2| Sometimes it's good to believe in yourself
Saya hob ihren Kopf ein wenig und erblickte tatsächlich vier Männer, die ihre Blicke suchend durch den kleinen Raum schweifen ließen. Drei hatten dunkle, kurze Haare, der vierte war hingegen kahl geschoren und trug einen dichten Vollbart. Unzählige Tatoos schmückten den Arm des Glatzköpfigen, das Gesicht eines anderen wurde durch mehrere, wulstige Narben verunstaltet. Alle hatten finstere, bedrohliche Mienen aufgesetzt und ließen ihre Blicke durch den Raum schweifen.
„Du da! Du kommst mit!", befahl einer der vier Männer in einem herrischen Ton und zeigte auf ein Mädchen, welches verängstigt in einer Ecke kauerte. Langsam erhob die Angesprochene sich und trottete mit gesenktem Blick zu den Männern. Insgesamt sechs weitere Mädchen wählten die Männer aus, dann drehten sie sich um und wollten gerade gehen, doch eines der sechs ausgewählten Mädchen wand sich wieder um.
„Und die da? Was ist mit der?", rief sie und fuchtelte mit ihrer Hand in der Luft herum, bis sie schlussendlich auf Saya zeigte. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, bevor es so schnell weiterschlug, dass sie Angst hatte, dass es kollabieren könnte.
„Perfekt! Du kommst auch mit!", schrie ein anderer der vier Männer begeistert, nachdem er sie einer kurzen Musterung unterzogen hatte.
„Nein! Ich komme nur mit, wenn sie auch mitkommt!" Saya nahm eine kampfbereite Haltung ein und fasste ihre Freundin am Arm.
„Saya, nicht.", flüsterte Lynn und krallte ihre Finger ängstlich in den Arm von Saya. „Dann kommt das blinde Stück eben auch mit. Lang überlebt die eh nicht mehr.", meinte der Mann schulterzuckend und kam auf sie zu.
Unwirsch packte er die Oberarme der beiden und schleifte sie hinter sich her. Die Mädchen wurden in einen Transporter geschubst und die Klappe verschlossen. Es war stockdunkel und man hörte das verzweifelte Schluchzen einiger Mädchen. Plötzlich wurde der Motor angelassen und das Gefährt ruckelte über die unebenen Schotterstraßen der Philippinen. Lynn drückte Sayas Hand und die beiden Freundinnen lehnten sich gegeneinander, nicht wissend, was sie noch alles erleben würden.
Nach etwa fünf Stunden, wie Saya schätzte, hielt der Transporter, denn das Motorengeräusch erstarb und auch das Ruckeln hörte auf. Die Klappe wurde geöffnet und das wenige Licht des heraufdämmernden Morgens strömte hinein.
„Beeilt euch, ihr faules Pack! Ihr müsst noch vor Einbruch des Tages verladen werden.", brüllte ein breitschultriger Mann sie kaltschnäuzig an.
Saya erschauderte, der Mann sprach von ihnen, als seien sie Gegenstände oder Lebensmittel. Seine Miene war kalt und herzlos, das Schluchzen von manchen Mädchen schien er einfach auszublenden. Der Mann scheuchte sie in eine heruntergekommene Halle, die wohl zu einem Hafen gehörte, denn die Luft roch salzig und der Geruch nach altem, fauligen Fisch ließ in Saya Übelkeit hochsteigen.
Ein anderer Mann, mit fettigem Haar und einem grauen Bart fing an, die Mädchen anzubrüllen. „Wenn euch jemand begegnet: Ihr redet nicht, ihr schaut niemanden an, verhaltet euch ruhig und unauffällig. Wer sich nicht daran hält, hat sein Leben verwirkt. Ihr werdet nie ein Wort zu irgendjemandem sagen, ihr wisst nicht mehr, was passiert ist. Klar?! Und kein Mucks!"
Ängstlich nickten sie alle und wurden kurz darauf in kleine Container getrieben, immer zu viert in einen. Die Einrichtung war spärlich. Es gab an zwei gegenüberliegenden Seiten jeweils zwei aus Holz gefertigte Pritschen, die an der Metallwand angebracht waren. Hoch über ihnen waren kleine Löcher in die Wand gebohrt, die dafür sorgten, dass frischer Sauerstoff in das Innere drang.
In einer Ecke standen zwei Eimer anstelle einer Toilette und in einer Pappschachtel befanden sich drei Tüten abgelaufene Brötchen und eine Plastikflasche Wasser.
