
„Du redest nicht viel, oder?"
„Was ist viel?"
„In deinem Fall mehr als drei Worte, würde ich sagen."
„Ich mach Tee."
Luke hatte verstanden. Er stellte seine Tasche in seinen Erker und kam die Treppe hinunter. In der Kochecke hantierte Ginger mit dem Wasserkocher. Genau genommen drang Luke hier in dessen Reich ein und dass er damit einverstanden war, bedeutete nicht automatisch auch, dass er begeistert war. Oder er redete nie viel. Oder er vermutete, dass Luke aus einem anderen Grund hier war? Er setzte sich in einen Sessel und konnte nicht anders als hinsehen, denn von da hatte er einen guten Blick auf Gingers Kehrseite, die ihm nicht weniger gefiel als die Vorderseite. Das hier ist rein theoretischer Natur, du hast 'nen festen Freund.
„Woher kommst du?" Ginger reichte ihm einen Becher mit English Breakfast Tea und setzte sich auf einen zweiten Sessel.
„Ich bin von hier, Hampstead, aber ich bin zuhause nicht mehr erwünscht. Der neue Kerl von meiner Mum, du verstehst." Das war eine Lüge und in dem Augenblick, wo er log, kam sich der junge Mann schäbig vor. Aber so hatten sie sich beim Yard seine traurige Geschichte ausgedacht.
„Tut mir leid." Der Rothaarige blickte ihn mit diesen katzenhaften, grünen Augen an.
„Was ist mit dir?" Luke lehnte sich direkt weit aus dem Fenster, aber wenn er schon gleich seine erfundene Geschichte andeutete, war der andere vielleicht auch dazu bereit ...
„Scheiß drauf."
So schlimm also. Luke würde es schon irgendwann herausfinden.
„Keks?"
„Aber immer doch, her damit."
So war das also. Der erste Arbeitstag für seinen Spezialauftrag hatte begonnen. Er war jetzt Luke-Babe und wohnte mit dem heißesten und zugleich wortkargsten Typen Londons in einer Bude unterm Dach.
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