Saya sah sich nach Lynn um und fand sie auf eine Pritsche gekauert. Obwohl es ihr nicht behagte, musste sie den Worten des Mannes von vorhin Recht geben. Ihre Freundin war unglaublich dürr und abgemagert, ihr Gesicht wirkte eingefallen und kränklich. Und dennoch strahlte sie eine unglaubliche Lebensfreude und Hoffnung aus, die sich langsam aber sicher auf Saya übertrug.
„Wie schaffst du es, so fröhlich zu sein?", wunderte sich Saya und setzte sich neben ihre Freundin. Sie hoffte, dass ein Gespräch sie von ihren finsteren Gedanken ablenken würde.
„Mein Glaube an Gott. Er wird mir helfen, das alles hier durchzustehen. Und wenn meine Zeit gekommen ist, dann holt er mich zu sich und meinen Eltern ins Paradies." Lynns Gesichtsausdruck schien beinahe erwartungsvoll. Saya schnaubte leise. Irgendwann einmal, vor so vielen Jahren, dass sie sie gar nicht mehr zählen wollte, hatte sie auch einmal an Gott geglaubt. Doch dieser Glaube verschwand, von Jahr zu Jahr. Immer mehr und jetzt fragte sie sich, was es Leuten brachte, an ihn zu glauben.
Sie sahen ihn nicht, sie hörten ihn nicht und er unternahm nichts, obwohl so viele Menschen litten. Saya hatte sich zu fragen beginnen, ob er überhaupt existierte. Mittlerweile war sie sich sicher, dass er es nicht tat. Sie glaubte lieber an sich selbst, an ihre Stärke und an das, was sie schaffen konnte. Und das war es auch, wieso sie ihre Hoffnung noch nicht verloren hatte.
„Weißt du, Saya, ich hatte noch nie eine richtige Freundin. Ich musste immer sehr viel Arbeiten; Essen beschaffen und den Schlafplatz meiner Eltern und mir sauber halten. Daher hatte ich keine Zeit, Freunde zu finden und die wenigen Menschen, die ich traf, waren aufgrund meiner Blindheit wieder weg, bevor ich sie überhaupt kennen konnte. Weißt du-" Lynns Stimme brach und Saya konnte erkennen, dass sie mit den Tränen kämpfte.
„Sie haben mir meine Mutter genommen. Die einzige Person, die ich noch hatte. Abgestochen haben sie sie, bloß weil sie mich beschützen wollte. Ich habe ihre Schreie gehört, aber ... es war zu spät, als die Männer bemerkten, dass ich blind bin und ihnen nichts bringen würde." Lynn wischte sich über die Augen und senkte den Kopf gen Boden. Sanft strich Saya ihr über den Rücken. Wieder und wieder und wieder. Bis die Tränen verebbten und in leise Schluchzer übergingen, von denen Lynn in regelmäßigen Abständen geschüttelt wurde.
Durch die kleinen Löcher in der Wand drang immer weniger Licht, und die gleichmäßigen Geräusche des Schiffsmotors ließen erahnen, dass sie sich schon weit draußen auf dem Meer befanden. Saya setzte sich auf und streckte ihren Rücken durch. Ihre gepeinigten Muskeln schrieen auf und der feine Schmerz jagte wie Nadelstiche durch ihren Körper.
Sie war daran gewöhnt, lediglich auf Holz oder auch Stein zu schlafen, jedoch trug die unbequeme Position, die sie einnehmen hatte müssen, um bei einer größeren Welle nicht von der schmalen Pritsche zu fallen, erheblich dazu bei, dass jeder Faser ihres Körpers schmerzte. Bei dem Gedanken daran, dies jetzt tage- wenn nicht wochenlang durchstehen zu müssen, kroch Übelkeit in ihr hoch.
Die wenigen, bereits abgelaufenen Lebensmittel, die man ihnen in den Container gestellt hatte, schmeckten widerlich, füllten jedoch endlich die schreckliche Leere in ihrem Magen. Saya musterte auf den zähen Brötchen herumkauend die Pritschen und stellte fest, dass sie die einzige zu sein schien, die wach war.
Die anderen zwei Mädchen schliefen ebenso wie Lynn und sie bis vorhin tief und fest, daher bemühte sich Saya, leise zu sein, denn sie gönnte allen den erholsamen Schlaf, der es ihnen ermöglichte, zumindest für wenige Sekunden der grausamen Gegenwart zu entkommen.
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